Landvolk-Fahne bei Bauerndemos

Ein geschichtsvergessenes Symbol

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Auf einem Traktor prangt ein Sticker mit dem Symbol der Landvolkbewegung: Ein weißer Pflug und rotes Schwert auf schwarzem Grund.
Immer wieder ist bei den Protesten der Landwirte das Symbol der Landvolkbewegung zu sehen: Ein weißer Pflug und rotes Schwert auf schwarzem Grund. © Imago / Müller-Stauffenberg
Quinka Stoehr im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 05.02.2021
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Im Januar 2021 demonstrieren einige Landwirte mit einer Fahne aus der Weimarer Zeit: ein weißer Pflug mit rotem Schwert auf schwarzem Grund - die Fahne der Landvolkbewegung. Die Dokumentarfilmerin Quinka Stoehr findet das geschichtsvergessen.
Agrarwende, Milchpreise, EU-Subventionen – die Gründe für Bauernproteste sind vielfältig. Auch in den kommenden Tagen sind Proteste angekündigt, gegen die Europäische Agrarreform.
Seit einiger Zeit ist bei solchen Protesten eine besondere Fahne zu sehen: ein weißer Pflug mit rotem Schwert auf schwarzem Grund – die Fahne der Landvolkbewegung. Über diese Bewegung hat die Dokumentarfilmerin Quinka Stoehr vor 30 Jahren einen Film gedreht:
"Das ist die Fahne der autonomen Landvolkbewegung, die sich Ende der 1920er-Jahren gründete, aufgrund einer tiefgreifende Agrarkrise, von der im Wesentlichen schleswig-holsteinische Bauern betroffen waren."

"Antisemitisch, antiparlamentarisch, völkisch"

Zunächst haben sie sich abseits von landwirtschaftlichen Organisationen und Parteien organisiert, sind für ihre Forderungen auf die Straßen gegangen. "Es gab Zwangsversteigerungen von Höfen und Tieren", erklärt Stoehr, "und sie haben schließlich zu Steuerboykott aufgerufen, zu militanten Aktionen, und Bomben geworfen."
Bei einer Demonstration in Neumünster sei die Fahne das erste Mal aufgetaucht. "Und diese Fahne", so Stoehr, "wurde von der Polizei aus der Demonstration herausgeprügelt, mit Säbeln. Sodass viele Bauern verletzt waren." Dadurch sei die Fahne zum Symbol dieser Bauernbewegung geworden.
"Diese Bewegung kam aus der rechten Ecke", sagt die Dokumentarfilmerin. "Sie war antisemitisch, antiparlamentarisch, völkisch." Zunächst aber seien sie keine Nationalsozialisten gewesen. Die NSDAP lehnte diese Bewegung laut Stoehr erst einmal ab. "Weil sie ihnen zu anarchistisch war. Im Laufe der Zeit hat die NSDAP ihre Taktik geändert und ist auf die Forderungen der Landvolkbewegung eingegangen."

Krise der Landwirtschaft führte zu Radikalisierung

Quinka Stoehrs Film zeigt am Beispiel der Bauern die Bedingungen, unter denen der deutsche Faschismus damals entstehen konnte. Heute ist die Ausgangslage ihrer Meinung nach eine ganz andere: "Aber was vielleicht ähnlich ist, ist, dass es tatsächlich eine Krise in der Landwirtschaft gibt. Dass sie hoch verschuldet ist. Dass die Preise für ihre Erzeugnisse zu niedrig sind. Und das war damals auch so."
Damals seien die Proteste nicht erhört worden und hätten sich deswegen radikalisiert. Deshalb hält Stoehr es für wichtig, dass die Politik auf berechtigte Forderungen der Landwirtinnen und Landwirte auch eingeht.
Dass die Fahne heute wieder herausgeholt wird, wundert die Dokumentarfilmerin: "Das finde ich geschichtsvergessen. Weil man mittlerweile ja weiß, wohin die Reise geführt hat. Man kann die Bewegung ja nicht abtrennen von dem Ergebnis."
Der Bauernverband und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft distanzieren sich Stoehr zufolge von der Verwendung dieser Fahne.
Was sich laut Stoehr heute geändert hat, ist, dass diesem Verhalten heute eine kritische Öffentlichkeit gegenübersteht. Sie erinnert sich: "Als hier die Bauern mit 350 Treckern in der Nacht diese Fahne nachgebildet haben, mit einer Drohne aufgenommen und viral gesendet haben, da gab es einen Aufschrei."

Stumpfe Sense - Scharfer Stahl. Bauern, Industrie und Nationalsozialismus
Regie: Quinka Stoehr, Kay Ilfrich und Jens Schmidt
Deutschland 1990, 90 Minuten

(mfied)
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