Leben ist Beziehung
Vor dem Hintergrund von Umweltkatastrophen und neurowissenschaftlicher Forschungen, die die Verwundbarkeit des Lebens offenbaren, formuliert Frédéric Worms seine Lebenshilosophie: Die Gesamtheit des Wissens überblicken und historisch verorten.
Was ist Leben? Eine Tatsache, ein Sein, ein Werden? Diese Fragen stehen im Zentrum des neuen Buches "Über Leben" des Philosophen Frédéric Worms. Um ihnen nachzugehen, beleuchtet er in sieben kurzen Essays verschiedene Facetten des Vitalen. Zugleich entwickelt er in Auseinandersetzungen mit zeitgenössischen Positionen (mit der US-Amerikanerin Judith Butler, dem Italiener Giorgio Agamben) und hellsichtigen Neu-Lektüren von Klassikern des 20. Jahrhunderts (Bergson, Deleuze, Foucault) einen überzeugenden eigenen Standpunkt.
"Was am Lebenden, den Lebewesen und zwischen Lebewesen irreduzibel erscheint, ist nicht etwa das Leben als gemeinsamer Fixpunkt, sondern eine Reihe von Differenzen und Widerständen, Veränderungen und Beziehungen."
Worms‘ "kritischer Vitalismus" richtet sich damit ebenso gegen einen Lebensbegriff, für den das Leben eine objektiv gegebene Tatsache oder ein metaphysischer Wert ist, wie gegen alle Verabsolutierungen, welche die dem Leben innewohnenden Spannungen nach außerhalb verlagern wolle, beispielsweise jene Spannung zwischen dem Vitalen und dem Sterblichen. Worms verweist zugleich auf die Wissenschaften vom Leben, von der Biologie zur Medizin.
Und er fordert dazu auf (ganz im Sinne Michel Foucaults), die Gesamtheit des Wissens und der Praktiken, etwa den Umgang mit Krankheiten, zu überblicken und historisch zu verorten.
"Was am Lebenden, den Lebewesen und zwischen Lebewesen irreduzibel erscheint, ist nicht etwa das Leben als gemeinsamer Fixpunkt, sondern eine Reihe von Differenzen und Widerständen, Veränderungen und Beziehungen."
Worms‘ "kritischer Vitalismus" richtet sich damit ebenso gegen einen Lebensbegriff, für den das Leben eine objektiv gegebene Tatsache oder ein metaphysischer Wert ist, wie gegen alle Verabsolutierungen, welche die dem Leben innewohnenden Spannungen nach außerhalb verlagern wolle, beispielsweise jene Spannung zwischen dem Vitalen und dem Sterblichen. Worms verweist zugleich auf die Wissenschaften vom Leben, von der Biologie zur Medizin.
Und er fordert dazu auf (ganz im Sinne Michel Foucaults), die Gesamtheit des Wissens und der Praktiken, etwa den Umgang mit Krankheiten, zu überblicken und historisch zu verorten.
Entstehung von Subjektivität
Den vierten Pol seines kritischen Vitalismus nennt Worms ethisch oder politisch. Hier geht es um das Verhältnis von Macht und Kritik an der Macht einerseits; andererseits geht es um Fürsorge und die "Schaffung von Subjekten, Normen, aber auch der natürlichen und menschlichen, kosmischen und politischen Welt". Das ist viel. Doch es funktioniert. Worms' Ansatz ist von genialer Einfachheit: Alles Leben ist Beziehung.
Hierin sind alle Spannungen geborgen, alle Machtverhältnisse und nicht zuletzt die Entstehung von Subjektivität, die in der Beziehung des Kindes zu seiner Mutter den Anfang nimmt. Es gelingt Worms damit, die Sinnlosigkeit des Lebens an sich und die absolute Sinnhaftigkeit des Lebens jedes einzelnen zusammenzudenken.
"Der Sinn des Lebens meint zunächst die wiederum lebendige Norm dieser Beziehungen in ihrer Mischung aus Einheit und Trennung, Individuation und Unterscheidbarkeit."
Dieses Lebensgeflecht ist auch der Schnittpunkt von Fürsorge und Politik. Fürsorgebeziehungen formen entweder offene oder der Welt verschlossene Subjekte. Ihnen wohnt eine doppelte Asymmetrie inne: die Macht des Helfers über den Hilflosen und zugleich seine Hingabe an ihn. Für gelingende Fürsorge, in der man sich um den anderen "wie um das Selbst" kümmert, sind Freiheit und Gleichheit deshalb unabdingbar und zugleich "so fragil wie unsere Körper".
Aufgabe der Politik ist es daher auch, Fürsorge für das Gelingen unserer Fürsorgebeziehungen zu tragen. Zugleich "gibt es keine Politik der Fürsorge ohne Sorge um die Politik, das heißt um die politischen Prinzipien der Demokratie".
Worms kritischer Vitalismus ist so relevant wie aktuell. Doch vor allem eröffnet er einen Horizont der "Solidarität und Brüderlichkeit", der durch immer wieder neue Beziehungen zwischen Menschen oder zur Welt immer wieder neue Sinnerfahrungen ermöglicht.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Hierin sind alle Spannungen geborgen, alle Machtverhältnisse und nicht zuletzt die Entstehung von Subjektivität, die in der Beziehung des Kindes zu seiner Mutter den Anfang nimmt. Es gelingt Worms damit, die Sinnlosigkeit des Lebens an sich und die absolute Sinnhaftigkeit des Lebens jedes einzelnen zusammenzudenken.
"Der Sinn des Lebens meint zunächst die wiederum lebendige Norm dieser Beziehungen in ihrer Mischung aus Einheit und Trennung, Individuation und Unterscheidbarkeit."
Dieses Lebensgeflecht ist auch der Schnittpunkt von Fürsorge und Politik. Fürsorgebeziehungen formen entweder offene oder der Welt verschlossene Subjekte. Ihnen wohnt eine doppelte Asymmetrie inne: die Macht des Helfers über den Hilflosen und zugleich seine Hingabe an ihn. Für gelingende Fürsorge, in der man sich um den anderen "wie um das Selbst" kümmert, sind Freiheit und Gleichheit deshalb unabdingbar und zugleich "so fragil wie unsere Körper".
Aufgabe der Politik ist es daher auch, Fürsorge für das Gelingen unserer Fürsorgebeziehungen zu tragen. Zugleich "gibt es keine Politik der Fürsorge ohne Sorge um die Politik, das heißt um die politischen Prinzipien der Demokratie".
Worms kritischer Vitalismus ist so relevant wie aktuell. Doch vor allem eröffnet er einen Horizont der "Solidarität und Brüderlichkeit", der durch immer wieder neue Beziehungen zwischen Menschen oder zur Welt immer wieder neue Sinnerfahrungen ermöglicht.
Besprochen von Ariadne von Schirach
Frédéric Worms: Über Leben
Merve, Berlin April 2013
165 Seiten, 16,00 Euro
Merve, Berlin April 2013
165 Seiten, 16,00 Euro