Lange im Dornröschenschlaf

"Eine sagenhafte Dame haben sie wach geküsst", erzählt Joachim Fontaine, der Leiter der Kantorei Saarlouis, und meint "Iphigénie en Tauride" von Louis Théodore Gouvy. Doch vorher mussten sie suchen, in den Staatsbibliotheken München und Berlin, in Leipzig beim Verlag Breitkopf, in Paris und London. Fündig wurde man im Keller der Duisburger Philharmonie, wo das Orchestermaterial einmal komplett vorhanden war.
So konnte das Oratorium nach 100 Jahren erstmals wieder aufgeführt werden. Joachim Fontaine weiter: "Unsere Iphigenie ist ein prächtiges Wesen. Nymphen, Skythen und Barbaren, griechische Jungfrauen, Krieger, all das ist genauso kunterbunt und dramatisch vertreten, wie vorauszuahnen war, sehr romantisch aber nie kitschig." Das Oratorium entstand 1875. Die Musik ist zutiefst emotional und hoch spannungsgeladen. Dramatische Effekte, wie man sie in Kriegs- und Horrorfilmen des 20. Jahrhunderts kennt, scheinen hier zum Teil schon vorweggenommen.
Louis Théodore Gouvy, der deutsch-französische Komponist, dem seine Zeitgenossen französische Eleganz und deutsche Ernsthaftigkeit gleichermaßen nachsagten, wurde 1819 in Saarbrücken geboren und starb 1898 in Leipzig. In Paris studierte er Jura und später Musik. Sein Grab steht im lothringischen Städtchen Hombourg-Haut, wo sich die Villa seines Bruders befindet, heute Sitz des Institut Gouvy, das sich mit Leben und Werk dieses außergewöhnlichen Komponisten befasst. Gouvy hatte beste Kontakte zu den wichtigsten Komponisten und Interpreten seiner Zeit. Hector Berlioz schrieb: "Dass ein Musiker vom Rang des Herrn Gouvy in Paris noch so wenig bekannt ist, während Schwärme von Mücken das Publikum mit ihrem hartnäckigen Gesumm belästigen, das muss die naiven Geister verblüffen und empören, die noch an den Verstand und die Gerechtigkeit unserer musikalischen Sitten glauben." Trotzdem fand seine Musik sehr zögerlich Anerkennung. Nach seinem Tode geriet sie für ein Jahrhundert fast völlig in Vergessenheit. In einer Zeit großer politischer Spannungen zwischen Frankreich und Deutschland war Gouvy als Wanderer zwischen beiden Kulturen auf verlorenem Posten.


Evangelische Kirche Saarlouis
Aufzeichnung vom 10.12.2006

Louis Théodore Gouvy
"Iphigénie en Tauride"
Dramatische Szenen für 4 Solostimmen, Chor und Orchester op. 76
Text: Louis Théodore Gouvy nach Johann Wolfgang von Goethe

Christine Maschler, Sopran - Iphigénie
Ekkehard Abele, Bass - Thoas
Benjamin Hulett, Tenor - Pylades
Vinzenz Haab, Bariton - Orest
Kantorei Saarlouis
La Grande Société Philharmonique
Leitung: Joachim Fontaine

nach Konzertende ca. 21:00 Uhr Nachrichtren