Lebendes Klärwerk

Von Jens Wellhöner |
Die Ostsee ist bedroht: Dünger aus der Landwirtschaft und andere Abwässer drehen den Meeresbewohnern im wahrsten Sinn die Luft ab. Ein Mittel dagegen wird zur Zeit in Kiel ausprobiert: Algen und Muscheln filtern dort das Ostseewasser.
Auf der Kieler Förde. Das kleine Ruderboot mit Außenbordmotor fährt an einem alten Leuchtturm vorbei. Große Frachtschiffe sind zu sehen, fast zum Greifen nah. Aber Yvonne Rößner hält unbeirrt auf ein paar Bojen im Wasser zu. Etwa 100 Meter vom Ufer entfernt, stoppt die Meeresbiologin den Motor. Jetzt zieht sie etwas aus dem Wasser, das so aussieht wie ein metergroßer Netzstrumpf. Darin hängen Dutzende Muscheln:

"In den Netzstrümpfen wachsen sie heran. Aus den Löchern der Netzstrümpfe wachsen sie heraus, dass sie schön in der Wassersäule hängen und jeder seinen Platz hat und alle gleichmäßig wachsen."

Diese Netzstrümpfe heißen ganz offiziell Muschelsocken. Für Miesmuscheln sind sie das reinste Paradies. Wie viele wachsen eigentlich in so einem Muschelsocken?

"Würden Sie die Sandkörner am Strand zählen? Das kann ich schlecht abschätzen. Aber ich schätze, dass da mehr als 1000 Muscheln drin sind."

Yvonne Rössner zieht die Muschelsocken ein Stück weit aus dem Wasser und kontrolliert, ob die Muscheln auch gut wachsen. Offensichtlich geht es ihnen gut. Mit im Boot sitzt auch Meeresbiologe Peter Krost. Muscheln sind Wohltäter für die trübe Ostsee, betont er:

"Dadurch, dass sie Partikel aus dem Wasser herausnehmen und dadurch, das Wasser durchsichtiger, transparenter und klarer machen."

Peter Krost und Yvonne Rössner bekommen für ihr Forschungsprojekt von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt 320.000 Euro. Sie wollen herausfinden, wie sich Muscheln verhalten, wenn Menschen sie im freien Wasser züchten. Muschelbänke in der Nordsee gibt es ja schon lange. Aber Muscheln am Meeresgrund zu halten, kann in der Ostsee gefährlich werden. Peter Krost:

"Das eine ist die Nähe von Schadstoffen, die im Sediment gespeichert werden können. Und dann natürlich Muscheln heftig in Mitleidenschaft ziehen würden. Zum anderen aber auch, dass es natürliche Feinde gibt von den Miesmuscheln. Das ist vor allem der Seestern, aber auch die Strandkrabbe, die die also auffressen würden."

Deshalb leben die Muscheln hier in der Kieler Förde knapp unterhalb der Wasseroberfläche, in ihren Netzstrümpfen. Aber nicht nur Muscheln züchten die Kieler Meeresbiologen. An langen Schnüren hängt hier auch Seetang im Wasser. Oder genauer gesagt Zuckertang. Das sind große Wasserpflanzen, die einen Meter lang werden können. Sie sollen im Kampf gegen den Sauerstoffmangel in der Ostsee helfen:

"Das ist übrigens eine Folge von Düngung auf den Feldern oder von häuslichen Abwässern, die letztendlich ja im Meer landen und dort eben zu diesen Effekten führen können."

Ein paar Seemeilen von der Algenfarm entfernt, fährt das Forschungsschiff Alkor gerade über die tiefste Stelle der ganzen Umgebung.

Der Bordkran hievt eine Plexiglasröhre an Bord. Sie ist übermannshoch und war gerade am Meeresboden. In über 20 Metern Tiefe. Langsam schwebt die Röhre mit ihrer wertvollen Fracht an Bord. In der Plexiglasröhre steckt ein Stück Meeresboden, schwarzgrauer Schlick. Der wirklich erbärmlich stinkt. Meeresgeologe Alexander Bartholomee vom Senkenberg-Institut Wilhelmshaven macht sich sofort über die Probe her, nimmt ein Stück Schlick in die Hände und zeigt sie herum:

"Sie riechen das jetzt schon. Faule Eier! Das ist nämlich H2S, Schwefelwasserstoff."

Am Meeresboden faulen Millionen von kleinen Organismen. Die haben sich in den vergangenen Jahrzehnten explosionsartig vermehrt. Denn durch die Überdüngung finden sie viele Nährstoffe in der Ostsee. Und verbrauchen Sauerstoff. In größeren Tiefen gibt es deshalb in der Kieler Bucht schon kein Leben mehr. Eine Wüste am Meeresgrund. Damit der Ostsee nicht völlig die Luft ausgeht, soll jetzt der Zuckertang helfen:

"Die Alge nimmt Nährstoffe aus dem Wasser auf. Wie jede Pflanze nimmt sie also Stickstoff und Phosphor aus dem Wasser auf. Und verwandelt den eben mit Zuhilfenahme von Lichtenergie und Kohlendioxid in Pflanzenmasse. Sie nimmt also Nährstoffe aus dem Wasser auf. Und Nährstoffe sind ja eines der Probleme der Küstengewässer insgesamt."

Auch Professor Martin Wahl, Meeresökologe am Kieler IfM-Geomar-Institut, kennt das Projekt seiner Algen züchtenden Kollegen. Er findet es gut. Aber:

"Wenn wir allerdings von einer Sanierung der Ostsee sprechen wollen, dann wären treibende Großalgenkulturen im industriellen Maßstab zu empfehlen. Die aber dann wirklich in viele tausendfacher Hektargröße angebaut werden müssten. Dann könnten sie tatsächlich die Ostsee abreichern an Nährstoffen."

Die Versuchsfläche in der Kieler Förde ist aber nur einen halben Hektar groß. Und an riesige, kostspielige Algenteppiche wagt Meeresbiologe Peter Krost gar nicht zu denken. Er will seinen Zuckertang jetzt erst einmal an die Kosmetikindustrie verkaufen:

"Da gibt es eben Tagescreme und Nachtcreme und Augencreme und alles mögliche. Also ein volles Set von Dingen, die man in der Kosmetik nutzt. Und allen diesen Produkten ist Algenextrakt beigegeben."

Algen und Muscheln als Retter der Ostsee: Das ist also theoretisch möglich. Ob aber jemals riesige Zuckertangteppiche das Ostseewasser filtern: Das ist noch völlig unklar.