Lebendiges Kolorit der späten 1970er-Jahre

21.09.2010
Eine überraschende Reanimierung einer altbekannten Konstellation: In Elisabeth Plessens Roman "Ida" verliebt sich ein alternder Architekt in eine junge Studentin. In den ironischen Passagen und der lebendigen Schilderung der späten 70er- und frühen 80er-Jahre liegen seine Stärken.
Sie war die Stimme einer Generation: In dem autobiografisch inspirierten Roman "Mitteilungen an den Adel"(1976) rechnete Elisabeth Plessen mit ihrer Herkunft ab. Stellvertretend für viele ließ sie eine junge Studentin, höchst zeitgemäß, gegen Eltern und Autoritäten jeglicher Couleur rebellieren. Allerdings konnte keiner ihrer späteren vier Romane an den Erfolg des ersten anschließen. Nun hat Elisabeth Plessen nach langer Abstinenz einen neuen Roman vorgelegt.

Die Geschichte spielt um die Wende der 1970er zu den 80er Jahren in Berlin und erzählt von einem alternden, erfolgreichen Architekten, der sich Hals über Kopf in eine junge Studentin verliebt und sich von dieser Beziehung eine vollkommene Kehrtwendung in seinem Leben erhofft.

Zunächst scheinen sich all seine Wünsche zu erfüllen: Ida, eine schüchtern-verträumte Einzelgängerin, eher zum Zuhören als zum Fragen erzogen, beflügelt seine Fantasie. Noch einmal holt er zu einem großen Wurf aus und übernimmt – die Krönung seines Lebenswerks - den Bau eines Opernhauses in Philadelphia. Sie bewundert seine Arbeitswut, seine Vitalität und Ideenflut. Er behängt sie mit Schmuck und neuen Kleidern, spendiert ihr Reisen rund um die Welt und fürchtet sich doch zunehmend vor ihrem erwachenden Freiheitsdrang. Eine Zeit lang sucht sie Schutz, bis sie sich kräftig genug fühlt, auf eigenen Beinen stehen will, bis die Katastrophe hereinbricht.

Neu ist diese Konstellation – alter Mann, junge Frau - nicht, aber überraschend doch, zumal sie von einer Autorin reanimiert wird. Wer sich grundsätzlich neue Erkenntnisse über die Beweggründe erwartet, die die beiden zu den großen Gefühlen treiben, sieht sich enttäuscht. Denn mehr als dass er sich in die Zukunft verliebt hat, weil er an ihrer Seite eine Verjüngung erfährt und sie auf die Bewältigung eines unausgetragenen Vaterkonflikts setzt, bietet Elisabeth Plessen nicht, auch wenn diese Motive variantenreich variiert werden.

Dabei verfährt sie ganz anders als ihre männlichen Kollegen, als Martin Walser in "Ein liebender Mann" (2008) etwa oder Philip Roth in "Der menschliche Makel (2000) und "Das sterbende Tier"(2001). Sie erkundet die ungleiche Liaison aus der Perspektive beider Protagonisten. Im schnellen Wechsel der Blickwinkel gibt sie beiden jeweils eine Stimme, leuchtet in deren Innenwelten, wobei sie angenehm auf Abstand bleibt. Doch auch sie ist, und das erstaunt dann doch, nicht gefeit gegen Altmännerfantasien. Vor allem in den Sexszenen des Paares machen die sich peinlich breit. Auch schwimmt die Sprache mitunter allzu sehr in bedeutungsvollem Pathos, wenn "er", statt etwas zu merken "es gewahrte" oder der Neuanfang mit der "Jungfräulichkeit des Moments" gleichgesetzt wird.

Seine Stärken aber entfaltet der Roman in den Passagen, die mit kräftigen Strichen ein lebendiges Kolorit der Zeit zeichnen, der ironischen Schilderung akademischer Zusammenkünfte etwa, wo die Platzhirsche der Zunft sich nicht nur beruflich den Rang ablaufen, sondern wie in einem Gesellschaftsspiel um die Gunst junger Frauen buhlen. Auch die Ausflüge in die Geschichte der Architektur, zu Palladio, Albert Speer, Le Corbusier bilden einen gelungenen Kontrapunkt zu der amourösen Verstrickung, deren Ende allzu vorhersehbar ist.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Elisabeth Plessen: Ida. Roman
Berlin Verlag, Berlin 2010
362 Seiten, 22,00 Euro
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