Lauter Abschiede

05.07.2012
Der Kolumnist Stefan Schwarz legt eine herausragende Satire über die Krise einer Familie vor - und schont dabei niemanden. Dem Autor gelingt das Seltene: ein satirischer Roman ohne Pointen-Dauerfeuer und Lacher um jeden Preis.
Mitte Vierzig, die Kinder sind aus dem Gröbsten raus, die schönsten Jahre können beginnen - könnte man meinen. Für Stefan Schwarz' Helden Max hat das Leben aber etwas anderes vorgesehen. Alle Probleme, die man mit Mitte Vierzig haben kann, treffen auf ihn zu: der postpubertäre Sohn schleppt eine inakzeptable Freundin mit nach Hause, die Beziehung zu seiner Frau braucht unbedingt neuen Schub, sein Vater kämpft um Pflegestufe III und im Job passieren seltsame Dinge, die ihm - gegen seinen Willen - unerwartete Karrieremöglichkeiten eröffnen. Das ist Max: zwischen allen Stühlen und auf der Suche nach etwas Halt. "Das wird ein bisschen weh tun" heißt der Roman und spielt auf die Schmerzen an, die grundlegende Veränderungen im Leben nach sich ziehen.

Als Erstes tut es weh, als sein Sohn Konrad eine flüchtige Bekanntschaft zu seiner ersten großen Liebe erklärt. Aber sie ("Hi, ich bin die Naddi") so gar nicht in das bürgerlich-gebildete Umfeld passt, das Max und seine Familie glauben abzugeben. Max nimmt dem Leser gegenüber, den er ins Vertrauen zieht, kein Blatt vor den Mund - Naddi mit dem schlecht gefärbten Haar, dem Bauchnabelpiercing und dem losen Mundwerk? Eine "Promenadenmischung", ein distanzloses Plappermaul, das jede Situation kaputt machen kann. Sie zieht allerdings bei ihnen ein und macht sich breit.

Als ob das nicht reichen würde, steht Max als Fernsehredakteur von Nachmittags-Trash-Formaten vor einer anderen Herausforderung: seinen Starmoderator aus der Psychiatrie herauszubekommen, in der er gelandet ist, weil er unter dem 24-Stunden-Dauer-Moderationssyndrom leidet - das bedeutet: er moderiert alles und jeden ab. Und wieder an.

Und Dorit, Max' Frau, versucht auch dann Haltung zu bewahren, als sie von einem allzu heftigen Flirt mit einer türkischen Fernsehkollegin erfährt. Viel Zeit für Beziehungsanalysen bleibt den beiden sowieso nicht. Da ist nicht nur die nervige Naddi, die ihren braven Sohn Konrad auf die falsche Bahn bringt, da ist auch Max' Vater, der alt ist und immer kränker wird. Max muss sich um ihn kümmern, er sieht dessen Verfall und Leid, und will ihn doch so in Erinnerung behalten, wie er ihn als Kind kannte: vital. Ein Beschützer und Behüter. Jetzt verkehren sich die Rollen. Das tut nicht nur ein bisschen weh. Das schmerzt sehr.

Stefan Schwarz gelingt das Seltene: ein satirischer Roman ohne Pointen-Dauerfeuer und Lacher um jeden Preis. Schwarz nimmt sich Zeit für den richtigen Moment, er weiß um das Timing und die Spannung, derer es bedarf, um eine Satire über 270 Seiten in literarischer Spannung zu halten. Der Autor, der vor allem als Kolumnist in Magazinen bekannt ist, entwickelt souverän Situationen, Steigerungen - bis hin zur Auflösung. Natürlich - auch er ist nicht ganz sicher vor diesem oder jenem platten Wortspielchen.

Aber das verzeiht man gerne, denn Schwarz gelingt ein witziger, zuweilen böser, manchmal trauriger, und dankenswerterweise politisch unkorrekter Roman über die Krise einer Familie, über das Infrage- stellen der Liebe und über die Abschiede, die zwischen den Generationen stattfinden müssen. Und die, ja, "ein bisschen weh tun".

Besprochen von Vladimir Balzer

Stefan Schwarz: Das wird ein bisschen weh tun
Roman
Rowohlt Berlin, 2012
272 Seiten, 14,95 Euro