Lange geächtet: Benzoesäure

Das wundersame Comeback eines Konservierungsmittels

Ein polnischer Erntehelfer pflückt am 22.08.2017 Heidelbeeren auf den Feldern der Agrargesellschaft Chemnitz mbH in Rottmanshagen (Mecklenburg-Vorpommern).
Auch bestimmte Beerenarten wie Heidelbeeren enthalten einen geringen Anteil an Benzoesäure. © picture alliance / Bernd Wüstneck/dpa
Von Udo Pollmer · 12.01.2018
Um Lebensmittel zu konservieren, war die Benzoesäure im 19. Jahrhundert ein Segen für die Lebensmittelindustrie. In Ungnade fiel das Mittel später jedoch aufgrund seiner Nebenwirkungen. Nun wird der Stoff wiederentdeckt - als vielversprechendes Medikament.
Die Entdeckung der konservierenden Wirkung der Benzoesäure im Jahre 1875 war ein Segen. Damals sicherten Mittel zur Haltbarmachung das Überleben, sie halfen, den Hunger zu mildern. Als der technische Fortschritt nach dem Zweiten Weltkrieg die lang ersehnten Agrar-Überschüsse ermöglichte, begann die Diskussion um unerwünschte Nebenwirkungen: Auf der Zunge wirkt die Benzoesäure betäubend, im Rattenversuch wurde eine Brunsthemmung beobachtet und Mäuse erlitten Missbildungen am Auge. Kann das noch gesund sein?
Es folgte, was folgen musste: die Naturwelle. Man wollte seine Lebensmittel frisch, natürlich und ohne Konservierung, schon gar nicht mit den inzwischen geächteten E-Nummern. Da es Essen im Überfluss gab, war es egal, ob etwas im Kühlschrank vergammelte. Ab in die Biotonne und Frisches gekauft. Die einst mit Begeisterung begrüßte Benzoesäure und ihre Benzoate verschwanden sang- und klanglos von den Etiketten.

Angst vor der E-Nummer

Nun taucht die Totgesagte wieder auf. Im Grunde war sie nie weg, denn in der Natur ist sie weit verbreitet. Als Bestandteil von Baumharz gelangt sie über die Papierfabriken in erheblicher Menge ins Wasser. Aber auch im Wehrsekret von Schwimmkäfern ist sie präsent, überreichlich im Weihrauch, geringe Mengen finden sich im Obst. Doch die Gehalte reichen bei Beeren bereits aus, um Viren abzuwehren, die Pflanzenkrankheiten auslösen. Mit dem Nektar gelangt die Säure bis in den Honig. Sogar bei der Fermentierung von Milch bilden die Mikroorganismen das Konservierungsmittel. Der E-Nummern-Stoff ist – einmal abgesehen von den Etiketten – überall.
Nicht alle Lebewesen vertragen die Substanz gleichermaßen, reine Fleischfresser wie Katzen können sekundäre Pflanzenstoffe nicht entgiften. Bereits fünf Promille im Futter sind für Stubentiger tödlich. Ganz anders bei Pflanzenfressern, sie sind evolutionär an Abwehrstoffe angepasst. Deshalb konnte die Benzoesäure in der Nutztierhaltung die inzwischen verbotenen Wachstumsförderer ersetzen. Mit dem Zusatzstoff im Futter ist das Vieh gesünder, die Mastleistung besser und zudem sinken bei der Gülle die Emissionen an Ammoniak und Stickoxiden.
Benzoesäure entsteht sogar im menschlichen Körper – und zwar beim Abbau von Flavonoiden, jenen sekundären Pflanzenstoffen, derentwegen wir möglichst viel Obst und Gemüse essen sollen. Als Forscher Blaubeeren an Labornager verfütterten, waren sie ziemlich erstaunt, als sie sahen, wo die neugebildete Benzoesäure auftauchte: Sie befand sich nicht nur im Blut, erhöhte Gehalte wurden ausgerechnet im Hippocampus, also im Gehirn angetroffen. Noch effektiver als Beeren war Zimt, der ja immer wieder in Verdacht geraten war, gesundheitlichen Nutzen zu bieten. Der darin reichlich enthaltene Aromastoff Zimtaldehyd sorgte ebenfalls für neugebildetes E 211, also für Natriumbenzoat im Gehirn.

Mittel gegen gegen Demenz und Parkinson

Wie absurd, ja wie gefährlich ist das denn? Versuche an Tier und Mensch ergaben zum allgemeinen Erstaunen, dass der Medizin mit dem einst verpönten Zusatzstoff ein vielversprechendes Medikament gegen Demenz und Parkinson zur Verfügung stehen könnte. Es verbesserte unter anderem das Gedächtnis und förderte das Lernen.
Benzoesäure hat sich schon seit längerem gegen mehrere erblich bedingte Stoffwechselleiden wie der Ahornsirup-Krankheit bewährt, ebenso in der Therapie von schweren Leberschäden wie Zirrhose, weil es die damit verbundenen neuropsychiatrischen Beschwerden mildert. Selbst bei Schizophrenie scheint das Konservierungsmittel hilfreich zu sein. Nachdem es offenbar auch Grippeviren inaktiviert und die Blutfette senkt, ist das Interesse der Pharmaindustrie endgültig geweckt.
Wir sind am wieder Ausgangspunkt angelangt: Der einst als Rettung vor dem Hunger gefeierte Stoff, der schließlich ob seiner Nebenwirkungen in Ungnade fiel, ist nun genau aufgrund dieser erneut ein Hoffnungsträger – diesmal in der Medizin.
Wie sprach Hippokrates schon vor über 2000 Jahren so trefflich: Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein und eure Heilmittel sollen eure Nahrungsmittel sein. Mahlzeit!
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