Lang lebe das Modellprojekt
Lang lebe das Modellprojekt. Und auch die journalistische Nachfrage. Modellprojekte in Hessen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Der Länderreport befasst sich heute mit dem Stand der Dinge.
Fünf Jahre dauerte der Modellversuch mit Schwerstdrogenabhängigen in sieben deutschen Großstädten zwischen München und Hamburg, darunter auch in Frankfurt am Main. Eine wissenschaftliche Studie ergab: einer kleinen Gruppe Schwerstabhängiger hilft Diamorphin, also synthetisches Heroin. Wird es unter ärztlicher und sozialpädagogischer Aufsicht verabreicht, haben sie die Chance, wieder normal zu leben. Mediziner und Kommunalpolitiker aller Parteien in den sieben Städten fordern nun, aus dem Modellversuch eine reguläre Medikamentenvergabe zu machen. Dazu müsste das aber Betäubungsmittelgesetz geändert werden. Doch da will die CDU in der Großen Koalition in Berlin nicht mitziehen. Der erfolgreiche Modellversuch droht also Auslaufmodell zu enden. Anke Petermann hat die Heroin-Ambulanz in Frankfurt am Main besucht.
Heroinvergabe morgens um acht im Frankfurter Ostend. Wer Arbeit hat, kommt zuerst dran. Das heißt Sicherheitscheck wie auf dem Flughafen und Datenabgleich per Computer - ein Pfleger macht das. Die individuell dosierte Diamorphin-Spritze gibt es in der Frankfurter Heroin-Ambulanz nur für die 58 registrierten Schwerstabhängigen. Und nur dann, wenn sie nüchtern sind. Der Pfleger reicht dem Abhängigen das Alkoholtestgerät.
0,0 Pro Mille. Die nächste Tür geht, ein Raum mit drei Zweiertischen. Am Abgabe-Schalter erhält der Süchtige ein Plastiktablett samt Spritze, Tupfer und Haut-Desinfektionsmittel.
Der Patient rollt einen Hemdsärmel hoch, klatscht sich ein paar Mal auf den kräftigen Oberarm, setzt sich die Heroin-Spritze im Druckraum. Der füllt sich, alle Tische sind besetzt, ein Arzt kontrolliert. Der Schwerstabhängige verpflastert den Einstich. Der Kick durch die Droge ist ihm nicht anzumerken. Noch kurz einen Kaffee im benachbarten Aufenthaltsraum, dann geht er arbeiten, wie sonst auch. Das hatte er nach sieben Jahren Methadon-Therapie nicht mehr geschafft.
Mann: "Das habe ich zum Schluss rausgebrochen, weil mein Magen total … und mein Arzt hat gesagt: geht hierher."
Mann: "95 Prozent haben sich stabilisiert, können arbeiten gehen, haben alle wieder eine eigenen Wohnung. Die haben das alle schon mal versucht mit Methadon, und das hat nicht funktioniert. Aber mit dieser Heroin Geschichte geht das sehr gut."
Ergänzt ein anderer Abhängiger, der noch ein bisschen Zeit hat, bevor er zur Arbeit in einer Restaurantküche geht. Er hat seinen Schuss hinter sich, manchmal senken sich die Lider tief über seine Augen. Dennoch klare Auskunft, wie weit er sich aus der Droge raus geschlichen hat:
Mann: "Ich habe früher am Tag ungefähr eine Dosis von knapp 1000 Milligramm bekommen und bin jetzt mittlerweile auf 360 Milligramm, also fast n Drittel von der Anfangsdosis von vor drei Jahren, und so machen’s die meisten, die dosieren sich langsam aber sicher runter."
Ein anderer im Raum hat seine Dosis inzwischen halbiert. Nach Methadon und einem Rückfall lebte er auf der Straße, magerte auf 68 Kilo ab. Jetzt hat er eine Wohnung, wiegt 84 Kilo, - dünn, aber nicht mager. Seinen 50. Geburtstag hätte er ohne Diamorphin nicht erlebt, vermutet er. Zweieinhalb Jahre ohne "Beigebrauch", verkündet der Drogensüchtige stolz als seine Erfolgsbilanz. Das heißt:
"Kein Kokain, kein Alkohol, keine Rohypnol – bei Methadon hatte ich vorher immer drei Substanzen Beigebrauch, jetzt habe ich null. Ich hab mich dadurch erholt. Psychisch bin ich besser drauf. Ich war total depressiv, als ich hier rein kam. Ich hatte Angstzustände, aber ganz schlimm. Das ist weitgehend weg – ich fühl mich halt wohl. Und das würde alles wegfallen, ne."
… wenn aus dem Modellversuch ein Auslaufprojekt würde, meint er. Die Patienten in der Frankfurter Ambulanz wissen, dass ihre Behandlung in der Großen Koalition höchst umstritten ist. Die SPD-Drogenbeauftragte der Bundesregierung steht hinter der legalen Heroinvergabe an Schwerst-Abhängige, rund ein Viertel der Behandelten hätten im Versuchszeitraum eine Entwöhnung oder eine andere Behandlung begonnen, das sei ein guter Erfolg. Die Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und deren Fraktionschef meinen dagegen, mit Methadon werde konsequenter entwöhnt. Das synthetische Heroin dagegen verlängere die Abhängigkeit, die Therapie sei zu teuer. Der Oberarzt im Frankfurter Heroinprojekt, Hamid Zokai, hat grundsätzlich nichts gegen Methadon, aber:
"Circa 15 Prozent der Patienten profitieren nicht von Methadon. Das hat sich auch in dieser wissenschaftlichen Studie gezeigt. Die kommen mit Methadon nicht zurecht. Die sind genauso kriminell und sie sind genau so auf der Suche nach dem Stoff."
Diamorphin dagegen wirke bei diesen schätzungsweise 1500 Menschen republikweit wie ein Psychopharmakon, helfe ihnen, ein normales Leben zu führen, so wie nur Insulin einem Diabetiker hilft. Als Mediziner kann Oberarzt Zokai nicht verstehen, warum Politiker einer kleinen Gruppe Schwerstabhängiger das für sie wirksame Medikament verweigern. Kostengründe lässt Zokai nicht gelten. Werde nicht behandelt, landeten diese Abhängigen irgendwann in Krankenhäusern, weil sie auf der Straße bewusstlos umkippten. Und dann würden die bis dahin unbehandelten Geschwüre, Hepatitis- und HIV-Infektionen teuer:
"All diese Sachen, wenn man aufsummiert: Krankenhaus, öffentliche Ordnung, dass sie jedes Mal klauen müssen, Polizei, Justiz – all diese Sachen würden mehr kosten, als in so einem Rahmen diese Patienten zu behandeln und zu behalten."
Inzwischen hat die CDU einen möglichen Kompromiss signalisiert: danach können die 300 derzeit Behandelten in den sieben Großstädten die Therapie fortsetzen, zunächst bis 2010. Neue Patienten dürfen nicht aufgenommen werden. Die Städte geben sich damit nicht zufrieden. Sie bewerten den Heroinversuch als erfolgreich,
"… und fordern einstimmig den Bund auf, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, dass wir diese Behandlungsform für Schwerstabhängige weiter führen können."
so Frankfurts grüne Gesundheitsdezernentin Manuela Rottmann. Im Konsens mit CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth hat Rottmann vorsorglich einen zusätzlichen Rettungsversuch gestartet und Ende vergangenen Jahres beim Bundesinstitut für Arzneimittel beantragt, die Heroinvergabe fortsetzen und auf 150 Patienten ausweiten zu dürfen. Mit einer Antwort rechnet die Dezernentin bis Ende des Monats. Sollte die Ausnahmegenehmigung abgelehnt werden, will Rottmann vors Verwaltungsgericht ziehen.
Anke Petermann über den Versuch, Schwerstdrogenabhängigen in Frankfurt am Main zu helfen.
Politiker beschwören sie als eine Art Allheilmittel für viele Probleme im Gesundheitswesen: die elektronische Gesundheitskarte. Sie soll Leistungsmissbrauch verhindern, die medizinische Versorgung verbessern, die Rechte der Patienten stärken und dabei noch die Kosten erheblich senken. Seit Jahren wird die Karte im Rahmen eines Modellversuchs getestet. Inzwischen wird vor allem eines immer deutlicher: Die revolutionäre Gesundheitskarte kommt später, wird teuerer und rechnet sich wahrscheinlich erst Jahre nach ihrer Einführung. Jasper Barenberg berichtet aus Schleswig-Holstein.
Bei dieser Geschichte ist ein Ende nicht auszumachen, ein Anfang hingegen schon. Und der bestand vor etwa zehn Jahren in einer guten Idee: Würde jeder Arzt jedes Medikament kennen, das ein Patient gerade einnimmt: viele gefährliche Wechselwirkungen könnten vermieden werden; würde jeder Arzt Untersuchungsergebnisse berücksichtigen, die schon ein Kollege gesammelt hat: viele unnötige Doppeluntersuchungen könnten entfallen. Würden wichtige medizinische Daten elektronisch gespeichert, sie könnten einem Arzt im Notfall lebensrettende Informationen liefern. Dank der elektronischen Karte sollen die Kosten im Gesundheitswesen sinken, die Qualität der medizinischen Versorgung aber soll dennoch steigen.
"Nehmen wir mal einen Patienten, der sich schon länger bei mir in Behandlung befindet und den ich jetzt zum Kardiologen weiterschicken möchte: Bei diesem Patienten kann ich wesentliche Vorerkrankungen auf der Karte vermerken, unter anderem auch seine aktuelle Medikation. Mit dieser Karte geht dann der Patient zum Facharzt. Und dort können diese Daten direkt über die EDV eingelesen werden und stehen dann dem mitbehandelnden Kollegen direkt zur Verfügung."
Ingeborg Kreutz, praktische Ärztin in Flensburg, hat die elektronische Gesundheitskarte getestet, genauer gesagt: eine frühe und vergleichsweise bescheidene Version. Zwei Jahre liegt das zurück. Rund 1000 Patienten waren daran beteiligt, eine Handvoll niedergelassener Ärzte und zwei Krankenhäuser. Knapp 400.000 Euro aus dem Landeshaushalt hat das Kieler Gesundheitsministerium in das Pilotprojekt gesteckt. Um aus der Vision Wirklichkeit zu machen. Auf dem Weg dorthin aber sind die Planungen immer mehr ins Stocken geraten. Eigentlich sollten alle Versicherten schon seit gut einem Jahr im Besitz der neuen Karte sein. So hat es Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt einst angekündigt. Doch sechs Jahre nach den ersten Anläufen steckt das Vorhaben noch immer in den Kinderschuhen. In der Zentrale der Techniker-Krankenkasse in Hamburg kann man das neue Zeitalter im Gesundheitswesen besichtigen. Es findet in einem kleinen Raum Platz.
"Der Arzt wird sich morgens mit seinem Heilberufe-Ausweis einmal gegenüber dem System anmelden…"
Eine Mitarbeiterin der Kasse steht hinter einem Tresen, wie man ihn aus Arztpraxen kennt. Sie demonstriert, was seit einigen Wochen auch an zehn Tausend Patienten in Schleswig-Holstein und in Sachsen erprobt wird: Ein Arzt identifiziert sich mit einem elektronischen Ausweis, stellt dann ein Rezept aus – allerdings nicht mehr auf Papier, sondern in elektronischer Form, gespeichert auf der Gesundheitskarte des Patienten.
"Das Speichern erfolgt in ähnlicher Form wie das Papierrezept – auch hier unterschreibt er. Diesmal allerdings in elektronischer Form. Wenn Sie der Meinung sind: Ja, so möchte ich das gerne unterschreiben, drücken sie auf ‚signieren’ und werden nach Ihrer PIN gefragt. Mit dieser PIN starten sie die Autorisierung der elektronischen Signatur. Dass heißt, wenn Sie die eingeben, ich als Arzt möchte das gerne so unterzeichnen, wird das Rezept so signiert werden…"
… und später in der Apotheke ausgelesen, das Medikament ausgegeben und das Rezept von der Karte gelöscht. Das wirkt so unspektakulär, wie die elektronische Gesundheitskarte aussieht: ein Stück Plastik, mit einem Chip versehen und einem Foto des Besitzers. Dahinter aber steckt weitaus mehr, sagt Cecilie Schank, die bei der Techniker-Krankenkasse die Einführung der Karte vorantreibt.
"Bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte geht es eigentlich nicht darum, ein Stück Plastik einzuführen, eine Karte. Sondern es geht darum, einen Schlüssel für eine Telematik-Infrastruktur zu schaffen, die letztendlich eine Plattform bildet, auf der alle Beteiligten im Gesundheitswesen miteinander vernetzt arbeiten können."
Ein Netzwerk riesiger Datenbanken soll einst die 80 Millionen Versicherten mit 140 Tausend Arztpraxen verbinden, mit 55.000 Zahnärzten, 22.000 Apotheken, 2200 Kliniken und hunderten Krankenkassen. Um künftig nicht nur Rezepte elektronisch abzuwickeln, sondern auch Medikamente zu dokumentieren, Arztbriefe, Befunde und Röntgenbilder auf virtuellen Patientenakten zu speichern. All das ist technisch nicht nur höchst anspruchsvoll und weltweit bisher ohne Beispiel. Es ist auch unter den vielen Beteiligten umstritten. Schließlich geht es um einen milliardenschweren Markt, sagt einer, der das Geschehen von Anfang an verfolgt: Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Kiel.
"Es geht um die Neuverteilung dieses Kuchens. Insofern ist klar: Wenn zum Beispiel Internet-Apotheken mit einbezogen werden, dass dann die klassischen Apotheken sich zur Wehr setzen; wenn die Verteilung zwischen ambulantem und stationärem Bereich neu geregelt werden könnte, dass dann natürlich beide Beteiligte sehr interessiert verfolgen, was passiert."
Der Streit darüber hat das Projekt lange blockiert. Hinzu kommt eine schwelende Diskussion um Aufwand und Nutzen. Denn erst Jahre nach ihrer Einführung werden alle Daten eines Patienten elektronisch verfügbar sein. Damit aber rücken auch die erhofften Einsparungen in weite Ferne. Zumal viele Anwendungen der Karte freiwillig sind. Damit nicht genug, könnte das Ganze auch noch viel teurer werden als geplant. Von 1,4 Milliarden Euro spricht die Gesundheitsministerin in Berlin. Bis zu sieben Milliarden Euro haben dagegen Unternehmensberater errechnet. Sie gehen in ihrer Studie davon aus, dass sich Kosten und Nutzen nach zehn Jahren gerade einmal die Waage halten. Wer die Kosten für die elektronische Gesundheitskarte am Ende trägt ist noch unklar. Ebenso wie das Datum ihrer bundesweiten Einführung.
Die elektronische Gesundheitskarte. Jasper Barenberg hörte sich in Schleswig-Holstein um.
Gemeinsinn entwickeln, Eigeninitiative ankurbeln und dadurch Arbeitsplätze schaffen – das war die Idee eines groß angelegten Modellprojektes, das der Bund vor 15 Jahren für den "Ländlichen Raum" entwickelt hat. Heute kann sich in Mecklenburg-Vorpommern kaum jemand im Land mehr an das Projekt erinnern. Ein Fehler, finden die, die damals beteiligt waren. Aus Mecklenburg-Vorpommern dazu ein Beitrag von Almuth Knigge.
Peter, dem Gotland-Schafbock geht es gut. Umgeben von 500 Jahren alten Eichen, am Rande der Mecklenburgischen Schweiz, fristet er sein Schafdasein zufrieden - zusammen mit dem Weide-, dem Woll- und dem Zackelschaf – und 120 anderen Tieren.- im Tierrassenpark Lelkendorf – einem Tierpark für alte Hausstierrassen.
1993 war das, als ein Tierarzt mit einigen Mitstreitern das Projekt ins Leben gerufen hat. Marianne Dietrich erinnert sich noch genau. Damals war sie Leiterin in einem Vor-Ort-Team, einer Art Task Force für Arbeitsplatzbeschaffung im ländlichen Raum. Ein Modellprojekt der Bundesregierung
"Neue Wege der Arbeitsplatzbeschaffung gemeinwesenorientiert schafft Arbeitsplätze im ländlichen Raum - so hieß glaube ich der vollständige Titel und ist initiiert worden Anfang der 90er Jahre also im Prinzip gleich nach der Wende."
Damals hieß die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Angela Merkel.
"Und das Projekt war angedacht, speziell Frauen zu motivieren ihre Geschicke selber in die Hand zu nehmen, um sich selber Arbeitsplätze beziehungsweise Beschäftigungsmöglichkeiten im ländlichen Raum zu schaffen."
Also reisten aus Bonn die Mitarbeiter in die berühmten ländlichen Räume im Osten. In jedem der neuen Bundesländer wurde ein Landkreis ausgesucht. Nordhausen, Torgau-Oschatz, Uckermark und eben Güstrow.
"Neue Wege war ja, nicht über die Institutionen in Arbeit zu kommen, sondern selbst einen Weg zu finden. Keiner wusste wie schwierig das war, weil die Situation in Gänze 1992/93 nicht erfasst wurde."
Zwei Jahre hat es gedauert, erinnert sich Frau Dietrich, bis sie das Gefühl hatte, tatsächlich einen gangbaren Weg gefunden zu haben.
"Am Anfang, ich kann mich erinnern, da hatten wir eine Zusammenkunft mit den Mitarbeitern aus dem Ministerium, den Beratern und den Teams, da sollten wir uns alle ausstatten mit Moderationskoffern und Flipcharts und auf die Dörfer gehen und Informationsveranstaltungen machen. Und meine Einstellung war immer, Moderationskoffer ja, aber nur zu dem er auch passt. Und zu uns hat er nicht gepasst. Wenn wir mit Frauen auf dem Land reden sollten, dann passt einfach nicht so ein breiter Moderationskoffer mit rosa Wölkchen und bunten Stiften und man soll sie dann motivieren was aufzuschreiben."
Das hat nicht funktioniert
"Es ist natürlich auch schwierig. Weit weg in Bonn ein Projekt zu initiieren mit wissenschaftlicher Begleitung. Wir hatten Unternehmensberater aus Hamburg, wo sich nachher schnell herausgestellt hat, die können sich platt gesagt, nicht in den ländlichen Raum versetzen."
Wie man die Leute ansprechen muss, wie man Vertrauen schafft, wie man überhaupt erst mal Kontakte knüpft – Frau Dietrich und ihre Kolleginnen haben dann ihre Moderationskoffer zu Hause gelassen und haben sich in die Kneipen gesetzt, sind auf Stadtfeste gefahren - immer auf der Suche nach Ideen – bei denen sie helfen konnten, sie umzusetzen. So haben Sie auch von den alten Haustierrassen erfahren – und den Park mit aus der Taufe gehoben. Heute gibt es einen Hofladen dazu, eine Heuherberge, eine Gaststätte. Ein positives Beispiel. Aber eins von zu wenigen. Denn das Modellprojekt teilt das Schicksal vieler seiner Schwestern – nach Beendigung sang- und klanglos beerdigt zu werden. Vielleicht war es zu früh, vielleicht würde das Projekt jetzt funktionieren. Aber - auch die Landespolitik war damals nicht überzeugt -
"1996 hat man versucht, das Modellprojekt bundesweit zu übertragen. Und ich denke der Schub war zu groß. Hinderlich war mit Sicherheit auch, dass zwischendrin die Ministerinnen gewechselt haben. Die letzte Phase war ja unter Ministerin Berg und es ist natürlich auch parteipolitisch, wollen wir uns nichts vormachen. Es ist initiiert von der CDU und dann kam die SPD. Ist jetzt vielleicht unklug von mir, aber es war ein politischer Wille, es war die politische Entscheidung im Haushalt, auch wenn die Landkreise es wollten... also es hat ist einerseits am politischen Willen und andererseits an den finanziellen Dingen gehapert."
Manchmal telefoniert Frau Dietrich noch mit Frau Kleinert-Bartels. Ingrid Kleinert-Bartels ist Unternehmensberaterin in Berlin. Sie hat das Projekt begleitet. Zu früh, sagt sie, sei der Zeitpunkt nicht gewesen
"Ich glaube nur, dass sie nicht lang genug weiterbetrieben worden ist."
Und sie spricht aus, was viele über die groß angelegten Modellprojekte vom Bund in den Ländern denken
"Modellprojekte werden so definiert, dass sie die Mitnahmeeffekte ermöglichen und sie werden nicht installiert damit sie wirklich Dinge bewegen."
Von der Idee "der neuen Wege" sind beide aus tiefstem Herzen überzeugt. Auch wenn nachhaltig nicht die Massen an Arbeitsplätzen geschaffen worden sind.
"Was wir geschafft haben ist ein bisschen die Augen zu öffnen, zu sagen, Deutschland ist zwar ein Sozialstaat, aber die DDR gibt es nicht mehr, es nimmt dich keiner mehr an die Hand und führt dich irgendwo in irgendwelche Institutionen und gibt dir dann Arbeit. Also das verständlich zu machen, denn wir hatten ja ne Laufzeit von 93 bis 97 ne."
"Das Drama liegt darin, als es endlich ne Plattform gab, als das Projekt bekannt war, die Teams verankert, da wo es hätte wirksam werden können da war dann Schluss."
Viele der Ideen aus dem Merkel-Ministerium, Arbeitsmarktförderung direkt vor Ort anzusetzen, individuelle Ressourcen zu entdecken, Menschen zusammenzubringen und die Lebensqualität zu verbessern, sind 1998 in das Arbeitsmarktstrukturprogramm der PDS eingeflossen. Nach dem Regierungswechsel im Land wurde das von Merkels Parteifreund Seidel wieder gekürzt. Geblieben ist der Lebensraum für Schafbock Peter. Und Frau Dietrich, die unermüdlich neue Wege beschreitet.
Modellprojekt "Gemeinsinn entwickeln". Almuth Knigge fragte in Mecklenburg-Vorpommern nach.
Lang lebe das Modellprojekt. Der Länderreport schaute nach Hessen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.
Heroinvergabe morgens um acht im Frankfurter Ostend. Wer Arbeit hat, kommt zuerst dran. Das heißt Sicherheitscheck wie auf dem Flughafen und Datenabgleich per Computer - ein Pfleger macht das. Die individuell dosierte Diamorphin-Spritze gibt es in der Frankfurter Heroin-Ambulanz nur für die 58 registrierten Schwerstabhängigen. Und nur dann, wenn sie nüchtern sind. Der Pfleger reicht dem Abhängigen das Alkoholtestgerät.
0,0 Pro Mille. Die nächste Tür geht, ein Raum mit drei Zweiertischen. Am Abgabe-Schalter erhält der Süchtige ein Plastiktablett samt Spritze, Tupfer und Haut-Desinfektionsmittel.
Der Patient rollt einen Hemdsärmel hoch, klatscht sich ein paar Mal auf den kräftigen Oberarm, setzt sich die Heroin-Spritze im Druckraum. Der füllt sich, alle Tische sind besetzt, ein Arzt kontrolliert. Der Schwerstabhängige verpflastert den Einstich. Der Kick durch die Droge ist ihm nicht anzumerken. Noch kurz einen Kaffee im benachbarten Aufenthaltsraum, dann geht er arbeiten, wie sonst auch. Das hatte er nach sieben Jahren Methadon-Therapie nicht mehr geschafft.
Mann: "Das habe ich zum Schluss rausgebrochen, weil mein Magen total … und mein Arzt hat gesagt: geht hierher."
Mann: "95 Prozent haben sich stabilisiert, können arbeiten gehen, haben alle wieder eine eigenen Wohnung. Die haben das alle schon mal versucht mit Methadon, und das hat nicht funktioniert. Aber mit dieser Heroin Geschichte geht das sehr gut."
Ergänzt ein anderer Abhängiger, der noch ein bisschen Zeit hat, bevor er zur Arbeit in einer Restaurantküche geht. Er hat seinen Schuss hinter sich, manchmal senken sich die Lider tief über seine Augen. Dennoch klare Auskunft, wie weit er sich aus der Droge raus geschlichen hat:
Mann: "Ich habe früher am Tag ungefähr eine Dosis von knapp 1000 Milligramm bekommen und bin jetzt mittlerweile auf 360 Milligramm, also fast n Drittel von der Anfangsdosis von vor drei Jahren, und so machen’s die meisten, die dosieren sich langsam aber sicher runter."
Ein anderer im Raum hat seine Dosis inzwischen halbiert. Nach Methadon und einem Rückfall lebte er auf der Straße, magerte auf 68 Kilo ab. Jetzt hat er eine Wohnung, wiegt 84 Kilo, - dünn, aber nicht mager. Seinen 50. Geburtstag hätte er ohne Diamorphin nicht erlebt, vermutet er. Zweieinhalb Jahre ohne "Beigebrauch", verkündet der Drogensüchtige stolz als seine Erfolgsbilanz. Das heißt:
"Kein Kokain, kein Alkohol, keine Rohypnol – bei Methadon hatte ich vorher immer drei Substanzen Beigebrauch, jetzt habe ich null. Ich hab mich dadurch erholt. Psychisch bin ich besser drauf. Ich war total depressiv, als ich hier rein kam. Ich hatte Angstzustände, aber ganz schlimm. Das ist weitgehend weg – ich fühl mich halt wohl. Und das würde alles wegfallen, ne."
… wenn aus dem Modellversuch ein Auslaufprojekt würde, meint er. Die Patienten in der Frankfurter Ambulanz wissen, dass ihre Behandlung in der Großen Koalition höchst umstritten ist. Die SPD-Drogenbeauftragte der Bundesregierung steht hinter der legalen Heroinvergabe an Schwerst-Abhängige, rund ein Viertel der Behandelten hätten im Versuchszeitraum eine Entwöhnung oder eine andere Behandlung begonnen, das sei ein guter Erfolg. Die Drogenbeauftragte der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und deren Fraktionschef meinen dagegen, mit Methadon werde konsequenter entwöhnt. Das synthetische Heroin dagegen verlängere die Abhängigkeit, die Therapie sei zu teuer. Der Oberarzt im Frankfurter Heroinprojekt, Hamid Zokai, hat grundsätzlich nichts gegen Methadon, aber:
"Circa 15 Prozent der Patienten profitieren nicht von Methadon. Das hat sich auch in dieser wissenschaftlichen Studie gezeigt. Die kommen mit Methadon nicht zurecht. Die sind genauso kriminell und sie sind genau so auf der Suche nach dem Stoff."
Diamorphin dagegen wirke bei diesen schätzungsweise 1500 Menschen republikweit wie ein Psychopharmakon, helfe ihnen, ein normales Leben zu führen, so wie nur Insulin einem Diabetiker hilft. Als Mediziner kann Oberarzt Zokai nicht verstehen, warum Politiker einer kleinen Gruppe Schwerstabhängiger das für sie wirksame Medikament verweigern. Kostengründe lässt Zokai nicht gelten. Werde nicht behandelt, landeten diese Abhängigen irgendwann in Krankenhäusern, weil sie auf der Straße bewusstlos umkippten. Und dann würden die bis dahin unbehandelten Geschwüre, Hepatitis- und HIV-Infektionen teuer:
"All diese Sachen, wenn man aufsummiert: Krankenhaus, öffentliche Ordnung, dass sie jedes Mal klauen müssen, Polizei, Justiz – all diese Sachen würden mehr kosten, als in so einem Rahmen diese Patienten zu behandeln und zu behalten."
Inzwischen hat die CDU einen möglichen Kompromiss signalisiert: danach können die 300 derzeit Behandelten in den sieben Großstädten die Therapie fortsetzen, zunächst bis 2010. Neue Patienten dürfen nicht aufgenommen werden. Die Städte geben sich damit nicht zufrieden. Sie bewerten den Heroinversuch als erfolgreich,
"… und fordern einstimmig den Bund auf, eine gesetzliche Grundlage zu schaffen, dass wir diese Behandlungsform für Schwerstabhängige weiter führen können."
so Frankfurts grüne Gesundheitsdezernentin Manuela Rottmann. Im Konsens mit CDU-Oberbürgermeisterin Petra Roth hat Rottmann vorsorglich einen zusätzlichen Rettungsversuch gestartet und Ende vergangenen Jahres beim Bundesinstitut für Arzneimittel beantragt, die Heroinvergabe fortsetzen und auf 150 Patienten ausweiten zu dürfen. Mit einer Antwort rechnet die Dezernentin bis Ende des Monats. Sollte die Ausnahmegenehmigung abgelehnt werden, will Rottmann vors Verwaltungsgericht ziehen.
Anke Petermann über den Versuch, Schwerstdrogenabhängigen in Frankfurt am Main zu helfen.
Politiker beschwören sie als eine Art Allheilmittel für viele Probleme im Gesundheitswesen: die elektronische Gesundheitskarte. Sie soll Leistungsmissbrauch verhindern, die medizinische Versorgung verbessern, die Rechte der Patienten stärken und dabei noch die Kosten erheblich senken. Seit Jahren wird die Karte im Rahmen eines Modellversuchs getestet. Inzwischen wird vor allem eines immer deutlicher: Die revolutionäre Gesundheitskarte kommt später, wird teuerer und rechnet sich wahrscheinlich erst Jahre nach ihrer Einführung. Jasper Barenberg berichtet aus Schleswig-Holstein.
Bei dieser Geschichte ist ein Ende nicht auszumachen, ein Anfang hingegen schon. Und der bestand vor etwa zehn Jahren in einer guten Idee: Würde jeder Arzt jedes Medikament kennen, das ein Patient gerade einnimmt: viele gefährliche Wechselwirkungen könnten vermieden werden; würde jeder Arzt Untersuchungsergebnisse berücksichtigen, die schon ein Kollege gesammelt hat: viele unnötige Doppeluntersuchungen könnten entfallen. Würden wichtige medizinische Daten elektronisch gespeichert, sie könnten einem Arzt im Notfall lebensrettende Informationen liefern. Dank der elektronischen Karte sollen die Kosten im Gesundheitswesen sinken, die Qualität der medizinischen Versorgung aber soll dennoch steigen.
"Nehmen wir mal einen Patienten, der sich schon länger bei mir in Behandlung befindet und den ich jetzt zum Kardiologen weiterschicken möchte: Bei diesem Patienten kann ich wesentliche Vorerkrankungen auf der Karte vermerken, unter anderem auch seine aktuelle Medikation. Mit dieser Karte geht dann der Patient zum Facharzt. Und dort können diese Daten direkt über die EDV eingelesen werden und stehen dann dem mitbehandelnden Kollegen direkt zur Verfügung."
Ingeborg Kreutz, praktische Ärztin in Flensburg, hat die elektronische Gesundheitskarte getestet, genauer gesagt: eine frühe und vergleichsweise bescheidene Version. Zwei Jahre liegt das zurück. Rund 1000 Patienten waren daran beteiligt, eine Handvoll niedergelassener Ärzte und zwei Krankenhäuser. Knapp 400.000 Euro aus dem Landeshaushalt hat das Kieler Gesundheitsministerium in das Pilotprojekt gesteckt. Um aus der Vision Wirklichkeit zu machen. Auf dem Weg dorthin aber sind die Planungen immer mehr ins Stocken geraten. Eigentlich sollten alle Versicherten schon seit gut einem Jahr im Besitz der neuen Karte sein. So hat es Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt einst angekündigt. Doch sechs Jahre nach den ersten Anläufen steckt das Vorhaben noch immer in den Kinderschuhen. In der Zentrale der Techniker-Krankenkasse in Hamburg kann man das neue Zeitalter im Gesundheitswesen besichtigen. Es findet in einem kleinen Raum Platz.
"Der Arzt wird sich morgens mit seinem Heilberufe-Ausweis einmal gegenüber dem System anmelden…"
Eine Mitarbeiterin der Kasse steht hinter einem Tresen, wie man ihn aus Arztpraxen kennt. Sie demonstriert, was seit einigen Wochen auch an zehn Tausend Patienten in Schleswig-Holstein und in Sachsen erprobt wird: Ein Arzt identifiziert sich mit einem elektronischen Ausweis, stellt dann ein Rezept aus – allerdings nicht mehr auf Papier, sondern in elektronischer Form, gespeichert auf der Gesundheitskarte des Patienten.
"Das Speichern erfolgt in ähnlicher Form wie das Papierrezept – auch hier unterschreibt er. Diesmal allerdings in elektronischer Form. Wenn Sie der Meinung sind: Ja, so möchte ich das gerne unterschreiben, drücken sie auf ‚signieren’ und werden nach Ihrer PIN gefragt. Mit dieser PIN starten sie die Autorisierung der elektronischen Signatur. Dass heißt, wenn Sie die eingeben, ich als Arzt möchte das gerne so unterzeichnen, wird das Rezept so signiert werden…"
… und später in der Apotheke ausgelesen, das Medikament ausgegeben und das Rezept von der Karte gelöscht. Das wirkt so unspektakulär, wie die elektronische Gesundheitskarte aussieht: ein Stück Plastik, mit einem Chip versehen und einem Foto des Besitzers. Dahinter aber steckt weitaus mehr, sagt Cecilie Schank, die bei der Techniker-Krankenkasse die Einführung der Karte vorantreibt.
"Bei der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte geht es eigentlich nicht darum, ein Stück Plastik einzuführen, eine Karte. Sondern es geht darum, einen Schlüssel für eine Telematik-Infrastruktur zu schaffen, die letztendlich eine Plattform bildet, auf der alle Beteiligten im Gesundheitswesen miteinander vernetzt arbeiten können."
Ein Netzwerk riesiger Datenbanken soll einst die 80 Millionen Versicherten mit 140 Tausend Arztpraxen verbinden, mit 55.000 Zahnärzten, 22.000 Apotheken, 2200 Kliniken und hunderten Krankenkassen. Um künftig nicht nur Rezepte elektronisch abzuwickeln, sondern auch Medikamente zu dokumentieren, Arztbriefe, Befunde und Röntgenbilder auf virtuellen Patientenakten zu speichern. All das ist technisch nicht nur höchst anspruchsvoll und weltweit bisher ohne Beispiel. Es ist auch unter den vielen Beteiligten umstritten. Schließlich geht es um einen milliardenschweren Markt, sagt einer, der das Geschehen von Anfang an verfolgt: Thilo Weichert vom Unabhängigen Landeszentrum für Datenschutz in Kiel.
"Es geht um die Neuverteilung dieses Kuchens. Insofern ist klar: Wenn zum Beispiel Internet-Apotheken mit einbezogen werden, dass dann die klassischen Apotheken sich zur Wehr setzen; wenn die Verteilung zwischen ambulantem und stationärem Bereich neu geregelt werden könnte, dass dann natürlich beide Beteiligte sehr interessiert verfolgen, was passiert."
Der Streit darüber hat das Projekt lange blockiert. Hinzu kommt eine schwelende Diskussion um Aufwand und Nutzen. Denn erst Jahre nach ihrer Einführung werden alle Daten eines Patienten elektronisch verfügbar sein. Damit aber rücken auch die erhofften Einsparungen in weite Ferne. Zumal viele Anwendungen der Karte freiwillig sind. Damit nicht genug, könnte das Ganze auch noch viel teurer werden als geplant. Von 1,4 Milliarden Euro spricht die Gesundheitsministerin in Berlin. Bis zu sieben Milliarden Euro haben dagegen Unternehmensberater errechnet. Sie gehen in ihrer Studie davon aus, dass sich Kosten und Nutzen nach zehn Jahren gerade einmal die Waage halten. Wer die Kosten für die elektronische Gesundheitskarte am Ende trägt ist noch unklar. Ebenso wie das Datum ihrer bundesweiten Einführung.
Die elektronische Gesundheitskarte. Jasper Barenberg hörte sich in Schleswig-Holstein um.
Gemeinsinn entwickeln, Eigeninitiative ankurbeln und dadurch Arbeitsplätze schaffen – das war die Idee eines groß angelegten Modellprojektes, das der Bund vor 15 Jahren für den "Ländlichen Raum" entwickelt hat. Heute kann sich in Mecklenburg-Vorpommern kaum jemand im Land mehr an das Projekt erinnern. Ein Fehler, finden die, die damals beteiligt waren. Aus Mecklenburg-Vorpommern dazu ein Beitrag von Almuth Knigge.
Peter, dem Gotland-Schafbock geht es gut. Umgeben von 500 Jahren alten Eichen, am Rande der Mecklenburgischen Schweiz, fristet er sein Schafdasein zufrieden - zusammen mit dem Weide-, dem Woll- und dem Zackelschaf – und 120 anderen Tieren.- im Tierrassenpark Lelkendorf – einem Tierpark für alte Hausstierrassen.
1993 war das, als ein Tierarzt mit einigen Mitstreitern das Projekt ins Leben gerufen hat. Marianne Dietrich erinnert sich noch genau. Damals war sie Leiterin in einem Vor-Ort-Team, einer Art Task Force für Arbeitsplatzbeschaffung im ländlichen Raum. Ein Modellprojekt der Bundesregierung
"Neue Wege der Arbeitsplatzbeschaffung gemeinwesenorientiert schafft Arbeitsplätze im ländlichen Raum - so hieß glaube ich der vollständige Titel und ist initiiert worden Anfang der 90er Jahre also im Prinzip gleich nach der Wende."
Damals hieß die Ministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Angela Merkel.
"Und das Projekt war angedacht, speziell Frauen zu motivieren ihre Geschicke selber in die Hand zu nehmen, um sich selber Arbeitsplätze beziehungsweise Beschäftigungsmöglichkeiten im ländlichen Raum zu schaffen."
Also reisten aus Bonn die Mitarbeiter in die berühmten ländlichen Räume im Osten. In jedem der neuen Bundesländer wurde ein Landkreis ausgesucht. Nordhausen, Torgau-Oschatz, Uckermark und eben Güstrow.
"Neue Wege war ja, nicht über die Institutionen in Arbeit zu kommen, sondern selbst einen Weg zu finden. Keiner wusste wie schwierig das war, weil die Situation in Gänze 1992/93 nicht erfasst wurde."
Zwei Jahre hat es gedauert, erinnert sich Frau Dietrich, bis sie das Gefühl hatte, tatsächlich einen gangbaren Weg gefunden zu haben.
"Am Anfang, ich kann mich erinnern, da hatten wir eine Zusammenkunft mit den Mitarbeitern aus dem Ministerium, den Beratern und den Teams, da sollten wir uns alle ausstatten mit Moderationskoffern und Flipcharts und auf die Dörfer gehen und Informationsveranstaltungen machen. Und meine Einstellung war immer, Moderationskoffer ja, aber nur zu dem er auch passt. Und zu uns hat er nicht gepasst. Wenn wir mit Frauen auf dem Land reden sollten, dann passt einfach nicht so ein breiter Moderationskoffer mit rosa Wölkchen und bunten Stiften und man soll sie dann motivieren was aufzuschreiben."
Das hat nicht funktioniert
"Es ist natürlich auch schwierig. Weit weg in Bonn ein Projekt zu initiieren mit wissenschaftlicher Begleitung. Wir hatten Unternehmensberater aus Hamburg, wo sich nachher schnell herausgestellt hat, die können sich platt gesagt, nicht in den ländlichen Raum versetzen."
Wie man die Leute ansprechen muss, wie man Vertrauen schafft, wie man überhaupt erst mal Kontakte knüpft – Frau Dietrich und ihre Kolleginnen haben dann ihre Moderationskoffer zu Hause gelassen und haben sich in die Kneipen gesetzt, sind auf Stadtfeste gefahren - immer auf der Suche nach Ideen – bei denen sie helfen konnten, sie umzusetzen. So haben Sie auch von den alten Haustierrassen erfahren – und den Park mit aus der Taufe gehoben. Heute gibt es einen Hofladen dazu, eine Heuherberge, eine Gaststätte. Ein positives Beispiel. Aber eins von zu wenigen. Denn das Modellprojekt teilt das Schicksal vieler seiner Schwestern – nach Beendigung sang- und klanglos beerdigt zu werden. Vielleicht war es zu früh, vielleicht würde das Projekt jetzt funktionieren. Aber - auch die Landespolitik war damals nicht überzeugt -
"1996 hat man versucht, das Modellprojekt bundesweit zu übertragen. Und ich denke der Schub war zu groß. Hinderlich war mit Sicherheit auch, dass zwischendrin die Ministerinnen gewechselt haben. Die letzte Phase war ja unter Ministerin Berg und es ist natürlich auch parteipolitisch, wollen wir uns nichts vormachen. Es ist initiiert von der CDU und dann kam die SPD. Ist jetzt vielleicht unklug von mir, aber es war ein politischer Wille, es war die politische Entscheidung im Haushalt, auch wenn die Landkreise es wollten... also es hat ist einerseits am politischen Willen und andererseits an den finanziellen Dingen gehapert."
Manchmal telefoniert Frau Dietrich noch mit Frau Kleinert-Bartels. Ingrid Kleinert-Bartels ist Unternehmensberaterin in Berlin. Sie hat das Projekt begleitet. Zu früh, sagt sie, sei der Zeitpunkt nicht gewesen
"Ich glaube nur, dass sie nicht lang genug weiterbetrieben worden ist."
Und sie spricht aus, was viele über die groß angelegten Modellprojekte vom Bund in den Ländern denken
"Modellprojekte werden so definiert, dass sie die Mitnahmeeffekte ermöglichen und sie werden nicht installiert damit sie wirklich Dinge bewegen."
Von der Idee "der neuen Wege" sind beide aus tiefstem Herzen überzeugt. Auch wenn nachhaltig nicht die Massen an Arbeitsplätzen geschaffen worden sind.
"Was wir geschafft haben ist ein bisschen die Augen zu öffnen, zu sagen, Deutschland ist zwar ein Sozialstaat, aber die DDR gibt es nicht mehr, es nimmt dich keiner mehr an die Hand und führt dich irgendwo in irgendwelche Institutionen und gibt dir dann Arbeit. Also das verständlich zu machen, denn wir hatten ja ne Laufzeit von 93 bis 97 ne."
"Das Drama liegt darin, als es endlich ne Plattform gab, als das Projekt bekannt war, die Teams verankert, da wo es hätte wirksam werden können da war dann Schluss."
Viele der Ideen aus dem Merkel-Ministerium, Arbeitsmarktförderung direkt vor Ort anzusetzen, individuelle Ressourcen zu entdecken, Menschen zusammenzubringen und die Lebensqualität zu verbessern, sind 1998 in das Arbeitsmarktstrukturprogramm der PDS eingeflossen. Nach dem Regierungswechsel im Land wurde das von Merkels Parteifreund Seidel wieder gekürzt. Geblieben ist der Lebensraum für Schafbock Peter. Und Frau Dietrich, die unermüdlich neue Wege beschreitet.
Modellprojekt "Gemeinsinn entwickeln". Almuth Knigge fragte in Mecklenburg-Vorpommern nach.
Lang lebe das Modellprojekt. Der Länderreport schaute nach Hessen, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern.