Landnahme mit allen Tricks

Von Thomas Kruchem · 17.09.2012
Die Ackerflächen in armen Ländern haben in den letzten Jahren die Begehrlichkeiten landwirtschaftlicher Großinvestoren geweckt. In weltwirtschaftlich turbulenten Zeiten sind sie ein interessantes Anlage- und Spekulationsobjekt. Am einfachsten ist die Landnahme dort, wo demokratische Strukturen schlecht entwickelt sind - wie auf den Philippinen.
Automassen wälzen sich durchs Zentrum Manilas; Kleinhändler mit ihren Karren, Angestellte mit Köfferchen haben nur ihr nächstes Ziel im Blick – unbeeindruckt von den Stacheldrahtrollen entlang der Straße, hinter denen Yvonne Ang ein Kampflied intoniert.

Yvonne, 21 Jahre alt, hat ein Architekturstudium abgebrochen, um ihr Leben – sagt sie – den unterdrückten Bauern der Philippinen zu widmen. Hier auf der Mendiola-Straße, einer Prachtstraße in Sichtweite des Präsidentenpalasts, haben sich mehrere Hundert Bauern versammelt, um zu demonstrieren – für eine echte Landreform und gegen den Ausverkauf von Ackerland an ausländische Investoren.

Die Demonstranten haben Zelte und Kochstellen aufgebaut; Straßenmaler haben den Asphalt mit grellen Motiven bedeckt: Fratzen der Großgrundbesitzer und des US-Imperialismus, über denen die Faust der Bauernbewegung KMP schwebt. Ein Kosmos für sich, fokussiert auf das eine große Anliegen: Ackerland fürs Überleben der Familie.

Dann weist Rafael Mariano den deutschen Besucher auf mehrere Lastwagen paramilitärischer Sondereinsatzkräfte hin: Erinnerung an den 22. Januar 1987. Damals demonstrierten genau hier Zehntausende für die Landreform, umringt von Soldaten. Und als einige Demonstranten Eingänge von Regierungsgebäuden blockierten, schoss das Militär. Ein Vierteljahrhundert später ist der Bauernführer Kongressabgeordneter und zieht bitter Bilanz:

"23 Jahre nach Verabschiedung der Landreform auf den Philippinen sind, nach meiner Schätzung, gerade einmal fünf Prozent der berechtigten Bauern Landeigentümer geworden. Und die Landreformbehörde sagt, dass nur jeder siebente Nutznießer der Reform die jährliche Tilgung für sein Land bezahlen kann. Wer aber drei Jahre lang nicht zahlt, wird gerichtlich von seinem Land weggewiesen und auf Dauer von jeder weiteren Landverteilung ausgeschlossen."

Menschen wie jene zahllosen Landarbeiter auf der Zuckerinsel Negros. In einem Zuckerrohrfeld außerhalb des Städtchens Kabankalan, zum Beispiel, stehen Männer und Frauen in zerrissenen T-Shirts und Hosen; Strohhüte gegen die sengende Sonne auf dem Kopf, bare Füße, die das Graubraun der rissig trockenen Erde angenommen haben. Mechanisch schlagen sie Breschen in die endlose Weite des im Wind wogenden Zuckerrohrs, wuchten das Rohr auf gummibereifte Karren, vor die sie Carabaos, Wasserbüffel gespannt haben; und an der Straße warten ungeduldig die Fahrer riesiger Lastwagen.

In einem Ensemble von Holzhäuschen bei Kabankalan hat die Bauernorganisation PDG ihren Sitz. Der Leiter der Organisation, Rechtsanwalt Ben Ramos, ist ein kompaktes Energiebündel. Respekt und Angst der Landbevölkerung vor den Herren der großen Haciendas sind tiefverwurzelt auf den Philippinen, sagt Ramos. Land sei bis heute die wichtigste Quelle politischer Macht; und die liege in den Händen von wenigen Hundert Familien.

Die PDG kämpft gegen die Ausbeutung der Kleinbauern durch den Aquino-Cojuangco-Clan – sagt Ben Ramos. Man kämpfe für die Umsetzung des 1988 vom Kongress beschlossenen Landreformgesetzes. Nach diesem Gesetz soll kein Filipino mehr als fünf Hektar Ackerland besitzen. Großgrundbesitzerin Corazon Aquino und ihre Politikerkollegen indes verwässerten die Reform von Anfang an, indem sie zahlreiche Schlupflöcher einbauten.

"Das Landreformgesetz regelt ausschließlich den Umgang mit landwirtschaftlichen Flächen. Jede Lokalverwaltung jedoch kann ihren Flächennutzungsplan fast beliebig ändern. Sie kann Agrarflächen in Bauland, Geschäfts-, Industrie- oder Tourismusflächen verwandeln. Dann greift das Landreformgesetz nicht mehr."

Kurz, die umgewidmeten Flächen können nicht mehr enteignet werden. Ein weiteres Schlupfloch: Seit 2009 können sich nur noch reguläre Arbeiter und Pächter eines Großgrundbesitzers für das Landreformprogramm qualifizieren.

"Für die Großgrundbesitzer ist diese Bestimmung ein willkommenes Instrument, die Landreform zu hintertreiben. Da besitzt einer, zum Beispiel, 100 Hektar mit 50 Arbeitern. Den 30, die loyal zu ihm stehen, bescheinigt er dann, dass sie seine regulären Arbeiter sind. Jeder von ihnen erhält 3 ha; und er trifft mit ihnen Abmachungen, die seinen Vorstellungen entsprechen. Dem Gesetz ist dann offiziell Genüge getan; der bisherige Großgrundbesitzer aber kontrolliert weiterhin sein Land."

Von all dem abgesehen prozessieren viele Grundbesitzer ihre Enteignung, viele seit Jahrzehnten. Sie bringen Einwände gegen den formalen Ablauf vor; sie geben eine nichtlandwirtschaftliche Nutzung des Landes vor; sie stellen die Auswahl der Nutznießer in Frage und so weiter.

"Die Mühlen unseres Gerichtswesens mahlen extrem langsam. Es braucht oft zehn bis 20 Jahre, um über einen Landkonflikt zu entscheiden. Davon abgesehen muss, wer sein Recht vor Gericht verteidigen will, einiges investieren. Er muss bereit sein, als Zeuge aufzutreten und Anwälte zu bezahlen; er muss finanziell und psychisch in der Lage sein, den langen Kampf vor Gericht durchzustehen. Fast alle Antragsteller in Sachen Landreform jedoch sind bitterarm und tagein, tagaus damit beschäftigt, das Überleben ihrer Familien zu sichern. Allein deshalb befinden sie sich gegenüber einem Großgrundbesitzer von vornherein im Hintertreffen."

Zudem haben auf den Philippinen politisch mächtige Clans großen Einfluss auf Behörden und Gerichte. Zeugen werden nicht selten bestochen, bedroht und notfalls ermordet. Umso überraschender, dass da und dort Bauern im Kampf mit den Mächtigen durchgehalten haben. Die Arbeiter der Plantage "Bino" bei Kabankalan etwa, die sich regelmäßig in ihrem gelb getünchten Schulgebäude treffen.

Auf den Feldern ringsum betrieb früher die Kongressabgeordnete Hortensia Starke eine Zuckerrohrplantage, berichtet die Sprecherin der Gruppe, Elizabeth Cuenca:

"1995 jedoch beantragten ausgerechnet wir, die Arbeiter der Abgeordneten Hortensia Starke, deren Enteignung entsprechend den Bestimmungen des Landreformgesetzes. Unterstützt von PDG zogen wir vor Gericht. 1998 bekamen wir, insgesamt 58 Familien, das Land tatsächlich zugesprochen; und wir besetzten es sofort – anstatt die Entscheidungen höherer Gerichtsinstanzen abzuwarten.

Seit dem Tod Hortensia Starkes vor zwei Jahren prozessiert nun ihr Sohn Mark gegen uns. Und seit nunmehr 15 Jahren tauchen immer wieder Bewaffnete auf, die uns bedrohen. Ich habe bis heute Angst, dass mir jemand folgt und mich erschießt."

Im Norden der Insel Luzon, liegt wie ein kleines Paradies die Provinz Isabela: Reisfelder, an deren Rand Wasserbüffel grasen; Bambushaine, pittoreske Dörfer inmitten von Gemüsefeldern; sanfte Hügelketten. Die Böden Isabelas zählen zu den fruchtbarsten der Philippinen. Keine Provinz im Lande produziert mehr Reis; beim Maisanbau steht Isabela an zweiter Stelle. Das Dorf del Pilar in Isabela ist ein besonders idyllischer Flecken: Liebevoll verzierte Häuschen inmitten von Kokospalmen und Bananenstauden; überall Blumen; die Menschen sonntäglich gekleidet. Heute sieht man ihnen die Mühsal ihres Alltags nicht an.

"Ab morgens früh um sieben stecke ich zehn Stunden lang Zuckerrohr-Setzlinge in den Boden. Wie ein Carabao, ein Ochse, arbeite ich, für gerade 100 Pesos am Tag. Genauso viel verdient mein Mann, der seit einigen Tagen das Pestizid Atrazin versprüht. Mit einem Kanister auf dem Rücken läuft er durch die Felder – barfuß, ohne Handschuhe und Mundschutz. Die Firma hat den Arbeitern zwar solche Schutzausrüstung versprochen, sie aber nie geliefert."

Die Firma – das ist das internationale Agrarunternehmen "Green Future Innovations". Dies Unternehmen baut in Isabela seit 2008 eine 11.000 ha große Zuckerrohrplantage für die Produktion von Agrosprit auf. Die Verarbeitungsanlage in Sichtweite von Del Pilar ist fast fertig; sehr bald soll sie 50 Millionen Liter Bioethanol jährlich liefern – vorwiegend für den Export. Ausländische Unternehmen, die Agrargüter wie Bananen, Ananas oder Kokosnüsse für den Weltmarkt produzieren, gibt es auf den Philippinen seit Langem.

Dramatisch zu wachsen jedoch begannen ausländische Agrarinvestitionen erst, als ab 2007 die weltweite Nachfrage nach Rohstoffen für Nahrungsmittel und Agrosprit rapide anzog. Dies, obwohl nach der Verfassung der Philippinen Ausländer Land nicht kaufen, sondern nur pachten dürfen. Die devisenhungrige Regierung in Manila jedoch bietet Investoren aus Übersee lukrative Pachtverträge mit Laufzeiten von bis zu 75 Jahren; "Auch unsere Reisfelder wurden als investitionsbereit klassifiziert", berichtet im Dorf Del Pilar der Bauer Diony Yadao:

"Es begann damit, dass 2008 die Firma Eco-Fuel Land Development Incorporated uns Bauern aufforderte, ihr unser Land zu verpachten. Für 20.000 Pesos jährlich, hieß es zunächst; schließlich waren es nur noch 5000. Einige unterschrieben den in Englisch abgefassten Vertrag; andere zögerten und fragten einen Anwalt. Tatsächlich stellte sich dann heraus, dass die Firma uns Bauern über den Tisch ziehen wollte. Die Verträge hatten Laufzeiten von zehn bis 25 Jahren; die Firma bekam das Recht, sämtliche Bäume, Schuppen und Häuser vom gepachteten Land zu entfernen. Laut Vertrag durfte sie überdies die Parzellen nach Belieben unterverpachten; und die Bauern sollten als Landarbeiter nur einen Hungerlohn bekommen. Als all das bekannt wurde, begannen überall hier die Bauern zu protestieren."

Diony deutet auf weite Felder voller Zuckerrohrsetzlinge außerhalb des Dorfes, auf die fast fertige Verarbeitungsanlage am Horizont. 3000 Hektar, sagt er, habe sich die Firma bereits unter den Nagel gerissen. Und sie habe Lokalpolitiker, "Barangay captains", bestochen. Diese drohten jetzt den Bauern, dass sie ihr Land ganz verlieren, wenn sie es nicht der Firma verpachten.

Schließlich deutet Diony auf eine kaum 200 Meter entfernte Ansammlung von Hütten, umgeben von einem Bambuszaun:

"Als die Firma vor einigen Jahren anfing, im großen Stil Zuckerrohr-Setzlinge heranzuziehen, kamen viele Soldaten. 24 von ihnen kampierten zunächst in der Halle des Dorfes. Als die Leute dagegen protestierten, legten die Soldaten das Lager dort drüben an – Hütten hinter einem Zaun aus Bambus. Zu den Bewaffneten dort zählen auch zivile Sicherheitskräfte, die von der Regierung ausgebildet wurden, um – wie es heißt – Frieden und Ordnung aufrechtzuerhalten. Tag und Nacht patrouillieren sie durch die Felder mit den Setzlingen."

Bewaffnete, die immer wieder junge Frauen belästigen und versuchen, kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen. Schon mehrfach wurde Diony Yadao bedroht. Er sei eine Gefahr für Frieden und Ordnung im Dorf, hört er immer wieder vom Anführer der Soldaten. Die Bauern des Dorfes Del Pilar jedoch protestieren weiter; und sie haben Organisationen der städtischen Zivilgesellschaft zur Hilfe gerufen. 2011 besuchte eine internationale fact finding mission die Region; und inzwischen laufen landesweit Kampagnen gegen das Land Grabbing in der Provinz Isabela.

In ihrem Protestcamp auf der Mendiola-Straße in Manila singen derweil Yvonne Ang und ihre Freunde unverdrossen ein Protestlied nach dem anderen.

Weitere Prominenz ist eingetroffen: Luzviminda Ilagan, Kongressabgeordnete der Gabriela-Frauenpartei. Die zynische Landpolitik der philippinischen Regierung zerstöre Familien – sagt die elegant gekleidete Politikerin. Landlosen Familien würden gezwungen, ihre Frauen ins Ausland zu schicken; Familien zerbrächen deshalb; philippinische Hausangestellte würden in den Golfstaaten misshandelt und vergewaltigt.

Schließlich brandmarkt Luzviminda Ilagan korrupte Elemente, die das Ackerland der Philippinen an Ausländer verschachern wollen:

"Es gibt im Kongress der Philippinen starke Kräfte, die unsere Verfassung ändern wollen. Schon jetzt haben wir große Schwierigkeiten, unsere Kleinbauern Land bereitzustellen; und schon jetzt strömen Scharen von ausländischen Agrarinvestoren in unser Land. Um wie viel mehr werden sie das tun, wenn wir unsere Verfassung ändern und ausländischen Firmen 100 Prozent des Ackerlands besitzen dürfen."

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