Latein in der Schule

Sic transit gloria mundi

Lehrbücher für den Lateinunterricht
Lehrbücher für den Lateinunterricht an deutschen Gymnasien © dpa / picture alliance / Marcel Mettelsiefen
Von Christoph Richter · 04.02.2015
Nicht nur der Ruhm der Welt ist vergänglich, sondern auch die Kenntnis der lateinischen Sprache bei deutschen Schülern. In Ostdeutschland steht sie fast schon auf der Roten Liste der gefährdeten Arten − ein Besuch in Weißenfels, Sachsen-Anhalt.
"Rem atrocem nec tantum epistula dignam Larcius Macedo, vir praetorius, a servis suis passus est, superbus alioqui dominus ..."
Fast wie zu alten Zeiten. Schüler eines Lateinkurses der 11. Klasse des Goethe-Gymnasiums in Weißenfels im Süden Sachsen-Anhalts quälen sich durch einen Brief des römischen Schriftstellers Plinius.
Lehrer: "Ja, kannst du das mal übersetzen?"
Schüler: "Eine Tat, die grässlich ist, und nicht nur ein Brief nötig hat ..."
Lehrer: "... eines Briefes würdig ist. Hat Larcius Macedo einen Prätorianer von einem Sklaven bekommen."
Lehrer: "Passus est. Hat eine schlimme Tat erduldet ..."
An der Tafel Matthias Elter. Kein strenger Studienrat, sondern ein verständnisvoller, der alles versucht, nur damit seine Zöglinge die Lust am Latein nicht verlieren. Denn jetzt sitzen sie nur noch zu dritt in der Klasse, begonnen hat man den Kurs einst mit 17 Teilnehmern.
"Das ist die Einleitung. Damit beginnt Plinius eine ziemlich furchtbare Sache zu schildern, wie nämlich die Sklaven ihren Herrn ermorden."
Beispielloser Niedergang
Latein ist das älteste Schulfach der Deutschlands. Bis zur Aufklärung war es die Sprache, die man in den Gelehrtenstuben sprach. So hat Goethe seine Doktorarbeit natürlich auf Latein verteidigt, das erste gedruckte Buch – die Bibel – war natürlich in Latein geschrieben. Und nur wer diese Sprache beherrschte, erhielt vollen Zugang zum Leben. Lange her. Seitdem hat die lateinische Sprache einen beispiellosen Niedergang erlebt. Denn immer weniger Schüler lernen Latein. Der 17-jährige Martin Kladinger kann es nicht so recht verstehen. Tief gebeugt sitzt er über seinen Latein-Texten:
"Ein bisschen Qual ist es schon, weil man extrem viele Vokabeln lernen muss. Muss auch viel Grammatik lernen. Ist Pflicht, sonst kann man keinen Text übersetzen. Bringt aber Spaß, wenn man dann einen lateinischen Text ins Deutsche übersetzen kann."
Zwei Bankreihen weiter sitzt in der fast leeren Klasse – wo am hinteren Ende eine Karte des Heiligen Römischen Reichs hängt – die 16-jährige Dana Gerber. Sie hat sich ein bisschen in die ausdrucksstarke Sprache verliebt, wie sie sagt. Vor allen Dingen haben es ihr die Liebesgedichte angetan.
"Also ich find Latein besonders schön, weil man das auch überall wieder findet. An alten Gebäuden sind lateinische Inschriften. Auch an Gräbern sind lateinische Inschriften. Ist eine schöne Sprache, weil sie nicht so weit verbreitet ist."
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes haben im letzten Schuljahr genau 709.407 Schüler in allgemeinbildenden Schulen Latein gelernt. 4,2 Prozent weniger als im Vorjahr. Im Osten Deutschlands müsste der Lateinunterricht fast schon auf die rote Liste der gefährdeten Arten gesetzt werden. In Sachsen-Anhalt beispielsweise lernten 2013 noch 7.800 Schüler Latein. 2005, also vor acht Jahren waren es noch weit über 10.000.
Schlüssel zur europäischen Tradition
Ein Dilemma nennt es Latein-Lehrer Matthias Elter, denn Latein ist nicht nur eine Sprache, sondern auch ein Ausdruck europäischer Kulturgeschichte. Das Schlüsselfach zur europäischen Tradition. Und der perfekte Demokratieunterricht, in dem man das Debattieren, das konstruktive Streiten lerne:
"Gerade Cäsar, Cicero. Die haben sich ja durch die Kraft des Wortes durchsetzen müssen. Ja, natürlich war es eine Sklavenhaltergesellschaft. Aber der Senat war immer ein Debattierclub."
Ob es um logisches Denken geht, die Beherrschung der eigenen Sprache oder das Lernen anderer Sprachen: Latein ist für den Latein-Lehrer eine Schlüsselqualifikation:
"Die Schüler bekommen durch das Latein einen anderen Blick auf die Welt. Also die Römer waren sehr sachlich und auch prägnant. Also Latein durchdringt ja alles, wo man es eigentlich gar nicht denkt. Und das ist für die Schüler ein schönes Aha-Erlebnis."
Und: Wer Latein lernt, bekomme zwangsläufig eine Prise Weltoffenheit mitgeliefert. Weil die Römer immer schon weit unterwegs, mit vielen verschiedenen Völkern verbandelt waren. Um es etwas polemisch zu formulieren: Latein-Unterricht als Immunisierung gegen Pegida-Mentalität und Abwehr alles Fremden, so der Latein-Lehrer Matthias Elter:
"Auf jeden Fall. Weil natürlich die Römer, diese Völker, die sie erobert haben, immer aufgenommen haben. Die haben das nie völlig plattgemacht. Die hatten ihre militärische Macht, aber die haben den Unterdrückten niemals den Glauben genommen. Es war ja eine Vielfalt von Religionen, die toleriert wurden in diesem römischen Imperium."
Wer sage, die Sprache sei tot und damit bedeutungslos, der irre. Es gehe nicht darum, mit meinen Nachbarn auf Latein zu sprechen, sondern es ist unser kultureller Anker, wie Matthias Elter sagt. Er hat Latein im Magdeburger Hubertuswerk gelernt, eine der wenigen Schulen in der DDR, die nach den 1950er-Jahren überhaupt noch Latein angeboten hat. Denn Latein passte nicht in das Bildungsprofil des DDR-Realsozialismus:
"Latein führte ein Schattendasein. Und es gab auch an den Universitäten kaum noch Ausbildungen zum Lateinlehrer."
Nach 1989 hat man beispielsweise in Sachsen-Anhalt fast bei Null angefangen, nach einer kurzen Hoch-Zeit um die Jahrtausendwende geht es nun wieder bergab. Für Schulleiter Jürgen Mannke vom jahrhundertealten Goethe-Gymnasium in Weißenfels ist das bedauerlich. Früher gehörte es zum guten Ton, seinen Kindern Latein-Unterricht zu geben, doch die Zeiten haben sich geändert, sagt er fast ein bisschen desillusioniert. Jürgen Mannke ist nicht nur Schulleiter, sondern auch der Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt im Deutschen Philologen-Verband.
Nicht mehr zulassungsrelevant
"Wir können natürlich das Wahlverhalten der Schüler, dahinter stehen meistens die Eltern, nicht allzu sehr beeinflussen. Weil das Gymnasium sich immer ein gewissen Maß der Modernität verpflichtet fühlen muss. Und insofern ist es schon bedauerlich, dass die alten humanistischen Ideale verschüttet gehen, dass die lateinische Sprache ein sinkender Stern ist. Es ist wahrscheinlich nicht zu verhindern. Ich bin an der Stelle nur Realist."
Doch nicht nur in den Schulen wird Latein zunehmend bedeutungsloser. Auch an den Universitäten. Wer an der Martin-Luther-Universität Halle Kunstgeschichte oder Wissenschaft vom Christlichen Orient studieren will, für den sind Lateinkenntnisse keine zwingende Voraussetzung. Es ist nicht – wie es heißt – zulassungsrelevant, sondern wird lediglich empfohlen.
Noch dramatischer als beim Lateinunterricht sieht es beim Altgriechisch-Unterricht aus. In Mecklenburg-Vorpommern lernt kein einziger Schüler mehr Altgriechisch, in Sachsen-Anhalt gerade mal 120 Schülerinnen und Schüler. In ein paar Jahren dürfte das Fach zumindest in diesen Bundesländern aus den Lehrplänen verschwunden sein.
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