Lebendiges Panorama der Zeit der Kreuzzüge
Die Kinder- und Jugendbuchautorin Mirjam Pressler setzte sich in den meisten ihrer Bücher mit Gegenwartsthemen auseinander. In den letzten Jahren geriet jedoch zunehmend die Literaturgeschichte in ihren Fokus. Ihr neuer Roman erzählt vom weisen Juden Nathan, der durch Lessing zur Symbolfigur für religiöse Toleranz, Vernunft und Friedfertigkeit wurde.
Wieder einmal hat sich Mirjam Pressler einen berühmten Stoff der Literaturgeschichte zum Ausgangspunkt gewählt. Ihr neuer Roman erzählt von Nathan, dem weisen Juden, der zur Zeit des 3. Kreuzzuges in Jerusalem lebte und durch Lessing zur Symbolfigur für religiöse Toleranz, Vernunft und Friedfertigkeit wurde. Aber sie erzählt Lessings Drama nicht nach, sondern um und erweckt damit das eher spröde Gedankendrama des großen Aufklärers zu neuem, frischem Leben.
Mirjam Pressler hat sich "so weit wie möglich an Lessings Vorgabe gehalten", wie sie im Nachwort erklärt. Nur wo ihr das Geschehen zu fantastisch erschien, hat sie es verändert. Das betrifft vor allem den unwahrscheinlichen Zufall, dass Recha, Nathans geliebte, angenommene Tochter, die Schwester ihres Retters, des Tempelherrn ist. Der Schluss bleibt dadurch offen. Und auch Nathans Tod ist Mirjam Presslers eigene Idee. Er trifft den Leser hart, wirkt aber durchaus plausibel.
Der Roman erzählt Nathans Geschichte in vielen Geschichten, setzt er sich doch aus den Berichten all der Menschen zusammen, die um den weisen Mann herum leben. Da erklingen im Wechsel die Stimmen von Recha und ihrer Erzieherin Daja, von Angestellten in Nathans Haus wie von Sittah, der Schwester des Sultans Saladin oder Abu Hasan, dessen Hauptmann. Sie alle erzählen ihre eigene Lebensgeschichte und zugleich die von Nathan, dessen Weisheit vom Sultan auf die Probe gestellt und in der Erzählung der berühmten Ringparabel bewiesen wird .
Nathans Geschichte von so vielen Menschen ganz verschiedener Herkunft erzählen zu lassen ist ein besonderer Kunstgriff! So entsteht ein breites, sehr lebendiges Panorama der Zeit der Kreuzzüge. Der entbehrungsreiche Marsch der deutschen Soldaten nach Palästina, die angespannte Koexistenz der drei Weltregionen in Jerusalem, das Leben der Reichen und der Ärmsten, die politischen Auseinandersetzungen in den Palästen des Sultans und des christlichen Patriarchen, aber auch das Alltagsleben auf den Straßen und Märkten - Mirjam Pressler zeichnet das alles in sinnlichen Bildern und bunten Farben. Wobei ihre besondere Liebe dem Detail gehört, seien es der wunderbare Schmuck im Palast des Sultans oder die Schönheit von Blumen und Früchten. Auch die Einzelschicksale selbst sind berührend, dazu in sehr unterschiedlichen Tönen abwechslungsreich erzählt. Und mitten im Zentrum dieser vielen Stimmen steht Nathan, allen nah und zugleich merkwürdig unnahbar.
Mirjam Pressler hat trotzdem keinen realistischen oder historischen Roman geschrieben. "Nathan und seine Kinder" ist eine magische Geschichte, die ihren Leser nicht nur überzeugen, sondern auch verzaubern will. Die nicht nur die Vernunft anspricht, sondern auch das Herz. Ihr ausdrückliches Plädoyer für Toleranz und das friedliche Miteinander der drei großen monotheistischen Religionen stört nicht, denn es kommt ohne Zeigefinger daher. Und der aktuelle Bezug ist ja nicht zu übersehen! So ist Mirjam Presslers sanfte Nathan-Parabel ein starkes Jugendbuch geworden.
Rezensiert von Sylvia Schwab
Mirjam Pressler: Nathan und seine Kinder.
Verlag Beltz & Gelberg 2009
264 Seiten, geb., 16,95 Euro, ab 14.
Mirjam Pressler hat sich "so weit wie möglich an Lessings Vorgabe gehalten", wie sie im Nachwort erklärt. Nur wo ihr das Geschehen zu fantastisch erschien, hat sie es verändert. Das betrifft vor allem den unwahrscheinlichen Zufall, dass Recha, Nathans geliebte, angenommene Tochter, die Schwester ihres Retters, des Tempelherrn ist. Der Schluss bleibt dadurch offen. Und auch Nathans Tod ist Mirjam Presslers eigene Idee. Er trifft den Leser hart, wirkt aber durchaus plausibel.
Der Roman erzählt Nathans Geschichte in vielen Geschichten, setzt er sich doch aus den Berichten all der Menschen zusammen, die um den weisen Mann herum leben. Da erklingen im Wechsel die Stimmen von Recha und ihrer Erzieherin Daja, von Angestellten in Nathans Haus wie von Sittah, der Schwester des Sultans Saladin oder Abu Hasan, dessen Hauptmann. Sie alle erzählen ihre eigene Lebensgeschichte und zugleich die von Nathan, dessen Weisheit vom Sultan auf die Probe gestellt und in der Erzählung der berühmten Ringparabel bewiesen wird .
Nathans Geschichte von so vielen Menschen ganz verschiedener Herkunft erzählen zu lassen ist ein besonderer Kunstgriff! So entsteht ein breites, sehr lebendiges Panorama der Zeit der Kreuzzüge. Der entbehrungsreiche Marsch der deutschen Soldaten nach Palästina, die angespannte Koexistenz der drei Weltregionen in Jerusalem, das Leben der Reichen und der Ärmsten, die politischen Auseinandersetzungen in den Palästen des Sultans und des christlichen Patriarchen, aber auch das Alltagsleben auf den Straßen und Märkten - Mirjam Pressler zeichnet das alles in sinnlichen Bildern und bunten Farben. Wobei ihre besondere Liebe dem Detail gehört, seien es der wunderbare Schmuck im Palast des Sultans oder die Schönheit von Blumen und Früchten. Auch die Einzelschicksale selbst sind berührend, dazu in sehr unterschiedlichen Tönen abwechslungsreich erzählt. Und mitten im Zentrum dieser vielen Stimmen steht Nathan, allen nah und zugleich merkwürdig unnahbar.
Mirjam Pressler hat trotzdem keinen realistischen oder historischen Roman geschrieben. "Nathan und seine Kinder" ist eine magische Geschichte, die ihren Leser nicht nur überzeugen, sondern auch verzaubern will. Die nicht nur die Vernunft anspricht, sondern auch das Herz. Ihr ausdrückliches Plädoyer für Toleranz und das friedliche Miteinander der drei großen monotheistischen Religionen stört nicht, denn es kommt ohne Zeigefinger daher. Und der aktuelle Bezug ist ja nicht zu übersehen! So ist Mirjam Presslers sanfte Nathan-Parabel ein starkes Jugendbuch geworden.
Rezensiert von Sylvia Schwab
Mirjam Pressler: Nathan und seine Kinder.
Verlag Beltz & Gelberg 2009
264 Seiten, geb., 16,95 Euro, ab 14.