Lautstark und unbequem

Von Carsten Kühntopp |
In der arabischen Welt laufen die Fernseher nahezu nonstop: im palästinensischen Gemüseladen genauso wie in schicken Hotels am Golf. Überall wird Revolution geguckt - und meistens auf Al-Jazeera, dem Satellitensender aus dem Golfemirat Katar.
Wer in diesen Zeiten des Umbruchs nahe am Geschehen bleiben will, kann auf Al-Jazeera nicht verzichten. Abermillionen arabischer Zuschauer haben das Gefühl, hier in der ersten Reihe zu sitzen - ob beim Sturz der Regime in Tunis und Kairo oder bei dem Drama um Gaddafi in Tripolis.

Hosni Mubarak auf den Geist ging Al-Jazeera schon lange. Als Mubarak vor einigen Jahren das Sendezentrum von Al-Jazeera in Katar besuchte, entfuhr es ihm: "So viel Krach - aus solch einer Streichholzschachtel!" Bis heute sind die Studios eine bescheidene Ansammlung von Flachbauten, als wären sie provisorisch. Unerschrockenen Journalismus - bis zur Gründung von Al-Jazeera vor 14 Jahren gab es das nicht in Arabien.

"Wir hörten den arabischen Dienst der BBC oder Radio Monte Carlo oder Voice of America oder Radio Israel - alle Medien, die die öffentliche Meinung in der arabischen Welt formten, waren leider keine arabischen Medien. Mit Al-Jazeera begann ein Wandel."

Faisal al-Qassem ist einer der Stars des Senders, seine Talk-Sendung Kult: Laut und heftig streiten al-Qassems Gäste über Tabu-Themen, zum Beispiel darüber, ob Demokratie und Islam vereinbar sind.

"Viele arabische Länder lassen mich nicht einreisen, da stehe ich auf der schwarzen Liste. Die Sendung hat zu diplomatischen Krisen zwischen Katar und mehreren arabischen Staaten geführt. Fünf Länder zogen aus Protest ihre Botschafter aus Doha ab. Ich erhalte immer wieder Morddrohungen."

Al-Jazeeras Journalisten arbeiten professionell, viele lernten einst bei der BBC. Eisern bemühen sie sich, alle anzuhören, selbst Osama bin Laden. Al-Jazeera war der erste arabische Sender, der Israelis zu Wort kommen ließ, ausführlich. Das passt zu Katars Außenpolitik. Sie fußt auf dem Bemühen, einen Draht zu allen zu haben, zu Hamas und zu Israel, zu Iran und zu den USA.

Mit der Gründung des Kanals hatte Katars Herrscher, Scheich Hamad bin Khalifa al-Thani, sein winziges Emirat auf die Weltkarte gesetzt. Mittlerweile ist der Sender mit seiner Betonung von Dialog und Meinungsvielfalt ein inoffizielles Instrument katarischer Außenpolitik. Keinen Hehl macht Al-Jazeera daraus, dass man sich als Sprachrohr der Machtlosen sieht. Nigel Parsons, beim Start von Al-Jazeera English vor vier Jahren der Chef des Senders:

"Natürlich werden unsere Sympathien als Kanal bei den Palästinensern liegen. So sorgt man für eine Balance. Immer werden die Israelis das Recht haben, zu antworten. Ich finde es unredlich, so zu tun, als könne man sich einer Geschichte mit hundertprozentiger Neutralität nähern. Gewiss werden unsere Sympathien eher bei den Besetzten, als bei den Besatzern liegen."

Allen Versuchen, die Lautstärke von Al-Jazeera zu drosseln, hat sich Katar bisher widersetzt. Bei einem Besuch in Washington riskierte der Emir, Scheich Hamad, sogar einen Eklat. Als der Herrscher in das Büro des damaligen Vize-Präsidenten Dick Cheney trat, lag auf dessen Tisch eine dicke Akte, mit der Aufschrift "Al-Jazeera".

Cheney sagte dem Emir, er wolle sich über die Irak-Berichterstattung des Senders beschweren. Scheich Hamad erwiderte, dann müsse sich Cheney an die Redakteure in Doha wenden, stand auf und ging. Nach nur sieben Sekunden war das Treffen gelaufen.