Lebenserfahrungen

"Die Pointe ist das, was uns das Leben erträglich macht"

Moderation: Matthias Hanselmann · 03.01.2014
Er war Journalist, Autor, gnadenloser Kritiker, Dramaturg, nebenbei Professor für Theaterwissenschaft und beliebter Witzeerzähler. Am 4. Januar wird Hellmuth Karasek 80 Jahre alt. Er blickt auf ein bewegtes Leben zurück.
Matthias Hanselmann: Hellmuth Karasek, Journalist und Schriftsteller, Kritiker und Dramaturg, Redaktionsleiter und Theaterautor, Witzeerzähler und Fernsehonkel, und ganz nebenbei Professor für Theaterwissenschaft in Hamburg! Morgen wird Karasek, geboren 1934 in Brünn, 80 Jahre alt. Ich habe vor der Sendung mit ihm gesprochen und zunächst gefragt, wie er denn diesen Tag verbringen wird!
Hellmuth Karasek: Also, ich werde mich mit meiner Frau zum Essen treffen und daran denken, dass wir die Kinder, wenn eine schönere Jahreszeit ist, noch mal zum Essen treffen, und zwar in Italien oder Österreich.
Hanselmann: Das heißt, Sie werden diesen Geburtstag im allerkleinsten möglichen Kreise verbringen?
Karasek: Im allerklein… Noch enger wäre es nur, wenn ich ihn als Geschiedener feiern müsste.
Hanselmann: Was zum Glück nicht der Fall ist. Haben Sie denn eigentlich jemals einen Ihrer Geburtstage mit einer riesigen Party gefeiert?
Karasek: Nein, noch nie.
Hanselmann: Unglaublich. Warum nicht?
Karasek: Ich bin am 4. geboren und das war immer schon ziemlich furchtbar. Weihnachten ging voraus, Neujahr ging voraus und die Schule hatte noch nicht angefangen. Die Leute waren am 4. Januar immer feiermüde und ich habe denen das nachgesehen. Geschenke habe ich schon zu Weihnachten bekommen, getrunken habe ich schon zu Neujahr, also, was blieb mir übrig, als diesen Geburtstag im stillen Kämmerlein zu verbringen!
Hanselmann: Sie wollen einen Tag nach Ihrem Geburtstag auf Kreuzfahrt gehen, nach Panama, das war schon in der Zeitung zu lesen. Ist das ein alter Traum von Ihnen, so eine Traumschiffreise?
Karasek: Diese Reise habe ich lange konzipiert, die war einigermaßen geburtstagsunabhängig, weil ich da mit einem Kreis zusammen bin, mit dem ich auch schon durch den Suezkanal mal gefahren bin. Und wir wollen uns jetzt durch den Panamakanal noch mal treffen. Einige werden schon fern bleiben, so lange ist das her, zwei Teilnehmer sind tot, die das letzte Mal dabei waren. Gut, so geht das halt im Alter. Aber ich freue mich sehr auf den Panamakanal.
Hanselmann: Ihr jüngstes Buch handelt ja vom Reisen, "Auf Reisen. Wie ich mir Deutschland erlesen habe" heißt es. Sie haben ja ein Leben mit zahlreichen Ortswechseln hinter sich, besonders in jungen Jahren. Haben Sie, wie man so schön sagt, immer noch Hummeln im Hintern, oder genießen Sie inzwischen eher das Zuhause, den festen Ort des Rückzugs und der Verlässlichkeit?
Karasek: Also, ich bin sehr froh, dass ich seit 31 Jahren in der gleichen Wohnung in Hamburg inzwischen lebe, und von da aus breche ich zu Reisen auf. Aber ich habe den festen Port sehr, sehr gerne. Der hat den Nachteil, dass sich sehr viel Gerümpel ansammelt, aber auch im Kopf sammelt sich bis zu einem 80. Geburtstag viel Schrott an Erinnerungen an, und die muss man irgendwann mal ordnen.
Hanselmann: Wie entrümpeln Sie eigentlich Ihren fast 80-jährigen Kopf von Zeit zu Zeit? Tun Sie das?
Karasek: Ja, ich tu das von Zeit zu Zeit, indem ich in meinen Keller heruntersteige und da gucke, was man da an Aktenordnern und Erinnerungsfetzen wegwerfen kann. Ich habe aber bisher leider nicht gewagt, irgendetwas wegzuwerfen.
"Ich habe gelernt, dass die Rechtstaatlichkeit das wirklich Entscheidende ist"
Hanselmann: Gehen wir doch mal zurück in die Erinnerung, vielleicht gehen wir zurück zu Ihrer Flucht. In den letzten Kriegsjahren mit der hochschwangeren Mutter und drei kleinen Geschwistern, darüber haben Sie das Buch "Auf der Flucht. Erinnerungen" geschrieben. In einer Zusammenfassung dazu ist zu lesen: "Die Ziele des Heranwachsenden – also Ihre Ziele – sind klar. Er möchte satt werden und einer Welt der wechselnden Lügen entrissen, auch für den Preis der Anpassung." Gilt das noch heute für Sie?
Karasek: Also, meine Kindheit, das habe ich erst nachher in voller Wucht verstanden, fand ja in einem großen Weltkrieg, in dem Zweiten Weltkrieg statt. Ich habe meinen Großvater erlebt, der mit einem Bein aus der russischen Gefangenschaft des Ersten Weltkriegs zurückkam und der mit mir spazieren ging 1938 in der Tschechoslowakei, von der ich noch nicht wusste, dass sie bald ein erstes Opfer des Hitlerschen Eroberungsdrangs nach Österreich werden würde. Dann bin ich nach dem Niedergang des Hitler-Reichs nicht in den Westen gekommen, sondern ich blieb im Bereich des Stalinschen Sozialismus. Ich habe also in meiner Kindheit zwei Diktaturen erlebt und die zweite habe ich erst 1952 verlassen mit einer erstmals selbstgesteuerten Flucht in den Westen über Westberlin. Und diese beiden Diktaturen – davon habe ich sehr viel gelernt. Ich habe gelernt, dass die Rechtstaatlichkeit das wirklich Entscheidende ist, dass man nicht bei Nacht und Nebel abgeholt werden kann, wenn man was Falsches sagt, und dass man nicht im Gefängnis aus Willkür landet.
Hanselmann: Später dann, nach Ihrer Promotion, wurden Sie in den 60er-Jahren zunächst Journalist bei der "Stuttgarter Zeitung", danach aber Dramaturg am Theater in Stuttgart und schließlich Theaterkritiker bei der "Zeit". Was sind Sie denn eigentlich lieber? Kulturschaffender, auch als Autor, oder Kulturkritiker, wie Sie es zum Beispiel als Mitglied des "Literarischen Quartetts" waren?
Karasek: Ich denke, das sind zwei sehr verwandte Berufe. Meine großen Vorbilder oder die größten Vorbilder wie etwa Karl Kraus oder Tucholsky, die haben immer beides gemacht: Die haben Kultur geschaffen und sie haben aber vor allen Dingen auch Kultur kritisiert und rezensiert.
"Meine Ungeduld ist etwas der Empathie und Sympathie gewichen"
Hanselmann: Und beides ist Ihnen also gleich viel wert, gleich lieb?
Karasek: Sobald es darum geht, das Wort zu ergreifen, ist es mir sogar gleich lieb, ob das auf dem Papier, auf dem Computer, im Radio oder im Fernsehen oder online geschieht.
Hanselmann: Apropos, über die Arbeit als Journalist haben Sie geschrieben: "Das Wichtige an einer Magazin-Story ist ihre Dramaturgie. Das Leben verläuft meist langweilig, linear, eintönig, wir bringen Dramatik hinein, Wendungen, Abläufe, Kurven." So heißt es in Ihrem satirischen Roman "Das Magazin".
Karasek: Ja, das ist natürlich satirisch gemeint auf die "Spiegel"-Story, die immer zuspitzt. Und das hat mir ein Chefredakteur beigebracht. Und diese Zuspitzung versucht man ja manchmal auch durch die Erfindung der Langsamkeit wieder zurückzuverwandeln in eine Entspitzung.
Hanselmann: Und wie viel Dramaturgie braucht der Journalismus heutzutage?
Karasek: Heute braucht es schon eine Dramaturgie, um in den Wechselbädern der modernen Entwicklung überhaupt zu wissen, wo es langgeht. Wir sind ja seit der Buchdruckerkunst in der größten Umwälzung, die es je gegeben hat. Ich könnte Ihnen dafür viele Beispiele nennen. Aber die größte Revolution ist natürlich die, dass wir in das Online-Medium, in die Medien der Rechner geraten sind.
Hanselmann: Auf jeden Fall! Noch einmal zum legendären "Literarischen Quartett", Herr Karasek! Da wurde ja keineswegs zimperlich mit Werken und Autoren umgegangen, manche Verrisse sind sogar legendär geworden. Ist Ihnen das Kritisieren eigentlich immer leichtgefallen?
Karasek: Also, es ist mir, nachdem meine eigenen Romane auch nicht zimperlich behandelt wurden, Gott sei Dank, im Laufe der Jahre etwas schwerer gefallen. Das heißt, meine Ungeduld ist etwas der Empathie und Sympathie auch für andere, schwächere Werke gewichen.
Hanselmann: Herr Karasek, Sie sind ein humorvoller Mann, ein launiger Plauderer in Talkshows. Sie sind oft eine Bereicherung von Fernsehshows auch bei den Privaten mit Ihren Anekdoten und Geschichten. Wie wichtig ist Ihnen eigentlich die Pointe?
"Ich verstehe es zumindest, die Eitelkeit besser zu verbergen"
Karasek: Ich denke, die Pointe ist das, was uns das Leben erträglich macht, weil sie in der Zuspitzung in Wahrheit den Dingen ihre Spitze nimmt. Ich habe mein Buch über das Alter deshalb geschrieben, weil das Alter eigentlich ein so schrecklicher Zustand ist, dass er nur durch die Zuspitzung und Pointe zu ertragen ist. Ich kann Ihnen ein Beispiel sagen, das Beispiel stammt von Marcel Reich: Da kommt ein Mann in meinem Alter zum Arzt und sagt, Herr Doktor, ich habe nach dem Sex immer so ein Pfeifen im Ohr! Darauf sagt der Arzt, was erwarten Sie in Ihrem Alter, Standing Ovations?
Hanselmann: Herr Karasek, ich hätte natürlich auch noch nach Ihrem Lieblingswitz über das Altern gefragt. War er das schon?
Karasek: Es gibt noch einen anderen. Mein eigentlicher Lieblingswitz über das Alter ist ein ähnlicher, auch ein Mann, der zum Arzt kommt und sagt, Herr Doktor, es ist so schrecklich, ich laufe immer noch den jungen, hübschen Frauen hinterher! Darauf sagt der Arzt, und wo ist das Problem? Antwort des Patienten: Ich habe vergessen, warum!
Hanselmann: Herr Karasek, da sind wir bei einem wichtigen Punkt, apropos hinterherlaufen: Wie eitel sind Sie heute mit fast 80, mehr oder weniger als früher?
Karasek: Ach, ich hoffe, doch weniger. Ich verstehe es zumindest, die Eitelkeit besser zu verbergen, weil die Eitelkeit eines alten Gockels immer etwas Lächerliches hat.
Hanselmann: Wir wünschen Ihnen einen wunderschönen Tag morgen, wenn Sie Ihren Geburtstag in extrem kleinem Kreise feiern! Und bleiben Sie uns bitte noch möglichst lange erhalten! Vielen Dank, Hellmuth Karasek!
Karasek: Ich danke Ihnen für Ihre sehr liebenswürdigen Wünsche!
Hanselmann: Danke schön!
Karasek: Tschüss!
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