Landwirtschaft

Wundersame Reisvermehrung

Von Christian Brüser · 12.02.2014
Viele Kleinbauern in Indien pflanzen ihren Reis nach einem speziellen System an, das die Erträge steigert. Doch es ist umstritten und sehr aufwendig - und es kommt auch nicht für alle Bauern in Frage.
Frauen in bunten Saris sitzen vor dem Tempel am Dorfrand und bringen der Göttin Durga Lobgesänge dar. Daneben pflügen Bauern mit Ochsengespannen ihre Felder. An den Hauswänden kleben Kuhdungfladen, in den Höfen stehen Wasserbüffel und Kühe, dazwischen spielen Kinder. Das Dorf Darveshpura liegt im armen Bundesstaat Bihar im Norden Indiens, eintausend Kilometer östlich von Neu-Delhi.
Weltweit bekannt wurde Darveshpura, als der Bauer Sumant Kumar hier vor drei Jahren den höchsten Reis-Ertrag erzielte, der jemals dokumentiert wurde. Über 20 Tonnen pro Hektar. Das war Weltrekord. Auch vier weitere Bauern erzielten sensationelle Ergebnisse, die beim 8- bis 10-fachen des durchschnittlichen Ertrags lagen. Der 35-jährige Sumant Kumar wurde von seinem Dorf als Held gefeiert und ist bis heute stolz:
"Schon vor der Ernte ahnte ich, dass ich berühmt werden würde, denn ich habe die Halme gezählt. Seit meiner Kindheit kenne ich Reis. Normalerweise sprießen aus einem Reiskorn 10 bis 15 Halme, jetzt zählte ich jeweils 60 Halme! Ich dachte mir: 'Das SRI-System bringt wirklich etwas!'"
SRI – das ist das Zauberwort, das Darveshpura in der Folge zu „Indiens magischem Dorf“ machte und das für das gleichsam umjubelte wie umstrittene „System der Reis-Intensivierung“ steht. Es soll deutliche Ertragssteigerungen nicht nur bei Reis, sondern auch bei Weizen, Kartoffeln, Zuckerrohr, Tomaten, Knoblauch, Auberginen und vielen anderen Nutzpflanzen bewirken und wird neben Indien auch in Madagas-kar, Indonesien, China, Bangladesch, Sri Lanka, Vietnam und Kambodscha angewandt.
Die Revolution auf dem Reisfeld
Es wird von seinen Befürwortern als „die Revolution auf dem Reisfeld“ gefeiert oder von seinen Gegnern als zu arbeitsaufwändig kritisiert, da die Mehrarbeit den Ertrag und die Ressourceneinsparungen nicht aufwiege. Für Kumar und sein Dorf hat alles vor vier Jahren begonnen, als Berater des Landwirtschaftsministeriums von Bihar nach Darveshpura kamen, um die neue Reisanbaumethode vorzustellen.
"Die Leute hier im Dorf waren zuerst skeptisch, wie das funktionieren soll, wenn man statt drei bis vier immer nur einen Setzling verpflanzt. Nur ein Dutzend Bauern war bereit, es auszuprobieren, dabei leben in unserem Dorf mehr als 200 Bauern."
Auch Sumant Kumar selbst war anfangs skeptisch und hat die neue Methode nur auf einem Teil seiner Felder ausprobiert. Der wesentliche Unterschied zum konventionellen Reisanbau besteht darin, dass die Reissprösslinge früher vom Saatbeet ins Feld verpflanzt werden, bereits nach etwa 10 Tagen, nicht erst nach 25 Tagen oder mehr, wie allgemein üblich. Außerdem werden die Sprösslinge nicht büschelweise verpflanzt, sondern einzeln mit jeweils 25 Zentimeter Abstand. Und schließlich werden die Reisfelder nicht geflutet, sondern nur feucht gehalten, was das Wachstum befördert und Wasser spart, aber auch bedeutet, dass das Unkraut von den Bauern gejätet werden muß.
Als sich abzeichnete, dass Kumar und seine Kollegen im Dorf Darveshpura mit dem System der Reis-Intensivierung großen Erfolg haben würden, wiesen Mitarbeiter des Landwirtschaftsministeriums in Bihar die Bauern an, mit der Ernte zu warten, bis ein Team von Wissenschaftlern kommen konnte.
"Ein Team aus Nalanda kam, um die Ernte zu wiegen. Außerdem sind noch drei Wissenschaftler-Teams aus Patna gekommen, die den Rekord bestätigten."
Wissenschaftler des indischen Rates für landwirtschaftliche Forschung und des Direktorats für Reisentwicklung wogen die Ernte von einem 50 Quadratmeter großen Feldstück nach einem standardisierten Verfahren und rechneten dann das Ergebnis auf Hektarerträge um. Bisher wurde der Weltrekord für Reis mit 19 Tonnen angegeben und stammte vom chinesischen Agrarwissenschaftler Yuan Longping, der in den 1970er Jahren die Hybridzucht für Reis entwickelt hat.
Er konnte Rekordernte bisher nicht wiederholen
Mit über 20 Tonnen hätte Sumant Kumar diesen Wert deutlich übertroffen. Experten des Internationalen Reisforschungsinstituts auf den Philippinen äußerten Zweifel am indischen Rekord. Sie gehen davon aus, dass man beim dortigen Klima mit dem verwendeten Saatgut maximal 12 Tonnen Reis pro Hektar erzielen könne. Allerdings haben sie die Felder in Darveshpura nicht selbst untersucht. Sumant Kumar konnte seine Rekordernte bisher nicht wiederholen.
"2012 habe ich 14,8 Tonnen pro Hektar geerntet. Das Wetter war ungünstig. Es hat zu wenig geregnet, außerdem war das Saatgut nicht so gut."
Trotzdem erntete Sumant Kumar mit dieser Menge immerhin noch etwa das Sechsfache des Durchschnittsertrags von Bihar. 2013 erzielte er ein ähnliches Ergebnis. Entwickelt hat die SRI-Methode der französische Jesuitenmönch und Agraringenieur Henri de Laulanié in den frühen achtziger Jahren auf Madagaskar. Im Bundesstaat Bihar macht der Agraringenieur Anil Verma seit 2007 diese Methode bekannt.
"Mir geht es nicht um Rekorde. Das Ziel von SRI ist Ernährungssicherheit. Es geht um höhere Ernten für Klein- und Kleinst-Bauern, die auf sehr kleinen Flächen überall auf der Welt Reis anbauen. Oft reicht ihnen ihre Reisernte nur für drei bis fünf Monate. Wenn sie dann mit SRI beginnen, können sie sich das ganze Jahr von ihrer Ernte ernähren. Manche erzielen sogar einen Überschuss."
Dem stimmt nicht jeder zu. Einige Wissenschaftler monieren, es gebe nicht ausreichend Kontrolluntersuchungen über die Wirksamkeit der SRI-Methode. "Bei SRI handelt es sich um nichts anderes als bestimmte Anbaupraktiken, von denen viele seit langer Zeit bekannt sind und auch empfohlen werden", sagt Achim Dobermann, Abteilungsleiter für Forschung am "Internationalen Reisforschungsinstitut".
Keine Magie, sondern günstige Arbeitsteilung
Und weiter: "Ich denke nicht, dass man von einem Wunder sprechen sollte. Wann immer die Prinzipien von SRI von unabhängigen Experten untersucht wurden, unterschieden sich die Resultate von jenen, die von NGOs und anderen SRI-Verfechtern gemeldet wurden." Dominic Glover, ein englischer Forscher an der Wageningen University in den Niederlanden glaubt, dass es sich um eine Art Glaubenskrieg handelt. Dem Magazin der Süddeutschen Zeitung sagte er. Zitat:
"Experten neigen nun einmal dazu, ihre jeweiligen Überzeugungen zu verteidigen. Aber in vielen Regionen haben Bauern SRI-Methoden ausprobiert und sie dann wieder aufgegeben – über die Gründe gibt es keine Studien. SRI ist gut für Kleinbauern, die von ihren Familienangehörigen unterstützt werden, aber für Anbau in großem Stil eher nicht geeignet. Die Rekordernten, von denen berichtet wird, haben weniger mit einer magischen Methode zu tun als mit einer günstigen Arbeitsteilung im Familienverbund, landwirtschaftlichen Fähigkeiten und Achtsamkeit. Bisher hat es noch keiner geschafft, einen Weg zu finden, wie man maschinell einzelne Schößlinge pflanzt."
Das Kapitel "SRI in Bihar" begann mit der Bäuerin Kunti Devi, einer kleinen, schlichten Frau, die in einem Dorf in der Nähe von Bodhgaya wohnt – jenem Ort an dem Buddha vor rund 2500 Jahren Erleuchtung erlangte.
"Ich wusste überhaupt nichts über die SRI-Methode, bis Herr Verma einen Vortrag darüber hielt."
Kunti Devi trägt einen türkisfarbenen Sari. Sie sitzt vor ihrem Lehmhaus am Rand des Dorfes Shekwara gleich neben den Feldern und schneidet Kürbis. Ihr Mann füttert die zwei Wasserbüffel. Kunti Devi kann weder lesen noch schreiben, ihr Alter schätzt sie auf 50. Sie hat drei Töchter und einen Sohn. Kunti Devi und ihr Mann sind typische Kleinbauern mit 0,6 Hektar Land. Allerdings ist Kunti Devi besonders aufge-schlossen.
"Anil Verma erklärte, dass 2 Kilogramm Saatgut ausreichen würden. Bisher brauchten wir dazu 40 Kilo, das Zwanzigfache. Im ganzen Dorf war kein einziger Bauer bereit, diese Methode auszuprobieren. Sie glaubten, er wolle sie zum Narren halten. Er war dabei, unser Dorf wieder zu verlassen, da ging ich auf ihn zu und sagte: 'Gut, ich habe ein kleines Stück Land. Probieren wir es aus!'"
Man darf die Wurzelhaare nicht verletzen
Anil Verma zeigte Kunti Devi Schritt für Schritt, was sie bei der neuen Methode zu beachten hatte. Als erstes zeigte er ihr, wie man das Saatgut aufbereitet. Bei der SRI-Methode kann man jedes Saatgut verwenden: Lokale Landsorten ebenso wie verbessertes Saatgut oder Hybrid-Sorten. Man lässt die Reissamen in einem feuchten Jutesack keimen, legt sie dann auf das vorbereitete Saatbeet und bedeckt alles mit Heu. Sehr wichtig ist, dass die Setzlinge mit großer Sorgfalt aus dem Saatbeet entnommen werden, erklärt Anil Verma, so dass man die Wurzelhaare nicht verletzt.
"Im konventionellen Anbau kann man oft beobachten, dass ein Reisfeld in den ersten Tagen nach dem Verpflanzen gelblich schimmert. Der gelbliche Farbton entsteht, weil die Wurzeln beschädigt wurden. Die Pflanze braucht dann bis zu 15 Tage, um sich von den Verletzungen zu erholen."
Als Kunti Devi ihr erstes Reisfeld mit der SRI-Methode bepflanzte, sah es sehr leer aus, da viel weniger Setzlinge als üblich verwendet wurden. Ihre Nachbarn konnten nicht verstehen, dass sie sich auf das Experiment eingelassen hatte.
"Das ganze Dorf hat mich verspottet. 'Wie willst du deine Kinder ernähren?' haben sie mich gefragt. 'Du hast ohnehin nur wenig Land, jetzt wirst du überhaupt nichts ernten!' Von allen Seiten übten sie Druck auf mich aus – doch ich hielt stand. Als sich dann die ersten Halme entwickelten, wurden die Leute in unserem Dorf sehr aufgeregt. Es sprach sich auch schnell in den Nachbardörfern herum. Heute finden sie im ganzen Umkreis niemanden, der nicht SRI praktiziert."
Kunti Devis Mut wurde belohnt. Sie erntet nun durchschnittlich viermal so viel Reis als zuvor.
"Ich hatte oft Probleme, meine Familie satt zu bekommen. Doch seit ich SRI praktiziere, haben wir immer genug zu essen. Oft haben wir mehr, als wir brauchen, dann kann ich den Überschuss verkaufen und Geld verdienen. So konnte ich es mir leisten, alle meine Kinder zur Schule zu schicken. Sie haben alle eine Ausbildung und nun geht es unserer Familie sehr gut."
Sehr sorgfältiges Arbeiten ist nötig
Allerdings ist SRI kein Wundermittel. Diese Methode erfordert sehr sorgfältiges Arbeiten auf dem Feld und ist auch nicht für alle Anbaubedingungen geeignet, zum Beispiel nicht für Terrassenanbau. Sati Shankar Singh, Leiter der Abteilung Pflanzenforschung des indischen Rates für landwirtschaftliche Forschung in Patna, nennt drei wesentliche Kritikpunkte:
"Mein wichtigster Einwand ist Folgender: In Bihar sind 60 Prozent der Reisfelder nicht künstlich bewässert. Bei SRI müssen sie die Setzlinge sehr früh verpflanzen, doch in vielen Jahren fehlt das Wasser, weil der Monsun noch nicht eingesetzt hat. Das Wassermanagement ist also schwierig. Zweitens: Generell geht das Arbeitskräfteangebot in der Landwirtschaft zurück, weil die Menschen in die Städte ziehen. SRI ist jedoch arbeitsintensiv. Sie brauchen speziell ausgebildete Arbeitskräfte und sie brauchen mehr Arbeitskräfte. Und drittens benötigen sie organischen Dünger. Doch den Kuhdung verwenden die Dorfbewohner als Brennmaterial. Sie können also nur mit Gründüngung und Pflanzenresten arbeiten. Doch das ersetzt nicht alle nötigen Nährstoffe. Alle diese Faktoren schränken die Anwendung von SRI sehr ein."
Tatsächlich konnten jene Bauern, die die Rekordernten erzielt haben, ihre Felder zum optimalen Zeitpunkt bewässern, weil sie über Wasserpumpen verfügten. Außerdem haben sie eine überdurchschnittliche Schulbildung und konnten daher die SRI-Prinzipien gut verstehen und anwenden. Und sie verwendeten einen Mix aus Kunstdünger und organischem Dünger, wie z.B. Regenwurm-Kompost.
Das System der Reisintensivierung schreibt keine bestimmte Art der Düngung vor, allerdings lernen die Bauern dabei, wie sie mithilfe ihrer eignen Ressourcen organischen Dünger herstellen können. Kritiker der SRI-Methode weisen darauf hin, dass die SRI-Prinzipien nicht neu seien und längst auch von der Wissenschaft empfohlen werden, zum Beispiel, dass es häufig besser sei, weniger Dünger und Pflanzenschutzmittel zu verwenden. Doch auch von den Kritikern wird positiv vermerkt, dass die Bauern bei SRI angeleitet werden, sich intensiv mit ihren Feldern auseinander zu setzen und sehr sorgfältig mit den Pflanzen umzugehen. Und die Kleinbäuerin Kunti Devi lässt keine Kritik an dem System gelten, das ihr Leben so positiv verändert hat:
"Ich habe das System der Reis-Intensivierung als erste angewandt und wende es immer noch an. Ich habe diese Anbaumethode auch mit Gemüse und Hülsenfrüchten ausprobiert. Überall habe ich damit mehr Ertrag. Daher werde ich diese Methode anwenden, so lange ich lebe."
Mehr zum Thema