Lebenserinnerungen eines Abtrünnigen

Hermann Weber, Nestor der DDR- und der deutschen Kommunismusforschung, ist ein "Wanderredner" auf Lebenszeit. Und ebenso wie seine Frau Gerda, Dozentin im Ruhestand, ein unermüdlicher Sammler. 1968 hatte er den Fund seines Lebens publiziert - das seit 50 Jahren verschollene Gründungsprotokoll des Gründungsparteitags der KPD. Was danach in der DDR geschah, das muss man einfach gelesen haben!
"Worin lagen die Ursachen der Wandlung des Kommunismus aus einer Abspaltung von der sozialen Emanzipationsbewegung mit dem Ziel der klassenlosen Gesellschaft hin zu einem System der Unterdrückung und des Massenterrors? Das bewegt nicht nur Gerda und mich, sondern bleibt vermutlich ein Kernthema der Wissenschaft (...). Hier ist noch längst kein Fazit zu ziehen, doch auf das Problem hinzuweisen."

Das schreibt einer am vorläufigen Ende seiner Lebenserinnerungen, der früh schon als Nestor der DDR- und der deutschen Kommunismusforschung galt (vgl. u.a. Hermann Weber, "Weiße Flecken" in der Geschichte. Die KPD-Opfer der Stalinischen Säuberungen und ihre Rehabilitierung, erw. Neuauflage, LinksDruck 1990) und wie kaum einer sonst nicht nur viele Mannheimer Universitätsjahre damit verbrachte und eine große Zahl wissenschaftlicher Publikationen verfasste, sondern bis heute - und das vor allem - auf vielen sehr unterschiedlichen Podien leidenschaftlich eben dieses Thema diskutiert.

Hermann Weber ist ein "Wanderredner" auf Lebenszeit. Und ebenso wie seine Frau Gerda, Dozentin im Ruhestand, ein unermüdlicher Sammler. 1968 hatte er den Fund seines Lebens publiziert - das seit 50 Jahren verschollene Gründungsprotokoll des Gründungsparteitags der KPD. Was danach in der DDR geschah, das muss man einfach gelesen haben!

Weitsichtig verlangten noch vor der deutschen Vereinigung im Oktober 1990 drei namhafte westdeutsche Historiker, die gefährdeten Archivbestände der DDR zu sichern. Hermann Weber war einer von ihnen.

Ende Mai 1989 hatte er nach 37 Jahren zum ersten Mal wieder in die DDR einreisen dürfen, und auch das nur, weil die Historikerkommission der SPD, der er angehörte, seine Teilnahme an einer deutsch-deutschen Historikerkonferenz bei der Akademie der Wissenschaften der DDR erzwang. Ein knappes halbes Jahr später fiel die Mauer. Und Hermann Weber erfuhr Stück für Stück aus den Akten, wie er als "Renegat" stets im Auge behalten, selbst im eigenen Institut bespitzelt, totgeschwiegen oder verleumdet wurde.

Entschuldigt habe sich dafür bei ihm nur ein einziger. Der hatte 1984 eine Dissertation über die "Hauptangriffe des sozialreformerischen DDR-Forschers Hermann Weber auf die führende Rolle der SED" geschrieben. Auf Webers Bitte, ihm ein Exemplar zu überlassen, kam dann allerdings keine Antwort mehr. Dabei sei doch immerhin zu seiner Biographie Richtiges enthalten gewesen: "Der Renegat Hermann Ludwig Leo Weber, Jahrgang 1928, in Mannheim geboren, stammt aus einem kommunistischen Elternhaus. Der Vater (...) arbeitete als Former. Nach 1933 illegal tätig, wurde er 1934 von den Faschisten verhaftet. Weber selbst wurde wegen Weigerung, in die SS einzutreten, von der Lehrerbildungsanstalt (...) 1944 relegiert und arbeitete dann in einem Mannheimer Großbetrieb. 1945 trat er der KPD bei."

Im ersten autobiographischen Buch "Damals als ich Wunderlich hieß" (Aufbau-Verlag 2002) beschreiben Hermann Weber und seine Frau, die aus der Prignitz stammt, detailliert und ungemein spannend ihre gemeinsamen Jahre 1947 bis 1949 an der Parteihochschule der SED und die zunehmende Stalinisierung der "Partei neues Typs". Diese Dichte erreicht das neue Buch leider nicht.

Gerda Weber engagierte sich nach ihrer Ausreise in der Bundesrepublik führend im Demokratischen Frauenbund Deutschlands, Hermann Weber in der bald illegalen Freien Deutschen Jugend. Längst hatten sie sich von der KPD entfernt, doch 1953 wurden beide verhaftet und hätten den Bruch zu diesem Zeitpunkt als Verrat empfunden. Später wurde es ihnen auch nicht leicht gemacht. Arm wie Kirchenmäuse seien sie gewesen. Gerda Weber ging hausieren. Hermann Weber begann bald wissenschaftlich zu arbeiten. Sein erster öffentlicher Vortrag 1958 an einer Universität endete mit einem Schock. Statt zu klatschen, klopften die Studenten auf die Tische - man musste ihm die Gepflogenheit erklären. 1964, mit 36, holte er das Abitur nach, elf Jahre später war er Professor in Mannheim.

Zum "Prinzip links" schrieb Hermann Weber 1992: "Die Tradition der Idee sozialer Gerechtigkeit muß keineswegs aufgegeben werden. Allerdings läßt sich diese Idee nur auf demokratischem Wege verwirklichen; so mühsam und langwierig uns der auch immer erscheinen mag."

Rezensiert von Karin Schorsch


Hermann und Gerda Weber: Leben nach dem ‚Prinzip links’. Erinnerungen aus fünf Jahrzehnten
Christoph Links Verlag, Berlin 2006, 480 Seiten, 19,90 Euro