Lebensschau eines Zerbrechlichen
Von Burkhard Müller-Ullrich · 01.08.2006
Anlässlich des 50. Todestages des Schweizer Dichters zeigt das Frankfurter Literaturhaus die Ausstellung "Robert Walser 1878 - 1956". Sie unterscheidet sich vom üblichen Papierauslegen in Vitrinen, indem sie aus thematischen Erlebnisräumen wie Walsers spartanischer Mansarde, dem Theater, dem Kontor oder der psychiatrischen Klinik besteht.
Robert Walser wurde in Biel geboren und starb in Herisau, er lebte in Basel, Stuttgart, Zürich, München, Berlin, Bern und mancher anderen Stadt, aber mit Frankfurt am Main hatte er nichts zu tun. Dass die große Ausstellung zu seinem 50. Todestag ausgerechnet in Frankfurt startet, wird mit dem dort ansässigen Suhrkamp Verlag erklärt.
In der Tat hatte dessen Leiter Siegfried Unseld die Finanznot des Verlegers Helmut Kossodo in den siebziger Jahren ausgenutzt, um ihm unter eher hässlichen Begleitumständen die Rechte an der von Kossodo realisierten ersten Robert-Walser-Gesamtausgabe abzumarkten. Die Editions- und Rezeptionsgeschichte wird jedoch von dieser Ausstellung überhaupt nicht thematisiert.
So geht man schon mit innerlich hochgezogenen Augenbrauen in das Frankfurter Literaturhaus hinein, wo alles etwas überprächtig ist: Erst kürzlich wurde eine der letzten Kriegsruinen am Main in einen geradezu absurd gewaltigen Palast zurückverwandelt und dem Literaturbetrieb gewidmet, und weil dies erst vor kurzem geschehen ist, konnte das Haus ein literarhistorisches Großereignis gut gebrauchen. Da kam das Angebot Bernhard Echtes vom Robert-Walser-Archiv in Zürich gerade recht.
Echte hat schon manche Walser-Ausstellung organisiert, doch diese unterscheidet sich vom üblichen Papierauslegen in Vitrinen dadurch, dass sie aus Erlebnisräumen besteht. Auch da mag man noch skeptisch sein: wenn nämlich die grassierende Eventisierung von Literatur bei einem Dichter unpassend erscheint, dann ist es der leise und verborgene Robert Walser. Aber all diese Befürchtungen erweisen sich als überflüssig, sobald man die Ausstellungsräume im ersten Stock erreicht hat. Die Lebensschau eines Zerbrechlichen lässt sich nicht eindringlicher und zugleich zarter inszenieren, als es hier gelungen ist.
Das ist vor allem das Verdienst des Ausstellungsgestalters Heinz Kriesi, der lange als Bühnenbildner am Schauspielhaus Zürich wirkte. Er musste gleichsam mit nichts beginnen, denn es gibt keine überlieferten Originalreliquien aus Walsers Besitz: keine Möbel, keine Utensilien. Walser hatte ja die meiste Zeit seines Lebens als möblierter Herr in ärmlichen Verhältnissen gewohnt, und so ist es der Blick in eine winzige Mansarde, der dem Besucher eine erste Schock-Erfahrung verschafft. Die liebevolle Ausstattung reicht bis zu dem als Schirmaufhänger dienenden rostigen Nagel, den Walser einmal als Symbol sinnloser Existenz beschrieben hat.
Neben der Mansarde bilden das Theater, das Kontor sowie die psychiatrische Klinik die Stationen dieser Ausstellung. Die letztgenannte kann der Besucher nicht betreten, sondern nur über Spiegelwände einsehen: ein genialer Kunstgriff, der die Entrücktheit der Anstaltswelt dramatisiert, aber zugleich das allzu Plakative meidet. Und was zeigt uns Kriesi in diesem Anstaltszimmer? Hanfschnüre und Papiertüten:
" Also ich hab tagelang telefoniert zum Beispiel, Papiersäcke zu finden. Robert Walser hat ja in der psychiatrischen Klinik Papiersäcke geklebt. Es gibt heute nirgendmehr Papiersäcke, die von Hand geklebt werden. Bis man da reinkommt, irgendwo noch eine Papiertüte zu finden, die noch nicht verklebt ist – teilweise waren das tagelange Sucharbeiten. "
Scheint bei allem Ernst auch Spaß gemacht zu haben – und dieses Spaßig-Ernste entspricht wahrhaftig der prekären Stimmungslage des zeitlebens verkannt gebliebenen Schweizer Dichters.
" Das Charakteristische an Walser ist ja seine Mehrschichtigkeit. Dass er eine sehr aufgeräumte Oberfläche hat. Dass er einen manchmal ziemlich anarchischen, ziemlich boshaften Humor hat. Und dass er natürlich ein Melancholiker auch ist. Aber es ist auch so, dass die Rezeption von Robert Walser in den Anfängen, also in den siebziger Jahren, mehr von der melancholischen Deutung, also dieses Opfers der Gesellschaft, der in die Psychiatrie gesteckt wird, geprägt gewesen ist. Aber mittlerweile merkt man doch diese unglaubliche Souveränität bei diesem Autor, diese Heiterkeit und auch diesen unglaublichen Witz. "
Bernhard Echte lässt aus lauter Freude am Witz sogar Zettelchen mit kurzen Walser-Zitaten auf den Boden in die Ausstellungsräume streuen, denn das Geschriebene muß ja bei aller Spielerei im Mittelpunkt bleiben. Und natürlich gibt es auch Manuskripte zu sehen, und zwar in zwei winzigen Kabinetten, die jeweils nicht mehr als drei bis vier Personen fassen und als große Schuhschachteln gestaltet sind. Denn in Schuhschachteln pflegte Walser seine zum Teil mit winzigkleiner Schrift geschriebenen Werke aufzubewahren. "Schreiben scheint vom Zeichnen abzustammen", formulierte der Dichter einmal; seine schwer entzifferbaren Mikrogramme sind ein sinnfälliger Beweis dafür.
" Robert Walsers Manuskripte gehören zum Seltensten, Kostbarsten und Teuersten in der Autographenwelt des 20. Jahrhunderts. Und wir zeigen da schon etwas, was man nicht alle Tage zu sehen kriegt. "
Die stilisierten Bäume in den Gängen weisen auf eine Lieblingsbeschäftigung Walsers hin, der von sich behauptete: "Ohne Spazieren wäre ich tot."
Auf einem Spaziergang in der Nähe der Anstalt von Herisau ist er auch gestorben, zu Weihnachten 1956. Dass jenes berühmte Bild des im Schnee liegenden Toten nur relativ klein gezeigt wird, ist ein sympathischer Gestus der Ausstellungsmacher. Überlebensgroß hingegen das letzte Porträtfoto, dass sein Freund und Förderer Carl Seelig von dem alten Manne machte: Es zeigt ein so rätselhaftes Antlitz, dass man noch lange daran denken muss.
Service:
Die Ausstellung "Robert Walser 1878 - 1956" ist im Literaturhaus Frankfurt vom 2. August bis 17. September 2006 zu sehen.
In der Tat hatte dessen Leiter Siegfried Unseld die Finanznot des Verlegers Helmut Kossodo in den siebziger Jahren ausgenutzt, um ihm unter eher hässlichen Begleitumständen die Rechte an der von Kossodo realisierten ersten Robert-Walser-Gesamtausgabe abzumarkten. Die Editions- und Rezeptionsgeschichte wird jedoch von dieser Ausstellung überhaupt nicht thematisiert.
So geht man schon mit innerlich hochgezogenen Augenbrauen in das Frankfurter Literaturhaus hinein, wo alles etwas überprächtig ist: Erst kürzlich wurde eine der letzten Kriegsruinen am Main in einen geradezu absurd gewaltigen Palast zurückverwandelt und dem Literaturbetrieb gewidmet, und weil dies erst vor kurzem geschehen ist, konnte das Haus ein literarhistorisches Großereignis gut gebrauchen. Da kam das Angebot Bernhard Echtes vom Robert-Walser-Archiv in Zürich gerade recht.
Echte hat schon manche Walser-Ausstellung organisiert, doch diese unterscheidet sich vom üblichen Papierauslegen in Vitrinen dadurch, dass sie aus Erlebnisräumen besteht. Auch da mag man noch skeptisch sein: wenn nämlich die grassierende Eventisierung von Literatur bei einem Dichter unpassend erscheint, dann ist es der leise und verborgene Robert Walser. Aber all diese Befürchtungen erweisen sich als überflüssig, sobald man die Ausstellungsräume im ersten Stock erreicht hat. Die Lebensschau eines Zerbrechlichen lässt sich nicht eindringlicher und zugleich zarter inszenieren, als es hier gelungen ist.
Das ist vor allem das Verdienst des Ausstellungsgestalters Heinz Kriesi, der lange als Bühnenbildner am Schauspielhaus Zürich wirkte. Er musste gleichsam mit nichts beginnen, denn es gibt keine überlieferten Originalreliquien aus Walsers Besitz: keine Möbel, keine Utensilien. Walser hatte ja die meiste Zeit seines Lebens als möblierter Herr in ärmlichen Verhältnissen gewohnt, und so ist es der Blick in eine winzige Mansarde, der dem Besucher eine erste Schock-Erfahrung verschafft. Die liebevolle Ausstattung reicht bis zu dem als Schirmaufhänger dienenden rostigen Nagel, den Walser einmal als Symbol sinnloser Existenz beschrieben hat.
Neben der Mansarde bilden das Theater, das Kontor sowie die psychiatrische Klinik die Stationen dieser Ausstellung. Die letztgenannte kann der Besucher nicht betreten, sondern nur über Spiegelwände einsehen: ein genialer Kunstgriff, der die Entrücktheit der Anstaltswelt dramatisiert, aber zugleich das allzu Plakative meidet. Und was zeigt uns Kriesi in diesem Anstaltszimmer? Hanfschnüre und Papiertüten:
" Also ich hab tagelang telefoniert zum Beispiel, Papiersäcke zu finden. Robert Walser hat ja in der psychiatrischen Klinik Papiersäcke geklebt. Es gibt heute nirgendmehr Papiersäcke, die von Hand geklebt werden. Bis man da reinkommt, irgendwo noch eine Papiertüte zu finden, die noch nicht verklebt ist – teilweise waren das tagelange Sucharbeiten. "
Scheint bei allem Ernst auch Spaß gemacht zu haben – und dieses Spaßig-Ernste entspricht wahrhaftig der prekären Stimmungslage des zeitlebens verkannt gebliebenen Schweizer Dichters.
" Das Charakteristische an Walser ist ja seine Mehrschichtigkeit. Dass er eine sehr aufgeräumte Oberfläche hat. Dass er einen manchmal ziemlich anarchischen, ziemlich boshaften Humor hat. Und dass er natürlich ein Melancholiker auch ist. Aber es ist auch so, dass die Rezeption von Robert Walser in den Anfängen, also in den siebziger Jahren, mehr von der melancholischen Deutung, also dieses Opfers der Gesellschaft, der in die Psychiatrie gesteckt wird, geprägt gewesen ist. Aber mittlerweile merkt man doch diese unglaubliche Souveränität bei diesem Autor, diese Heiterkeit und auch diesen unglaublichen Witz. "
Bernhard Echte lässt aus lauter Freude am Witz sogar Zettelchen mit kurzen Walser-Zitaten auf den Boden in die Ausstellungsräume streuen, denn das Geschriebene muß ja bei aller Spielerei im Mittelpunkt bleiben. Und natürlich gibt es auch Manuskripte zu sehen, und zwar in zwei winzigen Kabinetten, die jeweils nicht mehr als drei bis vier Personen fassen und als große Schuhschachteln gestaltet sind. Denn in Schuhschachteln pflegte Walser seine zum Teil mit winzigkleiner Schrift geschriebenen Werke aufzubewahren. "Schreiben scheint vom Zeichnen abzustammen", formulierte der Dichter einmal; seine schwer entzifferbaren Mikrogramme sind ein sinnfälliger Beweis dafür.
" Robert Walsers Manuskripte gehören zum Seltensten, Kostbarsten und Teuersten in der Autographenwelt des 20. Jahrhunderts. Und wir zeigen da schon etwas, was man nicht alle Tage zu sehen kriegt. "
Die stilisierten Bäume in den Gängen weisen auf eine Lieblingsbeschäftigung Walsers hin, der von sich behauptete: "Ohne Spazieren wäre ich tot."
Auf einem Spaziergang in der Nähe der Anstalt von Herisau ist er auch gestorben, zu Weihnachten 1956. Dass jenes berühmte Bild des im Schnee liegenden Toten nur relativ klein gezeigt wird, ist ein sympathischer Gestus der Ausstellungsmacher. Überlebensgroß hingegen das letzte Porträtfoto, dass sein Freund und Förderer Carl Seelig von dem alten Manne machte: Es zeigt ein so rätselhaftes Antlitz, dass man noch lange daran denken muss.
Service:
Die Ausstellung "Robert Walser 1878 - 1956" ist im Literaturhaus Frankfurt vom 2. August bis 17. September 2006 zu sehen.