Lebensthema Religion

25.07.2007
Der Rumäne Mircea Eliade (1907-1986) ist einer der bedeutendsten Religionswissenschaftler des 20. Jahrhunderts. Er hat rund fünfzig Jahre an Universitäten gelehrt, verschiedene Romane verfasst und wurde 1980 für den Nobelpreis nominiert. Der Band "Vom Wesen des Religiösen" versammelt Essays und Schriften zu Religion und Spiritualität.
Den Titel des Buches hat der Verlag gewählt. Da werden verschiedene Schriften von Mircea Eliade unter eine Überschrift gebracht.

Das Buch ist ein Sammelband, es vereint Essays über verschiedene Phänomene, die wir mit dem Begriffen "Religion" und "Spiritualität" in Verbindung bringen. Da geht es um den Sonnenkult der Indianer auf der indonesischen Insel Timor genauso wie um die Germanen und ihre heiligen Eichen. Es geht aber auch um den Yoga der Hindus und die Heiligen der Katholische Kirche.

Eliades Beschäftigung mit verschiedenen religiösen Phänomenen hat ein Ziel. Er fragt sich: Gibt es ein Wesen des Religiösen, etwas, das allen diesen Phänomenen gemeinsam ist - obwohl sich Religionen in der Geschichte oft bitter bekämpft haben? Was kennzeichnet einen religiösen Menschen?

Nach Eliades Auffassung muss ein religiöser Mensch nicht unbedingt einer Kirche oder einer Konfession anhängen, aber ein religiöses Gemüt hat mindestens drei Merkmale.

Ein religiöser Mensch geht erstens von der Existenz zweier Welten aus. Für ihn gibt es die sinnlich erfahrbare Welt der materiellen Dinge und es gibt über oder hinter dieser Sphäre eine Welt höherer und/oder geistiger Mächte: den Bezirk des Göttlichen. Das Göttliche selbst kann der Mensch nicht sehen, riechen, schmecken, anfassen, aber er kann ein Gespür für dessen Existenz entwickeln.

Zweitens, so der Autor, betrachtet ein religiöses Gemüt die geistig-göttliche Welt als die wahre, eigentliche, unvergängliche Welt, die Welt der materiellen Körper und Dinge dagegen als deren vergänglichen Abglanz.

Und drittens schafft sich ein religiöses Gemüt Symbole für das Göttliche. Ein Symbol ist ein Ding, das nicht für sich selbst steht, sondern auf ein Ideelles verweist. Christen zum Beispiel beten nicht ein Kreuz an, sondern in diesem Kreuz Christus: sein Leiden, seinen Tod, seine Auferstehung. Genauso wie die Eiche für die Germanen nicht einfach ein Baum gewesen ist, sondern das Sinnbild für Donar, den Gott des Donners.

Nach Eliades Auffassung beruht noch die religionsferne Mediengesellschaft auf religiösen Strukturen. Als Beispiel dient ihm die Werbung. Der Autor meint, da geht es nur scheinbar um Dinge, eigentlich geht es um die geistige Welt hinter diesen Dingen. Eine glänzende Blechkarosse wird dort als Symbol aufbereitet, als Symbol für Status, Freiheit, finanzielle Potenz, eine Anti-Faltencreme steht für Schönheit und ewige Jugend. Die Werbung will, dass wir gläubige Menschen werden, dass wir an die Macht von Symbolen glauben und diese Symbole kaufen. Für Mircea Eliade, den Religionswissenschaftler, ist Werbung ein pseudo-religiöser Kultus.

Neben religionswissenschaftlichen Texten gibt es in diesem Buch auch Belletristik. Mircea Eliade erinnert sich an Stationen seines Lebens, zum Beispiel an den mehrjährigen Aufenthalt in Indien. Außerdem erinnern sich Freunde an ihn. Da ist ein anrührender Text von Emile Cioran, Rumäne wie Eliade, er hat später in Paris gelebt, war einer der bedeutendsten Essayisten der Nachkriegszeit. Cioran beschreibt seine ersten Begegnungen mit Eliade: eine wundervolle Charakterstudie dieses Mannes. Cioran hat oft in Eliades Vorlesungen gesessen und erinnert sich:

"Es waren die lebendigsten und spannungsvollsten Vorlesungen, die ich je gehört habe. Ohne Aufzeichnungen, freihändig und fortgerissen in einem Strudel lyrischer Gelehrsamkeit."

Wer Eliades Romane kennt, wird verwundert sein: die religionswissenschaftlichen Texte sprechen eine ganz andere Sprache. Der Romancier Eliade ist bekannt für seine eindringlichen Bilder - der Wissenschaftler schreibt dagegen ziemlich abstrakt, und vor allem: das ist ein Stil, der an Michel Foucault erinnert, den französischen Philosophen. Wie Foucault entwickelt auch Eliade seine Gedanken direkt vor dem Publikum, das heißt, er liefert dem Leser keine Resultate, sondern man denkt mit ihm gemeinsam, auch alle Um-, Ab- und Holzwege.

Diesen Stil kann man mögen oder nicht. Wer sich auf ihn einlässt, ist auf alle Fälle vor Stanzen und Allgemeinplätzen sicher, es erwartet ihn ein detailliertes, oft abseitiges Wissen. Eliade erweist sich hier als Gelehrter im klassischen Sinn.

Rezensiert von Susanne Mack

Mircea Eliade: Vom Wesen des Religiösen. Schriften. Erinnerungen
Herausgegeben von Hans-Joachim Simm
Insel Verlag 2007
228 S., 9,90 Euro