Landtagswahl Saarland

Wahlliste bunt.saar macht den Grünen Konkurrenz

08:17 Minuten
GER, Landtag des Saarlandes, 30.04.20
30.04.20, Saarlaendischer Landtag, in Saarbruecken, Franz-Josef-Roeder Stra?e, Foto: Franz/Pressefoto Eibner © picture alliance / Eibner-Pressefoto
Von Anke Schaefer · 07.02.2022
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Die Wählervereinigung bunt.saar setzt sich zusammen aus Frustrierten anderer Parteien und Menschen aus Bürgerbewegungen. Auch lokale Politikprominenz ist dabei. Sozial und ökologisch will das Bündnis sein und eher Plattform als Partei.
Bunt.saar macht Wahlkampf in Saarlouis, Stadtteil Fraulautern. Zwölf Menschen sitzen in dem großen Vereinshaus im Publikum. Armin König ist Landtagskandidat des neuen Bündnisses im Wahlkreis Neunkirchen.

"Für mich war mein Enkel Lucca ein ganz wesentlicher Punkt, weil ich erkannt habe, dass für Kinder in dieser Welt viel zu wenig gemacht wird!", sagt der einstige Unionspolitiker. "Für mich ist das ein Mitgrund, zu sagen, wir brauchen eine Erde und eine Umwelt, die gesundes und gutes Leben erreicht und ermöglicht!"

Jungpartei mit dem dienstältesten Bürgermeister


Das kleine, aber aufmerksame Publikum lauscht hier dem prominentesten Kopf der neuen Wählervereinigung. Armin König ist Bürgermeister der Gemeinde Illingen, 20 km nördlich von Saarbrücken gelegen, knapp 18.000 Einwohner.
König ist der dienstälteste Bürgermeister des Saarlandes, im November ist er nach 47 Jahren aus der CDU ausgetreten. Er sagt, er habe es nicht mehr ertragen können, in dieser Partei zu sein. Unter anderem in Folge der Maskenaffäre.
"Es kann nicht sein, dass wir vor Ort Masken nähen, mit Menschen, die dies freiwillig machen, und dass auf der anderen Seite dann Millionengeschäfte von Abgeordneten gemacht werden, wo es um 170 Millionen Euro ging!"

Er kehrte der CDU also den Rücken, sondierte die Lage und entschloss sich, zu bunt.saar, gesprochen Bunt-Punkt-Saar, zu gehen.


Wählervereinigung statt Partei

"bunt.saar – sozial-ökologische Liste“ hat sich im September gegründet, bewusst nicht als Partei, sondern als Wählervereinigung. Sie will für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit eintreten. Die Mitglieder arbeiten meist ehrenamtlich und sind teilweise schon lang in umweltpolitischen Bewegungen unterwegs.
Rund 100 Mitglieder sind inzwischen eingetragen, viele sind ehemalige Mitglieder anderer Parteien. Ex-CDUler wie Armin König; aber auch Ex-SPDler; Leute, die der Linken angehörten, die sich im Saarland unter Oskar Lafontaine zerstritten hat; und natürlich Ex-Grüne, denn auch die Grünen im Saarland waren zerstritten.
Eine Frau erklärt, sie sei gekommen, weil man im Saarland keine Partei habe, die die Klima- und Umweltthemen vertritt: "Und am meisten, weil wir bei der letzten Bundestagswahl die Grüne Partei nicht wählen konnten. Da dachte ich, da muss man aktiv werden und gucken, dass wir eine Alternative finden. Schade, dass so wenige gekommen sind!"

Saarländische Verhältnisse


Ihre Freundin pflichtet ihr bei: "Ja, wirklich schade. Grad hier in Saarlouis, der Hochburg von Hubert Ulrich, wäre es schön gewesen!"

Ulrich, der frühere Parteivorsitzende der Saar-Grünen, hat über Jahre für Zwist gesorgt, zuletzt für so viel Zwist, dass die Grünen bei der Bundestagswahl hier keine Landesliste aufstellen konnten und also auch nicht mit der Zweitstimme gewählt werden konnten.
Das war der Moment, in dem sich „bunt.saar“ gründete. Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit schreiben sie sich auf die Fahnen. Wahlkampfmotto: „Alles muss man selber machen“.

Mit dem Lastenrad unterwegs

Werner Ried, Geograf und Verkehrsexperte, ist Spitzenkandidat der bunt.saar-Landesliste. Er radelt zu sämtlichen Wahlkampfterminen, oft nutzt er sein Lastenfahrrad. In Berlin oder anderen Großstädten mag so was gängige Praxis sein, im Saarland ist es kaum zu fassen, dass er das tut. Die Wege scheinen den meisten zu weit zu sein, das Auto hat absolute Priorität.
Werner Ried steht denn auch vor allem für die Verkehrswende. Das Schienennetz, der öffentliche Nahverkehr müsse im Saarland ausgebaut werden, sagt er.
Klar müsse im Autoland Saarland gesagt werden, dass der Verbrennermotor ein Auslaufmodell sei: "Das wird ein ganz dickes Brett, aber wir müssen die Wahrheit sagen: Hallo Leute, das Festhalten an diesem Industriestandort Saarland, das wird uns so nicht gelingen." Die Verbrennungsmotor-Technologie habe keine Zukunft.
"Wir sind die Ersten, die das so klar benennen. Und es wird nicht einfach, den Weg zu finden, das wird auch eine Krise geben."
Gerade im Saarland. Die Hälfte der Arbeitsplätze in der Industrie hängt an der Saar vom Verbrennermotor ab. Grad in diesen Wochen bangen die Mitarbeiter bei Ford in Saarlouis um ihre Arbeitsplätze, weil unklar ist, ob das Werk dort weiter bestehen wird.

Plattform statt Partei


Hat das Wählerbündnis bunt.saar eine Chance, in den Landtag gewählt zu werden? "Wir haben eine Chance", sagt Spitzenkandidat Ried: "Andere Parteien haben sich zerstritten und da werden sich Leute für uns interessieren." Wenn das von jeder dieser Parteien jeweils ein Prozent sei, vielleicht zwei Prozent, dann habe man schon vier Prozent.
Zudem seien auch von den großen Parteien Leute gekommen, erklärt Ried. "Und es gibt noch Leute, die komplett neu zu uns gestoßen sind", Menschen, die noch nie in einer Partei gewesen seien, das Projekt aber interessant fänden. "Wir bieten eine Plattform, wo sich Leute engagieren können, die vorher noch nie Politik gemacht haben."

Genau das könnte aber auch ein Problem sein. Die "Saarbrücker Zeitung" kommentierte etwa, es seien politische Amateure am Werk. „Wohin so etwas führt, hat man bei den Piraten gesehen.“
Werner Ried kennt diese Kritik. Sie entmutigt ihn nicht: "Ich schöpfe erstens Motivation aus dem Thema 'Piraten', denn die haben es damals auch geschafft, von null auf hundert, aus dem Nichts." Das gebe ihm den Mut, dass bunt.saar das auch schaffe.
"Und das Zweite, was wir erleben, ist, wie die Leute zu uns strömen. Wir haben ja jetzt doch knapp 100 Mitglieder aus allen Schichten der Bevölkerung und Leute, die einen Pool von Schwarmintelligenz bilden, aus dem wir schöpfen und unsere Programmpunkte zusammenstellen."

Nachhaltigkeit im Fokus


Nachhaltigkeit soll das Hauptthema sein: Die 17 UN-Ziele für die nachhaltige Entwicklung der Menschheit aufs Saarland herunter gebrochen.
Da geht es dann zum Beispiel um Gewässerschutz. Ein großes Thema im Saarland: Der Bergbaukonzern RAG hat die Genehmigung bekommen, ehemalige Gruben zu fluten, obwohl ursprünglich ausgemacht war, dass das Wasser auf alle Ewigkeit abgepumpt wird.
Für den Illinger Bürgermeister Armin König sind die Grubenflutungen ein Unding. Er fürchtet unter anderem, dass das Trinkwasser verschmutzen könnte, wenn Ölfässer und Bergbaumaschinen und -geräte in den Gruben überflutet werden. "Und das ist ein K.o.-Kriterium", sagt der ehemalige CDU-Politiker.
"Trinkwasser muss immer tabu sein und die Gewässerqualität im Saarland muss sich endlich spürbar verbessern!"

Konkurrenz für die Grünen


Laut Umfragen hat bunt.saar wenig Chancen, am 27. März tatsächlich über die Fünf-Prozent-Hürde zu kommen. Die Grünen sind unter Spitzenkandidatin Lisa Becker dabei, sich zu konsolidieren, vielleicht wählen viele dann lieber „das Original“, also die Grünen, statt einer neuen Wählerliste. 
Vielleicht trägt diese Wählerliste sogar dazu bei, die kleinen Parteien im Landtag zu schwächen. Spitzenkandidat Werner Ried weiß, was manche sagen: "Ah, das ist aber auch ein Risiko, ihr kannibalisiert Euch!", laute der Vorbehalt. Bei der letzten Landtagswahl hatten die Grünen nur vier Prozent der Stimmen erhalten und den Einzug in den Landtag verpasst.
"Es könnte die Konstellation auftreten: Alle bleiben dann unter fünf Prozent. Das ist ein Risiko", räumt bunt.saar-Kandidat Ried ein. "Aber es kann auch anders ausgehen, dass wir alle deutlich drüber liegen, weil man merkt, mit den Großen kommen wir da nicht weiter."

Das würde ihm natürlich gefallen. "Dann wirds bunt! Das würde uns sehr gut gefallen, ja!"
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