Lange Schatten

Von Claudia van Laak · 24.02.2009
Junkerland in Bauernhand - das war die Parole der Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone. Nach 1945 enteigneten die Besatzer all diejenigen, die mehr als 100 Hektar Land besaßen. Die neuen Eigentumsverhältnisse wurden auch 1990 beim Beitritt der DDR nicht angetastet. Und dennoch müssen sich Brandenburger Gerichte nun damit befassen.
"Die Bodenreform muss die Liquidierung des feudal-junkerlichen Großgrundbesitzes gewährleisten und der Herrschaft der Junker und Großgrundbesitzer im Dorfe ein Ende bereiten, weil diese Herrschaft immer eine Bastion der Reaktion und des Faschismus in unserem Lande darstellte und eine der Hauptquellen der Aggressionen und der Eroberungskriege gegen andere Völker war."

So heißt es in Artikel 1 der Verordnung über die Bodenreform. Im September 1945 tritt sie zunächst in Sachsen-Anhalt, in den Tagen darauf auch in den andern Ländern der sowjetisch besetzten Zone in Kraft. Entschädigungslos enteignet werden alle, die mehr als 100 Hektar Land besitzen, außerdem – so wörtlich – "Kriegsverbrecher, Kriegsschuldige, Naziführer und aktive Verfechter der Nazipartei", unabhängig davon, wie viel Land sie besitzen. Vielerorts kommt es zu dramatischen Szenen – den Familien bleibt kaum Zeit, die nötigsten persönlichen Dinge zusammen zu packen. Über Nacht müssen sie Haus und Hof verlassen. Der Vorsitzende der KPD, Wilhelm Pieck, sagt im September 1945:

"In diesen Wochen vollzieht sich in einem großen Teile Deutschlands mit der demokratischen Bodenreform eine völlige Umwälzung der ländlichen Besitzverhältnisse. Der Bauer wird zum freien Herrn seiner Scholle und zur kräftigsten Unterstützung der Demokratie im Dorfe."

Insgesamt 3,3 Millionen Hektar Land werden im Zuge der Bodenreform enteignet. Ein Drittel davon behält der Staat, zwei Drittel erhalten bislang landlose Bauern oder Vertriebene, die sich damit eine neue Existenz aufbauen können. Etwa eine Million Menschen profitieren von der Bodenreform. Auch Frieda und Richard Netzel mit ihren beiden Söhnen Horst und Egon, die 1945 aus Pommern gen Westen flüchten.

"Ich war damals sieben Jahre alt, mein Bruder war neu, da sind wir dann geflüchtet bis Mecklenburg, da sind wir zum Oderbruch gekommen, dann haben wir eine Siedlung gekriegt, mein Bruder interessierte sich nicht dafür und ich sollte das erben."

… erzählt Egon Netzel, der heute 71 Jahre alt ist. Zehn Hektar Wald und Acker erhält die Familie. Dass dieses Land zuvor jemand anderem gehört hat, der von den sowjetischen Besatzern enteignet und vertrieben worden ist, darüber denken die Netzels nicht nach. Warum auch - sind sie doch ebenfalls vertrieben worden.

"Das war eigentlich ganz korrekt. 'Ihr habt euers verloren, jetzt habt Ihr dafür Bodenreformland.' Das wurde richtig im Grundbuch eingetragen."

Rentner Netzel sitzt im Wintergarten seines bescheidenen Einfamilienhauses in Strausberg östlich von Berlin. Ein kleiner, schmaler, etwas misstrauisch wirkender Mann. Warum sich die Reporterin gerade für seine Geschichte interessiert, kann er nicht verstehen. Dabei hat sein Fall für politische Erschütterungen in Brandenburgs Landeshauptstadt Potsdam gesorgt – für einen Untersuchungsausschuss und eine Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Matthias Platzeck:

"Die Landesregierung bedauert zutiefst, dass sich das Land in einer Vielzahl von Fällen fehlerhaft verhalten hat und dadurch das Vertrauen in den Rechtsstaat erschüttert wurde. Die Landesregierung steht zu ihrer Verantwortung. Es geht auch um das Ansehen unseres Landes, dessen bin ich mir sehr bewusst."

Grund für diese Regierungserklärung ist ein Urteil des Bundesgerichtshofes, das auf eine Klage des gelernten Rettungssanitäters Egon Netzel aus Strausberg zurückgeht. Ein kuriose Geschichte, die mit dem Tod des Vaters Richard Netzel beginnt. Seine Ehefrau und die beiden Söhne erben das Land, das Richard Netzel im Zuge der Bodenreform erhalten hat. Die Erben verkaufen den Wald, das Ackerland verpachten sie an einen Bauern.

"Unser Land wurde an ihn verpachtet und dann haben wir ihm im Jahr 2002, da haben wir ihm das denn verkauft, er hat uns das Geld gegeben, wir waren beim Notar, war alles überschrieben."

Das Geld ist bereits auf dem Konto von Egon Netzel, als er plötzlich einen aufgeregten Anruf des Käufers erhält: Dieser wolle sein Geld zurück, der Kauf sei nichtig, denn er könne nicht als neuer Besitzer ins Grundbuch eingetragen werden.

"Dann wurde gesagt, denen, die das verkauft haben, also die Familie Netzel, denen gehört das Land gar nicht mehr, das Land gehört dem Staat."

Das Gesicht des 71-Jährigen läuft rot an, sein weißer Schnauzbart zittert. Egon Netzel regt sich immer noch auf, obwohl der Vorfall bereits sieben Jahre zurückliegt. Wieso das Land Brandenburg und nicht seine Familie im Jahr 2002 im Grundbuch stehen, das kann er sich zu diesem Zeitpunkt ganz und gar nicht erklären.

"Wir konnten uns ja kein Bild machen was das soll, warum gehört uns das Land nicht, es wurde uns ja auch nicht benachrichtigt, überhaupt nicht, das ist ja das Kuriose. Wenn ich einem was wegnehme, enteigne, so ist es bei den Kommunisten gewesen, die haben Bescheid gesagt, hört mal, das gehört euch nicht, so war das bei den Nazis, die haben gesagt, enteignet, weg, gehört euch nicht, aber die Landesregierung! Klammheimlich weggenommen, ohne überhaupt den Leuten davon bescheid zu sagen."

Egon und sein Bruder Horst Netzel ziehen vor Gericht – vor dem Oberlandesgericht erzielen sie einen Vergleich. Doch Brandenburgs Finanzministerium geht in die Revision, zieht vor den Bundesgerichtshof. Am 7.Dezember 2007 ergeht ein denkwürdiges und für das Land Brandenburg vernichtendes Urteil. Die Übertragung des Grundstücks der Familie Netzel an das Land ist sittenwidrig, urteilt der Bundesgerichtshof. Brandenburg habe ein "eines Rechtsstaates unwürdiges Verhalten" gezeigt, das "an die Verwalterbestellung der DDR" erinnere.

"Ich sehe das als ein großes Unrecht an natürlich was geschehen ist, und bin natürlich der Meinung, solche Leute gehören eigentlich nicht in die Regierung."

Eine schallende Ohrfeige von einem obersten Gericht – das lässt bei Potsdams Landesregierung die Alarmglocken schrillen. Doch die erste Reaktion des Finanzministeriums lässt auf sich warten. Es stellt sich heraus, dass weder Minister noch Staatssekretär über den Gang zum Bundesgerichtshof informiert sind, die Entscheidung hat ein Beamter des Hauses gefällt. Christian Görke, Mitglied der Linkspartei im Untersuchungsausschuss zur Bodenreformaffäre:

"Es sieht so aus, dass in einer Verwaltungsebene diese wichtige Entscheidung gefällt worden ist und insofern muss man sich wirklich fragen, ob mittlerweile der Pförtner im Finanzministerium solche wichtigen Entscheidungen fällt. Dass eine Hausspitze einen solchen Sachverhalt nicht bewertet und entscheidet, das ist eigentlich ein Skandal."

Schnell wird klar – die Angelegenheit von Egon Netzel ist kein Einzelfall. Brandenburgs Finanzministerium muss zugeben, dass es viele Netzels gibt – genau 10.200. In all diesen Fällen von vererbtem Bodenreformland hat sich das Land selber zum Eigentümer erklärt – offensichtlich ohne vorher genau zu recherchieren, ob es darauf einen Anspruch hat. Der Untersuchungsausschuss im Potsdamer Landtag versucht derzeit, die Hintergründe dieser Affäre aufzuklären.

Es ist die 17. Sitzung des Untersuchungsausschusses 4/1, zu dem die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter an diesem Februarnachmittag im Raum Nummer 306 des Potsdamer Landtags zusammengekommen sind. Von der Rückwand des Saals grüßt ein grimmiger roter Adler mit herausgestreckter Zunge – das brandenburgische Landeswappen.

Parlamentarier und Zuhörer erfahren an diesem Nachmittag, wer für das sittenwidrige Verfahren verantwortlich war und wie es genau ablief. Grundlage ist das sogenannte zweite Vermögensrechtsänderungsgesetz. Danach konnten die Bundesländer von den Bodenreform-Erben unter bestimmten Voraussetzungen die Herausgabe ihrer Grundstücke verlangen: Dann, wenn die Erben schon zu DDR-Zeiten nicht mehr in der Landwirtschaft oder in verwandten Branchen gearbeitet haben. Den ostdeutschen Ländern kam die Aufgabe zu, Hunderttausende dieser Fälle zu überprüfen, in Brandenburg waren es 82.000. Eine komplizierte Angelegenheit, sagt Ingo Decker, Sprecher im Finanzministerium.

"Es hat noch niemand mit einer solchen Bodenreformabwicklung bisher zu tun gehabt, niemand in Deutschland, keine Liegenschaftsverwaltung, keine Juristen und auch keine sonstigen Landesbeamten, und es hat sich nach der Wende manches als sehr viel schwieriger und zeitaufwändiger herausgestellt als das ursprünglich erwartet worden ist, und das war hier auch so."

Die Bodenreformgrundstücke weckten Begehrlichkeiten in den ostdeutschen Länderverwaltungen, besonders im Brandenburger Finanzministerium. Möglichst viele Grundstücke für den Fiskus sichern, das war der Grundsatz in Potsdam. Mit der Rechtsstaatlichkeit nahmen es die zuständigen Beamten dabei nicht so genau – das hat der Bundesgerichtshof festgestellt. Sprecher Ingo Decker wiegelt ab:

"Kein Mitarbeiter dieses Hauses ist wissentlich und bewusst einen rechtswidrigen Weg gegangen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass bestimmte Entscheidungen der Verwaltung sich im Nachhinein durch die Rechtssprechung als unrechtmäßig herausstellen, das ist aber kein Skandal."

Das Gesetz über die Zuordnung des Bodenreformlandes enthält einen Stichtag – den 2.Oktober 2000. Bis zu diesem Tag hatten die Länder Zeit zu prüfen, ob sie auf das jeweilige Grundstück Anspruch erheben wollten. Dazu mussten zunächst die Erben der Grundstücke gesucht werden. In Brandenburg aber wurde zu langsam recherchiert, noch im Sommer 2000 gab es mehr als 10.000 offene Fälle. Und so griff das Finanzministerium zu einem juristischen Trick: Es bestellte sich selber zum Vertreter der - vermeintlich oder tatsächlich – unbekannten Erben und ließ sich anschließend bei einem Großteil der Ländereien als Eigentümer in die Grundbücher eintragen – so auch im Fall der Familie Netzel. Ein klares In-Sich-Geschäft. Christian Görke, für die Linke Mitglied im Untersuchungsausschuss:

"Erschreckend für uns war natürlich, dass sich eine Verwaltungsebene verselbständigt hat ohne politische Kontrolle, einen rechtsstaatlich bedenklichen Verfahrensweg hier zu praktizieren, der darin mündete, dass im Sommer 2000, kurz vor der Verjährung, Tausende Grundstücke durch diese Rechtskonstruktion in das Eigentum des Landes überführt wurden."

Das harsche Urteil des Bundesgerichtshofes hat dieser Praxis ein Ende bereitet. In Zeitungsanzeigen hat das Land Erben von Bodenreformland aufgerufen, sich zu melden. Sie bekommen nun Zug um Zug ihre Grundstücke zurück. Unsere Aufgabe ist es jetzt, den entstandenen Schaden wiedergutzumachen, sagt der Sprecher des Finanzministeriums Ingo Decker.

"Die Ansprüche auf diese rund 10.000 Grundstücke hat das Land fallen gelassen, als Konsequenz aus dem BGH-Urteil und wir werden jetzt diese Grundstücke und sind auch schon dabei, an die berechtigten Erben zurückgeben, ohne wenn und aber, hier wird klare Kante gezogen, und wir werden auch dokumentieren, dass wir diese Ansprüche aufgeben, indem wir in den übrigen Fällen die Grundbücher berichtigen lassen."

Etwa 100 Kilometer östlich von Potsdam gießt sich Hans-Georg von der Marwitz Milch aus einem Silberkännchen in den Earl-Grey-Tee und lässt sich aus dem Untersuchungsausschuss des Landtags berichten. Der Landwirt aus Friedersdorf interessiert sich aus zwei Gründen für dieses Thema: Zum einen ist er Mitglied der Brandenburger CDU und kandidiert in diesem Jahr für den Bundestag. Zum zweiten hängt sein jetziges Leben eng mit der Bodenreform zusammen. Wäre sein Großvater Bodo von der Marwitz nicht 1945 von den sowjetischen Besatzern enteignet worden, seine persönliche Lebensgeschichte wäre mit Sicherheit anders verlaufen.
Der Landwirt steht auf, geht die wenigen Schritte hinüber zur Kirche.

"Ich bin jetzt in neunter Generation hier in Friedersdorf, ich muss sagen, wieder. Das hat mich 1990 schon sehr bewegt, die Kirche war zu damaliger Zeit in einem desaströsen Zustand, also hier im Chorraum waren nur noch Fragmente des Mauerwerks vorhanden, hier wuchsen oberschenkelstarke Bäume, und das Kirchenschiff war größtenteils zerstört."

Hans-Georg von der Marwitz steht im Innenraum der schmucken Barockkirche von Friedersdorf, blickt stolz auf die neue Orgel und das wiedererstandene Gotteshaus. 30 Jahre lang war die Kirche baupolizeilich gesperrt – bis Hans-Georg von der Marwitz ins Dorf zog und sich um die Sanierung kümmerte.

"Hans-Georg" hieß auch der erste Marwitz, der vor genau 327 Jahren nach Friedersdorf kam. Die Marwitz´sche Tradition ist allerdings nicht ungebrochen – nach dem Zweiten Weltkrieg enteignen die sowjetischen Besatzer die Familie im Zuge der Bodenreform. 1990 kehrt der Enkel des letzten Besitzers zurück nach Friedersdorf, einer 330-Einwohner-Gemeinde am Rande des Oderbruchs.

"Wir haben dann 1991 bei Aufräumungsarbeiten ein Kreuzgewölbe gefunden, haben dieses Kreuzgewölbe geöffnet und fanden da die Särge des ersten Marwitz, seiner Frau und seines Sohnes in einem sehr guten Zustand, das war schon sehr, sehr beeindruckend."
"Die Marwitze haben dem Lande manchen braven Soldaten, manchen festen Charakter gegeben", schreibt Theodor Fontane in seinen Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Hans-Georg von der Marwitz ist einer von ihnen. Ein stattlicher 48-Jähriger, der karierte Tweed-Jacketts mag, die Automarke Mercedes und silberne Serviettenringe mit eingravierten Vornamen. Der Landwirt und Unternehmer engagiert sich in der evangelischen Kirche, hat gemeinsam mit anderen ein kirchliches Gymnasium gegründet. Mit seiner Frau, seinen vier Kindern und seiner Mutter lebt er nun im sanierten Torhaus des Gutes und sieht sich als Glied in einer jahrhundertealten Familienkette. Bis zum 9. November 1989 allerdings war Hans-Georg von der Marwitz diese Tradition mehr oder weniger egal.

"Natürlich hat Mutter schon immer wieder erzählt, aber es hat uns nicht wirklich interessiert, es war so weit weg von uns, ich bin in Franken und im Allgäu groß geworden, ich fühlte mich als Teil dieser Gemeinschaft dort unten, und ich war bis 1989 der Meinung, das ist unser Zuhause im Allgäu. Dass ich nicht richtig zuhause war, das ist mir erst nach dem 9. November klar geworden, dass es in dieser Familie noch etwas anderes gab, was uns indirekt geprägt hat."

Hans-Georg von der Marwitz besucht nach der Wende Friedersdorf und bleibt. Zusammen mit seiner Frau kauft er das ehemalige Kavaliershaus, wohnt während der Sanierungsarbeiten fast ein Jahr lang im Wohnwagen, baut ein landwirtschaftliches Unternehmen auf, beschäftigt mittlerweile 20 Mitarbeiter. Hans-Georg von der Marwitz muss kaufen und pachten wie jeder andere auch, obwohl er Enkel des letzten Gutsbesitzers ist. Die Enteignungen während der sowjetischen Besatzungszeit sind nicht rückgängig gemacht worden, der Einigungsvertrag schreibt die Ergebnisse der Bodenreform fest. Der letzte DDR-Ministerpräsident Lothar de Maiziere sagt dazu auf einer Pressekonferenz im August 1990:

"Im Grundgesetz soll der Einigungsvertrag so abgesichert werden, dass seine Inhalte auch künftig Bestand haben. Dies gilt insbesondere für die Eigentumsfrage einschließlich der Ergebnisse der Bodenreform. Ich lege darauf im Interesse der Deutschen in der DDR und im Interesse des Rechtsfriedens in Deutschland großen Wert."

Hans-Georg von der Marwitz sitzt im geräumigen Salon seines Wohnhauses. Auf dem Parkettboden dicke Teppiche, in der Ecke ein Flügel, viele Familienfotos, historische Möbel. Könnte man 60 Jahre mit einem Fingerschnipp beseitigen, würde der Blick aus dem Fenster auf das Marwitz´sche Schloss fallen, über das Fontane einst schrieb: "Die Frage nach dem Maß der Schönheit wird gar nicht laut. Alles ist charaktervoll und pittoresk, und das genügt."
Doch das Schloss existiert nicht mehr. Obwohl im Zweiten Weltkrieg nur wenig zerstört, machen es die sozialistischen Machthaber 1948 dem Erdboden gleich.
Von der Marwitz nimmt einen Schluck Tee, blickt sinnierend hinaus. Hat er sich nie als Besitzer von Friedersdorf gefühlt?

"Nein, das kann man auch nur verstehen aufgrund unserer Erziehung. Ich bin nicht in die Tradition geboren und erzogen worden, eines Tages mal Besitzer von Friedersdorf zu sein. Ich bin 18. Enkel meines Großvaters, unter normalen Bedingungen wäre ich nicht Besitzer von Friedersdorf geworden. Also insofern hatte ich nie das Gefühl, Friedersdorf wäre im weitesten Sinne meins oder unser. Das war letztlich auch eine sehr befreiende Herangehensweise."

Hans-Georg von der Marwitz hat nie den früheren Besitz der Familie für sich beansprucht. Trotzdem ärgert er sich darüber, wie die Kohl-Regierung, wie seine Partei, die CDU, nach der Wende mit dem Bodenreformland umgegangen ist. Sein Credo lautet: Den Nutznießern der Bodenreform nichts wegnehmen. Aber der Teil des enteigneten Landes, der später den DDR-Staatsbesitz mehrte, der sollte an die Bodenreformopfer zurückgegeben werden.

"Ich sehe in der Anerkennung der Bodenreform durch die Bundesrepublik Deutschland oder durch die damals Regierenden schon eine Ungeheuerlichkeit. Aus meiner Sicht: Alles, was gesiedelt wurde, ist unantastbar, aber das Land, was sich 1990, am 3.10.90 im Bodenfonds oder im volkseigenen Vermögen hielt, das hätte aus meiner Sicht ohne Wenn und Aber zurückgegeben werden müssen."

Doch der Staat, in diesem Fall die Bundesrepublik Deutschland, hat das Land für sich behalten und damit seinen Besitz gemehrt. Insgesamt 1,4 Millionen Hektar Ackerland, dazu 770.000 Hektar Wald gingen zunächst an die Treuhand, nach deren Abwicklung an die BVVG – die Bodenverwaltungs- und Verwertungsgesellschaft des Bundes, die das Land verpachtet und Stück für Stück verkauft. Hätte der Bund dieses Land unter bestimmten Bedingungen an die ursprünglichen Besitzer zurückgegeben, hätten wir jetzt in Ostdeutschland blühende Landschaften - ist Hans-Georg von der Marwitz überzeugt. Viele Familien wären dann seinem eigenen Beispiel gefolgt, glaubt der Landwirt.

"Man hat vergessen, dass die Bindungen dieser Menschen Enormes hätte bewirken können. Sie können sich das anhand der verschiedenen Besitzungen, der verschiedenen Aktivitäten der wenigen Familien, die es trotzdem auf sich genommen haben, sehen. Gerade Ostdeutschland hätte dieses Bewusstsein für Heimat und für Verantwortung in dieser Heimat gebraucht."

Der Fall von Hans-Georg von der Marwitz, dessen Großvater von den sozialistischen Machthabern im Zuge der Bodenreform enteignet worden ist und dessen Erben nach der Wende nichts zurückerhalten haben.
Der Fall von Egon Netzel, der vom Land Brandenburg quasi enteignet worden ist, ohne davon Kenntnis zu erhalten.
Diese beiden Fälle haben eigentlich nichts miteinander zu tun. Trotzdem sieht Hans-Georg von der Marwitz Gemeinsamkeiten – in beiden Fällen habe der Staat das grundgesetzlich verbriefte Privateigentum nicht respektiert.

"Dass sich der Staat wieder dieser Ländereien bemächtigt, das hat schon gewisse Parallelen zu 1990, und schließt sozusagen nahtlos an ein Verhalten an, das unserer demokratischen Grundordnung widerspricht und letztlich auch dem Artikel 14 unseres Grundgesetzes 'Eigentum verpflichtet' eigentlich Hohn lacht."

Der Untersuchungsausschuss 4/1 des Potsdamer Landtags hat seine Zeugenvernehmungen beendet. Ein Abschlussbericht soll im April vorliegen. Personelle oder andere Konsequenzen erwartet niemand.