"Lassen Sie uns ganz offen reden..."

Von Hajo Schumacher |
Wer jemals das Vergnügen hatte, nach dem Ende einer politischen Talkshow Gäste und Moderatoren zu erleben, der wähnte sich womöglich in einem bösen Traum. Kaum sind die Scheinwerfer erloschen und die Mikrofone abgeknöpft, da wird aus dem amtlichen "Herr Minister" ein vertrautes "Du", da steckt sich die Nichtraucher-Aktivistin hektisch eine Zigarette an, da klopft der konservative Politiker dem stolzen Gesprächsleiter vertrauensselig auf die Schulter und kritisiert in tückisch freundschaftlichem Ton die "gemeine Frage", die zwar völlig berechtigt gestellt worden sei, aber leider nicht beantwortet werden konnte, jedenfalls nicht vor den Zuschauern.
Der Autor dieser Zeilen weiß sich als eben einer dieser Moderatoren mitten im Glashaus, wenn er diese Illusionsveranstaltungen bemäkelt, die praktisch täglich in Fernsehen und Radio veranstaltet werden. Bisweilen, viel zu oft womöglich, macht er dieses Spiel sogar mit. Deswegen kann er aber dennoch ein paar besorgte Gedanken darüber verlieren.

Was Millionen Zuschauern da jeden Abend als investigatives Fragenfeuer im Dienste der Demokratie vorgespielt wird, ist viel zu oft ein Schauspiel, irgendwo zwischen Drama und Komödie. Die Kontroverse ist meist nur inszeniert. Kaum ist die mit professioneller Härte gespielte Sendung vorbei, kehren Journalist und Politiker zurück in die Realität.

Und die sieht ganz anders aus als eben noch auf dem Bildschirm. Da herrscht Kumpanei und Freundlichkeit, wenn auch bisweilen falsche. Fakt ist, dass sich zahlreiche Medienvertreter in vorauseilender Harmlosigkeit üben. Keine Spur von vierter Gewalt im Staate, die voreilige Demokratiewissenschaftler uns – den Journalisten - einst zumaßen.

Man könnte es sich leicht machen und kulturkritische Anmerkungen zum Verfall des Politischen und seiner Berichterstatter verlieren. Das ist nie falsch, aber fast immer auch zu kurz gegriffen. Denn Volksvertreter und ihre medialen Verstärker sind in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis verstrickt, in dem sich die Schuldfrage leicht stellen, aber nur schwer beantworten lässt.

Woher kommt nun diese Kuscheligkeit?

Ursache eins: Wir befinden uns in einer Endlosschraube aus Übervorsicht und Skandalisierungslust. Je zaghafter der strukturell ängstliche Spitzenpolitiker spricht, desto mutwilliger müssen Journalisten jeden halbwegs misszuverstehenden Halbsatz auch missverstehen. Andersherum gilt: Je unbedeutender ein Volksvertreter ist, desto eher neigt er zu bizarren Radikalforderungen wie "Rauchverbot im Auto" oder "Nie wieder Fernreisen". So gerät politische Kommunikation zum Hysterienspiel, weitgehend frei von Inhalten.

Ursache zwei: der wachsende Wettbewerb. Ganz offen berichtete Deutschlands Talklady Sabine Christiansen vom verbissenen Kampf um gute Gäste. Was soll man tun, wenn Herr Minister Ypsilon es unter seiner Würde betrachtet, gemeinsam mit einer stellvertretenden Parteivorsitzenden aufzutreten? Natürlich kann man den hochrangigen Gast ausladen.

Doch ohne Prominente riskiert man Quote. Und bei der Konkurrenz kommt der eitle Politiker mit seinen Forderungen womöglich durch. Der Wettbewerb um die wenigen präsentablen Spitzenkräfte zwingt zur Konzession, erst recht, wenn die ARD am Mittwoch wie geplant eine weitere Talkrunde installiert.

Ursache drei: Jene Unsitte, die geplanten Fragen mit dem Interviewpartner vorher abzustimmen, verbunden mit der Bereitwilligkeit, verbotene Themen auszusparen.

So ging der ehemalige Radprofi Jan Ullrich tatsächlich davon aus, dass ihn Talker Reinhold Beckmann nicht zum spanischen Dopingskandal befragen würde, jenen unappetitlichen Blutbeuteleien, die das Karriereende des Radfahrers mächtig beschleunigten. Es ehrt Beckmann, dass er das Thema dennoch ansprach und zwar mit lästiger Ausdauer. Ullrichs Berater versuchten daraufhin, die Ausstrahlung der Sendung zu verhindern; zumindest wollten sie kritischen Passagen herausschneiden.

Es ging dem Ullrich-Clan nicht um falsche Behauptungen oder Beschuldigungen, die ein Grund zur Aufregung gewesen wären, sondern nur darum, dass unerwünschte Themen angesprochen wurden. Soweit ist es also schon: Wenn das Schauspiel nicht gefällt, will man es hinterher noch mal nachhübschen.

Die spannende Frage lautet: Ist das Zusammenspiel zwischen Medien und Politik zurückzudrehen? Besteht Hoffnung auf eine Rückkehr zu professioneller Distanz und fairer Härte? Darüber entscheidet letztendlich der Zuschauer. Ihm kann auf Dauer nicht verborgen bleiben, dass oft viel zu nett geplaudert wird, wo brutalstmögliches Nachfragen nötig wäre. Nur der kollektive Gebrauch der Fernbedienung kann dem grasierenden Marzipan-Talk ein Ende machen.

Nach Abschluss der Münchner Journalistenschule schrieb Hajo Schumacher für die "Süddeutsche Zeitung". Dann arbeitete er rund zehn Jahre beim "SPIEGEL", zuletzt als stellvertretender Leiter des Berliner Büros und stellvertretender Ressortleiter Deutsche Politik. Anfang 2001 wurde Hajo Schumacher Chefredakteur von "Max". Nach seinem Ausscheiden arbeitet er jetzt als freier Journalist.
Hajo Schumacher
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