Lebensmuster des deutschen Liberalkonservatismus

Rezensiert von Rolf Schneider · 26.05.2006
Erwin Planck, Sohn des berühmten Physikers Max Planck, war das exemplarische Beispiel eines konservativen deutschen Großbürgers. Und auch sein Lebensweg ist paradigmatisch, da er für das Schicksal des deutschen Liberalkonservatismus steht. Astrid von Pufendorf zeichnet den Weg Plancks nach und liefert damit ein etwas überquellendes Porträt eines Konservativen, der Demokratie und Republik zunächst ablehnte und erst, als es zu spät war, sich gegen die Nazis widersetzte.
Der 1882 geborene Kurt von Schleicher war der letzte deutsche Reichskanzler vor Adolf Hitler. Er bekleidete das Amt keine zwei Monate. Zuvor war er eher der mächtige Mann im Hintergrund gewesen; als wichtiger Entscheidungsträger im Reichwehrministerium rühmte er sich, alle Kanzler seit 1930 dirigiert zu haben: den rechts stehenden Zentrumsmann Heinrich Brüning ebenso wie den noch weiter rechts stehenden Zentrumsmann Franz von Papen. Schleicher galt als finsterer Intrigant und effizienter Strippenzieher.

Den letzten Kabinetten der Republik, einschließlich jenem Schleichers, war gemeinsam die Neigung zu antidemokratischen Maßnahmen und autoritären Strukturen. Dies arbeitete direkt den Nazis zu. Mit denen stimmte Schleicher freilich nicht in jedem Falle überein; der Berufsoffizier und regierungsamtliche Exponent der Hunderttausend-Mann-Armee sah, wie der Reichswehr in Hitlers Bürgerkriegstruppe SA eine unlautere Konkurrenz entstanden war, die es zu marginalisieren und womöglich zu beseitigen galt. Schleicher suchte Kontakt zu jenem Flügel der Nazi-Partei, der von Gregor Strasser angeführt wurde und dessen Ziele sich von denen Hitlers an manchem unterschieden. Schleicher wollte die NSDAP, um sie zu domestizieren, in die Reichspolitik einbinden.

Der angestrebte Pakt mit Strasser misslang. Hindenburg berief schließlich Adolf Hitler zum Kanzler, und als der ein reichliches Jahr später sowohl SA-Führer Röhm als auch Gregor Strasser umbringen ließ, als vorgebliche Anführer eines nie geplanten Putsches, wurde außerdem Kurt von Schleicher erschossen.

Als der noch politische Macht besaß, hatte er einen engen Mitarbeiter und Vertrauten namens Erwin Planck, Sohn des berühmten Naturforschers und Nobelpreisträgers Max Planck, des Entdeckers der Quantenphysik. Erwin, 1893 geboren und Lieblingskind seines Vaters, begann nach Gymnasialbesuch und Offiziersausbildung ein Medizinstudium, das er aber nicht abschloss, da der Erste Weltkrieg ausgebrochen war. Der junge Mann musste einrücken und geriet rasch in französische Gefangenschaft, aus der er bald wieder entlassen wurde, um nach Deutschland zurückzukehren, mitten im Krieg. Solches Verfahren eines gegenseitigen Austauschs gefangener Offiziere von einander bekämpfenden Staaten war damals üblich. Heute ist es nicht mehr vorstellbar.

Die Auflage bei derartigen Entlassungen bestand darin, dass die heimgekehrten Offiziere nicht mehr unmittelbar ins Kriegsgeschehen eingreifen durften. Das wurde auch eingehalten. Erwin Planck arbeitete fortab im Regierungsapparat, wo er dann verblieb und verbleiben konnte, als Deutschland kapituliert und der Kaiser abgedankt hatte.

Planck diente sich in verschiedenen Ministerialämtern hoch, bis er, unter Schleicher, Staatssekretär in der Reichskanzlei war. Die enge Verbindung zu Hitlers unmittelbarem Vorgänger bestimmte sein weiteres Schicksal. 1933 verlor er sein Amt und durfte, auf Regierungskosten, eine ausführliche Reise durch Asien unternehmen. Hernach trat er in der Unternehmensleitung des rheinischen Großindustriellen Otto Wolff ein.

Sein innerer Abstand zu den Nazis, der schließlich zu prinzipieller Gegnerschaft wurde, brachte ihn in Kontakt mit den konspirativen Aktivitäten ehemaliger Reichwehrkameraden. Nach dem missglückten Attentat auf Adolf Hitler, am 20. Juli 1944, wurde Erwin Planck verhaftet und vom Reichsgerichtshof zum Tode verurteilt. Allen Eingaben und Gesuchen seines greisen Vaters zum Trotz erfolgte keine Begnadigung. Erwin Planck starb in der Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee.

Es hat sich von ihm ein umfangreicher schriftlicher Nachlass erhalten, eigene Aufzeichnungen und Briefe an ihn, besonders solche des Vaters. Sie dienten der Publizistin Astrid von Pufendorf als Ausgangsmaterial für ein Buch, das den generalisierenden Titel "Die Plancks" führt, doch vor allem das Leben Erwin Plancks erzählt; die anderen Mitglieder der Familie, selbst der Vater, spielen eher Nebenrollen.

Die Autorin sieht in der Biographie ihrer Zentralfigur etwas Paradigmatisches:

"Was hat Erwin Planck, den Sohn des großen Physikers Max Planck, geprägt, was hat ihn dahingehend beeinflusst, dass er zunächst, ohne es bewusst zu wollen, zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus gehörte, indem er, wie so viele, die Demokratie von Weimar nicht vorbehaltlos unterstützte? Und was hat ihn so verändert, dass er das Hitler-Regime schließlich bekämpfte und dafür mit dem Leben bezahlte? Der Sohn aus großbürgerlichem Hause, in preußisch-protestantischer Tradition erzogen, ist kein Einzelfall. Er repräsentiert die tragende Schicht im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts, und so gibt die Betrachtung seines Lebens Aufschlüsse nicht nur über ihn und seine Familie, sondern zugleich über diese verhängnisvolle Epoche und die sie prägenden Menschen."

Die erste und nächstliegende Antwort lautet:

"Der Mord an Schleicher öffnete ihm endgültig die Augen über den Charakter des neuen Regimes, und er begann zu verstehen, worin sein eigener Anteil am Untergang der Weimarer Republik bestand"."

Weitere Motive waren:

""... die Sorge, dass Deutschland in einen Krieg hineingeraten könnte, die Verdrängung des konservativen Spitzenpersonals aus Beamtenschaft und Heer und die Abscheu vor der Judenverfolgung."

Erwins Plancks Beteiligung am Widerstand, auch das erwähnt Astrid von Pufendorf, ging über Gespräche und Beratungen nicht hinaus. Sein Anteil am Untergang der Republik hingegen war erheblich. Die verfassungswidrige Entmachtung des sozialdemokratischen Ministerpräsidenten von Preußen, Otto Braun, durch die Reichsregierung folgte einem Szenario, das Erwin Planck entworfen hatte.

Am Kapp-Putsch vom März 1920, dem ersten Versuch rechter Kräfte, die Republik zu stürzen, beteiligte er sich nur deshalb nicht, weil er das Unternehmen für dilettantisch gemacht hielt; mit den Zielen stimmte er überein. Er war engagiert in Versuche, die Monarchie in Deutschland wiederherzustellen, und seine emotionale Bindung an Schleicher - ungeachtet des schrecklichen Todes eine höchst zwielichtige Figur - währte lebenslang.

Erwin Planck war das exemplarische Beispiel eines konservativen deutschen Großbürgers. Materielle Sorgen hatte er niemals; seine Mutter stammte aus der schwerreichen Unternehmersippe Merck. Er besuchte beste Schulen, seine militärische Ausbildung erfolgte wie selbstverständlich in einer Eliteeinheit; er war kein Aristokrat, doch durch seinen Vater auch kein Bourgeois wie andere, viele seiner Freunde und Gefährten waren natürlich von Adel. Er hatte musische Interessen, spielte Cello und besuchte regelmäßig Opernpremieren. Im Übrigen war sein Weltbild ausgestattet mit protestantischer Staatsfrömmigkeit, Loyalität zum Kaiserhaus und blindem Patriotismus.

Dies alles erfuhr er so durch seinen Vater. Der große Physiker war weltanschaulich-politisch von großer Schlichtheit. Dem patriotischen Gelehrtenappell von 1914, der Kaiser Wilhelms Kriegstreiberei und den Überfall auf Belgien in feurigen Worten rechtfertigte, hat er mit unterzeichnet, anders als sein Kollege Albert Einstein, und obschon nach 1918 Mitglied der DDP, der etwas linkeren von zwei liberalen Parteien in Deutschland, hat ihn das Schicksal der Republik offenbar nie sonderlich bewegt.

1933 zog er sich vom offiziellen Wissenschaftsbetrieb vorsichtig zurück, privat bedauerte heftig er den Fortgang von so vielen begabten und sympathischen Kollegen jüdischer Herkunft, ansonsten lebte er sein gewohntes Großbürgerleben, mit vielen ausführlichen Erholungsreisen und viel guter Musik.

Der Lebensweg seines Sohnes aber ist in der Tat paradigmatisch, da er für das Schicksal des deutschen Liberalkonservatismus steht: geprägt von den elitären Vorstellungen des Kaiserreichs, blieben Republik und Demokratie suspekt, und erst, als beides untergegangen war, auch durch eigenes Mittun, besann man sich und bereute, um sich äußersten Falles sogar dem Widerstand anzuschließen, viel zu spät und mit reaktionären Vorstellungen.

Astrid von Pufendorfs Buch macht das kenntlich. Es ist sauber recherchiert, es zitiert fleißig und dies fast zuviel, denn die Mehrzahl der Zitate sind einigermaßen unergiebig. Die Quellenlage bestimmt auch die Proportionen: Wo keine Briefe oder Tagebücher existieren, wird gerafft, während anderes, höchst Sekundäres, etwa die Asienreise, über Gebühr viel Raum erhält.

Außerdem muss man zeitgeschichtlich einigermaßen informiert sein, um Geschehnisse, Krisen, Verwicklungen während der Kanzlerschaften von Brüning, Papen und Schleicher einordnen zu können; weder die Wirtschaftslage nach 1929 noch die sieben Millionen Arbeitslosen noch die Situation des senilen Präsidenten von Hindenburg werden ausführlich erläutert. Die Perspektive eines Mittäters aus dem zweiten Glied freilich ist durchaus erhellend und auch spannend zu lesen.


Astrid von Pufendorf: Die Plancks - Eine Familie zwischen Patriotismus und Widerstand
Propyläen Verlag, Berlin 2006
Coverausschnitt Astrid von Pufendorf: Die Plancks
Coverausschnitt Astrid von Pufendorf: Die Plancks© Propyläen Verlag Berlin