Lauterbach fordert Entwicklung neuer Grippe-Wirkstoffe
Der Gesundheitsfachmann der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach, hat angesichts der Schweinegrippe die Entwicklung neuer Grippe-Wirkstoffe angemahnt. Es sei ein Glück, dass das Grippevirus nach bisherigen Erkenntnissen nicht gegen herkömmliche Medikamente resistent sei, erklärte der SPD-Politiker.
Birgit Kolkmann: Die Schweinegrippe breitet sich weiter aus. Und bei vielen Verdachtsfällen bestätigt sich, dass sich die Betreffenden mit dem H1N1-Virus infiziert haben. In Deutschland sind es drei. Aus den USA wurde erstmals ein Fall bekannt, wo sich ein Angehöriger bei einem aus Mexiko zurückgekehrten Familienmitglied angesteckt hat. Weil sich die Grippe sehr schnell ausbreitet, hat die Weltgesundheitsorganisation gestern am späten Abend die zweithöchste Alarmstufe ausgerufen. - Gestern war der Gesundheitsexperte und SPD-Politiker Karl Lauterbach zu Gast im Funkhaus von Deutschlandradio Kultur. Ich fragte ihn, ob er angesichts der aktuellen Situation alarmiert ist.
Karl Lauterbach: Alarmiert schon, aber nicht übermäßig alarmiert. Also man muss es schon im Auge behalten. Auf der anderen Seite ist es so, Gott sei Dank scheint es so zu sein, dass die meisten Menschen, die bislang erkrankt sind, keine schweren Schäden von der Grippe behalten und nicht sterben. Wir müssen schauen, dass wir alle Vorkehrungen treffen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist definitiv kein Grund zur Panik.
Kolkmann: Nun wird ja in diesem Fall auch wieder diskutiert, wie viele Vorräte an Grippemitteln haben auch die Behörden vorrätig, falls es zu einer wirklichen Pandemie kommen sollte. Was halten Sie von dieser Diskussion?
Lauterbach: Wir haben diese Diskussion zu führen in der Tat, es sind ja auch große Vorräte angelegt. Noch viel wichtiger ist es, dass wir in Zukunft neue Wirkstoffe entwickeln, denn wir haben Glück, zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, als wenn dieses Virus nicht resistent wäre zum Beispiel gegen Tamiflu, aber wir können uns darauf nicht verlassen. Wir brauchen mehr wirksame Wirkstoffe in Zukunft, und da muss geforscht werden. Die Impfung allein, auch Impfungen sind sehr wichtig, können nicht verhindern, dass die Menschen, die bereits erkrankt sind, unbedingt ein wirksames Medikament auch brauchen.
Kolkmann: Nun wird ja manchmal auch behauptet, diese Medikamente und auch vor allen Dingen die Bevorratung durch die Behörden helfe nur einem, nämlich dem Hersteller.
Lauterbach: Das stimmt nicht. Also es ist ganz klar, dass diejenigen, die schwer erkrankt sind und beispielsweise älter sind oder andere Krankheiten haben, dass sie von den Medikamenten tatsächlich auch profitieren. Ohne die Wirkstoffe könnten sie an der Krankheit sogar sterben.
Kolkmann: Was die Grippe angeht, sind Sie nicht alarmiert, sind Sie alarmiert, was den Gesundheitsfonds, was das Gesundheitssystem angeht, denn da scheint ja demnächst, spätestens im nächsten Jahr, die Finanzkrise auch im Gesundheitssystem anzukommen?
Lauterbach: Es ist richtig, die Finanzkrise wird auch im Gesundheitssystem ankommen, weil wir haben einen Einbruch bei der Zahl der Vollbeschäftigten, die Kurzarbeit hat auch Auswirkungen auf die Einnahmen der Krankenkassen. Man kann von Glück reden, dass das derzeit durch die Steuerzahler aufgefangen wird. Das heißt, der Gesundheitsfonds, den ich ja im Prinzip nicht unbedingt begrüße, aber der hat hier den Vorteil, dass das Geld erst einmal für dieses Jahr gesichert ist. Im nächsten Jahr sieht das ganz anders aus, und ich glaube daher, dass eine Veränderung der Art und Weise, wie wir die Krankenkassen bezahlen, zu den ersten Aufgaben einer neuen Regierung gehören wird.
Kolkmann: Dieser Gesundheitsfonds, gehört der weg?
Lauterbach: Ich selbst habe nach wie vor den Vorteil des Gesundheitsfonds nicht erkennen können, und ich glaube aber, dass wir das System weiterentwickeln müssen. Wir müssen dazu kommen, dass also die Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten angeglichen werden. Diejenigen, die jetzt die Solidarität bezahlen, also bis zu 600 Euro pro Monat in das Solidarsystem einbezahlen, als gesetzlich Versicherte, gut Verdienende, die werden zum Teil nicht gut behandelt. Wir haben eine ausgeprägte Zweiklassenmedizin. Das System behandelt ungleich und wird auch noch sehr ungerecht finanziert. Diese Probleme sind durch den Gesundheitsfonds nicht gelöst worden. Das sind aber die zentralen Probleme.
Kolkmann: Elf Milliarden könnten möglicherweise fehlen im Gesundheitsfonds im nächsten Jahr, das sind die Zahlen, die jetzt auf dem Markt sind, und die sind ja wirklich besorgniserregend. Kann es dann eigentlich wirklich nur noch den finanziellen Kollaps geben, der schon so lange beschworen wird im Gesundheitssystem?
Lauterbach: Einen finanziellen Kollaps wird es nicht geben. Das System ist im Großen und Ganzen also solide finanziert, auch diese elf Milliarden sind zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation. Aber selbst, wenn fünf oder sechs Milliarden fehlen würden, das sind dann vielleicht drei Prozent der Gesamteinnahmen der Krankenkassen, und eine Unterdeckung von drei Prozent gefährdet das System nicht. Wir brauchen eine deutlich höhere anteilige Finanzierung durch Steuermittel, weil sonst der Faktor Arbeit a) zu stark belastet wird und b) die Einnahmensituation zu stark davon abhängt, wie gut die Konjunktur sich entwickelt. Dass also diese Krise auf die Kassen so stark durchschlagen könnte im nächsten Jahr, liegt daran, dass wir also zu stark das Gesundheitssystem über Arbeitsplätze finanzieren. Das ist erstens ungerecht, weil das die arbeitende Bevölkerung zu stark belastet, zweitens ist es auch unsinnig, denn wir machen uns hier von Konjunkturschwankungen in einer Art und Weise abhängig, die nicht zu vertreten ist.
Kolkmann: Wenn man sich anschaut, dass die Kosten für die Krankenversicherung immer weiter steigen, zugleich aber auch die Zuzahlungen, die jeder Versicherte leisten muss, fragen Sie sich nicht manchmal, ob da nicht irgendwann die Patienten, die Bürger randalieren?
Lauterbach: Die Zuzahlungen, die wir in Deutschland zu zahlen haben, sind im europäischen Vergleich durchschnittlich. Was mich mehr stört, ist die Qualität, die wir bekommen. Also die Qualität ist nicht wirklich überzeugend, sie ist mittelmäßig. Da gibt es vieles, was zu tun ist. Wir müssen auch Ärzte anders bezahlen, wir brauchen also eine Umfinanzierung, die hausärztliche Versorgung muss besser bezahlt werden. Wir brauchen besser bezahlte, aber auch besser ausgebildete Hausärzte, und wir müssen bei der fachärztlichen Versorgung zu mehr Spezialisierung kommen. Durch diese zwei Schritte könnten wir es erreichen, dass die Versorgung fürs gleiche Geld besser wird, und dann wären auch die Proteste in der Bevölkerung gut beherrschbar.
Kolkmann: Wir sind in Zeiten der Krise, und möglicherweise werden in diesem Jahr eine Million mehr Menschen in Deutschland arbeitslos. So was macht krank. Ist das Gesundheitssystem darauf vorbereitet?
Lauterbach: Sie haben recht. Also es gibt keinen Faktor, der schneller zu Krankheit führt als Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit ist der wichtigste Krankmacher für die arbeitende Bevölkerung. Depressionen, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, selbst Zuckerkrankheiten treten gehäuft bei Menschen auf, die arbeitslos geworden sind. Wir müssen Arbeitslosigkeit bekämpfen. Daher ist die Arbeitsmarktpolitik, wenn sie gelingt, auch gleichzeitig gute Gesundheitspolitik. Das System ist auf die Kosten vorbereitet, aber mir geht's hier nicht um die Kosten, sondern mir geht's darum, es muss verhindert werden, dass die Menschen erst krank werden. Wir brauchen mehr Vorbeugung, wir brauchen eine wirksame Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.
Kolkmann: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lauterbach!
Lauterbach: Ich danke Ihnen!
Karl Lauterbach: Alarmiert schon, aber nicht übermäßig alarmiert. Also man muss es schon im Auge behalten. Auf der anderen Seite ist es so, Gott sei Dank scheint es so zu sein, dass die meisten Menschen, die bislang erkrankt sind, keine schweren Schäden von der Grippe behalten und nicht sterben. Wir müssen schauen, dass wir alle Vorkehrungen treffen, aber zum jetzigen Zeitpunkt ist definitiv kein Grund zur Panik.
Kolkmann: Nun wird ja in diesem Fall auch wieder diskutiert, wie viele Vorräte an Grippemitteln haben auch die Behörden vorrätig, falls es zu einer wirklichen Pandemie kommen sollte. Was halten Sie von dieser Diskussion?
Lauterbach: Wir haben diese Diskussion zu führen in der Tat, es sind ja auch große Vorräte angelegt. Noch viel wichtiger ist es, dass wir in Zukunft neue Wirkstoffe entwickeln, denn wir haben Glück, zum jetzigen Zeitpunkt sieht es so aus, als wenn dieses Virus nicht resistent wäre zum Beispiel gegen Tamiflu, aber wir können uns darauf nicht verlassen. Wir brauchen mehr wirksame Wirkstoffe in Zukunft, und da muss geforscht werden. Die Impfung allein, auch Impfungen sind sehr wichtig, können nicht verhindern, dass die Menschen, die bereits erkrankt sind, unbedingt ein wirksames Medikament auch brauchen.
Kolkmann: Nun wird ja manchmal auch behauptet, diese Medikamente und auch vor allen Dingen die Bevorratung durch die Behörden helfe nur einem, nämlich dem Hersteller.
Lauterbach: Das stimmt nicht. Also es ist ganz klar, dass diejenigen, die schwer erkrankt sind und beispielsweise älter sind oder andere Krankheiten haben, dass sie von den Medikamenten tatsächlich auch profitieren. Ohne die Wirkstoffe könnten sie an der Krankheit sogar sterben.
Kolkmann: Was die Grippe angeht, sind Sie nicht alarmiert, sind Sie alarmiert, was den Gesundheitsfonds, was das Gesundheitssystem angeht, denn da scheint ja demnächst, spätestens im nächsten Jahr, die Finanzkrise auch im Gesundheitssystem anzukommen?
Lauterbach: Es ist richtig, die Finanzkrise wird auch im Gesundheitssystem ankommen, weil wir haben einen Einbruch bei der Zahl der Vollbeschäftigten, die Kurzarbeit hat auch Auswirkungen auf die Einnahmen der Krankenkassen. Man kann von Glück reden, dass das derzeit durch die Steuerzahler aufgefangen wird. Das heißt, der Gesundheitsfonds, den ich ja im Prinzip nicht unbedingt begrüße, aber der hat hier den Vorteil, dass das Geld erst einmal für dieses Jahr gesichert ist. Im nächsten Jahr sieht das ganz anders aus, und ich glaube daher, dass eine Veränderung der Art und Weise, wie wir die Krankenkassen bezahlen, zu den ersten Aufgaben einer neuen Regierung gehören wird.
Kolkmann: Dieser Gesundheitsfonds, gehört der weg?
Lauterbach: Ich selbst habe nach wie vor den Vorteil des Gesundheitsfonds nicht erkennen können, und ich glaube aber, dass wir das System weiterentwickeln müssen. Wir müssen dazu kommen, dass also die Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten angeglichen werden. Diejenigen, die jetzt die Solidarität bezahlen, also bis zu 600 Euro pro Monat in das Solidarsystem einbezahlen, als gesetzlich Versicherte, gut Verdienende, die werden zum Teil nicht gut behandelt. Wir haben eine ausgeprägte Zweiklassenmedizin. Das System behandelt ungleich und wird auch noch sehr ungerecht finanziert. Diese Probleme sind durch den Gesundheitsfonds nicht gelöst worden. Das sind aber die zentralen Probleme.
Kolkmann: Elf Milliarden könnten möglicherweise fehlen im Gesundheitsfonds im nächsten Jahr, das sind die Zahlen, die jetzt auf dem Markt sind, und die sind ja wirklich besorgniserregend. Kann es dann eigentlich wirklich nur noch den finanziellen Kollaps geben, der schon so lange beschworen wird im Gesundheitssystem?
Lauterbach: Einen finanziellen Kollaps wird es nicht geben. Das System ist im Großen und Ganzen also solide finanziert, auch diese elf Milliarden sind zum jetzigen Zeitpunkt reine Spekulation. Aber selbst, wenn fünf oder sechs Milliarden fehlen würden, das sind dann vielleicht drei Prozent der Gesamteinnahmen der Krankenkassen, und eine Unterdeckung von drei Prozent gefährdet das System nicht. Wir brauchen eine deutlich höhere anteilige Finanzierung durch Steuermittel, weil sonst der Faktor Arbeit a) zu stark belastet wird und b) die Einnahmensituation zu stark davon abhängt, wie gut die Konjunktur sich entwickelt. Dass also diese Krise auf die Kassen so stark durchschlagen könnte im nächsten Jahr, liegt daran, dass wir also zu stark das Gesundheitssystem über Arbeitsplätze finanzieren. Das ist erstens ungerecht, weil das die arbeitende Bevölkerung zu stark belastet, zweitens ist es auch unsinnig, denn wir machen uns hier von Konjunkturschwankungen in einer Art und Weise abhängig, die nicht zu vertreten ist.
Kolkmann: Wenn man sich anschaut, dass die Kosten für die Krankenversicherung immer weiter steigen, zugleich aber auch die Zuzahlungen, die jeder Versicherte leisten muss, fragen Sie sich nicht manchmal, ob da nicht irgendwann die Patienten, die Bürger randalieren?
Lauterbach: Die Zuzahlungen, die wir in Deutschland zu zahlen haben, sind im europäischen Vergleich durchschnittlich. Was mich mehr stört, ist die Qualität, die wir bekommen. Also die Qualität ist nicht wirklich überzeugend, sie ist mittelmäßig. Da gibt es vieles, was zu tun ist. Wir müssen auch Ärzte anders bezahlen, wir brauchen also eine Umfinanzierung, die hausärztliche Versorgung muss besser bezahlt werden. Wir brauchen besser bezahlte, aber auch besser ausgebildete Hausärzte, und wir müssen bei der fachärztlichen Versorgung zu mehr Spezialisierung kommen. Durch diese zwei Schritte könnten wir es erreichen, dass die Versorgung fürs gleiche Geld besser wird, und dann wären auch die Proteste in der Bevölkerung gut beherrschbar.
Kolkmann: Wir sind in Zeiten der Krise, und möglicherweise werden in diesem Jahr eine Million mehr Menschen in Deutschland arbeitslos. So was macht krank. Ist das Gesundheitssystem darauf vorbereitet?
Lauterbach: Sie haben recht. Also es gibt keinen Faktor, der schneller zu Krankheit führt als Arbeitslosigkeit. Arbeitslosigkeit ist der wichtigste Krankmacher für die arbeitende Bevölkerung. Depressionen, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, selbst Zuckerkrankheiten treten gehäuft bei Menschen auf, die arbeitslos geworden sind. Wir müssen Arbeitslosigkeit bekämpfen. Daher ist die Arbeitsmarktpolitik, wenn sie gelingt, auch gleichzeitig gute Gesundheitspolitik. Das System ist auf die Kosten vorbereitet, aber mir geht's hier nicht um die Kosten, sondern mir geht's darum, es muss verhindert werden, dass die Menschen erst krank werden. Wir brauchen mehr Vorbeugung, wir brauchen eine wirksame Versicherung gegen Arbeitslosigkeit.
Kolkmann: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Lauterbach!
Lauterbach: Ich danke Ihnen!