Lebenshunger gegen Plansoll

Von Michael Laages |
In ihrem 1974 posthum erschienenen, stark autobiographisch gefärbten Roman "Franziska Linkerhand" beschreibt Brigitte Reimann die allmähliche Desillusionierung einer idealistischen, lebenshungrigen jungen Architektin in der DDR. Reimann selbst war Anfang der 60er Jahre nach Hoyerswerda gezogen, wo eine Stadt auf dem Reißbrett entstand und nun die Uraufführung der Oper "Linkerhand" nach Reimanns Roman stattfand.
Von wegen "Lausitzhalle": "Haus der Berg- und Energiearbeiter" heißt das Haus doch im Grunde noch immer, jedenfalls auf dem Bestuhlungsplan, der versteckt in einer der entlegeneren Ecken hängt. Für 831 Berg- und Energiearbeiter war Platz hier bei der Fertigstellung 1984 - aber der Plan für ein Haus wie dieses lag schon in den Schubladen, als Brigitte Reimann auch den Aufbau vom "WK (Wohnkomplex) 3" gleich gegenüber zu dokumentieren begann; zehn WK's sind über die Jahrzehnte auf dieser Seite der Schwarzen Elster entstanden, während derweil die kleine Altstadt auf der anderen Seite des Flusses verfiel in den DDR-Jahrzehnten seit 1960. Brigitte Reimann wohnte im ersten WK; eine Straße dort trägt dort heute ihren Namen, auf Deutsch und ("Droha Brigitty Reimann") auf Sorbisch.

Zugegeben: Inzwischen hat auch der Plattenbau, also der Bau aus vorgefertigten Teilen, auf den die Bau-Strategen der DDR hier forciert wie nie zuvor setzten, mittlerweile einige Auffrischungen erfahren; und dass zwischen den Häusern wie aus dem Setzbaukasten eigentlich kein Platz für Autos vorgesehen war damals, gälte heute eher als ökologisch korrekt. Rund um die Lausitzhalle, also das "Haus der Berg- und Energiearbeiter", wogt in jedem Fall auch jetzt noch ein Meer aus Platten. Und auch die neuen Einkaufszentren aus zwei Jahrzehnten Nachwendezeit schlagen auch nur ein paar trübe Wellen mehr - sie sehen aus wie von damals.

Eine Oper also über Städtebau und Architektur (oder eben über das, was damals dafür galt), über Rosinen im Kopf und pragmatische Zwänge zum höheren Ruhm von "Aufbau" und Partei? Das ist "Linkerhand" auch. Hilde Fries hat ein paar Plattenbauten umgestürzt und wie ein kleines Gebirge flach auf die Bühne gelegt; manchmal brennt sogar Licht in den Höhlen-Fenstern. Gegen Ende taucht sogar ein ganzes kleines Stadt-Modell auf: ein schneeweiß-kaltes Ideal.

Daneben führt Moritz Eggerts Oper (zu Andrea Heusers Libretto nach dem Reimann-Roman) die Heldin Franziska in vielerlei Begegnungen mit immerzu den falschen Männern - einer hält sich für den tollsten Lover aller Zeiten und vergewaltigt sie, als ihr das nicht genug ist. Ein anderer träumt nach der zweiten Flasche Rotwein davon, ein Schiff mit blauen Segeln zu besteigen, und ab durch die Mitte ...

Der dritte ist Django und war eine Jugendliebe, wenn er auftritt, zitiert Komponist Eggert dezent Django Reinhardts "Nuages". Überhaupt mochte Brigitte Reimann ja Jazz, deshalb greift Eggert ziemlich oft in die Kiste mit den Jazz-Farben - und das Orchester aus Görlitz müht sich achtbar um swingendes Tempo.

Aber weiter: die Männer - der, mit dem sie den nachhaltigsten Streit ausfechten muss, ist natürlich der leitende Kollege im Stadtplanungsamt, der die Blütenträume der jungen Architektin Franziska immer wieder am Zeitdruck der Planerfüllung und am Elend der Mangelwirtschaft zu Schanden gehen lässt. Scheitern muss sie - das sind die letzten Worte auch im unvollendeten Roman.

Danach übrigens, in einer Art Epilog, haut Eggert, der Komponist, der neben der eigenen, hinreichend modernen Ton-Sprache ziemlich rücksichtslos und auch über das Zitat hinaus wildert beim Romantiker Kurt Weill wie bei den Aufbau-Märschen der jungen DDR, noch einmal richtig auf die Pauke und setzt dem Abend einen Hoy-Hoy-Hoyers-werda-Schunkelschlager als Schlusspunkt, der schon bedenklich in den Ohren dröhnt. Da wäre (wenn wir schon bei Zitaten sind) ein Song vom einstigen Tagebau-Baggerfahrer Gerhard Gundermann stimmiger gewesen.

Vor allem anderen aber markiert Sebastian Ritschels "Linkerhand"-Inszenierung immer wieder (und oft durchaus eindrucksvoll) den Kampf zwischen dem Einzelnen und der Masse. Die hat einfache Wünsche - samstags backen, sonntags grillen, montags wieder in die "Schwarze Pumpe" gehen. Und wenn da mal einer (oder eine) abweicht von Maß und Norm und Ziel, kann das Kollektiv auch musikalisch ganz schön biestig werden.

So eine muss Brigitte Reimann gewesen sein, ein bunter Hund, schlimmer noch: die bunte Hündin von Hoyerswerda. Martin Schmidt vom Hoyerswerdaer Kunstverein hat sie noch selber kennen gelernt, und was der Verein bis heute unternimmt zur Erinnerung an Reimanns acht Jahre vor Ort, sieht er als "Freundesdienst". Geraucht habe sie auf offener Straße, auch getrunken - und am allerschlimmsten: geküsst! Öffentlich! Und dann die öffentlichen Auseinandersetzungen in der Lausitzer Rundschau" auch noch angeheizt durch einen Vortrag in Berlin; Titel: "Kann man in Hoyerswerda küssen?" Ein paar Zeitzeugen treffen sich an diesem Abend bei der Opernpremiere; sie erzählen einander (und den erstaunlich vielen jungen Leuten im Publikum) von ihrer ganz persönlichen Erinnerung an die Schriftstellerin, die hier einst gelebt hat: in Brigitte-Reimann-Stadt.

"Fernfahrer müsste man sein", weg, immer wieder weg hat sie gewollt; das singt der Chor, das träumt Franziska R. Wenn das nur nicht immer wie Flucht aussähe, Flucht vor dem Kompromiss. Und der, davon erzählt ein Roman aus der DDR des Jahres 1974 wie diese Oper von heute, ist das Schlimmste.

Linkerhand
Oper von Moritz Eggert nach dem Roman von Brigitte Reimann
Uraufführung in der Lausitzhalle Hoyerswerda
Eine Produktion des Theaters Görlitz

Musik von Moritz Eggert
Libretto von Andrea Heuser
Musikalische Leitung: GMD Eckehard Stier
Inszenierung: Sebastian Ritschel
Ausstattung: Karen Hilde Fries
Choreografie: Dan Pelleg, Marco E. Weigert

Besetzung:
Franziska - Yvonne Reich
Franziska II/Stimme aus dem Off - Inés Burdow
Aristide (Engel) - Lisa Mostin
Architekt - Frank Ernst
Die Affäre - Shin Taniguchi
Franziskas Bruder Wilhelm - Jan Novotny
Django/Schlagersänger - Hans-Peter Struppe