Leben im Irak

09.10.2006
Man versteht nicht, was im Irak passiert. Und wie leben die Menschen dort, - wie können sie dort leben? Diese Frage will ein Buch beantworten, das gerade erschienen ist, geschrieben von Susanne Fischer, einer deutschen Journalistin, die 2003 in den Irak ging und bis heute dort arbeitet.
So schrecklich es ist, aber scheinen wir nicht langsam abzustumpfen, angesichts jener Bilder vom alltäglichen Massaker im Irak? Man versteht nicht, was dort passiert; wie leben die Menschen dort, - wie können sie dort leben?

Diese Frage will ein Buch beantworten, das gerade erschienen ist, geschrieben von Susanne Fischer, einer deutschen Journalistin, die 2003 in den Irak ging und bis heute dort arbeitet. In den letzten zwei Jahren leitete sie eine internationale Schule im Irak, die junge Irakerinnen und Iraker zu Journalisten ausbildet. Über diese Zeit berichtet sie in ihrem Buch: "Meine Frauen-WG im Irak oder Die Villa am Rande des Wahnsinns."

Als die Autorin vor zwei Jahren in diese WG einzog, lebten dort schon vier andere Journalistinnen, zwei aus den USA, eine Australierin und eine Irakerin. Gemeinsam arbeiteten sie als Lehrerinnen einer Journalisten-Schule im Irak, die von einer internationalen Stiftung betrieben wird, dem "Institute of war & peace reporting", das in London sitzt. Vor einem Jahr wurde Susanne Fischer zur Direktorin dieser Schule, und sie ist es auch noch im Moment bis Ende dieses Jahres.

Heute als Journalistin in Bagdad zu arbeiten ist ein Harakiri-Job. Susanne Fischers Journalistenschule aber befindet sich im Nordirak, im so genanten Kurdistan. Während im Süden und in der Mitte Schiiten und Sunniten mittlerweile einen Bürgerkrieg gegeneinander führen - von da kommen die Bilder, die wir im Fernsehen sehen-, wird der Norden von der dritten Volksgruppe, von den Kurden bewohnt, die militärisch so stark sind, dass sie die Region fast ausnahmslos vor Terror-Aktionen von außen schützen können; dort kann man aus dem Haus gehen, mit dem Auto irgendwo hinfahren, ohne permanent Angst haben zu müssen.

Die Schule bildet in 4-6-wöchigen Kursen junge Irakerinnen und Iraker zu Journalisten aus: wie schreibe ich einen Artikel, wie mache ich eine Radiosendung? Die Schüler kommen übrigens nicht nur aus Kurdistan sondern aus dem ganzen Irak, bringen also ihre Bürgerkriegserlebnisse mit und gehen auch wieder für diese Reportagen in die Terror-Gebiete zurück, wo ihre Familien leben. Diese Schule ist also eine Enklave der Ruhe, der Toleranz, des Friedens, da kocht in der WG ein muslimischer, irakischer Dolmetscher mit der jüdischen Lehrerin aus New York gemeinsam muslimisch-jüdisch-koscheres Essen. Das funktioniert. Hat aber der Dolmetscher Emad Küchendienst, gibt es keinen Salat, denn Emad gehört der yesidischen Zarathustra-Religion an, und in der wohnt der Teufel im Salat - warum weiß nur der Teufel. Komisches, Rührendes und Entsetzliches liegen nah beieinander.

Das Buch ist erschütternd und spannend wie ein Krimi, und dieser Sog entsteht, weil die Autorin sich nicht scheut, ganz privat, ganz persönlich zu schreiben, sich preiszugeben, was in Deutschland sonst eher selten ist, - Susanne Fischer ist eine erfrischende Ausnahme.

Das ist ein Buch für Jedermann, unabhängig von Bildungsstand, von Geschlecht, von Religion: auch ein Muslim wird es mit Respekt und fasziniert lesen. Da steckt sehr viel Menschenliebe und sehr viel schriftstellerisches Können in diesem Buch, - mit einem Wort: es ist das perfekte Sachbuch zu einem sehr tragischen Thema, und es ist ein unverzichtbares Zeitdokument.

Rezensiert von Lutz Bunk

Susanne Fischer:
Meine Frauen-WG im Irak oder Die Villa am Rande des Wahnsinns

Malik Verlag 2006,
249 Seiten, 17,90 Euro.