Links
George Grosz 1893-1959 bei LeMOGrosz, George (eigentlich Georg Ehrenfried) bei Deutsche Biographie
Georg Grosz bei Art Directory
Georg Grosz Archiv
Georg Grosz bei Wikipedia
"Ein kleines Ja und ein großes Nein"
"Aus einer mir vertrauten Umgebung in Stolp kommend, stand ich während einer Pause auf dem Schulhof. Alles war mir so fremd und die Berliner Umgebung so neu, und ich hatte auch noch keine rechte Freundschaft schließen können. So stand ich da, halb träumend und war gerade dabei, in mein ausgewickeltes Butterbrot hineinzubeißen, als ich plötzlich von einem vorbeirennenden Jungen einen kräftigen Stoß in den Rücken erhielt und der Länge nach mit dem Gesicht auf meinem Butterbrot in den Schmutz fiel… Ich war wie gelähmt. Ich war vernichtet, und obwohl ich den Jungen davonrennen sah, war ich nicht imstande, ihm zu folgen oder gar eine Prügelei zu wagen. Warum, weiß ich selbst nicht; es muss etwas anderes gewesen sein als nur ein gewöhnlicher Stoß in den Rücken. In mir, so besinne ich mich, war es eiskalt vor Hass und Wut, aber irgendwie schluckte ich es, ohne zu murren – merkwürdig."
"Das war ein einschneidendes Erlebnis über die Hinterhältigkeit von Menschen. Und er schreibt es auch in seiner Autobiografie, wie dieses Kindheitserlebnis ihn geprägt hat und ihn eigentlich verfolgt hat durch sein ganzes Leben, diese Hinterhältigkeit, die latent vorhanden ist." Erklärt Grosz´ Nachlassverwalter Ralph Jentsch.
George Grosz schreibt weiter: "Später lernte ich meine Lektion, und viel später gehörte ich selbst zu jenen, die Stöße in den Rücken butterbrotessender und träumender Jungen verabfolgten. Aber komisch, ich habe dieses Erlebnis bis heute nicht vergessen. Oft noch empfand ich die ungeheure Bösartigkeit, Einsamkeit und Verlorenheit, die ich auf dem Schulhof in der Artilleriestraße verspürte. Ich fand diesen Menschentyp dann in fast allen Lebenslagen wieder; es war, als hätte ich damals ein tieferes Gesetz der Brutalität entdeckt, aber gleichzeitig damit das immer und ewig vorhandene Lachen der Schadenfreude.
"Da sprach dann natürlich der satirische Maler aus ihm, der das Bürgertum, das antidemokratische, antirepublikanische Bürgertum dann ja mit Stift und Farbe schubste, herunterstieß, die sogenannten Stützen der Gesellschaft - natürlich auch ein literarischer Bezug auf Ipsen - bloßstellte und natürlich sehr stark zurückschubste und dann natürlich auch verarbeiten musste, dass wiederum zurückgeschubst wurde." erläutert der Biograph Alexander Kluy.
"Er war ja dann auch in den späten zwanziger Jahren der deutsche Künstler, der am heftigsten von der deutschen Justiz traktiert wurde mit allen Folgen für seine Karriere. Wir sprechen jetzt erst mal nicht von den Nerven, vom Nervenkostüm. Sondern wir sprechen auch von Auswirkungen auf die eigene Karriere. Ihm wurde dann ja auch bei der Wahl in eine sehr namhafte Akademie die Aufnahme verwehrt und statt seiner wurde Emil Nolde aufgenommen, damals völkisch, ideologisch völkisch nationalistisch eingestellt und er, sehr links verfemt, von der Justiz heftigst traktiert. Die Schubser waren groß in seiner Karriere und das hat ja bis zu seinem Tode nicht aufgehört. Und das hat in den 60 Jahren seither nicht aufgehört. Wenn man überlegt, dass die Kunstgeschichte, vor allem die deutschen Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker, ihn sehr gern nur auf zehn Jahre seines Schaffens festlegen, dann schubst ihn die Kunstgeschichte immer noch herum. Und er war ja fast 50 Jahre lang aktiv, ungemein fleißig, sehr produktiv und schuf dann später vor allem nach 1933/1940 Werksuiten, die zum Teil seit mehr als 30 Jahren in Deutschland nicht mehr ausgestellt worden sind. Das heißt, bis heute wird geschubst."
Aber Georg Ehrenfried Groß treibt auch ein ganz simpler Gedanke an, nämlich schlicht der, seiner Mutter und seinen Freunden, Bekannten und Nachbarn in Stolp zu imponieren:
"Ja, Maler wollte ich zu gerne werden, große Bilder malen, die dann doch sicher in Velhagen & Klasings Monatsheften reproduziert würden. Da würden dann die Stolper sie auch zu sehen bekommen und meine Mutter würde ordentlich stolz sein, wie man da und dort über mich sprach. Schöne Gedanken bewegten mich und versöhnten mich mit der nicht so ganz einverstandenen Umwelt. Ach, die Fantasie – es war schon tadellos -, oder vielleicht war es noch besser, wenn ich ein Illustrator würde?"
"Während draußen die Vögel in den Bäumen zwitscherten und die Sonne in mein Fenster schien, zeichnete ich Hunderte von Blättern. Sie stellten eigentlich immer dasselbe dar: Zwei Figuren, die sich gegenüberstanden, grotesk verzerrt. Dazu erfand ich Witze. Sie waren meist recht unwitzig und schematisch. Aber die Zeichnungen waren leichter verkäuflich, wenn ich die Witze mitlieferte. Allmählich wurde es eine wahre Schinderei, passende Witze zu finden, denn ich war kein Witzbold und meine Weiterreise zur Vereinsamung, zur Sammlung, zum wirklichen Humor und zur gerechten Verachtung der Masse hatte noch nicht begonnen. Nur meine Fahrkarte hatte ich in der Tasche. Ich war ein Esel unter Eseln, aber sehr heiter, wenn ich jetzt daran zurückdenke. "
Alexander Kluy: "Natürlich war das auch eine Phase in der er sich selber finden wollte, finden musste sich auch künstlerisch ausprobierte, immer wieder Neues anfing im Zeichenstil, im Habitus, neues Amalgam verarbeitete, begierig aufgriff. Das waren ja auch die Jahre, wo französische Künstler wie Picasso und Léger auf afrikanische Kunst begierig reagierten. Plötzlich war da eine ganz andere Ausdruckskraft dahinter und die deutschen Expressionisten wollten expressiv sein, also sich ausdrücken, zum Teil ganz primitiv in Anführungszeichen und Groß mittendrin, der sich immer wieder verändern wollte und verändern musste und anfing, Zeitungen zu beliefern mit charakteristischen Zeichnungen. Das für mich Faszinierende von sehr früh an bei ihm war auf einer Seite das Wilde, das Ungezügelte. Auf der anderen Seite dieses ungemein Disziplinierte. Er war nicht nur eine Augenbestie sondern auch ein Arbeitstier, der enorm viel produzierte, zeichnete, sehr überlegt vorging und ein Werk schuf, das von der Größe her bis heute kaum überschaubar ist."
Buchtipp:
Georg Grosz. König ohne Land. Biografie. Von Alexander Kluy, DVA 2017
Die erste umfassende Biografie über den herausragenden Maler der Moderne
Alexander Kluy erzählt von Leben und Werk des Ausnahmekünstlers George Grosz. Er wertet nach Angaben des Verlags zahlreiche Dokumente und archivalische Quellen erstmalig aus.
Ausstellungstipp:
George Grosz in Berlin | Bröhan-Museum
In der Ausstellung sind über 200 Werke aus Berliner Museen und Privatsammlungen, dem Berliner Kunsthandel und aus dem sich in Berlin befindlichen Nachlass zu sehen, die sonst größtenteils nicht öffentlich zugänglich sind.
Kostenlose öffentliche Führungen
(zzgl. Museumseintritt) an jedem Sonntag, 15 Uhr, Anmeldung nicht erforderlich
"Während draußen die Vögel in den Bäumen zwitscherten und die Sonne in mein Fenster schien, zeichnete ich Hunderte von Blättern. Sie stellten eigentlich immer dasselbe dar: Zwei Figuren, die sich gegenüberstanden, grotesk verzerrt. Dazu erfand ich Witze. Sie waren meist recht unwitzig und schematisch. Aber die Zeichnungen waren leichter verkäuflich, wenn ich die Witze mitlieferte. Allmählich wurde es eine wahre Schinderei, passende Witze zu finden, denn ich war kein Witzbold und meine Weiterreise zur Vereinsamung, zur Sammlung, zum wirklichen Humor und zur gerechten Verachtung der Masse hatte noch nicht begonnen. Nur meine Fahrkarte hatte ich in der Tasche. Ich war ein Esel unter Eseln, aber sehr heiter, wenn ich jetzt daran zurückdenke."
Alexander Kluy: "Natürlich war das auch eine Phase in der er sich selber finden wollte, finden musste sich auch künstlerisch ausprobierte, immer wieder Neues anfing im Zeichenstil, im Habitus, neues Amalgam verarbeitete, begierig aufgriff. Das waren ja auch die Jahre, wo französische Künstler wie Picasso und Léger auf afrikanische Kunst begierig reagierten. Plötzlich war da eine ganz andere Ausdruckskraft dahinter und die deutschen Expressionisten wollten expressiv sein, also sich ausdrücken, zum Teil ganz primitiv in Anführungszeichen und Groß mittendrin, der sich immer wieder verändern wollte und verändern musste und anfing, Zeitungen zu beliefern mit charakteristischen Zeichnungen. Das für mich Faszinierende von sehr früh an bei ihm war auf einer Seite das Wilde, das Ungezügelte. Auf der anderen Seite dieses ungemein Disziplinierte. Er war nicht nur eine Augenbestie sondern auch ein Arbeitstier, der enorm viel produzierte, zeichnete, sehr überlegt vorging und ein Werk schuf, das von der Größe her bis heute kaum überschaubar ist."
Alexander Kluy: "Dann kam er in ein Irrenhaus für mehrere Wochen und das war die Hölle auf Erden. Vor dem Ersten Weltkrieg beschrieb er immer wieder gerne in barocken Begriffen den Dreißigjährigen Krieg, die Dichtern wie Gryphius und Grimmelshausen entnommen waren, eine marode Welt, in der der Holzwurm überall steckte, in der alles verfault sei, eine völlig verrückte Welt. Und jetzt landete er in einem verrückten Haus. Das war grenzwertig, über viele Wochen absolut grenzwertig. Das muss ihn auch einiges an psychischer Konstitution und Gesundheit gekostet haben."
George Grosz schreibt Briefe an seine Freunde, in denen er ausdrucksstark sein Leiden schildert:
"Oh Finale des Infernos, des wüsten Hin- und Hermordens – Ende des Hexensabbat, grausigster Entmannung, Hinabschlachtens, Kadaver über Kadaver, schon glotzt grün verwesende Leiche aus Gemeinen! – Wenn doch bald ein Ende herankäme!! –
Herzlichst Dein George."
Buchtipps:
Ralph Jentsch. George Grosz. Wienand Verlag & Medien Okt 2013
In Ralph Jentschs Buch "George Grosz" geht es besonders um George Grosz' Ablehnung des Ersten Weltkrieges und seine Kritik an der politischen und gesellschaftlichen Situation in Deutschland, die Grosz nicht nur in Zeichnungen und Aquarellen äußerte, sondern auch in Grafikfolgen und illustrierten Büchern. Noch nach seiner Emigration in die USA 1933 dominierte die unabwendbare Katastrophe in Europa seine Arbeit.
Ralph Jentsch. Alfred Flechtheim - George Grosz. Zwei deutsche Schicksale. Weidle Verlag 2008
In "Alfred Flechtheim - George Grosz. Zwei deutsche Schicksale" beschäftigt sich Ralph Jentsch damit, was Hitlers Machtergreifung für den Künstler George Grosz (1893-1959) und seinen Galeristen Alfred Flechtheim (1878-1937) bedeutete: Beide mussten emigrieren und große Teile ihrer Kunstbestände zurücklassen. Viele davon wurden von Nationalsozialisten auf zwielichtigen Wegen verkauft, ihr Verbleib ist bis heute unbekannt. Alfred Flechtheim starb in großer Armut.
"Als Dadaisten hielten wir Meetings ab, bei denen wir gegen ein paar Mark Eintrittsgeld nichts taten als den Leuten die Wahrheit zu sagen. Das heißt, sie zu beschimpfen. Wir nahmen kein Blatt vor den Mund. Wir sagten: "Sie alter Haufen Scheiße da vorne ja, Sie dort, mit dem Schirm, Sie einfältiger Esel" oder "Lachen Sie nicht, Sie Hornochse". Antwortete einer, und natürlich taten sie das, so riefen wir wie beim Militär: "Halts Maul oder Du kriegst den Arsch voll". Und so weiter und so weiter."
Ralph Jentsch: "Diese Dada-Abende, das waren ja eigentlich Veranstaltungen, mit denen man an die Öffentlichkeit treten konnte, so wie ein Kabarettabend oder eine Theateraufführung. Nur war das von den Veranstaltern viel infamer gedacht und inszeniert, als das Publikum eigentlich erwartet hat und oftmals endeten solche Dada-Abende in einem totalen Tohuwabohu, fast in Schlägereien und Protestrufen. Und man hat es auf die Spitze getrieben, um den Bürger, nicht um ihn zu verarschen, aber um zum Nachdenken zu bringen, denn dazu ist viel zu viel vorher passiert. Und nach 1918 hat man ja auch sich nicht eingestanden - alle waren darüber enttäuscht -, dass Deutschland den Krieg nicht gewonnen hat. Das war eigentlich die große Enttäuschung und keinem ist klar geworden, // welche Verbrechen eigentlich damals durch die Deutschen, durch die deutsche Wehrmacht, begangen wurden."
"Ich zum Beispiel war der "Propagandada", was zwischen dem Namen und dem kleingedruckten Satz "Wie denke ich morgen?" auf meiner Visitenkarte stand. Ich hatte Parolen zu erfinden, die der guten Sache des Dadaismus nützen sollten. "Dada ist da" oder "Dada siegt" oder "Dada über alles". Wir druckten diese Parolen auf kleine Zettel und bald waren Schaufenster, Caféhaustische, Haustüren und dergleichen in ganz Berlin damit bepflastert. Es war wirklich besorgniserregend."
Um dem brodelnden Kessel der Hauptstadt zu entkommen, reist George Grosz zusammen mit seiner Frau Eva und seinen beiden Söhnen nach Frankreich. Er malt Dünenlandschaften, schöne Frauen im Sand, Blumen.
Ralph Jentsch: "Das war 1927. Er hatte irgendwo genug von diesen Berlin und wollte nicht der ewige Revolutionär sein. Frankreich war für ihn eigentlich das große Ziel. Er hatte vor dem Krieg sechs Monate in Frankreich gelebt und dann 24, 25 Frankreich besucht und dann seinen Händler, den Alfred Flechtheim, dazu gebracht, ihm einen Frankreich-Aufenthalt zu finanzieren und der Bankier Simon hier in Berlin. Und Flechtheim hatte zu ihm gesagt, hör mal auf solche revolutionären Bilder zu malen. Mal mal Landschaften; mal irgendeinmal etwas, wir verkaufen können. Und es ging beim einem Ohr rein und beim anderen raus. Aber er hat sich in Frankreich hingesetzt und hat in sehr, sehr einfachen Verhältnissen zuerst in Marseille und dann später in Cassis gelebt und hat in Cassis also wirklich das ideale Malerleben für eine Zeitlang verwirklichen können und lebte da ganz bescheiden - war gerade sein Sohn Peter geboren mit seiner Frau - in einem Turm. Da gab es keine elektrischen Lichter, da gab es kein heißes Wasser, aber sonst alles, was man so zum Leben braucht, Fisch aus dem nahen Meer, Früchte vom Feld. Und er fing noch einmal an, richtig die Malerei zu studieren. Also wie grundiere ich ein Bild? Welche Farben benutze ich, um diesen oder jenen Effekt zu erzielen? Und hat fast wie in einem Selbststudium dann Landschaften, Stillleben gemalt. Da sind so etwa 70 Bilder entstanden in dieser Zeit. Und es war für ihn eine ganz wichtige Periode, weil er eigentlich auch in der finanziellen Unabhängigkeit einer Leidenschaft frönen konnte, eben seiner Malerei."
Erneut zeigt sich eine andere Seite des Malers. Der Maler, der seine Staffelei unter der französischen Sonne aufstellt, auf der Palette helle Farben mischt, nackte Frauen in Dünen malt und mit der Familie am Strand liegt.
George Grosz kehrt Deutschland den Rücken, folgt dem Ruf einer Kunstschule, der Arts Students League, nach New York. Zuerst geht er allein. Ein Jahr später, Anfang 1933, siedelt er mit seiner Familie endgültig in die USA über.
"Oft fragte man mich: "Ja, Grosz. Wie konnten Sie denn alles so genau vorher wissen? Und wie kam es, dass Sie rechtzeitig aus Nazideutschland fortgingen? Hatten Sie Informationen oder hatten Sie eine Vorahnung? Haben Sie vielleicht eine Wahrsagerin befragt oder sich die Karten legen lassen? Ist Ihnen das Buch des Nostradamus in die Hände gekommen? Wieso haben Sie gerade noch vor Toresschluss sich davongemacht? Sechs Wochen nach ihrer Abfahrt fiel ja die Tür ins Schloss,der Reichstag brannte und alle Menschen, die wie sie auf der Liste standen …"
Alexander Kluy: "Sein Leben wäre viel kürzer gewesen, wäre er ja noch drei Wochen länger in Berlin geblieben. Denn mit der sogenannten Machtergreifung am 30. Januar 1933 änderte sich die Atmosphäre komplett. Einen Tag später wurde von Leuten sein Atelier aufgebrochen, Atelier war leer. Sie wussten, wo er wohnte, sie flitzten um die Ecke mit Äxten in der Hand. Sie brachen die Wohnung, auf die Wohnung war leer, er stand nämlich ganz oben auf einer Liste von sogenannten Gegnern der Nazis. Er wäre auf der Stelle arretiert worden. Die Fahrt, die Übersiedlung von Berlin nach New York sicherte ihm und seiner Familie das physische Überleben."
"Dann kam die Nachricht vom Reichstagsbrand, der alles schauerlich erleuchtete. Da sah ich, dass eine Vorsehung mich hatte aufsparen wollen - und im kleinen Hotel in Cambrigde in einer der Seitenstraßen von New York dankte ich heimlich meinem Gott, dass er mich so vorsorglich beschützt und geführt hatte. Bald kamen Briefe, aus denen ich erfuhr, dass man in meiner nun leeren Berliner Wohnung nach mir gesucht hatte, desgleichen in meinem Atelier. Dass ich da lebend davongekommen wäre, darf ich wohl bezweifeln. Ich beantragte sofort meine "ersten Papiere" als Einwanderer in die Vereinigten Staaten."
George Grosz mal Aquarelle mit düsteren Weltuntergangsphantasien, hat Einzelausstellungen in amerikanischen Großstädten, malt das Leben in der Großstadt. Um sich und seine Familie durchzubringen, arbeitet er als Lehrer, unterrichtet reiche Damen der New Yorker Gesellschaft.
Ralph Jentsch: "Was bei Grosz eben auch eine entscheidende Rolle spielt, ist nicht diese Erleichterung nach 45, das sozusagen der Faschismus besiegt ist, sondern die große Angst vor einem neuen großen Atomkrieg. Und deswegen, da fangen auch die Stickmen an, die diese Verzweiflung zeigen, wo es eigentlich nichts mehr Menschliches gibt, wo ihm auch klar wird, wenn das tatsächlich passiert, dieser Atomkrieg, dann ist die Welt zu Ende."
Alexander Kluy: "Das war ein Zyklus, der sozusagen gesundheitspolitisch für ihn wichtig war, von dem er auch nichts verkaufte. Und dann zog es ab den späten vierziger Jahren wieder an. Er malte mehr und mehr Waldszenen, Stillleben. Das ging dann wieder. Das war dann auch der Zeitgeist der frühen 50er Jahre, den er bereitwillig kommerziell entgegenkam. Er malte dann auch weiterhin Akte, sehr viele erotische Zeichnungen, die dann auch gingen und verkäuflich waren. Aber er wurde immer verdrossenen immer verdrießlich. Die Situation in Europa war verheerend nach dem Zweiten Weltkrieg, wurde ihm deutlich rapportiert."
Ralph Jentsch: "Er machte ja auch gar kein Hehl draus, sondern bekennt das ja auch offen in Briefen an einen Freund, dass er eigentlich ja sieht, dass er mit seiner Kunst nichts bewirkt hat. Und deswegen gibt es da manchmal auch Äußerungen, alles was ich in Berlin gemacht habe, ist Scheiße usw. Was natürlich dann auch widerrufen wird und nicht stimmt. Aber es gibt diese Verzweiflung darüber, dass da einmal die Intellektuellen versagt haben, die Literaten, die Politiker aus der Zeit und eben auch, dass er mit seiner Kunst nichts anrichten konnte. Das muss man sich vorstellen, das hat er schon sehr persönlich aufgefasst, auch als ein persönliches Versagen."
Alexander Kluy: "Er trank immer mehr, manchmal trank er so viel, dass er am nächsten Tag immer noch sturzbetrunken ihm im Bett lag. Und seine Frau wurde immer verzweifelter und er trank dann auf den betrunkenen Zustand nüchtern noch etwas kräftiger. Das hatte natürlich auch verheerende Folgen für die Physis. Er klagte damals sein Leid wirklich massiv in seinen Briefen vor allem gegenüber seinen engsten Freunden, die inzwischen fern waren. Viele deutsche Exilanten waren in den Fünfzigern Jahren schon wieder zurückgekehrt, lebten in der Schweiz oder sogar in Deutschland. Und er war nun einer der wenigen, die noch in den USA geblieben waren und aus ihm, dem bekannten deutschen Maler der Zwanziger Jahre in Berlin, damals einer der bekanntesten und prominentesten, in den 30er Jahren immer noch in den USA gefragt, war nun in den frühen fünfziger Jahren ein ausgebrannter Mann geworden und das sah man auch aus den Fotografien aus jener Zeit.
Am 5. Juli trifft sich George Grosz mit einem Journalisten, dessen Frau sowie anderen Künstlern, zuerst im heimischen Wohnzimmer, dann geht es hinaus in die Stadt, in ein Restaurant. Eva stößt kurzeitig dazu, bevor die Gruppe um George Grosz weiterzieht.
Alexander Kluy: "Am Ende des Tages hatte er viel getrunken. Eva war schon vorab nach Hause gegangen. Und er verabschiedete sich, das überlieferte dann einer der jungen Teilnehmer genau ein Jahr später, winkte ihnen zu wie ein Zirkusdirektor, so wie ein Clown mit Strohhut und halbem Arm in der offenen Tür. Und dann war es nach Mitternacht. Es war dunkel und man kann nur Rätselraten, was dann geschah. Er muss dann wohl im Dunklen die falsche Treppe genommen haben und eine Treppe herunter gerauscht sein und dann im Laufe von mehreren Stunden am eigenen Erbrochenen - in Folge wohl einer Herzschwäche oder eines Herzinfarktes - erstickt sein. Das war grausam und gruselig und kam viel zu früh. Er steckte voller Pläne da schon wieder.
George Grosz stirbt in der Nacht vom 5. auf den 6. Juli in Berlin, nur vier Wochen nach seiner Rückkehr nach Deutschland. In das Land, dessen Bewohner ihn anzuziehen schienen, aber auch abzustoßen.
"Deutsch sein, heißt immer: geschmacklos sein, dumm, hässlich, dick, unelastisch - heißt mit 40 Jahren keine Leiter besteigen zu sein, schlecht angezogen sein - deutsch sein heißt: reaktionär schlimmster Sorte, heißt: unter hundert wäscht sich mal einer den ganzen Körper."
Ralph Jentsch: "Bei dem ganzen Hass, den Grosz hatte auf die Deutschen und die Verachtung auf den Faschismus und die Verachtung gegenüber dem Spießer, war er im Grunde genommen doch ein großer Humanist. Grosz war ein großer Humanist, der auch den Glauben an die Menschen nie verloren hat. Natürlich viele Enttäuschungen mitgemacht hat und was dann so in der Realität dann sehr tragisch ist für ihn."