Le Concert Lorrain mit europäischer Barockmusik

Barockmusik aus Industriedenkmal

Hinter einer Blumenwiese auf dem Gelände des Weltkulturerbes Völklinger Hütte zeigt sich ein voluminöser Industriebau.
Der Industrielandschaftsgarten in Völklingen ist heute ein kulturelles Zentrum. © picture alliance / dpa | Oliver Dietze
Moderation: Holger Hettinger · 07.03.2021
In diesem Konzert treffen verspielte Barockklänge von Händel, Bach und Boismortier auf Industriemauern, denn das Ensemble "Le Concert Lorrain" spielt in einem saarländischen Industrie-Weltkulturerbe, in der Erzhalle der "Völklinger Hütte".
Unser Konzertabend kommt heute aus dem Saarland, aus Völklingen, einer Industriestadt an einem sanft geschwungenen Bogen der Saar. Die Silhouette von Völklingen wird von einer mächtigen Eisenhütte bestimmt, die direkt am Bahnhof aufragt wie ein riesiges Wesen aus Stahl und Stein: sechs Hochöfen stehen hier dicht
gestaffelt, daneben eine riesige Gebläsehalle, die "Lungen" der Hochöfen, ein Gasometer und ein Kühlturm.
Zwei Männer und zwei Frauen stehen eng beieinander vor einer Industriekulisse mit Schornsteinen und dicken Rohrleitungen.
Ein gemeinsames Konzert nach dem Test: Lorena Padrón Ortiz (Violine), Jesús Merino Ruiz (Violine), Anne-Catherine Bucher (Cembalo) und Stephan Schultz (Violoncello) sind Mitglieder von Le Concert Lorrain.© Le Concert Lorrain / Lorena Padrón Ortiz
1986 wurde die Völklinger Hütte stillgelegt, 1994 wurde die Roheisenerzeugung in Völklingen zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt. Die Völklinger Hütte ist heute ein Industriedenkmal, das belebt und bespielt wird mit Ausstellungen, Veranstaltungen und Konzerten. Der Generaldirektor Ralf Beil wird im Laufe der Sendung mehr Auskunft über den Komplex geben. Das Konzert fand in der Erzhalle der Völklinger Hütte statt.

Barock aus der Gegend

Fährt man von hier aus rund 70 Kilometer nach Westen, erreicht man Thionville in Lothringen - einer Stadt, die mit Völklingen die Geschichte als Industriestandort teilt: aus Thionville kam das Eisenerz, das auch in den Eisenhütten des Saarbeckens verarbeitet wurde. Thionville ist auch die Heimat des Komponisten Joseph Bodin de Boismortier - ein Zeitgenosse von Händel, Jahrgang 1689.

Freelancer statt Hofanstellung

Boismortier gelang im Paris der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Karriere als überaus produktiver Komponist - eine Seltenheit, denn die wenigsten Komponisten konnten ohne mehr oder weniger feste Anbindung an höfische Musikaktivitäten existieren.
Als "Freischaffender" auf den Zuspruch seines Publikums angewiesen, das er mit melodienseligen und effektvollen "Airs" und Duetten fütterte. Man tut Boismortier Unrecht, wenn man ihn als musikalisches Leichtgewicht abtut. Im Gegenteil. Boismortier war ein sehr informierter, geschmackssicherer Komponist, der französische Feierlichkeit, die strengen Kompositionsprinzipen des deutschen Barock und den gesanglichen Einfluss aus Italien zu einer effektvollen Mischung zusammenbringen konnte.

Französische Vorbilder bei Bach

Solistisch geht es weiter hier in unserem Programm: die sechs Cellosuiten von Johann Sebastian Bach sind mehr als eine Werkgruppe - sie sind Kulminationspunkte ihrer Gattung, sie sind ein Fundus für das, was auf dem Violoncello möglich ist; Bach hat die einzelnen Register des Instruments genau ausgehorcht und gibt ihm eine äußerst effektvolle solistische Bühne.
Die erste Suite in G-Dur hat mit den beiden Menuetten eindeutig französische Formvorbilder. Stephan Schultz spielt die erste Suite für Violoncello solo BWV 1007 von Johann Sebastian Bach. Danach dann Bachs Triosonate G-Dur BWV 1038, ein Stück, das Bach für unterschiedliche Besetzungen bearbeitet hat - und das hier in der spätesten Gestalt erklingt: mit zwei Violinen und Basso continuo.

Händel - ein Europäer

20 Triosonaten hat Georg Friedrich Händel komponiert, 12 davon sind in zwei Serien veröffentlicht worden. 1722 wurde die frühe Sammlung als op. 2 in Amsterdam gedruckt - von da aus eroberten die Werke ganz Europa.
Als Georg Friedrich Händel 1737 einige Jahre später bei einem Londoner Verleger sieben Sonaten als Opus 5 veröffentlichte, war das die Reaktion des klugen Geschäftsmannes Händel auf einen veränderten Publikumsgeschmack in seiner Wahlheimat London - die großen, gravitätischen Opern verfingen nicht mehr, und so wechselte Händel von zum englischen Oratorium - das nächste heiße Ding in London. Um diese Gattung noch populärer zu machen, fügte er in die Aufführung seiner Oratorien eigens komponierte Instrumentalstücke ein. Sein Vorbild war die Musik Arcanbelo Corelli.

Italienisches Vorbild in Londoner Werk

Diese Sonaten nach Corelli-Vorbild haben zwei Gesichter, sozusagen: die strenge, gebändigt prunkvolle Ausprägung als "Sonata da chiesa", und die leichtfüßig-tänzerische Ableitung, die "Sonata da camera".
Das klingt scharf differenziert, aber der Einsatz der Werke sowohl als Kirchenmusik als auch als Unterhaltungsmusik bei Tisch wurde von den Zeitgenossen nie wirklich klar unterschieden. Georg Friedrich Händels Triosonate Nr. 4 op. 5 ist ein Vertreter der leicht unterhaltsamen Machart, ein Stück mit tänzerischer Finesse und augenzwinkerndem Esprit.
Aufzeichnung vom 4. März 2021 in der Völklinger Hütte bei Saarbrücken
Georg Friedrich Händel
Sonate für 2 Violinen und Basso Continuo g-Moll Op. 2 Nr. 2, HWV 387
Joseph Bodin de Boismortier
Sonate für Violine, Violoncello und Basso Continuo a-Moll Op. 37 Nr. 5
Sonate für Violoncello und Basso Continuo G-Dur Op. 50 Nr. 2
Domenico Scarlatti
Sonate für Cembalo h-Moll
Georg Friedrich Händel
Sonate für 2 Violinen und Basso Continuo G-Dur Op. 5 Nr. 4, HWV 399
Johann Sebastian Bach
Suite für Violoncello Solo G-Dur, BWV 1007
Sonate für 2 Violinen und Basso Continuo G-Dur, BWV 1038

Le Concert Lorrain
Jesús Merino Ruiz, Violine I
Lorena Padrón Ortiz, Violine II
Stephan Schultz, Violoncello
Anne-Catherine Bucher, Cembalo

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