Leben und Bewegung

Von Walter Kittel · 10.02.2011
Vierzig Arbeiten von den 60er-Jahren bis heute laden ein zu einem Kunst-Erlebnis der anderen Art: Im Münchner Haus der Kunst inszenieren Tänzer Arbeiten an der Grenze zwischen bildender und darstellender Kunst - und beziehen dabei auch den Besucher mit ein.
Leben, Lebendigkeit, Bewegung - und Tänzerinnen, die ihre Körper langsam auf dem Boden winden oder in triumphalen Gesten emporschwingen: All das ist Teil des Ausstellungsprojekt "Move" im Haus der Kunst. Wohl selten war eine Ausstellung der Bühnen-, Tanz- und Schauspielkunst so nah wie diese. Dazu tragen auch viele Objekte und Installationen bei, an denen sich das Publikum erproben soll.

William Forsyth nennt seine Arbeiten auch "Choregraphic Objects". Einen Raum hat er mit vielen von der Decke herabhängenden Turnerringen gefüllt. In unterschiedlichen Höhen können die Hände danach greifen und die Füße hineinschlüpfen. So soll dieser Raum durchquert werden. Man hangelt sich durch – wie diese Besucherin:

"Ziemlich anstrengend, das erfordert Konzentration."

Konzentration in einem sportlich-körperlichen Sinn fordern in dieser Ausstellung die Werke verschiedenster Künstler.

"Sie machen das schon ganz gut. Langsam, Piano, Piano…"

Manchmal braucht man eben etwas Hilfe auf dem großen Wippbrett des New Yorker Künstlers Robert Morris. Er wurde bereits in den frühen 60er-Jahren von befreundeten Choreografen gebeten, Objekte für Tänzer zu entwerfen, mit denen diese dann spezielle Performances ausführen konnten. Nun also sind es die Besucher, die sich animiert fühlen sollen. Doch woher kommt, historisch betrachtet, dieser Drang, das Publikum und Werke in Bewegung zu versetzen?

Kuratorin Stephanie Rosenthal hat das Thema erforscht:

"Dieses Interesse, zu sagen: Kunst, bildende Kunst nehmen wir nicht nur mit den Augen wahr. Sondern wir nehmen es eben auch mit dem Körper wahr. Also dass man nicht mehr so sehr die Distanz zwischen dem Objekt und dem Betrachter betont hat, sonder vielmehr gesagt hat: der Kunstbetrachter ist Teil der Arbeit, also dieser Aspekt von Kunst und Leben eigentlich wieder. Dass man eben sagt: Kunst ist in unserem Leben und Leben ist in der Kunst und wir müssen die Kunst nicht nur auf den Sockel stellen, sondern wir als Künstler wollen auch zeigen, dass wir mit unseren Arbeiten eigentlich das Verständnis der Welt verändern können."

Auch der für seine eher wüsten Arbeiten bekannte amerikanische Künstler Mike Kelley legt es auf Grenzerfahrungen an. Die Besucher sollen in ein zotteliges Affenkostüm schlüpfen und eine Gorillamaske aufsetzen. Das an die Wand projizierte Video zeigt, was nun folgen könnte: Bewegungen wie ein Affe und der Gebrauch des herumliegenden Affenspielzeugs – Szenen wie im Zoo.

Für die Kameras von Journalisten haben einige Tänzerinnen die Rolle des Gorillas übernommen – das funktioniert, das ist in gewisser Weise auch ihr Metier; die Bewegungen des Tiers werden nahezu perfekt kopiert. Doch das übrige Publikum guckt eben nur oder staunt – doch der Wille, selbst aktiv zu werden, ist spürbar begrenzt.

Auch bei der Arbeit von Bruce Naumann, die aus einem etwa 30 Zentimeter breiten, langgestreckten und in grelles, grünes Licht getauchten Gang besteht, ist das so. Dynamisch und spielfreudig ist eben nur ein kleiner Teil des Publikums.

"Ne, ich hab Angst, ich trau mich nicht durchzugehen."

"Es ist für die ganz Dünnen gemacht. Für die Jugend wieder, denk ich mir."

Eine geradezu kontemplative Ruhe herrscht in einigen Räumen. Tino Seghal zeigt eine Arbeit, bei der abwechselnd ein Mann und eine Frau am Boden liegen. Der Berliner Künstler lässt sie in langsamer, gekrümmter Bewegung agieren. Zur Seite gebeugt, das Gesicht nach unten gewendet, vollziehen sie einen an große Schmerzen oder tiefes Leid erinnernden Tanz. Wie Verletzte liegen sie da, die sich nur noch winden. Das Publikum kann sie umschreiten wie Skulpturen, nur berühren darf man sie nicht.

Auch Videoarbeiten, die Tänzer irgendwo auf der Welt an bekannten oder auch an mysteriösen Orten zeigen, sind in der Ausstellung zu sehen. Manchmal werden auch Aufführungen in Theatern oder Performances auf den Dächern von New York gezeigt. Was die Zahl der präsentierten Videoarbeiten betrifft, hätte die Ausstellung ausufern können. Doch Kuratorin Stephanie Rosenthal entschied sich für ein Archiv – also Computer, an denen die Besucher recherchieren können.

"Und das ist für mich so ein bisschen das historische Rückgart für die gesamte Ausstellung. Also alle Kollaborationen, die stattgefunden haben in den 60er- und 70er-Jahren mit John Cage, Merce Cunningham und Robert Rauschenberg sind da drin. Aber auch Debrah Hay oder Simone Forti. Also viele Künstler, die eben mit skulpturalen oder installativen Arbeiten in der Ausstellung sind, sind eben in diesem Archiv mit früheren Performances oder Choreografien. Also hier zum Beispiel, von Cunningham haben wir Space, Time and Dance."

Insgesamt wurden 175 Arbeiten von 145 Künstlern für das Videoarchiv zusammengetragen. Wer genug vom Zuschauen hat oder nicht mehr selbst aktiv sein will, kann sich hier vertiefen. Gewöhnungsbedürftig ist das Ausstellungsprojekt in jedem Fall. Es sprengt die vertrauten Grenzen, mischt die Gattungen, tauscht die Rollen – denn jeder der schaut, ist im nächsten Moment vielleicht selbst schon Akteur. Die konsequente, auch historisch umfassende Bearbeitung und Darstellung des Themas ist der Kuratorin Stephanie Rosenthal und ihrem Team aber gründlich gelungen.

Link zur Ausstellung