Langeweile als Leitmotiv

Die Anlässe klingen krass: Unfälle, Vergewaltigungen, Schlägereien. Doch die Geschichten des Hollywood-Schauspielers James Franco handeln vor allem von der Langeweile wohlstandsverwahrloster kalifornischer Teenager. Sein Debüt als Schriftsteller überzeugt nicht ganz.
„Vor zehn Jahren, in meinem zweiten Jahr auf der Highschool, habe ich an Halloween eine Frau getötet.“ Ryan ist betrunken, eifersüchtig und wütend, als er einen Unfall verursacht. Er lässt die Frau verletzt am Straßenrand liegen, von ihrem Tod erfährt er erst aus der Zeitung. Es sind krasse Schicksalsmomente, um die herum James Franco seine Kurzgeschichten strickt: tödliche Unfälle, brutale Schlägereien, Vergewaltigungen.

Franco, geboren 1978 in Palo Alto, ist ein Star – und machte bisher in Hollywood eine gute Figur, unter anderem als böser Gegenspieler von Spiderman. Nun wechselt er mit seinem Erzählband „Palo Alto“ erstmals das Fach. Wobei seine Qualifizierung weit über seine Rolle als Allen Ginsberg in „Howl“ hinausgeht. Während er an seiner Schauspielkarriere feilte, studierte Franco nebenbei Literaturwissenschaft an zahlreichen US-Universitäten. Und gerade versucht er sich in Yale an einer Promotion. Die Erwartungen an sein Debüt als Schriftsteller sind also groß.

Franco erzählt er von einer jungen, amerikanischen Welt, in der Aussehen und Coolness die Hackordnung bestimmen. Wobei er sich vor allem denen widmet, die ganz unten stehen: den Kids, die in den Umkleideräumen der Highschools, den Folterkammern der Teenagerzeit, gequält werden: „Was ich tat, war wohl böse, aber in der Highschool ist Hinterhältigkeit alles.“ Das muss als Rechtfertigung genügen.

Die Verlierer kiffen und verschwenden ihre Jugend. Womit man beim eigentlichen Thema wäre. Nahezu alle Geschichten berichten von der Langenweile wohlstandsverwahrloster, kalifornischer Teenager, die Geschichten in „Palo Alto“ funktionieren wie eine depressive Folge von „O.C. California“: „Wir sind aus keinem besonderen Grund hier, nur weil die Nacht noch jung ist, wir betrunken sind, und wer will schon überhaupt jemals nach Hause.“

Langeweile als Leitmotiv. Franco liegt da gewissermaßen im Trend. Kein Coming-of-Age Roman mehr ohne: Ben Brooks lieferte mit „Nachts werden wir erwachsen“ gerade ein Remake vom „Fänger im Roggen“, Andreas Martin Widmanns erzählt in „Die Glücksparade“, das in diesen Tagen erscheint, von einer ereignislosen Jugend auf einem Campingplatz. Und Jan Brandts „Gegen die Welt“, im vergangenen Jahr immerhin für den deutschen Buchpreis nominiert, seziert die klaustrophobische Trostlosigkeit der norddeutschen Provinz.

Sport, Hobbys, wahre Freundschaften? All das gibt es nicht in Francos „Palo Alto“. Statt dessen Besäufnisse, Partys, Sex, Schlägereien und Tote. Die Langeweile derer, die darin verwickelt sind. Und die Langeweile derer, die außen vor sind und nur zusehen dürfen. Leider überträgt sich die erzählte Langeweile auch auf den Leser. Bei manchen Büchern mag das zum Leseerlebnis gehören. Im Fall von Palo Alto führt es zu einer gewissen Gleichgültigkeit gegenüber denen, die durch diese Leere stapfen.

Franco scheint der Mut zur langen Form gefehlt zu haben. Es gibt einige Stellen, da wünscht man sich, Franco würde verharren, mehr über seine Protagonisten zu verraten, über ihre Wünsche, ihre Sehnsüchte: „Selbst wenn man high ist, kann man immer nur so weit abhauen, dass man versteht, dass es einen besseren Ort geben muss, aber nicht so weit, dass man diesen Ort betreten dürfte ... „.

Sicher: Franco hat Talent. Aber den Leser beschleicht das Gefühl, dass hier jemand übt, seine Werkzeuge noch sortiert und ausprobiert. Dass ein Hollywood-Star mit literarischen Ambitionen auf dem Buchmarkt allerdings hoch im Kurs liegt, zeigt ein Blick auf sein nächstes Projekt. Francos erster Roman „Actors Anonymous“ wird nicht bei einem regulären Verlag, sondern direkt vom Online-Buchhändler Amazon.com verlegt werden: Ein gutes Buch? Auf jeden Fall ein Coup der neueren Verlagsgeschichte.

Besprochen von Marten Hahn

James Franco: „Palo Alto“
Eichborn (Bastei Lübbe), Hamburg 2012
224 Seiten, 16,99 Euro