Langzeitarbeitslose

Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser

Blick in ein Jobcenter: im Vordergrund das Logo der Bundesagentur für Arbeit, im Hintergrund verschwommen zwei Frauen, die miteinander reden
Die Bürokratie misstraut denjenigen, denen sie eigentlich helfen soll, sagt Manfred Schneider. © dpa / picture alliance
Von Susanne Arlt · 07.09.2015
Deutschland lässt Langzeitarbeitslose in sinnlosen Maßnahmen verkümmern, kritisiert der Unternehmer Manfred Schneider. Er fordert weniger Sozialbürokratie - und mehr Vertrauen.
Treffpunkt Thomas-Weisbecker-Haus. Berlin, Wilhelmstraße. Ein Haus mit Vergangenheit. In den 60ern Kriegsruine, in den 70ern von Punks und selbsternannten Anarchisten besetzt, in den 80ern schmuck saniert. Ohne Gewalt, ohne Lärm. Das einzige, was damals Krach machte, war die Baustelle. Und so etwas ging? In den 80ern? In West-Berlin?
"Keiner dieser Jugendlichen hätte jemals vom Arbeitsamt etwas bekommen oder wäre in eine Maßnahme – damals Arbeitsbeschaffung – gegangen, um irgendetwas zu tun."
Manfred Schneider muss es wissen. Der 67-Jährige ist Unternehmer. Aber sein Herz schlägt links. Der Experte für Arbeitsmarktmaßnahmen schlug damals dem Berliner Senat einen schlauen Deal vor. Statt staatlicher Integrationskurse Geld für die eigene Gebäudesanierung. Für konservative Geister eher ungewöhnlich, aber in Berlin vor dem Mauerfall unter einer schwarzen Regierung noch möglich. Der Deal ging auf. Statt null Bock auf nix modernisierten die Bewohner ihr einsturzgefährdetes Haus. Und blieben im Zeitplan – ganz ohne Aufschläge.
"Das Beispiel ist deshalb gut, weil eine Gruppe, die komplett den Staat oder die Arbeit abgelehnt hat, die auch abgelehnt wurde vom Staat, tatsächlich über das Medium Arbeit schafft, was durch keine der anderen Maßnahmen möglich gewesen wäre. Die hätten sicherlich etliche Jahre Gefängnis gesammelt, aber mehr auch nicht. Und durch Arbeit ist etwas entstanden, wo alle eigentlich darauf stolz sein konnten und etwas Bleibendes geschaffen und ein Selbstwertgefühl haben."
"Hartz ist ein bürokratisches Monster"
Stolz, Selbstwert, das Gefühl mit seiner Arbeit etwas Bleibendes zu schaffen. Dinge, die sich mit der Hartz-IV-Gesetzgebung nicht erfüllt haben, meint Manfred Schneider.
"Hartz ist ein bürokratisches Monster."

Und noch ein zynisches dazu – kritisiert der 67-Jährige.
"Die Bundesagentur nennt ja ihre Arbeitslosen Kunden. Ein Kunde zeichnet sich aus durch Marktmacht, durch Selbstbestimmung, durch Wahlfreiheit, ja Entscheidungsfreiheit."
Bei der Jobsuche würden die Wünsche dieser Kunden aber eher selten berücksichtigt. Stattdessen stecke man Langzeitarbeitslose in "Maßnahmen", behauptet der Unternehmer. Denn eine gemeinnützige Beschäftigung zum Wohle aller sei nun mal keine Arbeit. Egal ob Ein-Euro-Jobber oder Bürgerarbeit.
"Wie soll ich Arbeit lernen, wenn ich in diesen Maßnahmen Arbeit simulieren muss. Wie soll jemand sich engagieren und einsetzen, wenn er selber weiß, dass es ja eigentlich überflüssige Arbeit ist. Das wird dann verbrämt mit gesellschaftlich wichtiger Arbeit, im Kern bleibt es unsinnige Arbeit."
Aufblasbarer Käse im Übungssupermarkt
Die Zahlen scheinen ihm Recht zu geben. Der Aufstieg in den ersten Arbeitsmarkt gelingt nur schwer. Die Zahl der Hartz-IV-Empfänger bleibt trotz guter Konjunktur konstant. Und das, obwohl die Mitarbeiter der Jobcenter nichts unversucht lassen. Sie schicken ihre Kunden zu Trägern, die für sie Bewerbungstrainings und Fortbildungen organisieren. Sie lernen Powerpoint und Gabelstaplerfahren. Oder sie verkaufen in einem Übungssupermarkt aufblasbaren Plastikkäse und Weinflaschen mit gefärbtem Wasser.
"Es gibt keine systematische berufliche Weiterbildung. Für Arbeitslose macht jeder irgendein Beispiel. Alles Humbug."
Wie gut das alles funktioniert, weiß niemand so genau. Sicher ist nur: Es kostet. Allein die simulierte Einkaufstour verschlang etwa eine Million Euro.
"Die sozialpolitischen Maßnahmen waren dann eher Betreuung, Hilfe, Integration - und es entsteht ebenso eine ganze Armutsindustrie, die eigentlich nix zu tun hätte, wenn sie keine Arbeitslosen hätte."
Manfred Schneider lehnt sich mit seinen Thesen weit aus dem Fenster. Als Arbeitsmarktexperte hat er doch selber jahrelang von dieser Armutsindustrie profitiert. Und tut es immer noch?
Er bekennt ganz offen: Er war auch Teil dieses Unsinns. Dafür wisse er heute, woran dieses Bürokratiemonster krankt und fordert zum Beispiel ein Weiterbildungsgesetz, das speziell auf Hartz-IV-Empfänger zugeschnitten ist. So wie es für Azubis ein Berufsbildungsgesetz gibt. Damit nicht jeder Bildungsträger macht, was er für sinnvoll hält. Aber das vielleicht beste Heilmittel: Den Arbeitslosen mehr Vertrauen schenken. Das schafft auch Selbstvertrauen. Die Rechnung könnte aufgehen. So wie damals bei den Hausbesetzern in den 80ern. Statt sie in unsinnige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu stecken, übertrugen ihnen die Politiker Verantwortung.
"Diese Haltung in dieser Sozialbürokratie, zu sagen, wir müssen sie kontrollieren, wir müssen sie auf den rechten Weg bringen, wir müssen sie anleiten, denn sie haben ja überall versagt, das ist eine systematische Haltung, also eine strukturelle Haltung in dieser ganzen Art der Gewährung dieser Hilfen und das wird dann verbrämt unter Gerechtigkeit, Gleichheit. Das ist die Haltung, dass die Sozialbürokratie grundsätzlich denen misstraut, denen sie eigentlich helfen soll."
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