Lebenshilfe Religion

Rezensiert von Thomas Kroll |
Nur mit Hilfe von Religion kann der Mensch wirklich Mensch sein. Die These entfaltet Andreas Feldtkeller im Hinblick auf vier elementare Bereiche menschlicher Lebenswirklichkeit: Bewusstsein, Leiblichkeit, Gemeinschaft und Eingebundensein in das Ganze.
Lassen Sie uns einfach mit der Titel- und Leitfrage des Buches beginnen: Warum denn Religion?

Nur mit Hilfe von Religion kann der Mensch wirklich Mensch sein, da sie hilft, die Grundgegebenheiten des Menschsein zu deuten und so zu gestalten, "dass sie erfahrbar werden: von Menschen angenommen, verleiblicht, und vergemeinschaftlicht." Kurzum: Mit Religion, so Feldtkeller, lebt es sich besser.
Sicher, man kann auch ohne Religion leben. Religionslosigkeit und die damit verbundene, von Feldtkeller unterstellte Werteagnostik ist in der modernen westlichen Kultur häufig anzutreffen: eine Weise des Menschseins, "in der das Bewusstsein und die Lebensgestaltung der Menschen abgetrennt sind von ihren elementaren Lebenswirklichkeiten".

Starker Tobak für alle, die mit der herkömmlichen Religion nichts anfangen können?

Nicht genug: Entgegen der gängigen Forderung, Religion müsse Privatsache sein, postuliert der Professor für Religions- und Missionswissenschaften sowie Ökumenik an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin: "Religionslosigkeit ... muss Privatsache werden." Religion dagegen muss als gemeinsame Aufmerksamkeit für die Grundgegebenheiten des Menschseins im öffentlichen und von politischem Interesse sein. Freilich ist diese – dahin deuten die "Zeichen der Zeit" nicht erst seit der Regensburger Vorlesung von Papst Benedikt – zwischen den Vertretern und Angehörigen verschiedener religiöser und weltanschaulicher Traditionen mit gewaltfreien Mitteln zu vereinbaren.

Sie haben vom Menschsein gesprochen, von Grundgegebenheiten. Was beschreibt Feldtkeller da konkret?

Das 250-seitige Buch enthält fünf Teile fast gleichen Umfangs. Zunächst stellt der Autor seine These von der "Lebenshilfe Religion" in einer mitunter provozierenden, bisweilen inspirierenden Einführung vor. Dann entfaltet er sie im Hinblick auf vier elementare Bereiche menschlicher Lebenswirklichkeit: Bewusstsein, Leiblichkeit, Gemeinschaft und Eingebunden-Sein in das Ganze. Es sind Hilfsbegriffe, treten diese Größen doch nicht wirklich voneinander getrennt auf: Es gibt kein menschliches Bewusstsein ohne Leiblichkeit, und als "leiblich bewusstes Wesen" findet sich der Mensch in Gemeinschaft vor, die wiederum zu einem größeren Ganzen wie etwa der Erde gehört, ohne das man nicht leben kann.

Frage am Rande: Wie hält es denn Herr Feldtkeller mit der Religion?

Andreas Feldtkeller gibt zu verstehen, dass er die Welt als Christ lutherischer Prägung erlebt und deutet. Sein Buch ist jedoch keine "Anleitung zum Christsein". Das zeigt sich unter anderem darin, dass er immer wieder Texte aus diversen religiösen Traditionen zitiert – halbwegs gerecht verteilt "über die Landschaft der heute gelebten Religionen". Damit will er keineswegs dazu anleiten, die eigene religiöse Praxis "so bunt aus verschiedenen Religionen zusammenzuwürfeln, wie es die Beispiele in diesem Buch sind." Vielmehr empfiehlt er, sich auf eine Religion einzulassen und in deren Tiefen vorzudringen, was immer auch kritische Fragen mit sich bringt: Wie lebensnah und hilfreich sind zum Beispiel religiöse Rituale? Was lassen sie vom Menschsein erkennen, erfahren, was blenden sie aus? Und: Wie wird durch die jeweilige religiöse Praxis menschliches Leben über seine Grundgegebenheiten hinaus gesteigert, ja die Überwindung der begrenzten menschlichen Existenz in ihrer Ganzheit angezielt?

Abschließende Frage: Wie bewerten Sie das Buch, seine Bedeutung für die Leser und seine Wichtigkeit in der heutigen Diskussion.

Das Buch ist gut verständlich, und keinerlei Anmerkung unterbricht den Lesefluss. Am Ende bricht es jedoch jäh ab, da Feldtkeller seine Zusammenfassung schon am Anfang bringt.
In Zeiten, da von der Rückkehr der Religion die Rede ist, liefert der Autor nicht nur vielerlei Anschauungsmaterial, sondern setzt auf ein Verständnis von Religion, das ohne das Wort "Gott" auskommt. "Mit der Religion steht nicht Gott auf dem Spiel, sondern das Verhältnis des Menschen zu sich selbst. Bei der Entscheidung zwischen Religion und Religionslosigkeit geht es nicht um die Existenz Gottes, sondern es geht um menschliche Existenz." Das gibt zu denken – und liefert eine Basis, auf der man entspannter miteinander streiten könnte über Ziele, Werte und Praxis von Religionen.

Eine Folge könnte sein, dass unter dem Konkurrenzdruck anderer Religionen etwa das Christentum seine Verwurzelung im Menschsein wieder neu entdeckt, besser: klarer herauszustellen lernt. Eine andere mag sein, dass Menschen, die religionslos aufgewachsen sind, eine fundierte Ahnung vom inneren Motor der Religionen erhalten und diese als Hilfe entdecken, "für das eigene Leben Sinn und Gestalt zu finden."

Andreas Feldtkeller: Warum denn Religion? Eine Begründung
Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh 2006
251 Seiten, 19,95 Euro