"Landwirtschaft als Lebensform"

Onno Poppinga im Gespräch mit Joachim Scholl |
Ein Leben lang hat sich Onno Poppinga für die bäuerliche Landwirtschaft engagiert. Als Professor an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät im hessischen Witzenhausen ist er inzwischen eine Legende. Er setzt sich heute vor allem für eine Ökolandwirtschaft in Verbindung mit der Erzeugung regionaler Produkte ein.
Joachim Scholl: Im Frühjahr 1974, vor genau 35 Jahren, gründete der linke, kritische Student Onno Poppinga den Arbeitskreis junger Landwirte. Daraus wurde eine regelrechte Oppositionsbewegung, die sich gegen die herrschenden Meinungen wehrte, wie Landwirtschaft gut und richtig zu betreiben sei. Aus dem Studenten wurde ein Professor an der Agrarwissenschaftlichen Fakultät im hessischen Witzenhausen, inzwischen ist der Mann eine Legende. Onno Poppinga, ich grüße Sie!

Onno Poppinga: Ja, ich grüße Sie auch, und das mit der Legende ist jetzt Ihre Aussage!

Scholl: Nun gut, Ihre Studenten verehren Sie emphatisch und Sie gelten natürlich auch in der Agrarwissenschaft als eine ganz besondere Ikone. Wir kommen darauf zu sprechen. Herr Poppinga, aber lassen Sie uns ein wenig Rückschau halten. Was hat Sie damals, Anfang der 70er-Jahre, an der modernen Landwirtschaft so gestört, dass Sie sagten, das muss anders werden?

Poppinga: Da hat sicherlich meine Herkunft und auch die sehr guten persönlichen Erinnerungen an den landwirtschaftlichen Betrieb meiner Eltern eine große Rolle gespielt. Ich komme von einem Bauernhof in Ostfriesland, habe danach eine landwirtschaftliche Lehre gemacht und dann eben studiert an der Universität Hohenheim. Und eben auf diesem Hof meiner Eltern habe ich ausgesprochen gute Erinnerungen an praktische Landwirtschaft, an die Art und Weise, wie Ackerbau betrieben wurde, wie mit den Tieren umgegangen wurde, wie auch das Ganze kommuniziert wurde, wie die interne Sozialstruktur gewesen ist – also Landwirtschaft als Lebensform, als Lebensstil, da hatte ich einfach eine sehr positive Einstellung. Deshalb habe ich dann auch Landwirtschaft studieren wollen. Und während des Studiums, also vielleicht mit Schwerpunkt in den Fächern Agrarökonomie, Agrarsoziologie, Agrarpolitik, da spielte aber diese Landwirtschaft überhaupt keine Rolle, sondern das war nur etwas, worüber man eher Witze machte, das war etwas rückständig, das man auflösen müsse. Und all die positiven Möglichkeiten, die es – neben sicherlich auch Begrenzungen – die es in der Landwirtschaft gibt, die ich erfahren konnte, das war nur etwas, was man wegrationalisieren sollte. Und das hat mich sehr gestört, und ich habe deshalb Kontakte gesucht zu Bauern und Bäuerinnen – und die gab es damals so wie heute auch –, die durchaus selbstständig und selbstbewusst sich über die Zukunft Gedanken machen, über ihren Betrieb Gedanken machen. Und mit denen zusammen sind dann Arbeitszusammenhänge entstanden, die letztlich bis heute anhalten.

Scholl: Aus jenem Arbeitskreis junger Landwirte ging die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft hervor, die heute eine bedeutende Kraft und Stimme hat. Der EU-Parlamentarier Graefe zu Baringdorf ist der Vorsitzende. Was ist mit dieser bäuerlichen Landwirtschaft eigentlich genau gemeint? Eigentlich ist doch jede Landwirtschaft bäuerlich.

Poppinga: Das kann man, glaube ich, so nicht sagen. Bäuerliche Landwirtschaft ist erst mal etwas, was historisch überkommen ist und wo sich eine Form entwickelt hat mit den Ressourcen, die man nutzen konnte. Das war der Boden, das war die Sonnenenergie, das war das Wachstum der Pflanzen, wo sich dazu eine passende Sozialstruktur entwickelt hat, um das auf Dauer gut entwickeln zu können, um eine dauerhafte Perspektive für Lebensmittelerzeugung, aber natürlich auch für das Einkommen der Menschen zu haben. Und das hat sich dann doch durchaus verschoben im Zusammenhang mit dem, was wir auch als Industrialisierung von Landwirtschaft bezeichnen, also das sind diese Quellen, wenn man so will. Also die nachwachsenden Rohstoffe plus menschliche Arbeitskraft plus tierische Arbeitskraft, das ist stark in den Hintergrund gedrückt worden. Und was wir heute haben, die sogenannte moderne Landwirtschaft, ist ja über weite Strecken nur eine verwandelte Form von fossiler Energie, von Erdöl, also zum Beispiel der ganze Bereich mineralischer Düngemittel, vor allem Stickstoffdünger. Sie brauchen zwei Liter Erdöl, um ein Kilogramm Mineraldünger, also mineralischen Stickstoffdünger zu erzeugen. Und das hat natürlich die Gewichte dramatisch verschoben. Und das ist etwas, was dazu geführt hat, dass wir heute viele Abläufe eben nicht mehr haben, die wir zumindest in der traditionellen bäuerlichen Landwirtschaft noch selbstverständlich wahrnehmen.

Scholl: Eng verknüpft mit der bäuerlichen Landwirtschaft ist der ökologische Landbau. Allgemein wird dieser Fortschritt ja begrüßt, aber Sie sehen ihn durchaus auch kritisch.

Poppinga: Na, erst mal begrüße ich ihn sehr stark, und es war sicherlich eine große kulturelle, ja, man kann geradezu sagen Errungenschaft. Er ist ja von Bauern und Bäuerinnen gegen den – vor allem in der Schweiz am Anfang – gegen den Widerstand der Agrarwirtschaft, gegen den Widerstand der Agrarpolitik, gegen den Widerstand der Agrarwissenschaft durchgesetzt worden, stark in Verbindung immer mit Verbrauchern. Das ist das Lebenselixier der ökologischen Landwirtschaft, eben immer sich auszutauschen mit den Verbrauchern, und hat seinen Platz gefunden und hat sich politisch durchgesetzt, auch an den Hochschulen. Deshalb ist ja auch da, wo ich bisher gearbeitet habe, die Landwirtschaftliche Fakultät der Universität Kassel in Witzenhausen hat sich ja speziell entschlossen, sich um diese ökologische Landwirtschaft in ihrer Weiterentwicklung zu kümmern. Also das ist erst mal eine ganz gute Sache, was da entstanden ist. Zugleich, je wichtiger sie wurde, je mehr Interesse sie gefunden hat, umso mehr haben versucht und werden das auch weiterhin versuchen zum Beispiel Vermarktungsunternehmen, die ganz andere Interessen haben, nämlich vor allem Marktsegmente zu besetzen, möglichst viel Umsatz zu machen, indem man mit sehr niedrigen Preisen andere Konkurrenten ausstechen will, die drücken zunehmend in den Biobereich hinein. Einerseits hat das den Vorteil, dass dadurch Biolebensmittel überall leicht zu haben sind, andererseits verändert das aber durchaus die Realität des Biomarktes und der ursprünglichen Begründer. Aber es ist so wie mit einem Standbein, das ist gewissermaßen der selbstbewusste Ökolandbau, der um seine Bedeutung auch für die Verbraucher und die gute Kommunikation mit den Verbrauchern weiß. Und das andere ist eher das Spielbein, das dann also eher auf den Lebensmitteleinzelhandel gerichtet ist.

Scholl: Das heißt, der Einzug der Bioprodukte in die Discountläden, den sprechen Sie ja, glaube ich, hier an, erzeugt der wiederum eine Art industrialisierter Landwirtschaft?

Poppinga: Also es gibt so eine Tendenz, ohne Frage. Sie wird intensiv diskutiert, auch innerhalb der Verbände selber. Und solange diese Diskussion so qualifiziert läuft, wie das bisher der Fall ist, habe ich da keine sehr große Sorge. Es gibt auch die betonte Gegenbewegung, die sehr stark sagt, wir wollen Ökolandwirtschaft verbinden mit der regionalen Erzeugung. Das ist auch etwas, wo ich zu stehe, wo ich viele Forschungen dazu gemacht habe. Und das ist durchaus eine weitere, ganz wichtige Entwicklung. Also Ökolandwirtschaft und regionale Erzeugung, regionale Wertschöpfung steigern, das ist etwas, was sehr wichtig ist.

Scholl: Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist der Agrarwissenschaftler Onno Poppinga, er engagiert sich für die bäuerliche Landwirtschaft. Derzeit, Herr Poppinga, haben wir wieder einen EU-weiten Streit um die Milchquote. Was sagt der Wissenschaftler dazu?

Poppinga: Nun, es ist natürlich wunderbar, dass endlich Bauern in so großer Zahl, dass sie erkannt haben, dass die Vorgabe, unter der sie jetzt lange Zeit gewirtschaftet haben, nämlich immer mehr die Leistung zu steigern, dass noch mehr Milch von den Kühen abverlangt wird, immer noch mehr Milch auf den Markt zu bringen, dass das für sie keine Perspektive hat, sondern dass sie sagen, wir müssen über die Menge reden. Und das sind ja immerhin 30.000 Bauern, das ist eine wunderbare Entwicklung, die jetzt erst mal, bezogen auf das direkte Ergebnis – das Ergebnis des Streiks ist ja letztlich dann wieder aufgefressen worden durch die Entwicklung danach –, aber da ist etwas entstanden, wo ich eine große Sympathie für habe. Wo man aber sicherlich auch noch sagen kann, das muss auch noch über diese reine Betrachtung der Menge hinausgehen. Wir haben viele andere Defizite, die sich eben daraus ergeben haben, dass die Tiere so stark belastet werden. Das Durchschnittsalter der Milchkühe in Deutschland, das sinkt immer mehr, immer schneller müssen die Kühe zum Schlachter. Das heißt, wir müssen auch sehr intensiv über die Art und Weise, über das System Milcherzeugung beispielsweise nachdenken. Das macht diese Vereinigung bisher nicht, aber ich denke, sie wird sich in dieser Richtung entwickeln, und das finde ich sehr erfreulich, sehr positiv.

Scholl: Über 30 Jahre, Herr Poppinga, haben Sie Agrarwissenschaft gelehrt, Sie galten und gelten als Vordenker der bäuerlichen Landwirtschaft, aber auch als Querkopf in diesem Gebiet. Inwieweit, würden Sie sagen, konnten Sie die Entwicklung der letzten Jahrzehnte durch Ihre Arbeit beeinflussen?

Poppinga: Also es ist sicherlich schwer auszumachen, weil ich mich nie als Einzelkämpfer gesehen habe und als solcher aufgetreten bin, sondern immer in Kooperation mit vielen Freunden gearbeitet habe, sowohl an Universitäten, in Verbänden, und selbstverständlich auch mit vielen Landwirten. Mit der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in Sonderheit. Aber ich glaube, wenn ich das jetzt mal so ein bisschen ausweite, was haben wir insgesamt dort bewegt: Ich glaube, das Bild der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit ist heute viel positiver, wie es früher war. Viele Menschen, das hat sich ja jetzt auch beim Milchstreik und der Zustimmung in der Bevölkerung gezeigt, wissen, Landwirtschaft ist viel mehr als nur billige Lebensmittel. Das war immer unser Versuch, darauf hinzuwirken. Ich glaube auch, bezogen auf die Studenten, dass ich dem einen oder anderen mindestens doch deutlich machen konnte, dass es wichtig ist, wirklich im engeren Sinne ganz streng nach wissenschaftlichen Prinzipien zu arbeiten, das ist mir sehr wichtig, quellenkritisch arbeiten, weil vieles von dem, was so daherkommt, sowohl als agrarpolitische Lehrmeinung als auch im Bereich Agrarökonomie, da sind immer sehr viele nicht genannte Voraussetzungen drin. Und ich habe versucht, darauf hinzuweisen, diese nicht genannten Voraussetzungen zu thematisieren, also diese Fragestellung gewiss mal auch ein bisschen auf ihren Ideologiegehalt zu hinterfragen, und dann aber wirklich sorgfältig die Fakten sich anzuschauen und dann zu den sich daraus ergebenden Schlüssen zu kommen. Das war mir immer wichtig – quellenkritisch arbeiten, sorgfältig wissenschaftlich an die Themen herangehen. Und, ja, da habe ich vielleicht wie viele andere auch ein bisschen mithelfen können.

Scholl: Ihre Forschungsprojekte waren oft sehr bodenständig, im Wortsinn kann man das, glaube ich, sagen. Eines der letzten Projekte ging um die Frage, wie und zu welchen Preisen Ganztagsschulen ihr Schulessen aus regionalem Bioangebot decken können. Kamen Sie zu einem Ergebnis?

Poppinga: Ja, da kamen wir zu einem Ergebnis. Wir konnten das deutlich unter drei Euro anbieten. Das Interessante bei dem Projekt war, sie waren sehr stark lokal ausgerichtet, sowohl was die Erzeugung anging, die Landwirte, was die Küchen anging. Das waren häufig Küchen, in denen lernbehinderte Menschen eine zusätzliche Ausbildung bekommen, und das waren eben Schulen im Landkreis Schwalm-Eder, wir haben da auch eine tolle Zusammenarbeit gehabt mit dem Landrat. Das ist ein, ja, kann man schon sagen, ungemein erfolgreiches Projekt gewesen.

Scholl: Morgen, Onno Poppinga, gehen Sie offiziell in Ruhestand. Ich vermute, dass wir trotzdem von Ihnen hören werden. Was haben Sie sich vorgenommen für Ihre freie Zeit?

Poppinga: Nun, ich bewirtschafte ja mit meiner Frau seit Langem einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb. Ich habe manchmal manche Arbeiten – Frühjahrsbestellung, Heuernte – ein bisschen unter Druck machen müssen, ich habe dafür jetzt mehr Zeit. Und ansonsten wird man sehen, wie es sich entwickelt. Es gibt viele Kontakte, viele Möglichkeiten. Ich habe ja auch ganz früher mal fürs Fernsehen und für den Rundfunk gearbeitet und Texte geschrieben. Wer weiß, was sich da ergibt.

Scholl: Alles Gute dann dafür! Onno Poppinga, der Agrarwissenschaftler aus Witzenhausen, Verfechter der bäuerlichen Landwirtschaft. Herzlichen Dank für dieses Gespräch!

Poppinga: Danke auch!