Landsberg warnt vor Neiddebatte bei Solidarpakt

Gerd Landsberg im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 21.03.2012
Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, hält nichts von einer Neiddebatte beim Solidarpakt. Dies sei ein verbindlicher, im Gesetz festgeschriebener Vertrag, den man nicht so einfach vorzeitig beseitigen könnte.
Jan-Christoph Kitzler: Das ist ein perverses System – klare Worte sind das von Dortmunds Oberbürgermeister Ulrich Sierau, und weiter hat er gestern gesagt: Der Osten ist mittlerweile so gut aufgestellt, dass die dort doch gar nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld, und bei uns im Ruhrgebiet brennt der Baum. Und das liegt auch angeblich am Solidarpakt – der Westen überweist Geld in den Osten, damit die Infrastruktur angeglichen wird, doch viele Kommunen im Ruhrgebiet müssen sich dafür verschulden. Duisburg zum Beispiel musste in den letzten Jahren eine halbe Milliarde Euro aufnehmen, Geld, das dann in den Osten Deutschlands floss.

Und dabei könnte manche Kommune im Westen das Geld selber ganz gut gebrauchen, während viele Städte im Osten inzwischen gut saniert sind, bröckelt im Westen in den Rathäusern der Putz von den Wänden, von den Straßen gar nicht zu reden, Schwimmbäder und Theater müssen geschlossen werden. Ist das nicht der Zeitpunkt, den Solidarpakt, der noch bis 2019 gehen soll, abzuschaffen? Diese Diskussion haben Bürgermeister aus dem Ruhrgebiet angestoßen, und darüber spreche ich jetzt mit Gerd Landsberg, dem Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Schönen guten Morgen!

Gerd Landsberg: Guten Morgen, Herr Kitzler!

Kitzler: Herr Landsberg, ist der Solidarpakt denn noch zeitgemäß?

Landsberg: Ich glaube, er ist noch zeitgemäß, und dieser Hilferuf, der aus dem Ruhrgebiet kommt, beschreibt allerdings eine Situation richtig: Es gibt auch im Westen Städte und Regionen, denen es sehr schlecht geht, wo seit Jahren immer neue Schulden gemacht werden und wo die Infrastruktur verfällt. Gleichwohl sage ich, man soll den Solidarpakt nicht schlecht reden, sondern soll ihn weiterentwickeln, und – das ist mir ganz wichtig – wir können wirklich eine Neiddebatte Ost-West nicht gebrauchen, denn so gut geht es nun den Städten im Osten nicht.

Um mal zwei Zahlen zu nennen, die Finanzkraft der Städte im Osten ist immer noch – im Schnitt natürlich – bei 70 Prozent der West-Kommunen, also da sind auch nicht überall die goldenen Gullydeckel – und das gilt es zu bedenken. Man muss auch wissen, das ist ja ein verbindlicher, im Gesetz festgeschriebener Vertrag, da bekommen die ostdeutschen Länder – das geht ja nicht etwa direkt an die Kommunen – bis 2019 156 Milliarden Euro. Da haben die sich natürlich auch drauf eingestellt, also so einfach das beseitigen, das könnte man nicht, wenn man es überhaupt wollte. Ich sehe auch dafür keine politische Mehrheit.

Kitzler: Das Problem an der Debatte ist ja vielleicht, dass man gar nicht so sagen kann, der Westen – der Osten. Es sind im Osten zum Teil ja wirklich blühende Landschaften entstanden, böse Zungen behaupten ja, dass da inzwischen schon Fantasie gefragt ist bei der Frage, was man da noch sanieren könnte, und andere Kommunen im Westen sind in einem desolaten Zustand – längst nicht alle natürlich. Macht die Geldumschichtung nach dem Kriterium Himmelsrichtung dann noch Sinn?

Landsberg: Langfristig macht die keinen Sinn, da bin ich allerdings fest von überzeugt. Wir brauchen einen Investitionsfonds, der nicht nach Himmelsrichtung geht, sondern nach Bedarf. Wir haben sowohl im Westen wie im Osten Regionen, denen es gut geht, aber wir haben eben auch Regionen, zum Beispiel das Ruhrgebiet, denen es sehr schlecht geht, und deswegen wäre es sinnvoll, eine Hilfsstruktur zu schaffen, wo man eben nicht nach Himmelsrichtung, sondern nach Bedarf hilft. Es ist ja unstreitig, dass viele Kommunen strukturell total unterfinanziert sind. Wir haben den Höchstsatz von Kassenkrediten mit 44 Milliarden, und viele Städte müssen in der Tat für ihre gesetzlichen Verpflichtungen immer neue Schulden aufnehmen, und das ist nicht in Ordnung.

Trotzdem würde ich gern noch mal an einem Beispiel das festmachen, damit man auch mal die Dimension sieht. Nehmen wir mal das Beispiel Gelsenkirchen. Gelsenkirchen ist ja auch eine der Städte, die diese Aktion da gestartet haben. Gelsenkirchen hat einen Haushalt von 845 Millionen, Sozialleistungen 170 Millionen, der Beitrag zum Solidarpakt 10 Millionen. Daran sehen Sie eins: Wenn Sie diesen Städten helfen wollen, ist die Lösung nicht die Aufkündigung oder Änderung des Solidarpaktes. Wenn Sie den Städten helfen wollen, brauchen wir endlich Entlastung im Sozialbereich. Die Städte haben keinen Einfluss drauf, sie zahlen zum Beispiel für die Eingliederungshilfe für Behinderte 13,9 Milliarden. Wenn man helfen will, muss man da ansetzen, dann sind Bund und Länder natürlich als Gesetzgeber in der Pflicht, aber der Solidarpakt alleine würde das Problem nicht ansatzweise lösen, das sehen Sie an diesem Plan.

Kitzler: Aber wenn Sie vorschlagen, die künftige Strukturforderung müsste sich nach der tatsächlichen Bedürftigkeit ausrichten, und wenn wir feststellen, zum Teil haben sich die Verhältnisse angeglichen, zum Teil vielleicht sogar umgekehrt, warum soll man noch sieben Jahre so weiter machen, warum kann man das nicht gleich umstellen, das System?

Landsberg: Ich glaube, man muss das zu Ende führen, weil sich die Länder berechtigterweise drauf eingelassen haben, übrigens haben auch alle westdeutschen Länder diesem Gesetz zugestimmt, und – das habe ich eingangs schon gesagt – die Finanzkraft, und das ist ja der Maßstab, sowohl von Ländern wie auch Kommunen ist im Osten immer noch im Schnitt deutlich geringer.

Das hat mehrere Gründe: Wir haben weniger industrielle Arbeitsplätze, und dann haben wir einen demografischen Wandel, der wird im Westen auch kommen, aber der ist im Osten weiter fortgeschritten. Das heißt, diese Probleme sind objektiv einfach größer, und deswegen hat man ja auch lange verhandelt und dann diese Entscheidung so getroffen. Es gibt dafür keine politischen Mehrheiten, das jetzt aufzulösen. Das heißt nicht, dass man nicht im Einzelfall Korrekturen vornehmen kann.

Es wird zum Beispiel aus Gelsenkirchen mit einem gewissen Recht gesagt: Wenn der Bund jetzt Förderprogramme macht für Stadtumbau, dann sagt er immer, du musst einen Eigenanteil bringen. Das kann die Stadt nicht, weil sie eben so hoch verschuldet ist. Ob man da nicht sagen kann, okay, die zahlen immerhin – Gelsenkirchen, habe ich ja gesagt – 10 Millionen pro Jahr in den Solidarpakt, dann wird das angerechnet und die bekommen die Fördermittel auch ohne den Eigenanteil. Also da gibt es noch Korrekturmöglichkeiten, aber diese Aufkündigung löst das Problem nicht. Es wäre auch, wie ich es dargestellt habe an den Soziallasten, deutlich zu wenig Geld. Wir brauchen eine andere Struktur, und deswegen sagen wir als Deutscher Städte- und Gemeindebund: Wir brauchen eine Agenda 2020, die uns aus dem Schuldenstaat führt und die Kommunen wieder in die Lage versetzt, mit ihren Einnahmen ihre Ausgaben zu begleichen, was sie in großem Umfang zurzeit nicht können.

Kitzler: Aus Berlin hört man nun von den Verteidigern des Solidarpaktes, wenn die Kommunen zu wenig Geld haben, dann sind die Länder schuld. Stimmt das so, und wenn Sie sagen, wir brauchen Strukturveränderungen, wo müssen die ansetzen?

Landsberg: Das stimmt teilweise, grundsätzlich sind ja die Kommunen nach unserer Verfassung Bestandteile der Länder, und die Länder haben den Auftrag, für ausreichende Finanzkraft zu sorgen, aber jeder weiß natürlich, dass die Länder das gleiche Problem haben. Die Länder haben riesige Personalbestände, Pensionslasten, oft ist auch bei gutem Willen das nur schwer zu bewerkstelligen. Deswegen warne ich davor, dieses typische Schwarzer-Peter-Spiel – der Bund verweist auf die Länder, die Länder auf die Kommunen oder umgekehrt –, wir brauchen einen gemeinsamen Kraftakt.

Wir haben im letzten Jahr ein Super-Wirtschaftswachstum gehabt, trotzdem macht der Bund neue Schulden, trotzdem machen die meisten Länder neue Schulden, die Kommunen ohnehin, und das geht auf Dauer so nicht. Und ich weiß, dass das schwierig ist, weil jeder sagt ja, warum soll bei mir gespart werden, nicht bei dem anderen, aber ich glaube, es ist alternativlos.

Kitzler: Gerd Landsberg, der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und einen schönen Tag!

Landsberg: Bitteschön, Ihnen auch, Herr Kitzler!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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