Leben mit Mülldeponien

In Dettingen leben die Menschen in Ungewissheit

04:43 Minuten
Blick auf ein Gebäude der stillgelegten Deponie Wachtertal, Dettingen an der Erms in Baden-Württemberg.
Das Gebäude der stillgelegten Deponie Wachtertal, die regelmäßig kontrolliert wurde. Die zweite Müllkippe wurde zuletzt 2012 untersucht. © Uschi Götz
Von Ursula Götz · 09.04.2019
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In Deutschland gibt es 80.000 stillgelegte Müllkippen - eine davon in Dettingen, wo ein Wohngebiet mitten zwischen zwei Altdeponien liegt. Hier wie vielerorts sorgen sich die Anwohner, ob ihr Leben sicher ist? Andere wollen es nicht so genau wissen.
"Freizeitanlage Buchhalde" steht auf dem Schild vor der großen Wiese. Dahinter fällt der Hügel sanft ab. Auf den Bänken eines Grillplatzes sitzen Kinder in T-Shirts."Buchhalde - Müllhalde würde so zusammenpassen."
Eine junge Frau ist mit ihrem Hund unterwegs. Sie lebt ein paar hundert Meter entfernt in der Wohnsiedlung Buchhalde, die zur Gemeinde Dettingen an der Erms in Baden-Würtemberg gehört. Mit ihrem Mann hat sie sich vor drei Jahren dort ein Haus gekauft. Kurz darauf erfuhr das Paar, dass hier früher Müll entsorgt worden sei. Zwischen zwei stillgelegten Müllhalden
Das Wohngebiet Buchhalde liegt gleich zwischen zwei stillgelegten Müllkippen: Die Mülldeponie Wachtertal direkt gegenüber der Siedlung, und südlich davon die zweite Müllkippe, auch "Kuhfriedhof" von den Einheimischen genannt. Früher landete hier auch verendetes Vieh, aber nicht nur.
Wachtertal wird regelmäßig kontrolliert, der Kuhfriedhof wurde dagegen nur einmal untersucht. Gleich neben der Freizeitanlage ist ein Kinderspielplatz und der sogenannte Garten der Stille. In den 1970er Jahren wurde der parkähnliche Garten von der christlichen Gemeinschaft der Blumenmönche angelegt:"Die Gemeindeverwaltung hat es uns dann später augenzwinkernd verraten: Das war ehemals Auffüllplatz, Tierfriedhof, völlig verwildert."
Der Blumenmönch Bruder Paidoios, Mitglied der Evangelischen Bruderschaft Kecharismai, in Dettingen an der Erms in Baden-Württemberg. 
Blumenmönch Bruder Paidoios © Uschi Götz
Blumenmönch Bruder Paidoios steht mit seiner grünen Kutte im Garten der Stille. Schmunzelnd erzählt er, wie die Gemeinde seiner Gemeinschaft damals das Gelände verpachtete: "Da war die Meinung: ‚Na ja, wenn es nichts wird, ist bis jetzt das Gelände verwüstet, dann macht es nichts aus.‘"

Rückzugsort der Blumenmönche

Die Mönche haben aus dem verwilderten Gelände einen Rückzugsort für stressgeplagte Menschen geschaffen. Vom Garten der Stille sind es bis ins Industriegebiet im Ermstal sind es nur 500 Meter. Ein Teil des Industriemülls landete bis Mitte der 1970er Jahre in der Müllkippe Buchhalde, darunter auch Asbest.
Früher hieß die Wohnsiedlung bei einigen Schwaben auch "Krebsbuckel" – Krebshügel also. Gefühlt gab es dort mehr Krebskranke als an anderen Orten. Verantwortlich dafür, da waren sich hier viele sicher, sei der Müll, der Industriemüll.
Doch über die Vergangenheit sind Bäume und viel Gras gewachsen, die Älteren wollen nicht mehr darüber reden, die Zugezogenen sind ahnungslos. Und das zuständige Kreisgesundheitsamt in Reutlingen hat weder aktuell noch in der Vergangenheit besonders viele Krebskranke in der Buchhalde oder in Dettingen registriert.

Schützenverein in Sorge

Beim Dettinger Schützenverein ist man dennoch hellhörig. Das Schützenhaus liegt direkt neben Garten der Stille, am Fuße der früheren Müllkippe Kuhfriedhof. Das Abwasser aus der Kippe fließt unter der Schießanlage durch. Kontrollschächte auf der Anlage laufen manchmal über.
"Wenn viel Wasser kommt, fassen die Leitungen das Wasser wohl nicht und der obere Schacht läuft über. Das Wasser läuft dann auf der Oberfläche runter, zum unteren Schacht und dort versickert es wieder und läuft dann wieder in die Kanalisation."
Sickerwasser in der Verlängerung der stillgelegten Müllkippe "Kuhfriedhof" in Dettingen an der Erms in Baden-Württemberg.
Sickerwasser in der Verlängerung der stillgelegten Müllkippe „Kuhfriedhof“ © Deutschlandradio / Uschi Götz
Anton Jäger ist Vorsitzender des Dettinger Schützenvereins. Er zeigt auf die Wasserlache, die auf dem Schießstand steht. Geht man den Berg weiter hinunter, findet man auch auf den Obstwiesen kleine Seen. Ein großer Teil davon dürfte Sickerwasser aus der Müllkippe Kuhfriedhof sein. Aber ist dieses Wasser sauber? Oder sind Schadstoffe darin?

Bürgermeister sieht keinen Handlungsbedarf

"Kein Handlungsbedarf" sagt Dettingens Bürgermeister Michael Hillert gelassen. Er zeigt eine Untersuchung aus dem Jahr 2009, die die Müllkippe als unbedenklich einstuft.
"Bezüglich der Gefährdung von Sickerwasser, also vom Grundwasser durch Versickerung oder von Oberflächenwasser, wurde eine Detailuntersuchung angeordnet. Die kam dann im Jahr 2012, und bei diesen beiden Wirkungswegen wurde ebenfalls kein weiterer Handlungsbedarf festgestellt."
Und damit war für den Bürgermeister die Frage nach der Gefahreneinschätzung dieser Kippe abschließend beantwortet.
Von den 80.000 stillgelegten Müllkippen in Deutschland sind die meisten tatsächlich völlig harmlos und wie der Dettinger Bürgermeister verlassen sich viele auf einmal abgeschlossene Untersuchungen. Doch gerade dort, wo Industriemüll vermutet wird, sollte genauer, auch ein zweites Mal hingeschaut werden.

Gutachten aus Tübingen

Stefan Haderlein ist Professor für Umweltmineralogie und Umweltchemie an der Universität Tübingen. Mit Blick auf die untersuchten organischen Stoffe könne er der Einschätzung des Bürgermeisters folgen, sagt der Wissenschaftler:
"Wenn es sich allerdings um einen Standort oder eine Ablagerung handelt, bei der man befürchten muss, dass ein großes Stoffspektrum auch von verschiedenen chemischen Betrieben dort abgelagert wurde, dann, würde ich denke, ist das Stoffspektrum, das in dem Gutachten untersucht wurde oder auch vielleicht beauftragt wurde – das weiß ich nicht – eben sehr eingeschränkt, zu eng."
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