Landschaften als emotionale DNA

Von Carsten Probst |
Ihre großformatigen Zeichnungen erinnern ein wenig an traditionelle japanische Tuschemalerei. Im Dresdner Leonhardi-Museum ist derzeit die Ausstellung "Wald - eine Romantik-Reflexion" der 35-jährigen israelischen Künstlerin Yehudit Sasportas zu sehen. Selten wurde die deutsche Waldromantik so einfühlsam und raffiniert durchschaut wie hier.
Von weitem betrachtet, erinnern die großformatigen Zeichnungen von Yehudit Sasportas ein wenig an traditionelle japanische Tuschemalerei, und das umso mehr, wenn man vor kurzem noch ihre Bilder in der großen Berliner Ausstellung "Die neuen Hebräer" gesehen hat. Dort konnte man zwei überdimensionale japanische Papierfächer entdecken, die Sasportas mit stilisierten Berglandschaften bemalt hatte.

Im Dresdner Leonhardi-Museum sind es dagegen Wald- und Seengebiete, mit schwarzer Tinte höchst akkurat auf weiße Faserplatten gezeichnet. Auf den ersten Blick durchaus realistisch, geradezu romantisch anmutend - und das in Dresden, dem Hort deutscher Waldromantik schlechthin. Im Saal gleich nebenan hängen noch die opulenten Großgemälde von Eduard Leonhardi, der hier vor 120 Jahren, im noch heute schwersüßlichen Elbtal bei Pillnitz, sein "Landschaftsmuseum" erbaut hat.

Da muss die Frage schon erlaubt sein, was denn eine 35-jährige israelische Künstlerin, die in Jerusalem und New York studiert hat, ausgerechnet am deutschesten aller Kunstsujets, dem Wald, überhaupt so reizt, dass sie sich ihm mit dieser Hingabe widmet.

Sasportas: " Ich denke, das ist nicht mein eigentlicher Schwerpunkt bei alldem. Ich komme aus einem völlig anderen Land. Wenn ich zum Beispiel die Malerei von Caspar David Friedrich nehme, dann scheint es mir dort sehr stark um Materie und das Erdverbundene zu gehen, man fühlt sozusagen das Blut in den Adern pulsieren. (…) Deutsche Geschichte scheint mir immer sehr mit Schwere, mit dem Erdboden verbunden zu sein, den tellurischen Mächten sozusagen. Meine Bilder kommen dagegen eher von oben, aus der Luft, sie scheinen irgendwie zu fließen, es ist, wenn Sie wollen, eine völlig andere DNA. Aber was mich interessiert, das ist eben die Kreuzung von beidem, diese beiden verschiedenen DNAs zu verbinden, und so ist es auch mit meinen Bildern: Das unmittelbare Naturerleben und die geistige Reflexion auf dieses Erleben. Zwei verschiedene Wesen in einem Körper. "

In der Tat fällt einem bei näherem Hinsehen auf, dass die Landschaften von Yehudit Sasportas alles andere als realistische Darstellungen sind. Viele Motive, einzelne Bäume, Felsen, Linien und Strukturen wiederholen sich permanent. Gerahmt sind diese hypothetischen Ansichten oft von einer Art Fransenmuster aus sehr eng gezogenen Linien, die ein wenig wie ein Barcode aussehen, so als ob es die Künstlerin darauf anlegt, zu zeigen, dass jede Art von natürlichem Eindruck immer schon künstlich ist.

Sasportas: " Gewiss spielt das in meinem Werk eine Rolle, zugleich hinterfrage ich das Verständnis von Realität. Was ich mache, sind ja keine klassischen, traditionellen Zeichnungen, ich gehe nicht hinaus, stehe in der Natur und versuche zu zeichnen, was ich sehe. Was ich mache ist: Ich kombiniere fünf oder sechs verschiedene Arten von Zeichnung im selben Bild. Zum Beispiel mache ich einige Teile der Zeichnung aus der Erinnerung von Landschaften. Einen anderen Teil nehme ich aus einem kleinen Stillleben, das ich eigens in meinem Atelier arrangiere. Wieder andere Teile nehme ich von Videos oder Fotografien, die ich in der Natur mache. Außerdem versuche ich, den Klang der Natur optisch hineinzubringen, durch solche Wellenformen hier zum Beispiel. Ich konstruiere also eine Art Hybrid verschiedener Wahrnehmungsweisen von Natur in verschiedenen Epochen. Mein Versuch ist es also, mit meinem Werk eine geistige Landschaft zu erschaffen."

Sasportas zählt nun allerdings nicht zu jener Sorte junger Künstlerinnen oder Künstler, die ihre Gemälde gleich vom Computer ausdrucken lassen oder von Monitoren abmalen. Im Gegenteil, die Tochter einer Näherin und eines Zimmermanns hält große Stücke auf gutes Handwerk. Ihre großen Rauminstallationen baut sie ebenso selbst, wie sie auf alle elektronischen Hilfsmittel beim Zeichnen verzichtet.

In diesem Sinn könnte man sie getrost altmodisch nennen – für Sasportas, die übrigens auch Philosophie und Kunstgeschichte studiert hat und bestens mit dem Werk Nietzsches und Walter Benjamins vertraut ist, geht es dabei jedoch eher um einen künstlerischen Balanceakt. Einerseits soll das Kunstwerk immer eine gewisse Aura haben, auf die man körperlich reagiert, in die man sich gleichsam meditativ hineinversetzen kann. Andererseits aber gilt es, ein Bild immer als Spiegel zu begreifen. So gesehen bietet sich die Natur als Suggestion großer Gefühle durchaus an.

Sasportas: " Natur ist eher eine Projektion unserer eigenen geistigen Struktur. Natur und Geist sind immer verbunden. Es gibt etwas wie einen Filter, einen sehr feinen Filter zwischen mir und der Realität. Das heißt also, man hat es immer auch mit einer anderen Realität zu tun, mit einer räumlichen Idee des Anderen. Andererseits gibt es immer wieder Störungen. Wenn man genau hinschaut, sieht man auf meinen Bildern, dass sich Details immer wiederholen. Oft benutze ich dann auch Spiegelflächen, Wasser oder die Form eines Diptychons wie ein Negativ, so dass es sich alles verdoppelt wie bei einem gefalteten Stück Papier. "

Die Effekte, die Sasportas dadurch erzielt, sind erstaunlich. Ihre Bilder scheinen tatsächlich zu schweben, und man selbst mit oder in ihnen. Man erkennt die Reize kunstvoll komponierter Landschaften, und zugleich erlebt man sie als Imagination, man spürt gewissermaßen die irritierende Verschränkung von Realität und Traum, Natur und Kunst. Selten wurde die deutsche Waldromantik so einfühlsam und raffiniert durchschaut wie hier.

Service:

Die Ausstellung "Wald - eine Romantik-Reflexion IV: Yehudit Sasportas " the cave light" ist im Leonhardi Museum Dresden vom 9. Dezember 2005 bis 22. Januar 2006 zu sehen.