Laura Marling: "Song for our daughter"

Als Frau im männerdominierten Musikbetrieb

05:39 Minuten
Das Foto zeigt die Folksängerin Laura Marling live auf einer Bühne im Londoner Hyde Park.
Die Folksängerin Laura Marling live auf einer Bühne im Londoner Hyde Park. © picture alliance / Capital Pictures / Martin Harris
Von Oliver Schwesig · 20.04.2020
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Laura Marling gehört zu den profiliertesten Folkmusikerinnen aus England. Sie ist kaum 30 und hat schon sieben Alben vorgelegt. Besonders ihr neuestes Werk hat jede Menge Zuhörer und Zuhörerinnen verdient. Denn es ist: eine perfekte Platte.
"Ich wünschte, ich hätte eine Formel fürs Songschreiben. Aber: hab' ich nicht."
Kaum 30 Jahre alt, schon sieben Alben vorgelegt, unter denen nicht ein Fehltritt dabei ist; eine der renommiertesten Musikerinnen ihres Landes und dann immer noch so unsicher in Bezug aufs eigene Handwerk? Frau Marling, das haben Sie doch gar nicht nötig. Wie diese neue Platte "Song for our daughter" wieder beweist.
Viele ihrer Songs offenbaren sich in einer bekannten akustischen Hülle: Zum Beispiel als schwungvoller Joni Mitchell-Westküsten-Song oder als trauriger Nik Drake Lagerfeuer-Heuler. Keine Frage warum, aber zu den Songs von Laura Marling hat man sofort Zugang. Thematisch gibt’s schwereren Stoff. Wer ist zum Beispiel "unsere Tochter" im Titelstück? Eine figurative Tochter, sagt Laura Marling, der sie aus ihrem Leben erzählt. Auch um sich selbst die Welt besser zu erklären. In vielen Stücken, sagt Marling, spricht sie deshalb auch zu einer jüngeren Version von sich. Sie fleht die imaginierte Tochter an, sich zum Beispiel ihre Naivität zu bewahren.

Den Verlust der Naivität unbedingt hinauszögern

"Alle Frauen - oder sagen wir lieber - alle Menschen durchlaufen einen Perspektivwechsel im Leben, wenn man älter wird. Wenn man jung ist, denkt man, man ist das Zentrum seines eigenen Films und die ganze Welt dreht sich um einen. Jede deiner Erfahrungen ist wahnsinnig interessant. Und wenn man älter wird, merkt man plötzlich: Jede deiner Erfahrungen ist eigentlich wahnsinnig gewöhnlich! Und ich glaube, (der Verlust) dieser jugendlichen Naivität sollte so lange wie möglich hinausgezögert werden. Wenn man die zu früh verliert – das ist eine der großen Tragödien im Leben. Zumindest nach meiner Erfahrung als Frau passiert das oft."
Okay, Gegenfrage des Kritikers: Naivität tauscht man ja in der Regel im Leben ein gegen gewonnene Weisheit, oder? Laura Marling schüttelt den Kopf: Stimmt nicht ganz. Und sie kommt sofort auf ihr Kernthema zu sprechen: Musik machen als Frau.
"Ich glaube, man kann naiv und weise sein. Die beiden stehen sich nicht gegenüber. Der Grund, warum es so ein Ungleichgewicht gibt, warum es nicht so viele Künstlerinnen gibt, ist: Männer hatten das Privileg, immer diesen unschuldigen Raum für sich zu haben, in dem sie kreativ sein konnten. Das ist nichts Schlechtes! Aber es ist schwer, eine Frau zu sein und diesen Raum für sich zu haben, in dem man unschuldig und kreativ sein darf, weil man von außen mit elementaren Dingen versorgt wird. Und dieser Ort ist in meinen Augen eben ein sehr fruchtbarer Ort, um kreativ zu sein."

Liebe ist eine Krankheit

Ein kleines bißchen Zynismus gibt es dann auch bei Laura Marling. In dem Stück "Only the strong" singt sie: "Liebe ist eine Krankheit, die geheilt werden kann." Sie zuckt mit den Schultern: "Diese romantische Vorstellung von Liebe - das ist irgendwie nix für mich."
Als Frau im männerdominierten Musikbetrieb Musik zu machen – das ist ein wiederkehrendes Thema bei Laura Marling. Sie studiert ja nebenbei gerade Psychoanalyse. Und da hat sie in dem Zusammenhang eine interessante Beobachtung gemacht. Besonders die Wurzeln der Kreativität hat Marling genauer erforscht und kam zu der Erkenntnis, dass man als Songschreiberin sehr oft an derselben Geschichte hängen bleibt und diese im Prinzip immer wieder erzählt. Wird das nicht langweilig?
"Nein, nicht unbedingt. Naja, ich versuche schon irgendwie diesem Impuls zu widerstehen. Aber man will ja auch seinem Herzensruf folgen. Am Ende ist das ein Loch, das nie gestopft werden kann. Eine Frage, die nie beantwortet werden kann. Deshalb kehre ich immer wieder zu denselben Dingen zurück."
"Song for our daughter" – diese Platte zeigt eine Songschreiberin, die weiter erfolgreich ihr Verhältnis zur Welt abtastet und in dieser Beschäftigung viel Kluges, Trauriges und Witziges findet. Und das ohne in eitler Selbstreflexion zu versinken. Musikalisch liefert das Album von Laura Marling alles, was Folk kann: vom üppigen Pop-Folk der 70er bis zum spartanischen Gitarrenpicking. Man könnte sagen: eine perfekte Platte. Toll.
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