Landschaften im Umbruch

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 16.04.2013
In den vergangenen Tagen fand in Wiesbaden das Festival des ost- und mitteleuropäischen Films statt. Zu sehen waren 132 Filme aus 30 Ländern - von Polen bis Kasachstan. Dazu gab es ein Programm der Filmhochschulen.
Der Hauptpreis ging nach Georgien: "Die langen hellen Tage" führt in die Hauptstadt Tiflis in das Jahr 1992. Der Debütfilm von Nana Ekvtimishvili und Simon Groß erzählt von zwei sehr unterschiedlichen Freundinnen, die zwischen familiären Krisen und den gesellschaftlichen Umbrüchen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion erwachsen werden.

Zehn Spielfilme und sechs Dokumentarfilme standen im Wettbewerb. Als bester Dokumentarfilm wurde der russische Beitrag
"Anton ist hier" ausgezeichnet.

Er beobachtet über Jahre hinweg den Kampf eines autistischen Jungen um Zuneigung und Selbstbestimmung und reflektiert dabei die soziale Verhärtung der russischen Gesellschaft. Präsident der fünfköpfigen Jury war dieses Jahr der ungarische Filmemacher Bence Fliegauf:

"Ich suche in den Filmen das Authentische und das Originelle, ich suche Projekte, die sich in Form und Inhalt vom konventionellen Mainstream unterscheiden."

Der 39-jährige Regisseur, in seinen Filmen selbst Vorkämpfer eines unkonventionellen Autorenkinos, sieht bei allen Unterschieden Gemeinsamkeiten der so genannten mittel - und osteuropäischen Filme:

"Die ganze Region hat durch die Veränderung des politischen Systems auf die eine oder andere Weise dramatische Veränderungen erlebt, ganz anders als im Westen Europas.

Das betrifft die Älteren und noch meine Generation, die Jüngeren haben das alte System ja nicht mehr erlebt. Aus diesen Erfahrungen heraus entstehen immer noch starke, raue Filme, mit sehr eigenen Figuren und einer individuellen Erzählweise."

Die Untersuchung der Vergangenheit, der Umbrüchen und der Folgen für die Gegenwart und Zukunft ist auch für viele Filme aus dem ehemaligen Jugoslawien charakteristisch.

Die serbisch, deutsch, kroatisch und slowenische Koproduktion Krugovi (Kreise) inszeniert mosaikartig ein Kriegsverbrechen und seine Folgen: Am Anfang wird gezeigt, wie ein serbischer Milizionär einen islamischen Kioskbesitzer vor seinen betrunkenen Kameraden rettet, und erst am Ende sehen wir, wie der Serbe wegen seiner Zivilcourage von seinen eigenen Kameraden getötet wird.

Srdan Golubovic: "”Es geht in diesem Film darum, wie die Vergangenheit unser jetziges Leben, aber auch unsere Zukunft beeinflussen kann. 20 Jahre danach spüren wir immer noch die Schatten des Krieges.

Das gilt für unsere gesamte Generation im ehemaligen Jugoslawien. Der Krieg hat unser ganzes Leben beeinflusst und wir brauchen immer noch Zeit um uns davon zu befreien.""

Der Film "Krugovi" beruht auf einer wahren Begebenheit und sein Regisseur Srdan Golubovic erhielt in Wiesbaden den Regiepreis. Der 41-Jährige widmet seine Arbeit all denen, die sich im Krieg trotz Lebensgefahr für die Menschlichkeit einsetzten.

Srdan Golubovic: "”Wir können vergeben, aber nicht vergessen. Deswegen zeigen wir erst am Ende des Films, wie die Hauptfigur ermordet wird.""

In der letzten Einstellung liegt er auf dem Boden, wie ein Stein, der auf die Wasseroberfläche fällt, und alle Beteiligten kreisen um ihn herum, sind mit seinem Schicksal verbunden.

Geht es manchen Filmemacher um die Aufarbeitung gesellschaftlicher Traumata, suchen andere nach der verlorenen Zeit. So hat die moldawische Regisseurin Ana-Felicia Scutelnicu die Beerdigung ihrer Großmutter mit Laien nachinszeniert, mit beeindruckenden visuellen Szenen zwischen Fiktion und Dokumentation.

Für die 33-jährige Absolventin der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin war das die künstlerische Aufarbeitung kindlicher Erinnerungen:

"Nach jahrelangem Studium in Berlin habe ich gefühlt, dass endlich Zeit ist in meine Heimat zurück und filmisch mich, mit meiner Kindheit auch auseinanderzusetzen mit meiner Kultur mit meiner Kindheit auch, weil ich habe das erlebt, die sind unglaublich beeindruckend diese Beerdingungen bei uns, das ist mit so viel das ist mit so viel Lärm, Weinen, und übertriebenen Gefühlsausbrüchen, die ich nicht verstanden habe.

Man sitzt nur da und man versteht überhaupt nicht, was da passiert und dann trinkt man und dann isst man und dann darf man auch lachen und nur gute Sachen über den Verstorbenen reden und auf gar keinen Fall schlechte."

Die kollektive und private Erinnerung war ein Leitmotiv vieler Beiträge auch jüngerer mittel- und osteuropäischer Filmemacher. Mit einem vielfältigen Kanon filmischer Ausdrucksmöglichkeiten führten sie in Landschaften zwischen Gestern und Morgen, zwischen Stagnation und Bewegung.
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