Lange Rede, großer Sinn

Der südamerikanische Autor Alan Pauls schreibt mit Vorliebe lange, aus einem Satz bestehende Monologe, ausufernde Einschübe und eine Flut von scheinbar abschweifenden Vergleichen und Metaphern - allerdings mit solcher Intensität, Dichte und Spannung, dass man sich die Augen reibt.
Der verstorbene chilenische Schriftsteller Roberto Bolano, dessen Opus Magnum "2666" derzeit hierzulande Furore macht, feierte in einem Artikel Alan Pauls als "einen der größten lebenden Autoren Südamerikas". Auch wenn man sich ähnlich schmeichelhaften Vergleichen mit Proust oder Nabokov, wie sie von spanischen Literaturkritikern angestellt wurden, nicht unbedingt anschließen möchte, so ist dieser Roman über eine verlorene Liebe doch eine kleine Sensation.

Und das vor allem trotz oder gerade wegen seiner stilistischen Wagnisse, die eigentlich Gift für einen gut lesbaren, zeitgenössischen Roman sind: lange, nur aus einem Satz bestehende innere Monologe, ausufernde Einschübe, eine Flut von scheinbar abschweifenden Vergleichen und Metaphern, Wortkaskaden, schier unerschöpfliche, in immer neuen Anläufen gefundene Umschreibungen, sodass, Seite für Seite, manche Absätze auf gut und gerne 300 Wörter kommen.

Das Erstaunliche daran ist, dass Alan Pauls mit einem derart anachronistischen Verfahren über knapp 600 Seiten eine nicht gerade handlungsgetriebene Geschichte ausbreitet, und es geschieht mit solcher Intensität, Dichte und Spannung, dass man sich immer wieder die Augen reibt.

Eine Herausforderung für den Übersetzer Christian Hansen, dank dessen eleganter Übertragung Alan Pauls Suche nach der "Vergangenheit" absolut stilgerecht im Deutschen angekommen ist. Nebenbei verbirgt sich hinter dessen Rolle auch eine ironische Pointe. Denn Held des Romans ist ein Fremdsprachenübersetzer.

Rimini geht seine Arbeit mit allem erdenklichen Furor an, sein tägliches Pensum sind mithilfe von Kokain an die 40 Seiten übersetzter Prosa aus dem Französischen. Er wird ein Star auf seinem Gebiet, bis er an einer Art sprachlichem Alzheimer zu leiden beginnt. Er vergisst nach und nach alle fremdsprachigen Wörter. Da befindet er sich schon längst in Trennung von seiner Frau Sofia, mit der er zwölf Jahre lang zusammengelebt hatte, und mit Anfang 30 unternimmt er den unbestimmten Versuch eines Neuanfangs. Er beginnt neue Affären und kann doch seiner Geschichte nicht entkommen, die ihn in Gestalt von Sofia verfolgt. Denn mit ihr erlebte er die große, perfekte, absolute Beziehung, "ihre Liebe war eine Festung, hinter der sie sich verschanzten", "etwas Mafiöses" lag darin. Deren Nachleben wird zu einer Obsession, die sich in der wiederkehrenden, nicht eingelösten Aufforderung symbolisiert, die 1560 Fotos aus der gemeinsamen Vergangenheit untereinander aufzuteilen. Die alte Leidenschaft, sie ist noch da, aber nun als zerstörerische Kraft.

Faszinierend, wie subtil Alan Pauls die seelischen Abgründe der beiden ausleuchtet, wie er dem Verhängnis der Symbiose auf die Spur kommt und dem, was aus der Erinnerung einen Götzendienst macht. Jetzt schon darf man gespannt sein auf seinen neuen Roman, der nächsten Herbst erscheint, wenn Argentinien thematischer Schwerpunkt der Frankfurter Buchmesse sein wird.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Alan Pauls: Die Vergangenheit
Aus dem Spanischen von Christian Hansen
Klett-Cotta-Verlag, Stuttgart 2009
560 Seiten, 24,90 Euro