Lauschangriff in der Antarktis

Von Marko Pauli |
Das Alfred-Wegener-Institut betreibt Polar- und Meeresforschung in der Antarktis. Zum Forschungsinstitut gehört hier die ganzjährig bewohnte Forschungsstation Neumayer, aber auch die akustische Forschungsstation PALAOA, mit der die Unterwasserwelt belauscht wird. Per Mikrofon, WLAN und Satellitenverbindung gelangen die akustischen Signale aus der Antarktis zum AWI und dann ins Internet.
Der kleine PALAOA-Container steht ganz einsam auf einem Gletscher, der ins Südpolarmeer hineinragt. Er ist verbunden mit Unterwassermikrofonen, die tief unter dem Eis tauchen, um marine Säuger zu belauschen.

Der Pfiff einer Weddell-Robbe. Robben und Wale geben unter Wasser Geräusche von sich, um zu kommunizieren, zu navigieren oder auch um Nahrung zu finden. Und die gibt es hier reichlich: Riesige Krillschwärme sind die Grundlage für eines der üppigsten Ökosysteme überhaupt. Auch die seltene und wenig erforschte Rossrobbe ist hier zu hören:

Dr. Olaf Boebel, Leiter der AWI-Forschungsgruppe Ozeanische Akustik hat PALAOA 2006 mit aufgebaut:

"Wir haben diesen Gletscher mit Heißwasserbohrungen durchbohrt und durch diese 100 Meter langen Löcher Hydrophone ins Wasser eingelassen, die dort den Unterwasserschall aufnehmen."

Die Geräusche aus der Tiefe landen in dem PALAOA-Container, der mit modernen Studiogeräten ausgestattet ist:

"Die Station selber hat nur Solarpanels, Windgeneratoren und ne Brennstoffzelle, und darüber versorgt die ganze Station sich selber, einschließlich der drahtlosen Übertragung mittels der WLAN-Strecke ..."

... die zur 13 Kilometer entfernten Neumayer-Station führt. Von hier werden die Geräusche per Satellit ans Alfred-Wegener Institut gesendet und dann auf die AWI-Website gestellt:

"Sodass jedermann sich anhören kann, was mehr oder weniger live in der Antarktis im Moment unter Wasser zu hören ist."

Die Biologen am AWI-Institut benutzen den Stream, um die Population und Wanderung von Robben und Walen zu untersuchen. Da niemand ein 24-Stunden-Programm abhören kann, sortieren Computer das Material vor und visualisieren es auch. Jetzt haben die Biologen auch vor Augen, wann es welches Geräusch gab:

"Und wir wollen anhand eines bestimmten Pfiffs feststellen - ist das immer dasselbe Tier oder ist das eine Gruppe von Tieren. Unterscheiden sich Pfiffe von Weddell-Robben von denen die 200Km entfernt sind. Ist das eine Jahreszeit, in der ein Paarungsverhalten zu erwarten ist; ist das eine Jahreszeit, in der hauptsächlich Wanderung oder Futtersuche stattfindet? Da schließt sich die Kette und der Biologe versucht das, in dem biologischen und ökologischen Kontext zu interpretieren."

Ab und an finden sich aber auch Geräusche, die sich so ganz und gar nicht einordnen lassen, Olaf Boebel spielt so eines vor:

"Es fängt also an mit, das was ich Pfiff nenne, das ist ne Weddell-Robbe, das ist erkannt ... Das war jetzt der Abbruch von Eis. [Einsatz des unbekannten Geräuschs] Dieses Geräusch kennen wir nicht. Wir haben keine Erklärung im Moment."

Der Audio-Stream wird aber auch in der Antarktis selbst genutzt, zum Beispiel um vor Tauchgängen die Umgebung abzuhören. Ist dann so ein Geräusch zu hören, werden geplante Tauchgänge sofort abgesagt. Dieser geisterhafte Pfiff stammt von einem Seeleoparden. Er ist das gefährlichste Tier für Taucher in der Antarktis. Schon häufiger kam es zu Angriffen auf Menschen.

Mit PALAOA wird aber nicht nur das Unterwasserleben belauscht, auch Eis-Abbruchraten werden gemessen. Diese kleinen Eisabbrüche können, je nach Häufigkeit, ein konkreter Hinweis auf Auswirkungen einer Klimaerwärmung sein. Große Eisabbrüche, aber auch überforderte Unterwassermikrofone gibt es, wenn zwei riesige Eisberge im Küstenstrom aufeinander treffen:

"Ja dann passiert es, dass zwei Eisberge von der Größe jeweils Bremerhaven mit ungefähr fünf km/h ineinander rasseln – da ist natürlich viel Energie zu vernichten, bevor da einer zum Stehen gekommen ist."

Eisberge geben aber nicht nur bei Unfällen Geräusche von sich. An der Neumayer-Station wurde ein eigenartiger Klageruf aufgefangen, der sich über tausende von Kilometern ausgebreitet hat.

Diese Eisberggesänge wurden bei ihrer Entdeckung als tieffrequente Bodenwellen registriert, anschließend zeitlich gestaucht und so in den hörbaren Bereich gebracht. Dr. Christian Müller, der das geophysikalische Observatorium an der Neumeyer-Station betreut, wusste zunächst nicht, was da singt:

"Diese Wellenformen hatten auffallend Ähnlichkeit mit Vulkanen, so haben wir zunächst auch an aktiven Vulkanismus gedacht – was ne Sensation gewesen wäre. Die Quellen wanderten aber, damit war klar, dass es keine Vulkane sein können. Über Satelliten gesehen, dass ein großer Eisberg ist. Und damit hatten wir dann den singenden Eisberg."

Vom singenden Eisberg bis zu den tief tauchenden Weddell-Robben bei der PALAOA-Station – neue Technik offenbaren erstaunliche Geräuschwelten auf dem kältesten aller Kontinente. Warum und wie der Eisberg aber singt bleibt genauso unklar wie der Inhalt der gepfiffenen Robbenbotschaft.