Leben in der Zwangsehe

Die heute 47-jährige Tunesierin Esma Abdelhamid wurde von ihrem Vater gegen ihren Willen verheiratet. Ihr Mann brachte sie nach der Hochzeit nach Hamburg, wo er eine Arbeit hatte. Dort erlebte sie zwölf traumatische Jahre. In dem Buch "Löwenmutter" schildert Esma Abdelhamid ihr Leben in der Zwangsehe.
Männer befehlen, Frauen gehorchen - das lernt die Tunesierin Esma Abdelhamid schon in ihrer Kindheit. In ihrem Buch "Löwenmutter" erzählt sie davon, wir ihr Vater, ein Polizist, die absolute Herrschaft in der Familie ausübte: Frau und Kinder müssen sich ducken, außer schweigendem Gehorsam waren die meisten Lebensäußerungen verboten, jedem Ungehorsam folgten harte Strafen. Esma wird zwar zur Schule geschickt, lernt dort aber weder lesen noch schreiben. Und dann wird sie verheiratet, mit 19 Jahren: an einen Mann, den niemand in der Familie kennt und der es nicht für nötig hält, sich ihr vorzustellen, als er beim Vater um ihre Hand anhält.

Ein Kuhhandel findet statt, den Vater beeindruckt der deutsche Arbeitsplatz des Mannes, Esmas Gefühle interessieren nicht. Die Hochzeitsnacht: eine Peinlichkeit unter den Augen der Verwandtschaft. Die Ankunft in Deutschland: der Beginn einer zwölfjährigen Totalisolation in einer Hamburger Wohnung, dem Zorn, der Ungeduld, der zunehmenden, rohen Gewalt ihres Ehemannes Abdullah ausgesetzt. Als Analphabetin wäre sie auch gar nicht in der Lage gewesen, sich in der fremden Stadt zu orientieren, einen Bus zu benutzen oder einkaufen zu gehen. Nicht einmal auf die Toilette im Treppenhaus wagt sie zu gehen, ohne sich zu vergewissern, dass sie niemandem begegnet. Kein Mensch kennt sie, weiß von ihr. So bringt sie drei Kinder zur Welt - eine Gefangene.

Dennoch: Esma Abdelhamid weiß, dass sie anderes verdient hat, ihr Geist bleibt ungebrochen. Schon als Kind spürte sie die instinktive Sehnsucht aller Kinder nach Geborgenheit, Zuwendung, Liebe. Heimlich schlich sie nachts ins Schlafzimmer der Eltern, kroch unbemerkt unter die Bettdecke und holte sich die Wärme, die ihr tagsüber vorenthalten wurde. Dieser Instinkt bleibt ihr treu: Auch wenn Esma Abdelhamid jahrelang schweigt, leidet, sich unterordnet: Sie weiß sehr genau, dass sie eine solche Behandlung nicht verdient hat. Woran es ihr fehlt, sind die Mittel und Wege, ihrer Situation zu entkommen.

Eines Tages entscheidet sich Abdullah, die Kinder zurück nach Tunesien zu bringen. Esma lässt er ohne Geld und Papiere in der Fremde zurück. Und nun gibt die junge Frau ihrem Leben die entscheidende Wende: Sie zieht in ein Frauenhaus, lässt sich therapeutisch unterstützen und kann in einem jahrelangen Prozess vor einem tunesischen Gericht sogar das Sorgerecht für ihre Kinder erstreiten. Endlich lernt sie auch lesen und schreiben - und reicht bei einem Volkshochschul-Wettbewerb eine kurze autobiografische Erzählung über ihr Leben ein.

Eines der Jury-Mitglieder fühlt sich von Esma Abdelhamids Geschichte tief berührt: Es ist die Journalistin Marianne Moesle, Jahrgang 1960 wie die Tunesierin. Sie schreibt für "Die Zeit", "Geo", "Chrismon", "Stern-Biographie" und die Zeitschrift "Brigitte" und fragt Esma Abdelhamid, ob sie sich vorstellen könne, gemeinsam ein Buch über ihr Leben zu schreiben. Esma Abdelhamid öffnet sich und erzählt, Marianne Moesle hört zu, stellt Fragen, besucht die Lebensstationen der Tunesierin und fügt all das zu dem packend erzählten Roman "Löwenmutter" zusammen.

"Löwenmutter" entstand vor dem Hintergrund einer interkulturellen Begegnung und ist Dokument einer langwierigen und - so erklärt Marianne Moesle im Nachwort - teils auch schwierigen und Konflikt beladenen Annäherung zwischen den beiden Frauen. Brücken schlagen zwischen Kulturen, das geht eben nicht im Hauruck-Verfahren, sondern erfordert eine hohe Bereitschaft, sich einzufühlen und zu lernen, wie Menschen anderer Kulturen ihr Leben begreifen und ihre sozialen Beziehungen organisieren. Und so ist dem Buch vor allem eines zu wünschen: dass es nicht allzu sehr in die Argumentationskanäle der gröbsten Formen von Ausländerfeindlichkeit gerät, wo man das Schicksal zwangsverheirateter Frauen zwar anklagt, aber den Geldhahn zugedreht sehen möchte, wenn es um die Unterstützung von Frauenhäusern, Begegnungsstätten oder Sprachkursen geht.

Rezensiert von Susanne Billig

Esma Abdelhamid, Löwenmutter,
Krüger Verlag, Frankfurt
320 S., Euro 17,90