Lea Rosh über das gestoppte Mauerprojekt DAU

Hohenschönhausen zeigt genauso gut, was Diktatur ist

Kirsten Niehuus (Geschäftsführerin Medienboard Berlin-Brandenburg), Jürgen Jürges (Kameramann), Nina Pohl (Kuratorin Schinkel Pavillon), Thomas Oberender (Intendant Berliner Festspiele), Susanne Marian (Phenomen Films) und Tom Tykwer (Regisseur) kommen zur Vorstellung des Mauer- und Kunstprojekts "DAU Freiheit". Bei dem Projekt sollte vom 12. Oktober bis 9. November 2018 ein ganzes Straßenviertel am Boulevard Unter den Linden mit einer rekonstruierten Berliner Mauer abgesperrt werden.
Befürworter des DAU-Projektes aus der Kultur- und Medienszene: Kirsten Niehuus Jürgen Jürges, Nina Pohl, Thomas Oberender, Susanne Marian und Tom Tykwer (von links). © picture alliance/Jörg Carstensen/dpa
Lea Rosh im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 21.09.2018
In Berlin wollten Künstler die Mauer in Teilen wieder errichten. Wegen Sicherheitsbedenken wurde dies nicht genehmigt. Die Journalistin Lea Rosh meint, eine Auseinandersetzung mit der Diktatur solle ohnehin besser an echten historischen Orten stattfinden.
Stephan Karkowsky: Jemand hatte die Absicht, eine Mauer zu errichten. Mitten in Berlin, doch daraus wird nun wohl doch nichts. Das umstrittene Kunstprojekt "DAU Freiheit" mit dem Nachbau der Berliner Mauer muss abgesagt werden. Die Veranstalter bekommen offenbar keine Genehmigung.
Verkehrssenatorin Regine Günther und Bezirksstadträtin Sabine Weißler wollen die Entscheidung in etwa einer halben Stunde offiziell bekanntgeben – das berichtet die Deutsche Presseagentur. Im Vorfeld bereits war die Kritik groß. Wir brauchen keine Mauer, so hieß es etwa in einem offenen Brief, den auch Lea Rosh unterschrieben hat, Journalistin und Mitinitiatorin des Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden Europas. Frau Rosh, guten Morgen!
Lea Rosh: Guten Morgen!
Karkowsky: Sind Sie froh jetzt?
Rosh: Na ja, froh, also, erleichtert, sagen wir mal so.
Karkowsky: Die Entscheidung, das Projekt abzusagen, wird wahrscheinlich mit formellen Gründen begründet werden, da geht es um Brandschutz und ähnliche Geschichten. Wäre es Ihnen lieber gewesen, wenn die Ablehnung gekommen wäre mit einer inhaltlichen Begründung?
Rosh: Na ja, aber das ist ja so, wissen Sie, da haben sich ja einige aus dem Fenster gehängt und haben das als Weltereignis bezeichnet. Und das dann inhaltlich abzulehnen ist schwieriger, als wenn man sich darauf herausredet, wie es jetzt offenbar geschehen ist.

"Wir hatten zweimal eine Diktatur"

Karkowsky: Worauf beruhte denn Ihre Kritik an diesem Projekt, was haben Sie gesagt, geht gar nicht dabei?
Rosh: Also, auch im Nachhinein, noch mal mit Nachdenken, ich habe ja heute früh die Nachrichten gehört, dass es abgesagt wurde. Es geht um die, die die Mauer erlebt haben. Mir haben viele Leute geschrieben, Emails, ich habe Anrufe bekommen, einer schrieb, ich bin 1974 aus dem Osten geflohen, ihr sprecht mir aus dem Herzen mit eurer Anzeige. Dann hat mir jemand geschrieben, auch einer, der aus der ehemaligen DDR dann in den Westen gegangen ist, das Volk der dummen Lümmel – Heinrich Heine – soll also gefälligst endlich kapieren, wie es ist, wenn Menschen im Meer des Friedens ertrinken, alte Damen aus einem Dachgeschoss auf das Berliner Pflaster hopsen, sehr ulkig, aber tödlich, oder Vaterlandsflüchtige nach bewährter deutscher Tradition auf der Flucht erschossen werden.
Karkowsky: Nun sieht man ja Nachbauten der Mauer immer mal wieder, auch in der Filmstadt Potsdam Babelsberg wird sie immer mal wieder aufgebaut für Filme. Wo war denn hier der Unterschied aus Ihrer Sicht?
Rosh: Das ist nun ein Unterschied, ob man einen Spielfilm dreht und der einen Inhalt hat, oder ob, wie das hier der Fall war, man erfahren soll, was Diktatur und Totalitarismus ist, also, und Unfreiheit. Wissen Sie, das haben wir gelernt, was das ist, und das haben wir am eigenen Leibe gespürt, wir hatten zweimal eine Diktatur hier, also man braucht uns doch nicht vorzuspielen, wie es ist, wenn man in Unfreiheit lebt.

Hohenschönhausen hinterlässt bis heute Spuren

Und mir hat jemand, der in Hohenschönhausen einsaß lange, gesagt, er ist mit seinen Depressionen immer noch nicht zu Ende. Er ist immer noch krank an Depressionen und er wird und wird damit nicht fertig, obwohl er in Behandlung ist. Also das muss man doch ernst nehmen, zur Kenntnis nehmen und kann sich nicht darüber hinwegsetzen. Wir haben gesagt, das ist kein Eventspielzeug, eine solche Mauer. Und wissen Sie, das Ulkige ist daran, in Paris und in London soll das ohne Mauer stattfinden. Warum müssen wir dann in Berlin, die wir eine Mauer hatten, eine Mauer kriegen?
Eine Familie hinter Stacheldraht, bewacht von Volkspolizisten der DDR während der Zwangsräumung von Häusern in der Bernauer Straße in Berlin, 1961. Direkt an der Bernauer Straße verlief die Grenze zwischen West- und Ostberlin.
Eine Familie hinter Stacheldraht, bewacht von Volkspolizisten der DDR während der Zwangsräumung von Häusern in der Bernauer Straße in Berlin, 1961. Direkt an der Bernauer Straße verlief die Grenze zwischen West- und Ostberlin.© picture-alliance / dpa
Karkowsky: Nun stehen in Berlin ja noch Reste der alten Mauer, die sind eine Riesenattraktion für den Tourismus, viele kommen hin und fotografieren sich davor. Wohliges Gruseln wird das dann genannt. Ist das ein Unterschied, ob die alte Mauer hier steht oder ob eine neue für eine bestimmte Zeit aufgebaut wird?
Rosh: Ja, ich finde ja. Und Unter den Linden, wo das ja gebaut werden soll, wissen Sie, da ist Verkehr, da ist Tourismus, das ist alles dann eingeschränkt. Und ich wiederhole mich jetzt: Wenn man das in Paris und in London ohne Mauer machen kann, dann sollen sie es doch in Berlin auch ohne Mauer machen.
Karkowsky: Die Befürworter dieses Projekts haben ja gesagt, diese Mauer sei nicht einfach eine platte Nachahmung des Originals, sondern sie steht als Symbol, als Metapher für eine auch gegenwärtige, reale Gefahr, also zum Beispiel Lars Eidinger hat das gesagt, Iris Berben, Tom Schilling, Veronika Ferres, alles Schauspieler, die sich eingesetzt haben für das Projekt. Würden Sie denen Geschichtsblindheit vorwerfen?
Rosh: Nee, aber uns ja nun auch nicht, oder? Wir haben ja nun auch bekannte Leute dabei, die ehemalige Bildungssenatorin, Volkholz, der Literaturhistoriker Wiedemann, der Verleger Klaus Sauer, der Kunstmäzen Moegelin oder die Direktorin der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Anna Kaminsky, ist dabei, Marianne Birthler, der Historiker Kallen, Barbara Schnitzler, also, da kann ich auch aufzählen.

Viele Befürworter haben einen Rückzieher gemacht

Karkowsky: Nun steht ja auch der Springer-Verlag offenbar hinter diesem Projekt, da hat der Springer-Vorstandschef Matthias Döpfner gesagt, er unterstütze das Projekt, Zitat, "Ich freue mich auf DAU, großartig und größenwahnsinnig, verstörend und bewusstseinsschärfend bohrt es in den Wunden des Kalten Krieges. Ich hoffe, dass es nicht an den Mauern der Bedenkenträger zerschellt", Zitat Ende. Damit waren ja auch Sie gemeint, lassen Sie die Bedenkenträgerin auf sich sitzen?
Rosh: Na ja, also was soll ich denn dazu sagen, also ich könnte Herrn Döpfner antworten, wozu denn? Die Sache ist gekippt und ich habe gesagt vorhin, das sind formale Dinge, die jetzt hier angeführt werden, aber eines war doch klar, dass auch einige von denen, die es so hoch gelobt haben am Anfang, dann langsam den Rückzieher gemacht haben.
Und wissen Sie, das Argument, junge Leute, die da reingegangen wären – was ja noch offen ist, ob sie reingegangen wären –, die würden dann lernen, was Diktatur ist, weil sie das nicht mehr erfahren haben. Da kann ich nur sagen, sollen sie doch nach Hohenschönhausen gehen. Da nenne ich Ihnen jemand, der da selber gesessen, jemand, der in meinem Vorstand ist vom Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden, der hat da gesessen ein paar Jahre, der kann eine Führung machen – da können junge Leute wirklich direkt sehen, was es real heißt und nicht in so einer nachgebauten Attrappe.
Karkowsky: Der Super-DAU wird abgesagt, Lea Roth hat sich dagegen eingesetzt und gewonnen, die Journalistin und Mitinitiatorin des Berliner Mahnmals für die ermordeten Juden Europas war bei uns live am Telefon. Frau Roth, herzlichen Dank und Ihnen noch einen schönen Tag!
Rosh: Ich wünsche Ihnen auch einen guten Tag!
Karkowsky: Danke!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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