Langsamer Vaterverlust

In seinem Roman nähert sich der österreicherische Schriftsteller Martin Kubaczek dem Verlöschen des Lebens. Aus der Sicht des Sohnes beschreibt er einen Vater, der einmal voller Kraft war, mitten im Leben stand - und im Alter plötzlich auf die Obsorge seiner Frau angewiesen ist.
Der Vater des Ich-Erzählers war einmal ein kräftiger Mann, einer, der im Sommer weit und tief im See tauchen konnte, der mitten im Leben stand und wusste, wie er damit umzugehen hatte. Jetzt ist er an die 90 Jahre alt und hilfsbedürftig. Er, der sich kaum fremdbestimmen ließ, ist nun auf die Obsorge seiner Frau angewiesen.

Der Autor nähert sich diesem Verlöschen des Lebens auf mehrfache Weise: Im ersten Teil lässt er seinen Vater von dessen Erlebnissen im Zweiten Weltkrieg erzählen, von seinen Einsätzen in Russland und Italien. Sehr viel Glück hatte er dabei, insbesondere bei jenen Entscheidungen, die man in der Unbekümmertheit der Jugend trifft. Immer wieder gelang es dem Vater um Haaresbreite, dem Tod zu entgehen. Nicht nur das: Dazwischen, in all der Hoffnungslosigkeit und Entbehrung, bewahrt sich der Vater die Zivilisation der Seele, malt, zeichnet Situationen, spürt fremden Kulturen nach.

Im zweiten Teil lässt der Autor vornehmlich seine Mutter berichten. Sie blickt zurück in die Zeit, als sich der Vater und sie vor mehr als 60 Jahren kennengelernt haben, lässt durchblicken, wie sie ihre Liebe zueinander unspektakulär durch all die Jahrzehnte bewahrt haben, wie diese sich verändert, dem Alltag angepasst hat, aber doch das starke Band zwischen beiden geblieben ist. Das erzählt der Autor mit den Worten der Mutter auf berührende Weise, denn ohne es auszusprechen, tritt die enge Beziehung zwischen zwei alt gewordenen Menschen zutage, die Zärtlichkeit der Vertrautheit.

Im dritten Teil vertieft sich der Ich-Erzähler in die Bilder des englischen Malers William Turner, studiert sie, als wolle er eine Antwort auf das Rätsel seines Vaters erhalten, eine Erklärung für dessen Reaktionen in seiner Hinfälligkeit. Dabei entdeckt er die Vielschichtigkeit der Realität, dass das Vorhandene unterschiedlich gesehen werden kann, es von Licht, Tages- und Jahreszeit sowie subjektiver Gestimmtheit abhängt, wie ein Motiv wahrgenommen wird - vielleicht auch ein Mensch und seine Lebenssituation.

Thomas Kubaczek zeichnet dies alles sehr genau, seine Betrachtungen können mikroskopisch sein, kein Atemzug entgeht ihm. Mitunter wirkt die Intimität seiner Beschreibung schmerzhaft, wenn er sachlich wie ein Chronist, aber doch stets getragen von der Zuneigung zu seinem Vater, dessen Unvermögen zeigt, seine Inkontinenz, das Verschütten und Kleckern beim Essen.

Lässt er die Eltern erzählen, erscheint die Sprache so natürlich, als hätte er ihre Ausführungen mit Band mitgeschnitten. Wem die Betreuung alter Menschen vertraut ist, der kennt so manchen Ausspruch, der Mühsal und Sorge, Zuneigung und Verzweiflung gleichermaßen ausdrückt.

Ob es die die Beschreibung des Vaters beim Einnehmen der Mahlzeiten, beim Setzen der Schritte im Zimmer ist, oder die Interpretation der Bilder Turners, bei Kubaczek wird es Malerei mit Worten: Auch er zeichnet Szenen, die im geistigen Auge des Betrachters, des Lesers, vollendet werden. Der Autor, so will es scheinen, möchte möglichst nahe an das Objekt, es so deutlich und eindeutig wie möglich darstellen und kommt doch dem Geheimnis nicht nahe genug: Dem Geheimnis seines Vaters im Alter, dem Geheimnis des Alterns überhaupt.

Besprochen von Stefan May

Martin Kubaczek: Die Knie meiner Mutter und mein Vater im Krieg
Roman, Folio Verlag, Wien 2011
160 Seiten, 22,90Euro