Lebenskrise mit 30

Rosina arbeitet als Sekretärin in einem Autohaus.
Rosina arbeitet als Sekretärin in einem Autohaus. © IMAGO / Bernd Leitner
05.11.2010
Rosina ist einsam und arbeitet zu viel. Schließlich greift sie zu Schlaftabletten und Alkohol und verunglückt betrunken im Auto. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus fängt sie an, nach dem Sinn ihres Lebens zu suchen.
Mit der Erzählung "Fliegenpalast" über die letzten Tage Hugo von Hofmannsthals im Kurbad Fusch erfreute Walter Kappacher 2009 – und als der Österreicher dann kurz nach Erscheinen den Georg-Büchner-Preis zugesprochen bekam, entdeckten den 1938 in Salzburg geborenen Geheimtipp endlich auch die Leser in größerer Zahl. Nun folgt "Rosina", eine 1978 erstmals veröffentlichte und leicht überarbeitete Erzählung.

Rosina ist in einer Lebenskrise, nicht nur, weil sie mit gut 30 Jahren bereits "zum alten Eisen" gehört. Vom Dorf war sie als hübsche junge Frau nach Salzburg gekommen und hatte sich in einem Autohaus zur unentbehrlichen Sekretärin des Chefs hochgearbeitet, der ihre Dienste einmal in der Woche auch privat in Anspruch nahm. Lust empfand sie dabei nicht, genoss aber die Zuwendung des verheirateten Mannes. Bald überforderte die mittlerweile Vereinsamte die Arbeit, die zuvor zwei Angestellte erledigt hatten. Rosina griff zu Schlaftabletten und Alkohol und verunglückte schließlich betrunken im Auto. Weder Fellner noch einer ihrer Kollegen besuchte sie im Krankenhaus. Nach der Entlassung findet Rosina eine andere Arbeit – und sucht nach dem Sinn ihres Lebens.

"Rosina" könnte als gescheiterte Befreiung von der Herkunft erzählt werden, als misslingende weibliche Emanzipation oder als typisch kapitalistisches Angestelltenschicksal – um nur drei Varianten zu nennen, an denen sich die Bücher von Walter E. Richartz ("Büroroman"), Elfriede Jelinek ("Die Liebhaberinnen") und Wilhelm Genazino ("Abschaffel") teilweise orientieren. Walter Kappacher dagegen hielt sich fern von solchen Interpretationen und besah sich die Personen näher. Rosinas Chef Fellner lässt er nicht lieblos, Rosina nicht bemitleidenswert wirken. Fellners Zuwendung ist selbst haltlos, und sie kämpft mit Haken und Ösen um Aufstieg und Anerkennung.

Diese Vieldeutigkeit ermöglicht Kappachers geschmeidiger Stil: Diskret und einfühlsam ist sein Rosina nahe stehender Erzähler, ständig wechseln Handlungen mit Wahrnehmungen, Gedanken, Erinnerungen, (Tag-)Träumen. Die erzählerischen Mittel sind vorsichtig avanciert: Die Chronologie ist aufgelöst, kurze Absätze folgen aufeinander mit vielen Vor- und Rückgriffen sowie oft nicht weiter konkretisierten Andeutungen. Dennoch strahlt "Rosina" eine gewisse Altertümlichkeit und Gediegenheit aus, was vielleicht von der vorherrschenden leichten Trauer herrührt. Mit all dem unterscheidet sich "Rosina" frappierenderweise kaum vom "Fliegenpalast".

Gänzlich hoffnungslos ist Rosina übrigens nicht. Es gibt eine Frau in einer Buchhandlung, mit der sie einmal einige Worte gewechselt hat. Mit ihr hofft sie am Ende über die Bücher sprechen zu können, die sie inzwischen auf ihren Rat hin gelesen hat. Ein Schriftstellertrost? Natürlich. Aber auch eine für Rosina neue Form der Beziehung.

Besprochen von Jörg Plath

Walter Kappacher: Rosina
Deuticke Verlag, Wien 2010
128 Seiten, 14,90 Euro