Leben ohne Papiere

Unsichtbare und Namenlose sind die Helden des Hörbuchs "Illegal" von Polle Wilbert. In Deutschland leben rund eine Millionen Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus. Der Theaterdramaturg und Autor Polle Wilbert hat anderthalb Jahre Interviews mit Betroffenen in München geführt - über ihre Fluchtmotive, ihre Hoffnungen, ihr Alltagsleben, ihre Ängste.
Sie sind unsichtbar. Verhalten sich tadellos, damit sie nicht auffallen. Damit sie nicht abgeschoben werden. Sie sind überall. Längst sind die "Illegalen" ein nicht wegzudenkender Teil unserer Gesellschaft. Als Pflegekräfte, in der Gastronomie, als Babysitter oder Bauarbeiter.

Doch wir wissen kaum etwas über diese Mitbürger ohne Aufenthaltsgenehmigung. Polle Wilbert, alias Björn Bicker, gibt mit seinem Hörspiel "Illegal" Einblicke in die Gedanken und Lebenswelten jener Menschen, von denen wir oft genug gedankenlos profitieren:

"Wir arbeiten, wir putzen, wir putzen eure Wohnungen, wir hängen am Telefon, wir fragen, wo das Geld geblieben ist, wir lachen mit euren Kindern, wir bauen eure Häuser, wir putzen die Fenster von Euren Büros, wir laden Eure Lkws ab, morgens um vier. Wir spülen Eure Teller, nachts um zwei. Wir verstecken Pässe, wir kaufen Pässe, wir machen den Garten, das Auto, wir schneiden Haare, wir sind billig, wir schnitzen Gemüse, wir sind Chinesen, wir arbeiten in Restaurants, wir waren Au Pair, wir waren Student, wir waren Tourist, wir waren Flüchtling, wir lächeln. Was wir Euch nicht erzählen, wo wir herkommen, wer wir sind, wo wir verschwinden. Aus. Aus. Aus."

Der Chor der Unsichtbaren und Namenlosen strukturiert das Hörspiel in wiederkehrenden, sich variierenden Passagen. Selbstbewusst, manchmal aggressiv. Nie sentimental oder moralisierend. Polle Wilbert collagiert die Texte des Chores geschickt mit Einzelschicksalen von Flüchtlingen.

Da ist die Frau aus Südamerika mit der kranken Mutter, die vom Freund ihres Vaters erpresst wird, seit sie vor sechs Jahren illegal nach München kam. Er will, dass sie als Prostituierte für ihn arbeitet. Ihre Freundin, eine Lehrerin, hat sich mit ihrem neuen Job bereits abgefunden.

"Die Lehrerin sagt: Die Polizei weiß Bescheid. Die Männer, sagt sie, sind okay. Das Geld reicht. Zehn Männer jeden Tag. Fünf Männer für ihn, fünf Männer für Dich. Die Lehrerin sagt: Ich will nicht den Dreck dieser Leute wegmachen. Ich ficke ihre Männer. Die Lehrerin sagt: Ich würde lieber in der Schule arbeiten. Einer der Männer hat gesagt: Wenn Du meine Tochter wärst…"

Aufbäumen macht keinen Sinn. Und ist gefährlich. Die namenlose junge Frau, die über Wochen ein Tanzlokal putzt und die, als sie schließlich ihren Lohn fordert, vom Besitzer bedroht und gedemütigt wird, resigniert. Ihr Geld bekommt sie nie. Wer illegal ist, ist rechtlos.

"Wir lernen Eure Sprache mit dem Aldi-Prospekt, wir lernen Eure Sprache mit der Bibel, wir lernen Eure Sprache mit dem Fernseher, wir lernen Eure Sprache mit Euren Kindern, wir lernen Eure Sprache mit Euren Alten, wir lernen Eure Sprache im Baumarkt, wir lernen Eure Sprache mit der Abendzeitung. . ."

Aber es gibt auch "Illegale", die sich eingerichtet haben in ihr sicherheitsloses Leben. Wie der junge ukrainische Ex-Student und Musiker:

"Das ist ein gutes Leben. Ich hab noch nie so viele Frauen kennengelernt. Warum? Weiß auch nicht. Es sind dauernd Partys, überall sind immer dauernd Partys. Manchmal leg ich auf - Sachen aus der Ukraine. Warum die auf mich stehen? Vielleicht, weil ich das ausstrahle, dass ich frei bin. Wer ist das schon?"

Polle Wilbert entwirft ein vielschichtiges Bild aus biografischen Momentaufnahmen, Gedankensplittern und Gefühlen der "Illegalen". Mal berichtet ein Betroffener über sich. Mal wird über ihn erzählt - dann wieder ist der Hörer direkt angesprochen. Und wird damit emotional selbst in die Rolle des Illegalen versetzt.

"Du bist frei. Deine Wohnung ist ein Zimmer. Sechs Quadratmeter. Keine Fenster. Ein Loch. Keiner sieht rein. Gut so."

Die sechs Schauspieler des Hörspiels sprechen die rhythmischen Texte präzise, nüchtern und frei von Pathos. Ihre Figuren sind zu selbstbewusst, um rührselig zu sein. Ihre Geschichten zu eindringlich, um den Hörer gleichgültig zu lassen. Die akustische Umsetzung mit sparsam verwendeten Geräuschen, sowie der lässigen Indie-Punk-Musik der Münchner Band Kamerakino unterstützt diesen Stil perfekt.

Leider sind die englisch-deutschen Texte in der Mischung nicht immer gut zu verstehen. Und da auf ein CD-Booklet verzichtet wurde, auch nicht nachzulesen. Das ist aber der einzige Makel des vom Regieteam Peter Kastenmüller, Michael Graessner und Björn Bicker hervorragend und eindringlich inszenierten Hörspiels. Unbedingt empfehlenswert.

Es berührt und verstört nachhaltig. Ganz im Sinne des Friedensnobelpreisträgers Elie Wiesel, der sagte: "Ihr sollt wissen, dass kein Mensch illegal ist", erinnert es an die Umstände, die Menschen zu Illegalen machen. Menschen, von denen noch viele unterwegs sind mit ihrem Traum von einem besseren Leben.

"Die tun hier so, als wär nix. Das find ich das Geilste an den Deutschen. Die denken immer noch alles in Butter. Die denken, unsere Gesetze funktionieren, unsere Grenzen sind ordentlich dicht. Jeder von denen hat irgendwo einen Illegalen arbeiten. Aber die tun so, als wär alles in Ordnung."

Rezensiert von Susanne Burkhardt

Polle Wilbert: Illegal
Musik: Kamerakino, Realisation: Peter Kastenmüller, Michael Graessner, Björn Bicker
Produktion: BR Hörspiel und Medienkunst in Zusammenarbeit mit den Münchner Kammerspielen 2008
Intermedium Records