Leben mit drohender Welle

Von Bernd Musch-Borowska · 23.12.2009
Am 26. Dezember 2004 war gegen 8 Uhr Ortszeit zunächst ein Erdbeben zu spüren. Dann schwappte eine gewaltige Tsunami-Welle über die Küsten des Indischen Ozeans und richtete unvorstellbar riesige Schäden an. Mehr als 220.000 Menschen kamen ums Leben, rund 1,5 Millionen Menschen wurden obdachlos, tausende Ortschaften in Indonesien, Thailand, Sri Lanka und Indien wurden zerstört.
Urlaubsstimmung am Strand von Phuket. Weihnachten ist in Thailand Hochsaison. Die meisten Hotels in den Ferienorten an der Küste der zum Indischen Ozean gehörenden Andamanensee sind normalerweise so gut wie ausgebucht. Auch vor 5 Jahren war das so.

Am frühen Morgen des 26. Dezember 2004 waren viele Touristen schon am Strand und genossen die morgendliche Sonne, als gegen 8 Uhr Ortszeit zunächst ein Erdbeben zu spüren war und wenig später die bisher größte Katastrophe im Indischen Ozean über die Menschen herein brach.

Eine gewaltige Tsunami-Welle schwappte über die Küsten und richtete unvorstellbar riesige Schäden an. Mehr als 220.000 Menschen sind bei dieser Katastrophe ums Leben gekommen. Knapp 175.000 Tote wurden gezählt, mehr als 50.000 Menschen gelten als vermisst und rund 1,5 Millionen Menschen wurden obdachlos, als Tausende Ortschaften entlang der Küsten rund um den Indischen Ozean völlig zerstört wurden.

Allein in Indonesien gab es fast 127.000 Opfer, die meisten in der Provinz Aceh auf der Insel Sumatra. In Thailand waren es 5.400 Tote, darunter viele ausländische Touristen. 31.000 Opfer wurden in Sri Lanka gezählt, mehr als 10.000 in Indien und selbst in Afrika, auf der anderen Seite des Indischen Ozeans, kam die Tsunami-Welle an und brachte Tod und Zerstörung.

Kurz bevor die gewaltige, bis zu zehn Meter hohe Welle über die Küsten herein brach, hatte sich das Wasser mehrere 100 Meter weit zurück gezogen. Fischerboote lagen plötzlich auf dem Trocknen und die Urlauber in den thailändischen Ferienorten kamen an die Strände, um das ungewöhnliche Naturereignis zu bestaunen. Der bevorstehenden Gefahr war sich kaum jemand bewusst. Ein deutscher Familienvater filmte das Geschehen mit seiner Videokamera fürs Urlaubsarchiv:

"Vor einer Minute war die ganze Lagune ohne Wasser. Jetzt kommt hier eine gewaltige Welle an. Bringt mal die Kamera, ich glaube, wir haben hier ein einzigartiges Ereignis.
Das Wasser war einen kurzen Moment … Lauft, lauft ...."

An den Küsten wurde ein mehrere Hundert Meter breiter Streifen überflutet, Häuser in Strandnähe standen bis zum zweiten Stockwerk unter Wasser. Zahllose Gebäude stürzten ein. Die Welle spülte Fahrzeuge durch die Palmenwälder, als seien sie Spielzeugautos, und warf Fischerboote aufs Festland. In Banda Aceh, auf der indonesischen Insel Sumatra, erinnert bis heute ein Trawler auf dem Dach eines Wohnhauses im Stadtzentrum an das historische Ereignis. Ein gewaltiges Generatorschiff, die Apung 1, liegt dreieinhalb Kilometer vom Meer entfernt auf dem Trocknen.

Budi Atmadi Adiputro, vom Nationalen Katastrophen-Zentrum der indonesischen Regierung, war seinerzeit der Leiter des Tsunami Katastrophenschutz-Teams in Aceh. Der Tsunami sei eine nationale Katastrophe von bis dahin unvorstellbarem Ausmaß gewesen, sagt er:

"Über 1000 Boote wurden von der Küste weit ins Landesinnere geschleudert. Mehr als 138 Kilometer Straße wurden weggeschwemmt, vor allem zwischen Banda Aceh und Meulaboh. 81 Brücken wurden völlig zerstört. Mehr als eine halbe Million Menschen waren obdachlos. Wir hatten damals allein im ersten Monat nach dem Tsunami 430 Notlager für obdachlose Menschen errichtet. 130.000 Menschen in Aceh sind ums Leben gekommen. 38.000 Menschen wurden vermisst. Es gab insgesamt also 168.000 Tote und Vermisste allein in Aceh."

Während man auf der indonesischen Insel Sumatra Tsunamis schon mal erlebt hatte, wenn auch nicht in diesem Ausmaß, gab es in der thailändischen Sprache bis zu diesem Ereignis vor 5 Jahren nicht mal ein Wort dafür. Die Menschen waren völlig unvorbereitet.

Vanida Bunrak arbeitete Weihnachten vor fünf Jahren als Köchin in einem Hotel in Khao Lak und erinnert sich bis heute mit Schrecken an den Tsunami.

"Ich habe gerade in der Küche Gemüse geschnitten, als plötzlich das Erdbeben zu spüren war und die Tomaten vom Tisch fielen. Dann kam mein Kollege rein und sagte, kommt mal raus und schaut euch das an. Das Wasser ist weg, das müsst ihr euch ansehen. Ich ging raus und hatte so etwas noch nie gesehen. Dort, wo sonst Wasser war, war der blanke Meeresboden zu sehen. Und am Horizont sah man eine große Welle. Irgendetwas stimmt nicht, dachte ich und sagte zu meinen Kollegen, ich gehe nach Hause, das ist mir unheimlich."

Natija Laesoong, die Besitzerin des Andaman Beach Resorts am Strand von Khao Lak, versuchte, die Touristen vor der herannahenden Gefahr zu warnen, doch vergeblich:

"Ich rief den Touristen zu, dass sie weglaufen sollten. Viele waren extra rausgegangen zum Strand, um Fotos zu machen. Sie dachten wohl, dass die Welle einfach auslaufen würde, so, wie sie das gewohnt waren. Sie haben mich angeschaut und dachten, was will die denn? Warum rennt die so? Ich habe mich gar nicht mehr umgedreht und bin einfach nur gerannt."

Die ersten Wochen nach der Katastrophe waren die schlimmsten. An den Stränden der thailändischen Ferienorte wurden Tausende Leichen angespült. Es dauerte Monate, bis alle identifiziert waren.

In den Rettungszentralen herrschte Chaos. Behörden und Rettungsdienste waren völlig überfordert. Angehörige suchten nach Vermissten, darunter auch viele Ausländer. Sie waren aus der ganzen Welt angereist, um nach Familienmitgliedern zu suchen, die über Weihnachten in Thailand Urlaub gemacht hatten und jetzt nicht mehr zu finden waren.

Die örtlichen Behörden waren auf die Bewältigung einer Katastrophe dieses Ausmaßes weder vorbereitet noch dafür ausgerüstet. In den thailändischen Ferienorten mussten Tausende Leichen identifiziert werden, darunter eben auch viele ausländische Touristen. Das deutsche Bundeskriminalamt schickte Experten nach Phuket, um den thailändischen Gerichtsmedizinern zu helfen.

Ohne diese Hilfe hätten sie es nicht geschafft, sagt die Direktorin des forensischen Instituts in Phuket, Pornthip Rojanasundand im Rückblick auf die Katastrophe vor 5 Jahren. Niemand habe einen genauen Überblick über das ganze Ausmaß der Katastrophe gehabt. Es habe keine Kommunikationsmöglichkeiten gegeben. Das alles sei schrecklich gewesen:

"Das war sehr schwierig. Niemand von uns hatte Erfahrung mit so einer Situation. Wir versuchten also, so gut wie möglich damit fertig zu werden. Manchmal kamen Leute, die einen Angehörigen identifiziert hatten und die Leiche mitnehmen wollten. Aber in dem Durcheinander nahmen sie dann aus Versehen den falschen Leichensack. Und dann verloren wir schon ganz den Überblick."

"Ich suche nach meiner Mutter, Ria Ekokamp, aus Holland. Sie ist 53 Jahre alt und war im Merlin Beach Resort in Khao Lak. Wir gehen hier nicht ohne sie weg. Tot oder lebendig, wir müssen sie finden."

"Ich bin hier, um nach meiner ältesten Schwester zu suchen. Sie wird seit dem Tsunami vermisst. Ich suche schon seit drei Tagen. Dieses Durcheinander hier ist einfach schrecklich. Und das geht nicht nur mir so, sondern allen."

Ausgelöst wurde der Tsunami durch ein schweres Erdbeben der Stärke 9,3 vor der Küste der indonesischen Insel Sumatra. Es war das zweitstärkste jemals registrierte Erdbeben auf der ganzen Welt. Sein Epizentrum lag an der Nordspitze von Sumatra, rund 250 Kilometer von der Großstadt Banda Aceh entfernt.

Entlang der Westküste von Sumatra verläuft eine tektonische Bruchstelle in der Erdkruste, an der sich die australische Platte und die Sunda-Platte übereinanderschieben. Erdbeben sind hier keine Seltenheit. Am 26. Dezember 2004 habe sich genau an dieser Stelle der sich gegeneinander bewegenden Platten eine gewaltige Spannung aufgebaut, die sich dann in einem Beben entladen habe, sagte der Geologe Kerry Sieh von der Technologischen Universität Nanyang in Singapur:

"Es gibt zwei große tektonische Bruchstellen auf Sumatra. Eine verläuft genau entlang des Bergrückens der Insel von Nord nach Süd. Die andere ist draußen ein paar Hundert Kilometer vor der Küste. Von Myanmar im Norden, an den Inseln Sumatra und Java entlang, bis ganz nach Süden. Hier schieben sich die indische und die australische Platte unter die Sundaplatte. Und dabei entsteht eine gewaltige Schubkraft."

Die Provinz Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra war von dem Erdbeben und dem anschließenden Tsunami im Dezember 2004 am stärksten betroffen. Die kleine Insel Sabang vor der Stadt Banda Aceh an der Nordspitze von Sumatra lag fast im Epizentrum des Bebens. Das Deutsche Rote Kreuz hat hier mit Spendengeldern aus Deutschland neue Dörfer errichtet. Ein Musterdorf steht auf einem kleinen Berg, in sicherer Höhe und mit wunderschöner Aussicht auf das Meer. Rund ein Dutzend Holzhäuser in Reih und Glied, jedes Haus hat eine neue Küche, ein Badezimmer und alle zusammen teilen sich eine Kläranlage. So etwas hatten die Bewohner vor dem Tsunami gar nicht. Sie seien dankbar und froh über den viel besseren Lebensstandard, sagt Dorfchef Normansa:

"Unsere Häuser sind durch den Tsunami völlig zerstört worden. Jetzt haben wir ein neues Dorf, mit neuen, viel besseren Häusern und guten sanitären Einrichtungen."

Fast überall im einstigen Katastrophengebiet in Aceh wurde beim Wiederaufbau darauf geachtet, dass der Lebensstandard der Menschen verbessert wurde. Da in den Küstenregionen nahezu alles völlig zerstört war und ohnehin alle Ortschaften von Grund auf neu geplant und gebaut werden mussten, habe man Umweltstandards und Sicherheitsrisiken berücksichtigen können, sagte Kuntoro Mangkusobroto, der Leiter der indonesischen Behörde für den Wiederaufbau in Aceh:

"Unser Plan war, Aceh besser wieder aufzubauen als vorher. Wir wollten nicht Häuser bauen, die so aussahen wie die alten Häuser, sondern besser. Mit Sanitäreinrichtungen und Küchen. Dort wo es keine Schulen gab, haben wir Schulen gebaut, wo es keine Gesundheitsstationen gab, haben wir Gesundheitsstationen gebaut."

Von den internationalen Hilfsgeldern für die Tsunami-Opfer sind umgerechnet rund 5 Milliarden Euro nach Aceh geflossen. Ein Großteil davon aus deutschen Spendengeldern. Allein das Deutsche Rote Kreuz habe in Indonesien knapp 40 Millionen Euro in den Wiederaufbau investiert, sagt Johannes Richert, vom Generalsekretariat des DRK:

"Nach der Nothilfephase, die darin bestand, medizinische Hilfe zu leisten, Wasser, Hilfsgüter, Decken und Zelte zu liefern, konnten wir in der zweiten Phase Rehabilitationsmaßnahmen durchführen. Wir haben für die Zivilbevölkerung 1491 Häuser aufgebaut, sie wurden an anderen Orten aufgebaut, die sicherer sind. Wir haben 32 Schulen und 7 Gesundheitszentren aufgebaut. Des weiteren haben wir in Trinkwasser investiert. Wir haben 1700 Brunnen wieder hergestellt, sodass die Trinkwasserqualität an Land besser wurde. Wir haben also nicht nur Gebäude aufgestellt, sondern die Bevölkerung vorbereitet auf ähnliche Situationen."

Unter den Tsunami-Opfern in Aceh waren viele Kinder, die zum Zeitpunkt des Unglücks gerade in der Schule waren. Zahlreiche Schulgebäude, die früher in Küstennähe standen, sind beim Tsunami völlig zerstört worden. Die neuen Schulen, die nach dem Tsunami gebaut wurden, stehen jetzt in sicherer Entfernung, möglichst auf einem Berg.

Die Schüler einer Grundschule auf der Insel Sabang sind heute, anders als vor fünf Jahren, auf Katastrophenfälle vorbereitet. In regelmäßigen Übungen, die etwa so ablaufen wie Feuerschutzübungen an deutschen Schulen, wird geprobt, wie sich die Schüler bei einem Erdbeben verhalten sollen.

Auf das Kommando des Lehrers hin verstecken sich alle unter den Tischen und beginnen erst einmal zu beten. Danach verlassen die kleinen Jungen und Mädchen mit dem Schulranzen über dem Kopf das Klassenzimmer und versammeln sich unter freiem Himmel auf dem Schulhof.

Nicht nur die Schulkinder, sondern alle Einwohner der gefährdeten Küstenregionen in der Provinz Aceh sind heute besser auf einen möglichen Tsunami vorbereitet als vor 5 Jahren.
Regelmäßige Katastrophenschutzübungen, zuletzt im Oktober dieses Jahres, sollen dazu beitragen, das Verhalten der Menschen in einer Gefahrensituation zu schulen, und sollen auch das Krisenmanagement der Behörden verbessern.

Am 14. Oktober, dem internationalen Tag für Katastrophenschutz, heulten in Banda Aceh und anderen Ortschaften auf der Insel Sumatra die Sirenen. Die Einwohner rannten aus den gefährdeten Küstenstreifen in höher gelegene Gebiete. Militärlastwagen brachten die Menschen aus der Gefahrenzone.

Die Übung war der erste internationale Test für das Tsunami-Warnsystem im Indischen Ozean nach dem großen Tsunami vom Dezember 2004. 18 Anrainerstaaten des Indischen Ozeans probten gemeinsam den Ernstfall. Anschließend zogen die indonesischen Behörden eine positive Bilanz. Mohammed Nazar, der stellvertretende Gouverneur der Provinz Aceh:

"Die Vorbereitung der Einwohner von Aceh ist heute viel besser als im Jahr 2004, als so viele durch den Tsunami ums Leben gekommen sind. Die meisten Menschen wussten damals nur, dass sie bei einem Erdbeben die Gebäude verlassen müssen. Nur auf den Inseln kannte man auch Tsunamis und wusste, dass man sich schnell in höher gelegene Gebiete begeben sollte."

Auch die Einwohner von Banda Aceh selbst, die an der Übung Indian Ocean Wave 09 teilnahmen, reagierten positiv.

Hassanudin: "Solche Übungen sind sehr wichtig für die Menschen, die in der Nähe der Küste leben. Ich hoffe, dass jetzt jeder weiß, was er zu tun hat."

Rusmayati: "Wir wissen jetzt, dass wir weglaufen müssen, wenn das Wasser kommt. Am besten in die vorgesehenen Sicherheitsbereiche."

Schilder an den Stränden von Aceh zeigen die Fluchtwege bei einem Tsunami-Alarm an. In den flachen Küstenregionen der Provinz Aceh muss man jedoch mehrere Kilometer weit gehen oder fahren, bis man in höhere Bergregionen kommt.

Mit einem Druck auf den roten Knopf im neuen Tsunami-Warnzentrum in Jakarta hatte Indonesiens Präsident Susilo Bambang Yudhoyono das deutsch-indonesische Tsunami-Warnsystem bereits im vergangenen Jahr offiziell in Betrieb genommen. Es sei ein Meilenstein bei den Bemühungen, die Menschen in den Küstenregionen des Landes besser zu schützen, sagte Yudhoyono und ein Zeichen des Fortschritts und der Einsatzfähigkeit, die Auswirkungen eines Erdbebens oder Tsunamis möglichst gering zu halten.

Deutschland hat für das Tsunami-Frühwarnsystem 51 Millionen Euro bereit gestellt. Nach einer zweijährigen gemeinsamen Betriebsphase soll das System danach ganz in indonesische Hände übergeben werden.

Kernstück des deutschen Tsunami-Frühwarnsystems ist das sogenannte DSS, das Decision Support System, ein Computerprogramm, das verschiedene Messdaten zusammenführt und auf der Grundlage von rund 1.000 im Computer entwickelten Katastrophen-Szenarien das Gefahrenpotential nach einem registrierten Erdbeben darstellt. Jörn Lauterjung, der Projektleiter des an der Entwicklung beteiligten Geoforschungszentrums in Potsdam:

"Dort werden die Messdaten mit den im Computer gespeicherten Daten verglichen, die am besten passende Simulation aus einer Datenbank herausgenommen und zurück ans DSS geliefert. Das DSS stellt dann eine Risikokarte dar und sorgt so dafür, dass aus einzelnen gemessenen Daten ein Gesamtlagebild über die gesamte Küstenlinie erstellt wird, auf dessen Grundlage der Verantwortliche im Tsunami-Warnzentrum seine Entscheidung treffen kann."

Diese Computer-Simulation ist nur ein Teil des gesamten Tsunami-Warnsystems, das in den vergangenen 5 Jahren aufgebaut wurde. Auch Bojen sind im Einsatz, um über GPS-Systeme Wellenveränderungen zu registrieren und an die Zentrale zu melden. Doch immer wieder gibt es technische Probleme, weil Bojen, die entlang der indonesischen Küste vor den Inseln Sumatra und Java ausgesetzt wurden, entweder beschädigt werden oder verschwinden. Wayan Wira Yogantara, ein Ingenieur der indonesischen Technologiebehörde sagte, die Bojen würden immer wieder von Fangnetzen der Fischerboote mitgerissen:

"Die Gegend, in der unsere Bojen installiert wurden, gehört zu den wichtigsten Fanggebieten für Thunfisch. Die Fischer benutzen sehr große Netze, manchmal mit zwei drei Booten auf einmal. Und von diesen Netzen werden die Bojen mitgerissen. Die Fischer wollen ihre Netze retten und schneiden die Bojen dann einfach ab."

Den Fischern fehle offenbar das Bewußtsein für die Bedeutung der Bojen als Teil des Tsunami-Warnsystems, sagt Wayan. Häufig würden die Bojen, von denen jede etwa 200.000 Euro kostet, von lokalen Fischern zum Festmachen der Boote auf hoher See missbraucht und dabei beschädigt:

"Auch bei unseren Bojen passiert das. Bei einer Boje war die Antenne gebrochen, ich glaube ein Schiff hatte unsere Boje gerammt. Viele Fischer benutzen die Bojen, um ihre Boote daran festzumachen, weil sie keine eigenen Anker verwenden wollen."

Doch auch ohne die Bojen sei das deutsche Tsunami-Warnsystem für den Indischen Ozean voll funktionsfähig und in der Lage, die Gefahr eines möglichen Tsunamis zu berechnen, sagt Jörn Behrens vom Alfred-Wegner-Institut in Bremerhaven. Die Bojen und andere Elemente seien nicht unbedingt notwendig:

"Unsere Simulation ist die einzige, die das überall hin kriegt. Wir können im gesamten Indischen Ozean Überflutungen berechnen und bekommen die Ankunftszeiten der Welle und auch Überflutungsdaten in den betroffenen Gebieten. Somit ist das System valididiert und wir vertrauen den Daten sehr stark."

Die über Tausend Katastrophenszenarien, die im sogenannten DSS gespeichert sind, können nicht nur nach einem Erdbeben abgerufen werden, um eine Tsunami-Gefahr zu berechnen. Auch für die Städteplanung in Tsunami gefährdeten Küstenregionen könne das System eingesetzt werden, sagt Reinhold Hüttler vom Geoforschungszentrum Potsdam:

"Wir können bestmögliche Risikokarten erstellen. Aus denen hervorgeht, was passiert, wenn eine Welle kommt, welcher Schaden eintritt, wie viele Menschen möglicherweise betroffen sind. Damit man dann Maßnahmen bis hin zur Stadtplanung umsetzen kann, Evakuierungspläne erstellen kann, um Menschen aus den gefährdeten Regionen in höher gelegene Gebiete zu bringen."

Wenn tatsächlich ein Tsunami kommt, dann sind die letzten Meter die schwierigsten. Gemeint ist das letzte Stück der Alarmierungskette, also die Warnung der Menschen in den betroffenen Küstenregionen: Fischer, Touristen am Strand, Menschen, die in unmittelbarer Nähe der heranrauschenden Wellen leben und arbeiten.

Dies ist hoheitliche Aufgabe der indonesischen Regierung und kann von ausländischen Institutionen nicht übernommen werden. Präsident Susilo Bambang Yudhoyono hat das geologische Institut des Landes angewiesen, innerhalb von 5 Minuten nach einem starken Erdbeben eine Tsunami-Warnung auszugeben. Doch das ist nicht so einfach.

Erdbeben mittlerer Stärke gibt es in Indonesien fast jede Woche. Und fast genauso häufig gibt es Fehlalarm, denn gerade an der indonesischen Küste ist die Vorwarnzeit besonders kurz. Die tektonischen Bruchstellen, an denen sich die Beben ereignen, verlaufen in unmittelbarer Nähe zur Küste. Oft reiche die Zeit nicht, sagt Jörn Behrens vom Alfred Wegener Institut, um nach einem Beben die tatsächliche Tsunami-Gefahr genau abzuschätzen:

"Im Pazifischen Ozean liegen die meisten Erdbeben relevanten Gebiete so weit vor der Küste der USA, dass es manchmal bis zu 6 Stunden Vorwarnzeit gibt. In Japan liegt die Bruchstelle, wo sich Erdbeben ereignen, die Tsunamis auslösen, viel näher an der Küste. Die Japaner sind aber so, dass sie auch nach mehreren Fehlalarmen bei einer Tsunami-Warnung weglaufen. In Indonesien sieht das aus kulturellen Gründen ganz anders aus."

Und dabei steht Indonesien das Schlimmste erst noch bevor. Erdbebenforscher wie der Geologe Kerry Sieh von der Nanyang Technology University in Singapur, erwarten in den nächsten Jahren ein weiteres schweres Beben vor der Küste der Insel Sumatra. Sein Epizentrum werde voraussichtlich in der Nähe von Padang liegen, wo bei einem schweren Erdbeben Ende September rund Tausen Menschen ums Leben gekommen sind.

Kerry Sieh: "Im Bereich der Insel Sumatra befinden wir uns gerade mitten in einer Erdbeben-Sequenz. Die Verschiebungen an der tektonischen Bruchstelle lösen ca. alle 200 Jahre eine Reihe von Erdbeben aus. Aus den geologischen Aufzeichnungen können wir ersehen, dass es dort im späten 13. Jahrhundert eine Erdbebensequenz gab, über mehrere Jahrzehnte hinweg. Im frühen 16. Jahrhundert das Gleiche und danach wieder im 18. Jahrhundert. Als es im Jahr 2004 die schweren Erdbeben vor Sumatra gab, war das für uns eigentlich keine Überraschung. Und jetzt fehlt noch eine Stelle an diesem 2.000 Kilometer langen Abschnitt der tektonischen Bruchstelle, an der es noch kein Beben gegeben hat. Und wenn das kommt, dann kann das eine Stärke von 8,8 haben, vielleicht auch mehr, denn das letzte Beben einer Sequenz ist meist das stärkste. Danach haben wir dann aber wieder für 150 bis 200 Jahre Ruhe in dieser Region."

Für viele Überlebende des Tsunamis vor 5 Jahren ist inzwischen wieder die Normalität in den Alltag zurück gekehrt. So gut es eben geht. Mit finanzieller Hilfe aus Deutschland haben Waisen aus dem thailändischen Ferienort Khao Lak nördlich von Phuket ihre Schulausbildung fortsetzen können.

Die Organisation Hilfe für Khao Lak Tsunamiopfer e.V. unterstützt mit ihrem Paten-Programm etwa 80 thailändische Tsunami-Waisen. Der Gründer des gemeinnützigen Vereins Jürgen Krull hat am 26. Dezember 2004 in Khao Lak Urlaub gemacht und die Katastrophe überlebt. Ohne die Hilfe der Einheimischen wäre er heute nicht mehr am Leben, sagt er. Aus Dankbarkeit habe er die Hilfsorganisation gegründet.

Jürgen Krull: "Den Kindern, die durch den Tsunami zu Waisen oder Halbwaisen wurden, wollen wir das zurückgeben. Damit sie eine Chance haben, zur Schule zu gehen und weiter gut leben zu können."

Die thailändischen Kinder und Jugendlichen, von denen viele beide Eltern verloren haben, erhalten monatlich umgerechnet rund 50 Euro. Ebenso wichtig sei aber auch der persönliche Kontakt zu den Paten in Deutschland sagt die 17-jährige Nilanet Jailak:

"Es ist nicht nur das Geld, das ich bekomme. Ich freue mich jedes Mal, wenn meine Paten aus Deutschland zu Besuch kommen oder wenn ich einen Brief oder eine Postkarte bekomme oder manchmal ein Geschenk."

Inzwischen tummeln sich am Strand von Khao Lak wieder die Urlauber. Die Hotels sind wieder aufgebaut, von den Schäden, die die Riesenwelle damals anrichtete, ist auf den ersten Blick nichts mehr zu sehen.

Wie in jedem Jahr gibt es auch in diesem wieder eine Gedenkfeier für die Opfer des Tsunamis. Nicht nur Touristen nehmen daran teil, sie ist vor allem für die Menschen gedacht, die hier leben und arbeiten. Denn viele von ihnen haben das Trauma, das die Katastrophe damals ausgelöst hat, noch längst nicht überwunden.