Abgeschotteter Alltag
Nicht immer steht die Kirche auf der Seite der Armen. Die Gesellschaften in Lateinamerika sind tief gespalten, es gibt sehr viele Arme und immer mehr Reiche, die sich abschotten. Zum Beispiel auch die deutsche Gemeinde in Guatemala.
Zum Gottesdienst der deutschen lutherischen Epiphaniasgemeinde in Guatemala treffen sich die evangelischen Christen in einem großen, ehemaligen Wohnhaus mitten im quirligen Zentrum der Zone 10 von Guatemala-Stadt.
In der Nachbarschaft stehen mondäne Gebäude internationaler Hotelketten, angesagte Restaurants und teure Boutiquen. Allesamt abgeschottet von der alltäglichen Armut der meisten Guatemalteken, genauso wie die Epiphaniasgemeinde. Der Präsident des siebenköpfigen Gemeinderats, Hartmut Schostak, ist darüber nicht wirklich glücklich:
"Die Angst war sehr groß, irgendwie aufzufallen, als deutsche Kirchengemeinde. Da steht nur ein ganz kleines Schildchen am Eingang 'Epipaniasgemeinde', auch noch auf Deutsch, winzig klein, mit einer Klingel und davor ein großes Tor und das Ganze umgeben von einem großen Metallzaun. Also das ist schon ziemlich eingeschlossen."
Einige der zur Zeit 155 Beiträge zahlenden Mitglieder der Epiphaniasgemeinde wohnen seit Jahrzehnten in Guatemala-Stadt. Es gibt ein reges soziales Leben, in dem Traditionen und Feiertage gepflegt werden. Man trifft sich und treibt gemeinsam Sport. In diesem sozialen Umfeld ist es für den Gemeindepfarrer Markus Böttcher nicht leicht, Brücken zu der guatemaltekischen Bevölkerungsmehrheit zu schlagen:
"Komme ich als Pfarrer in eine deutsche Gemeinde, dann ist von Anfang an klar - ob ich nun das suche oder nicht - ich bin erst mal hierher in eine bestimmte Lebensweise auch hineingestellt und auch in ein bestimmtes Milieu. Die Deutschen, die hier wohnen und leben, die meisten jedenfalls, sind wirtschaftlich ganz erfolgreich."
"Helfen ist eine Sache, die andere Sache ist Abstand wahren"
Mit etwa 4000 deutschen Staatsbürgern ist die Zahl der in Guatemala ansässigen Deutschen so groß wie sonst nirgends in Mittelamerika. Ab und zu organisiert die Epiphaniasgemeinde caritative Hilfsprojekte für arme Bevölkerungsgruppen, an denen sich einzelne Mitglieder mit großem Engagement beteiligen.
Trotzdem hat der Gemeinderatspräsident Hartmut Schostak nicht den Eindruck, dass sich die kulturelle Distanz zwischen den privilegierten Christen seiner Gemeinde und der verarmten Bevölkerungsmehrheit über die Jahre verringert hat:
"Denen helfen ist eine Sache, die andere Sache ist Abstand wahren. Und dann gibt es natürlich sehr viele gängige Vorurteile. Also 'stur wie ein Indio' ist ein ganz typischer Begriff hier. Wir versuchen auf jeden Fall in unserer Gemeinde, dagegen zu wirken und ein bisschen die Schranken zu öffnen. Natürlich auch nicht ganz, weil natürlich auch in unserer Gemeinde Leute sind, die Angst haben, einfach aufs Land zu gehen."
Untereinander sind die Deutschen in Guatemala oft sehr solidarisch. Es gibt sogar einen privat organisierten Wohlfahrtsverein, der Spenden für Deutsche sammelt, die in wirtschaftliche Not geraten sind. Gegenüber der verarmten Bevölkerungsmehrheit aber bemüht man sich um Distanz. Das war schon immer so. Die erste Welle deutscher Einwanderer ist Ende des neunzehnten Jahrhunderts nach Guatemala gekommen.
Die meisten zogen in die Region Verapaz, wo die damalige liberale Regierung große Teile des Gemeindelandes der indigenen Bevölkerung enteignet und europäischen Migranten zur Verfügung gestellt hat. Anfangs waren die Deutschen besonders erfolgreich im Kaffeeanbau. Bis heute ist Deutschland, neben Spanien und den USA, der wichtigste Handelspartner des Landes.
In der Welt der Wohlhabenden
Nach dem Gottesdienst gibt es in der Epiphaniasgemeinde Kaffee, Kuchen und Gespräche. Eine Frau, die seit über vierzig Jahren in Guatemala lebt, räumt unumwunden ein, dass sie keinen großen Wert auf Kontakt zu der indigenen Bevölkerung des Landes legt:
"Man bewegt sich in dem Stadtteil wo man wohnt - und fährt vielleicht mal in einen anderen, weil man da eingeladen ist oder so. Man bewegt sich halt auch in einem Umfeld, der so ist wie man selber. Also werde ich damit nicht so konfrontiert. Dass es ganz viele, natürlich die Mehrheit der Menschen hier so leben, das ist richtig. Die Mehrheit haben auch wenig Erziehung, education, sind nicht ausgebildet, wollen teilweise auch nicht mehr lernen.
Viele der in Lateinamerika lebenden Deutschen bewegen sich vorwiegend in der Welt der Wohlhabenden. In manchen Ländern gibt es neben deutschen Kirchengemeinden auch deutsche Clubs und deutsche Schulen, alle abgeschottet durch hohe Mauern und bewaffnetes Sicherheitspersonal.
Daraus ergibt sich eine pädagogische Herausforderung, der sich die Direktorin des Kindergartens der Deutschen Schule in Guatemala, Gretel Lossau, stellen möchte:
"Ich bin gebürtige Guatemaltekin, in einem Land aufgewachsen, in dem ich von klein auf beobachtet hab, dass ich durchaus eine privilegierte Stellung hab, und dass mir die in die Wiege gegeben wurde, ohne dass ich groß was dafür getan habe."
Zugang zum Glauben eröffnen und Nächstenliebe vermitteln
Gretel Lossau ist auch Religionslehrerin. Sie möchte ihren Schülern einen Zugang zum Glauben eröffnen und Nächstenliebe vermitteln. Deshalb hat sie sich vorgenommen, die soziale Distanz zwischen den Familien an der Deutschen Schule und anderen, weniger privilegierten Bevölkerungsgruppen zumindest ein Stück weit abzubauen. Sie hat einen Austausch mit einer Landschule angeregt, die 80 Kilometer entfernt in dem Dorf Tecpán liegt. An der Schule Ixmukané werden vorwiegend Kinder der Mayabevölkerung unterrichtet:
"Ich habe auch für sehr wichtig empfunden, dass wir unsere Kinder mit diesen Kindern irgendwie mal zusammenbringen können, müssen."
Das Bildungszentrum Ixmukané wird von der Direktorin Alba Velásquez geleitet. Die junge Frau stammt aus dem Mayavolk der Kaqchikel. Sie will die Sprache und Kultur ihrer Vorfahren wiederbeleben und ihren indigenen Schülerinnen und Schülern die naturverbundenen Werte der Mayareligion näher bringen.
Den Austausch mit der Deutschen Schule hält sie für eine große Chance... nicht nur für die Kinder ihrer eigenen Schule:
"Es gibt sicher viele Eltern an der deutschen Schule, die uns wirklich helfen wollen, die daran glauben, dass dieser Austausch eine Möglichkeit ist, dazu beizutragen, dass unser Land voran kommt. Andere haben das Geld und wollen ein gutes Werk tun. Und wahrscheinlich gibt es auch einige, die kein Interesse haben. Aber was wir tun, wird uns allen helfen, denn wir verändern die Wirklichkeit unseres Landes, wenn auch nur in sehr kleinen Schritten. Wir nehmen eine andere Realität wahr und schaffen Bewusstsein."
Beitrag zum Abbau der Distanz und zur Überwindung der Armut
Seit zwei Jahren werden die Familien der Deutschen Schule immer im Frühjahr zu einem gemeinsamen Besuch nach Tecpán eingeladen. Bislang allerdings haben nur wenige auf diese Einladungen reagiert. Doch diejenigen, die gekommen sind, waren sehr beeindruckt, so wie diese Mutter:
"Es ist etwas völlig anderes, wenn jemand von so einer Situation erzählt, als wenn du sie erlebst und mit deinen eigenen Augen siehst, was den Kindern hier alles fehlt. Es ist wichtig, dass meine Töchter sich auch diese Wirklichkeit des Landes bewusst machen. Ich glaube, dass hilft ihnen in ihrer emotionalen Entwicklung."
Je mehr die wohlhabenden Entscheidungsträger eines Landes wie Guatemala vom Mangel, in dem die Bevölkerungsmehrheit lebt, erfahren, desto eher sind sie bereit, etwas an diesem Elend zu ändern. Deshalb sind kleine Brücken der Verständigung wie der Austausch zwischen der Deutschen Schule und der Schule Ixmukané ein wichtiger Beitrag zum Abbau der Distanz und zur Überwindung der Armut.