Langstreckenwanderin Christine Thürmer

Expertin für Social Distancing

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Porträtfoto von Christine Thürmer, im Hintergrund das Publikum der ZDF-Talksendung "Markus Lanz"
Geht gerne wandern - und zu Markus Lanz: Christine Thürmer. © imago images / teutopress
Von Caroline Kuban · 03.05.2020
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Wandern in Zeiten von Corona - kein Problem, gerade für Langstreckenwanderin Christine Thürmer. Sie läuft ohnehin am liebsten allein. Einsam ist ihr dabei nicht zumute: Dank Handy bleibt sie stets mit Menschen in Kontakt.
"Mein Alltag hat sich durch Corona nicht viel verändert, weil ich ja quasi von Berufswegen eine 'Social Distancerin' bin, weil Langstreckenwandern eine sehr egozentrische Angelegenheit ist. Aus dem einfachen Grund: Wenn Sie diese langen Distanzen gehen wollen, dann geht das nur, wenn man konsequent sein eigenes Tempo und seinen eigenen Stil geht. Und deswegen bin ich immer allein unterwegs."
So auch an diesem sonnigen Tag im April. Wir treffen uns um die Mittagszeit auf einem Friedhof in Ahrensfelde, einem bevorzugten Pausenort der Langstreckenwanderin. Sie habe aus ganz praktischen Gründen eine große Affinität zu Kirchhöfen, erzählt Christine Thürmer:
"Es beginnt damit, dass es hier in unseren Klimazonen immer einen Wasserhahn für die Grabpflege gibt und ich brauch ja auch immer Wasser und am Friedhof krieg ich das quasi gratis geliefert. Und noch viel besser: Meistens befindet sich der Friedhof neben einer Kirche und in der Kirche gibt’s was anderes, was ich immer brauche, nämlich eine Steckdose, um mein Handy, um mein Akku wieder aufzuladen und die Powerbank, die ich dabei habe."

Lebenszeit als das Wichtigste im Leben

50.000 Kilometer zu Fuß, 30.000 Kilometer mit dem Rad, 6500 Kilometer mit dem Paddelboot. Als Christine Thürmer 1967 im bayrischen Forchheim das Licht der Welt erblickt, deutet nichts darauf hin, dass sie einmal – wie sie sich selbst bezeichnet – die meistgewanderte Frau Deutschlands werden würde.
Zunächst studiert sie Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste in Berlin, macht Karriere als Managerin, saniert Firmen. Bis sie mit 36 selbst einer Sanierung zum Opfer fällt und gekündigt wird. Dazu kommt der plötzliche Schlaganfall eines guten Bekannten. Christine kommt ins Grübeln.
"Mir ist klar geworden, dass die Lebenszeit das Wichtigste in meinem Leben ist. Denn Lebenszeit ist im Gegensatz zu Geld weder planbar noch vermehrbar."

Wandern macht glücklich

Also erfüllt sie sich ihren Traum und bucht einen Flug in die USA zu ihrer ersten Langstreckenwanderung. Viereinhalb tausend Kilometer von Mexiko nach Kanada. Sportlich komplett unvorbereitet hilft ihr vor allem ihr Logistik-Talent. Denn das Wichtigste am Langstreckenwandern ist die richtige Ausrüstung. Vor allem leicht muss sie sein.
"Ich hab am Computer meine ganze Ausrüstung verwogen, auf so einer Küchenwaage, wirklich aufs Gramm genau, hab das alles in eine Excel-Tabelle eingetragen und hab dann so lange rumoptimiert, bis meine gesamte Ausrüstung gerade mal fünf Kilo wog."
Und die beinhaltet alles, was sie auf dem Rücken trägt: Ultraleichter Rucksack, kleiner Schlafsack, Iso-Matte, Zelt, Kochausrüstung. Alles außer Wasser und Proviant. Von Anfang an hat sie so viel Spaß am Laufen, dass sie nichts Anderes mehr machen will. Wandern macht sie einfach glücklich, sagt Christine.

Wenn das Bett zum Paradies wird

"Der Hauptfaktor ist tatsächlich diese Reduktion auf das Minimum, was zu – wie ich mal plakativ sagen will – zu einer Reduktion der Glücksschwelle führt."
Wer sich wochenlang von Tütensuppen ernährt und in der Natur lebt und schläft, für den sind ein Schokoriegel, eine warme Dusche und ein weiches Bett das Paradies, meint die Outdoor-Expertin.
"Ein weiterer Punkt ist: diese Zeit für sich selber zu haben. Dieses Wandern gibt mir einen unglaublichen intellektuellen Freiraum."
Einsam fühle sie sich dabei nicht, betont Christine Thürmer. Im digitalen Zeitalter sei Kontaktpflege über weite Entfernungen überhaupt kein Problem.
"Ich bin einer der wenigen Menschen auf Gottes Erden, den Sie jeden Tag von Sonnenaufgang bis eine Stunde nach Sonnenuntergang anrufen können, und der immer Zeit, Ruhe und Muße hat, sich irgendwelche Probleme anzuhören. Also wenn jemand Liebeskummer hat, Job-Probleme, ich bin immer da."

Auf den Spuren der Geschichte

Die einzige Einschränkung, die sie durch die Corona-Krise jetzt erfährt: Sie muss ihre Tourenplanung ändern. Eigentlich wollte sie demnächst nach Griechenland, jetzt wird sie wohl in Deutschland bleiben – dass sie bereits dreimal quer und einmal längs durchwandert ist. Statt Wildnis und unberührter Natur also Geschichte und Kultur auf historischen Wanderwegen:
"Zum Beispiel den Limes-Wanderweg, der dieser alten römischen Grenze nachfolgt oder den Rhein-Burgen-Weg, wo Sie alle möglichen Burgen abgrasen. Oder den Hermannsweg, den Kyffhäuser-Weg, also auch da gibt es Wege mit historischem Bezug, vor allem als Römerbezug oder Germanenbezug. Das würd ich dann eben kombinieren und dann auf den Spuren der deutschen und europäischen Geschichte durch Deutschland wandern."
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