Leben auf Pump
Die Verführungen für Konsumenten sind groß: Bunte Kataloge locken mit Angeboten, Auto- und Möbelfirmen mit Rabatten - gezahlt wird später. Notfalls bieten Banken vermeintlich unproblematische Hilfe und Kredite an. Kredit- oder EC-Karten ermöglichen, mehr Geld auszugeben als auf dem Konto verfügbar ist. Und eh’ man sich versieht, ist man in den "Miesen".
Drei bis vier Millionen Haushalte in Deutschland sind überschuldet, durchschnittlich mit 36.000 Euro. Die Hauptgläubiger sind Banken, rund 60 Prozent der Schulden sind rückständige Kredite. So das Ergebnis des aktuellen Schuldenreports der großen Wohlfahrtsverbände.
Frank Wiedenhaupt kennt die Lebensgeschichten hinter den Statistiken. Der gelernte Kaufmann arbeitet seit zehn Jahren als Schuldnerberater beim "Arbeitskreis Neue Armut" in Berlin-Neukölln. Der Bezirk steht im Bundesvergleich "ganz tief unten im Schuldenranking. Wir haben hier mehr ALG II-Bezieher als München". Dazu eine hohe Rate von Analphabeten, Familien, die über Generationen eine "Schuldner-Dynastie" aufgebaut haben. Zu seinen Klienten gehören aber auch viele Selbstständige, Rechtsanwälte, Ärzte, Künstler. Die Gründe, in die Verschuldung abzurutschen, seien vielschichtig.
"Das Gros der Menschen hat das Problem, dass sie sich langfristig finanziell binden: Mietverträge, Strom, Gas, Telekom über 24 Monate, dazu Handy, Internet. Das sind alles Einzelposten, aber da kommt was zusammen. Dazu kommen diverse Versicherungen, meist auch mit Laufzeiten von 24 Monaten bis 5 Jahren, Ratenkredite, Dispo, hinterhältige Kreditkarten-Bedingungen, dann die berühmte Mediamarkt-Null-Prozent-Finanzierung, Anforderungen von Versandhäusern, Autofinanzierung… Entweder kommen die Leute, weil sie komplett den Überblick verloren haben. Oder es passiert durch Arbeitslosigkeit, weil der Partner stirbt, durch Trennung. Aber die Hauptursache sind die vielen langfristigen Verbindlichkeiten, die Leute sind nicht mehr flexibel."
Aus Hunderten würden schnell Tausende Euro - die Schuldenspirale beginne sich zu drehen. Dazu Mahngebühren, Rechtsanwalts- und Gerichtskosten – ohne Hilfe kämen die meisten Betroffenen nicht aus der Misere.
Immer häufiger berät Frank Wiedenhaupt auch Jugendliche – Hauptgrund hier:
"Alles rund ums Handy: Das Handy selbst, oft sind es mehrere Handys, dass der Kumpel fragt oder der kleine Bruder, ob er ein Handy für ihn kaufen kann. Dann kaufen sie diese Null-Euro-Handys, um sie weiter zu verkaufen. Dann alles rund um Klingeltöne, die SMS-Falle. Dann das Schwarzfahren oder der erste Mietvertrag. Die meisten wissen noch nicht einmal, dass sie Gas und Strom extra bezahlen müssen. Und was wir immer mehr erleben ist, dass Kinder als Stroh-Vertragspartner für Vertragsabschlüsse der Erwachsenen missbraucht werden."
Um dieser Verschuldung so früh wie möglich vorzubeugen, gehen seine Mitarbeiter in Schulen, um den Kindern den Umgang mit Geld beizubringen: "Wie schließe ich Verträge ab? Was kostet ein Haushalt? Sind 100 Frei-SMS wirklich kostenfrei?"
Diesen Ansatz – schon Schülern Kompetenz in Geldfragen zu vermitteln – verfolgt auch Prof. Dr. Michael-Burkhard Piorkowsky. Der Professor für Haushalts- und Konsumökonomik an der Universität Bonn hat Modellprojekte für Schulen entwickelt:
"In dem Planspiel ‚Unser Dorf’ lernen Grundschulkinder, wie sie mit Ressourcen umgehen sollen. Es wird ein Dorf geplant und sie haben nur begrenzte Ressourcen, Flächen und müssen schauen, wie sie die verteilen. Muss jedes Dorf einen Flugplatz haben, Kindergärten, Feuerwehr? Das sind Entscheidungen, die jedes Kind treffen muss. Durch diese Mikroebene lernen sie die Markoebene – und das begreifen sie perfekt. Es wird gehandelt, sie müssen Kompromisse schließen, einander überzeugen. Sie lernen, dass normale Unternehmen keine Riesenfirmen sind, sondern von Menschen wie du und ich geführt werden. Sie lernen kennen, was Verbände sind, daran erklären wir Fachbegriffe. Und wir erklären ihnen, dass Wirtschaft nicht nur da ist, wo Geld fließt, sondern auch da, wo Bedürfnisse befriedigt werden und dass das mit Verbrauch verbunden ist."
Die Idee dahinter:
"Ihnen zu zeigen, dass nicht alle Wünsche unbedingt erfüllt werden können, dass Mittel beschränkt sind, dass Arbeitszeit beschränkt ist. Das Entscheidende ist, dass man Grenzen erkennt und dadurch ein Gefühl dafür bekommt, wie kann ich mein Leben gestalten? Kaufe ich einfach und nehme dafür einen Kredit auf?"
Seine Überzeugung:
"Man könnte Quantensprünge erreichen, wenn mehr in das Bildungssystem investiert würde. Wir können nicht erwarten, dass Menschen, die nicht gut ausgebildet sind, sich klug verhalten."
"Leben auf Pump - Wie kommen wir raus aus der Schuldenfalle?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute gemeinsam mit dem Ökonomen Michael-Burkhard Piorkowsky und dem Schuldnerberater Frank Wiedenhaupt. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
über Prof. Dr. Michael-Burkhard Piorkowsky
über Frank Wiedenhaupt und den Arbeitskreis Neue Armut
Frank Wiedenhaupt kennt die Lebensgeschichten hinter den Statistiken. Der gelernte Kaufmann arbeitet seit zehn Jahren als Schuldnerberater beim "Arbeitskreis Neue Armut" in Berlin-Neukölln. Der Bezirk steht im Bundesvergleich "ganz tief unten im Schuldenranking. Wir haben hier mehr ALG II-Bezieher als München". Dazu eine hohe Rate von Analphabeten, Familien, die über Generationen eine "Schuldner-Dynastie" aufgebaut haben. Zu seinen Klienten gehören aber auch viele Selbstständige, Rechtsanwälte, Ärzte, Künstler. Die Gründe, in die Verschuldung abzurutschen, seien vielschichtig.
"Das Gros der Menschen hat das Problem, dass sie sich langfristig finanziell binden: Mietverträge, Strom, Gas, Telekom über 24 Monate, dazu Handy, Internet. Das sind alles Einzelposten, aber da kommt was zusammen. Dazu kommen diverse Versicherungen, meist auch mit Laufzeiten von 24 Monaten bis 5 Jahren, Ratenkredite, Dispo, hinterhältige Kreditkarten-Bedingungen, dann die berühmte Mediamarkt-Null-Prozent-Finanzierung, Anforderungen von Versandhäusern, Autofinanzierung… Entweder kommen die Leute, weil sie komplett den Überblick verloren haben. Oder es passiert durch Arbeitslosigkeit, weil der Partner stirbt, durch Trennung. Aber die Hauptursache sind die vielen langfristigen Verbindlichkeiten, die Leute sind nicht mehr flexibel."
Aus Hunderten würden schnell Tausende Euro - die Schuldenspirale beginne sich zu drehen. Dazu Mahngebühren, Rechtsanwalts- und Gerichtskosten – ohne Hilfe kämen die meisten Betroffenen nicht aus der Misere.
Immer häufiger berät Frank Wiedenhaupt auch Jugendliche – Hauptgrund hier:
"Alles rund ums Handy: Das Handy selbst, oft sind es mehrere Handys, dass der Kumpel fragt oder der kleine Bruder, ob er ein Handy für ihn kaufen kann. Dann kaufen sie diese Null-Euro-Handys, um sie weiter zu verkaufen. Dann alles rund um Klingeltöne, die SMS-Falle. Dann das Schwarzfahren oder der erste Mietvertrag. Die meisten wissen noch nicht einmal, dass sie Gas und Strom extra bezahlen müssen. Und was wir immer mehr erleben ist, dass Kinder als Stroh-Vertragspartner für Vertragsabschlüsse der Erwachsenen missbraucht werden."
Um dieser Verschuldung so früh wie möglich vorzubeugen, gehen seine Mitarbeiter in Schulen, um den Kindern den Umgang mit Geld beizubringen: "Wie schließe ich Verträge ab? Was kostet ein Haushalt? Sind 100 Frei-SMS wirklich kostenfrei?"
Diesen Ansatz – schon Schülern Kompetenz in Geldfragen zu vermitteln – verfolgt auch Prof. Dr. Michael-Burkhard Piorkowsky. Der Professor für Haushalts- und Konsumökonomik an der Universität Bonn hat Modellprojekte für Schulen entwickelt:
"In dem Planspiel ‚Unser Dorf’ lernen Grundschulkinder, wie sie mit Ressourcen umgehen sollen. Es wird ein Dorf geplant und sie haben nur begrenzte Ressourcen, Flächen und müssen schauen, wie sie die verteilen. Muss jedes Dorf einen Flugplatz haben, Kindergärten, Feuerwehr? Das sind Entscheidungen, die jedes Kind treffen muss. Durch diese Mikroebene lernen sie die Markoebene – und das begreifen sie perfekt. Es wird gehandelt, sie müssen Kompromisse schließen, einander überzeugen. Sie lernen, dass normale Unternehmen keine Riesenfirmen sind, sondern von Menschen wie du und ich geführt werden. Sie lernen kennen, was Verbände sind, daran erklären wir Fachbegriffe. Und wir erklären ihnen, dass Wirtschaft nicht nur da ist, wo Geld fließt, sondern auch da, wo Bedürfnisse befriedigt werden und dass das mit Verbrauch verbunden ist."
Die Idee dahinter:
"Ihnen zu zeigen, dass nicht alle Wünsche unbedingt erfüllt werden können, dass Mittel beschränkt sind, dass Arbeitszeit beschränkt ist. Das Entscheidende ist, dass man Grenzen erkennt und dadurch ein Gefühl dafür bekommt, wie kann ich mein Leben gestalten? Kaufe ich einfach und nehme dafür einen Kredit auf?"
Seine Überzeugung:
"Man könnte Quantensprünge erreichen, wenn mehr in das Bildungssystem investiert würde. Wir können nicht erwarten, dass Menschen, die nicht gut ausgebildet sind, sich klug verhalten."
"Leben auf Pump - Wie kommen wir raus aus der Schuldenfalle?" Darüber diskutiert Dieter Kassel heute gemeinsam mit dem Ökonomen Michael-Burkhard Piorkowsky und dem Schuldnerberater Frank Wiedenhaupt. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800-22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen im Internet:
über Prof. Dr. Michael-Burkhard Piorkowsky
über Frank Wiedenhaupt und den Arbeitskreis Neue Armut