"Lebensfreude pur"

Von Gerhard Richter |
Auch in Deutschland finden Gospel-Songs, geistliche Lieder der Schwarzen in Amerika zur Zeit ihrer schlimmsten Unterdrückung, immer mehr Freunde. Der Gospelchor in Gotha wurde 2006 gegründet - und vielen Sängern gibt er Trost und Halt in ihrem Alltag.
"Ich bin zum Gospelchor gekommen, weil mich die Texte sehr interessiert haben. Diese christlichen Texte und auch die Musik, also der Rhythmus."

Susanne Kunzewitsch steht zwischen den anderen Sängerinnen. Regelmäßig kommt die 50jährige zur Probe, am Montagabend, um halb acht, ins katholische Gemeindezentrum, um sich mit Gospelsingen zu stärken.

"Ich brauch das so im Alltag, also nicht nur ab und zu."

Außer Susanne Kunzewitsch sind heute noch vierzig Frauen und vier Männer da. Der Proberaum ist fast voll. Oliver Debus, der Chorleiter, sitzt hinter einem elektronischen Piano, spielt die Begleitung, gibt die Einsätze und horcht auf Klang und Rhythmus. Die Chormitglieder bringen ganz unterschiedliche Voraussetzungen mit.

"Wir haben Mitglieder, die schon lange Chorerfahrung haben, in verschiedenen Chören gesungen haben, die sind blattsicher teilweise."

"Ich sage immer: Tonabnehmen ist eine Voraussetzung und auch Chorerfahrung. Das muss jetzt nicht sein, dass man in Konzertchören den Messias gesungen hat. Aber es reicht schon, wenn man Stimme halten kann."

"Gut. Wir hatten mal ausgemacht, es ist ne Steigerung. Jetzt war´s gut. Jetzt hat bloß die Wiederholung, die leise beginnen sollte, da waren sich manche nicht klar, was leise war. Ja, gut noch einmal."

"Oliver Debus arrangiert die Lieder für den Chor. Es gibt ein paar Popsongs, auch Jazzstücke, aber die meisten Lieder haben christliche Texte."

Der Gothaer Gospelchor ist als Verein organisiert und an keine Gemeinde gebunden, erzählt Matthias Ansorg, einer von zwei Tenören.

"Wir brauchen da niemanden folgen. So wie: Ihr müsst dort und dort singen ... Da können wir frei entscheiden. Und das andere und auch wichtiger ist: Es soll jeder einen Platz finden können im Chor, der will, egal aus welchem Hintergrund er kommt. Und das ist, glaub ich, gut so, dass wir das so gemacht haben."

Matthias Ansorg ist evangelischer Pfarrer - und er ist einer der Gründer des Chores. 2006 war das, im Rahmen des gemeindeübergreifenden Projekts "Pro Christ".

"Ja genau, es gab zwei drei Leute, die diese Idee hatten, die haben Oliver angesprochen, den Chorleiter und haben ihn gefragt, ob er Lust hätte, so ein Projekt mit uns zu machen. Und dann hatten wir einen Zeitungsartikel gesetzt und hatten erwartet, dass so zehn, 15 Leute sich melden, und dann kamen wir zusammen, und dann waren wir über 40. Und dann haben wir angefangen."

Mit Oliver Debus, dem Chorleiter, haben sie einen Glücksgriff getan. In dem 38-jährigen Gesangspädagogen und Jazzsänger schlug schon früh ein Herz für Gospel.

"Also ich bin nicht in der Gospelgemeinde aufgewachsen, ich hab auch keine schwarzen Eltern, ich bin ganz normal schulmusikalisch aufgewachsen und hab aber sehr, sehr früh so den Drang gehabt, das zu machen. Also auch african traditionals, das lag mir sehr. Und da bin ich weitergegangen."

Zur Zeit hat der Chor 50 Mitglieder. Es gibt Sommerfeste, Wanderungen, Weihnachtsfeiern. Eine stabile Gemeinschaft. Für Susanne Kunzewitsch hat der Chor aber eine neue, immense Bedeutung bekommen.

"Ja, und dann ist es passiert, vor einem Jahr, dass mein Sohn gestorben ist, mit 26 Jahren ist er tödlich verunglückt. Und da war der Gospelchor eine große Stütze für mich. Seelische Kraft wieder zu haben, denn ich habe gemerkt, für mich sind Gospels gesungene Gebete."

Trost und Kraft findet die ehemalige Lehrerin hier jeden Montag in den Liedern. Für die Gothaer Kirchgänger ist der Gospelchor ebenfalls Bereicherung. Man hört ihn aber auch in Kneipen, auf Partys und sogar im Gefängnis. Ganz in schwarz gekleidet, mit rotem Schal singt und swingt der Chor dann Lieder von Hoffnung und göttlicher Errettung aus der Knechtschaft.

"Hach, bei Hochzeiten haben wir´s schon, dass das Hochzeitspaar mit Tränen kämpfen muss, das ist schon immer sehr nett zu sehen, aber dass sie scharenweise zum Glauben übertreten, glaub ich jetzt nicht bei `nem Gospelkonzert. Aber Freude können wir bringen. Spaß mit mitsingen, mitklatschen, mittanzen, das passiert schon."

Nach zwei Stunden ist die Probe zu Ende. Wie alle anderen steckt Susanne Kunzewitsch ihre Noten in die Tasche. Bis zur nächsten Probe wird sie immer mal eins der Lieder auspacken und aus vollem Herzen singen.

"Also beim Staubaugen, da hör ich mich nicht so laut, aber sonst beim Spazierengehen oder in einer langweiligen Pause, man kann es auch beim Autofahren machen, wenn man bei rot an der Ampel steht - schön laut - ja. Es ist Lebensfreude pur - für mich."

Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.