Landgang EXTRA. Geteilt
Die Einheit wird gefeiert. Und wo es nicht so klappt, tröstet der Berliner aus langjähriger Erfahrung: Geteiltes Leid ist doppelte Freude. Da ist es wieder: geteilt. Täglich teilen wir uns etwas – die Steuern (die einen nehmen ein, die anderen zahlen), das Sorgerecht (die einen nehmen ein, die anderen zahlen), das Land (die einen haben, die anderen nicht).
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Ja, damit haben heute alle Wortmeldungen irgendwie zu tun. Geteilt. Die Mainzer können darob noch immer ein leidiges Lied singen: Mainz geteilt. Die Schurken in Hessen rücken das Mainzer Gebiet partout nicht heraus.
Mann „Nä, dat is nit schön.“
Es muss also sein: Landgang Extra. Geteilt. Es gibt viel zu berichten, bei so viel Einheit. Landauf, landab haben wir gar schöne Beispiele ob so mancher Teilung gefunden.
Das Rheinland und Restsibirien – Von Christoph Gehring
Die Wirtschaftskrise sei eine Herausforderung für den Westen und den Osten des Landes, ließ uns die Bundeskanzlerin wissen. Wir nickten und hielten plötzlich kurz inne: Dann muss ja der Osten den größten Teil der Krise schultern! Schließlich ist er größer, als uns so manche politische Landkarte dieser Tage vorgaukelt. Der Osten beginnt doch schon viel, viel früher. Schauen Sie mal: DA!
Vom Rheinland aus betrachtet, ist alles jenseits von Wuppertal fremd. Genaugenommen beginnt gleich auf der anderen Rheinseite Sibirien. Und da will der katholische Rheinländer nicht hin. Er reist lieber nach Luxemburg (zum Steuern sparen), nach Holland (das sind zwar auch Heiden, aber sie haben ein Meer mit Strand) oder nach Frankreich. Frankreich – der Traum aller Rheinländer. Aus Frankreich kam der Entwicklungshelfer Napoleon, der das Rheinland mit einem Tritt in den Hintern in die Moderne beförderte. Und nach Frankreich reiste der Rheinländer Adenauer gerne, weil man ihn dort verstand.
Konrad Adenauer: „Ich habe also mit dem Herrn de Gaulle die denkbar besten Erfahrungen gemacht.“
In der anderen Richtung lauerte auch nur…
Adenauer: „…Soffjetrussland, das doch bis mitten in Deutschland steht.“
Anders ausgedrückt: Sibirien beginnt auf dem rechten Rheinufer. Letztlich ist das für den Rheinländer noch heute so: Hinter dem Rhein wird es unrheinisch und damit unschön für den Rheinländer. Von Adenauer weiß man, dass er im Compartement seines Kanzlerzuges die Vorhänge zuzog, wenn er die Rheinbrücke überquerte, weil auf der anderen Rheinseite eben Sibirien beginnt. Oder wenigstens…
Adenauer: „…Soffjetrussland …".“
Um das Elend keinesfalls sehen zu müssen, ließ sich der Rheinländer Adenauer im Herbst seines Seins in Rhöndorf am Rhein ein Haus bauen, auf dem sibirischen Ufer, zugegeben, aber mit einem perfekten Blick auf das Bundesdorf Bonn und freier Sicht nach Westen – und nicht einem Fenster Richtung Osten, denn an der Ostgrenze des Adenauer-Anwesens beginnt nun wirklich Sibirien. So tickt des Rheinländers Seele bis heute – sie ist gen Osten verschlossen. Wenn schon, dann wäre das Rheinland doch lieber mit Frankreich wiedervereinigt worden. Die Wacht am Rhein, sie ist unsterblich, doch die Macht sitzt jetzt an der Spree, also im tiefsten Sibirien, wo sie sich – seien wir ehrlich – bis heute nicht erholt haben von…
Adenauer: „"…Soffjetrussland …“
… und wo eine sibirische Frau regiert, der alles abgeht, was für einen Rheinländer schön ist: Rheinische Gemütlichkeit, rheinischer Frohsinn und rheinischer Dialekt. Stattdessen preußische Nüchternheit, ostdeutsche Mundwinkel und eine Sprache, die klingt wie ein Zweitaktmotor im märkischen Sand. Schön ist das nicht für den Rheinländer, dem nur die Erinnerung bleibt, der Karneval – und der Schnellzug nach Paris.
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
SOFORT. Aufbau jetzt. – Von Claus Stephan Rehfeld
Ausgerechnet (oder doch nicht?) vor dem 4. und zum 9. November werden gerade Pläne der Bundesregierung bekannt, die gravierende Veränderungen beim Aufbau D vorsehen. In einer geheimen Beratung kurz vor dem Aufstehen wurde heute der Entwurf eines Referenten i.A. (in Ausbildung) abgesegnet. Das Papier trägt den Titel „Aufbau jetzt“. Mit dem Vorhaben will die Bundesregierung in nur drei Tagen landesweit die gleichen Lebensverhältnisse in West und Ost herstellen. Weitere Einzelheiten dazu nun exklusiv, natürlich von vor Ort.
Bei der unter Ausschluss der Medien abgehaltenen Pressekonferenz betonte die Kanzlerin, das Ungleichgewicht zwischen hier und da müsse abgebaut werden.
Merkel: „Deshalb heißt es Barrieren auch erniedrigen.“
Im Detail sieht der Plan „Aufbau jetzt“ vor: Die gesamte Bundesrepublik gilt als „Sonderzone Ost“. Termin: Sofort. Der Osten des Landes kauft den Westen für eine symbolische D-Mark, also zehn Ost-Mark, also 50 Cent auf. Die West-Länder stehen unter Ostverwaltung. Der Osten habe vieljährige und erfolgreiche Erfahrung mit der Schaffung „blühender Landschaften“.
Westerwelle: „Und ich kann die Krokodilstränen in dem Zusammenhang nicht mehr hören.“
Die Westgehälter werden an das Ostniveau angeglichen. Wessis müssen länger arbeiten. Dies geschieht durch das Anhalten der Uhren während der Arbeitszeit für eine Stunde. Als Ausgleich wird ihnen eine Stunde vom Feierabend abgezogen.
Westerwelle: „Es muss auch noch eine Mehrheit geben derer, die den Karren ziehen wollen.“
Ossis werden alle in die Rente geschickt. Das schaffe viele, viele Arbeitsplätze im Westen. Dadurch wird sich auch die Arbeitslosenrate signifikant gen Null bewegen.
Private Guthaben werden ebenfalls auf Ost-Niveau gehoben.
Reporterin: " … was ein Teilnehmer Mund-zu-Mund-Beatmung nannte.“
Die Bundesregierung beginnt mit den Sparmaßnahmen. Die Farben der deutschen Flagge werden reduziert. Oben wird angefangen. Schwarz gilt nicht mehr länger als Farbe, da Weiß auch keine ist.
Der Volkstrabi löst West-Autos ab. Die „Kraft der zwei Kerzen“ steht für die Gemeinsamkeit Ost und West.
Westerwelle: „Schauen Sie mal, jetzt ist der Wahlkampf ja wirklich vorbei.“
Jeder Westdeutsche muss mindestens Patenschaften über vier Ostdeutsche nachweisen. Als Ausgleich erhält er zwei Ost-Pakete pro Jahr. Termin: 7. Oktober und 9. November.
Deutscher ist, wer mindestens einen ostdeutschen Vorfahren hat, der erzählen kann, wie schlecht es ihm im Osten ging.
Merkel: „Also für jeden ein Angebot.“
Der westdeutsche Schäferhund-Verein tritt dem ostdeutschen Schäferhundverband bei, es gelten wieder die ostdeutschen Züchternormen: Beißen und gehorchen.
Westerwelle: „Das ist ein Kompass mit Freiheit zur Verantwortung.“
Um d e n Kompass zu verstehen, sind die Unterschiede zwischen Ost und West wieder stärker zu betonen. In den Ministerien wird der Kompass durch den Rotstift ersetzt. Angestellte der Regierung haben zwecks rhetorischer Sensibilisierung alle Bundestagssitzungen live zu verfolgen.
Schabowski: „Das tritt nach meiner … Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Wieder wiederwiedervereinigt – Von Claus Stephan Rehfeld
Ach, drei mal ach, Berlin. Es war der erste Mauerfall, aber schon die dritte Vereinigung in der Stadtgeschichte. 1307 erste Vereinigung – dann Teilung; 1709 zweite Vereinigung – dann wieder Teilung; schließlich 19 … na Sie wissen schon. 3 x vereint, 2 geteilt, 1 x gestaunt. Uns ist es gelungen, die erste Wiedervereinigung tondokumentarisch aufzuarbeiten. Die von 1709. Wir sagen nur: Wie 1989. Freudentaumel allenthalben, damals, vor 200 Jahren.
„Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon! Schön’ Tach noch.“ (Tür zu)
Der Berliner hatte die Nase gestrichen voll. Verständlich, 267 Jahre Trennung von seine Mischpoke.
Mann: „Oh Gott, das muss gegen 21 Uhr gewesen sein.“ (Quietschton)
Genau am 17. Januar 1709 wars. Da fiel der Schlagbaum, nein, anders: da ging er hoch. Freudentaumel bei die Politiker von Berlin und von Cölln.
Und denn hatte die Straße das Sagen, also die Berliner freuten sich wie Bolle, die Cöllner fingen schon mal mit die Aufteilung von Berlin an.
Mann: „Ohne Kontrolle, ohne alles, ich habe nicht mal meinen Ausweis dabei.“ (Gelächter)
Aus dem Volk von die Berliner kam der Vorschlag, die Stadtmauer als neues Wahrzeichen zu erhalten – und zwar Einkaufstüte für Einkaufstüte.
Das sind sie, unsre Berliner! Endlich wieder mit Cölln eins. Aber stinksauer auf den Umtauschkurs, den die Cöllner reglementierten! Zwölf Berliner Knöpfe für eine Cöllner Anstecknadel!
Mann: „Erschreckend, einfach erschreckend.“
Der Wert der Cöllner Währung erfuhr wenig Wertschätzung von die Leute aus dem Ostteil der geeinten Stadt. Die Reaktionen irgendwie … bissig.
Mann: „Na ausgeben, verfressen.“
Freudvolle Mienen bei die, die det Begrüßungsgeld krallen konnten.
Mann: „Ananas, Apfelsinen. Und das Bier muss man mal probieren.“
Andere hatten das schon.
Gesang: „Prost meine Herren! Prost, meine Herren. (spricht) Prost, du Sack.“
SPR Berlin und Cölln – jetzt als Berlin auf immer vereint. Wir wussten 1709 noch gar nicht, was eine richtige Wende ist. Nur einer ahnte es.
Mann: „Ach, davon will ick überhaupt nischt wissen. Davon will ick überhaupt nischt wissen. Nee! Dat ist allet Scheiße! Na, wieso, naa!“
Ein Volk stand auf und fuhr los.
Gespaltene Zungen – Von Claus Stephan Rehfeld
Als die Mauer 1989 fiel, brachen die Zungen auf… zu neuen Ufern, jetzt mal rein sprachlich gesehen. Der Ossi musste schnell sein ostDeutsch vergessen, aber nicht die Frage: Wie sagt man jetzt auf westDeutsch? Ja, ja, so um die 3.000 westDeutsche Vokabeln musste der Ossi nach der Sprachwende bimmsen, wollte er „in“ sein. Ungezählt die Begriffe aus dem DDR-Deutsch, die im Plastiksack der Sprachentsorgung landeten. Obwohl der Ossi bei Plastik immer noch an Bildhauerkunst denkt, der gebildete Wessi übrigens auch. Plaste also war passé, Plastik in. Wir nun machen uns ein plastisches Sprachbild.
Mann: „Ich spreche westDeutsch.“
Seit einem westDeutsch-Sprachkurs sagt er Overhead. Polylux ist out.
Frau: „Okay, ich spreche westDeutsch, ja, also ostDeutsche Wörter im Allgemeinen benutze ich nicht mehr.“
Der Schlächter nennt sich nun „City-Metzger“, er hat das Problem, neuwestDeutsch gesagt, „realisiert“, die Neubausiedlung wandelte sich wundersam in einen „Wohnpark“ – rein sprachlich gesehen.
Kühn: „Kann ich das noch sagen? Wie muss ich jetzt dafür sagen?“
Das Interesse an westDeutscher Zunge war groß, denn mit den Speisekarten wechselte das Sprachangebot. Sogar Todesanzeigen für Ossis, so verriet uns Frau Professor Kühn, wurden nun in neuwestDeutsch abgefasst. Und Herr Doktor Almstädt, er hob tausende mal den Telefonhörer ab, erinnert sich eines – wie wir finden – sehr hübschen Beispiels, auch wieder rein sprachlich gesehen.
Almstädt: „Ich bekam einen Anruf von einer Sekretärin, die hatte geschrieben, die nächste Dienstberatung findet dann und dann statt. Und da hat ihr Chef gesagt, man kann das so nicht schreiben. Das muss Dienstbesprechung heißen, denn weder hat er die Absicht jemanden zu beraten, noch möchte er sich beraten lassen.“
Früher fühlte man sich wohl, jetzt ist man „gut drauf“. Sagt man jedenfalls. Früher ging man kleechen, in der DDR arbeiten, nun geht man „jobben“. So man einen Job hat, ja, ja. Und an den Fakultäten der Uni in Halle gehört das Studium deutsch-deutscher Zungenschläge zur lustvollen Alltäglichkeit.
Kellnerin: „Wir waren wirklich 50 Prozent Wessis oder noch mehr, fast 60 Prozent. Und die haben sich wirklich an die Tafel so Wörter geschrieben, die sie nicht kannten. Na ja, eben wie Broiler, Untertrikotagen. Das waren viele Wörter, die kannten die nicht. Aber die Hits waren Ober- und Untertrikotagen, weil das wussten sie wirklich nicht, was das ist. (lacht)“
Ja, lustig ging's im Café zu. Und an den Schreibtischen und an den Werkbänken. Sagt man das noch so? Werkbank? Egal, Sprache ist dynamisch, Ostdeutschland ist die dynamischste Region. Auch wenn man nichts im Angebot hat. Sagt uns der „Kiecountmanager“, der früher Buchhalter hieß. Momentan, so erfuhren wir, liegen Arbeitsplätze „nicht im Leistungsumfang“.
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Der bayerische Äquator – Von Arthur Dittlmann
Der Horizont des Bayern reicht bis zu seinem Äquator, dem Weißwurst-Äquator, sozusagen der bayerische Limes. Gelegentlich rückt besagter Äquator ein Stück nach Norden vor, momentan arg heftig. Nur eingezeichnet ist er auf keiner offiziellen Landkarte, obwohl er doch die Republik in Bayern und das Stammesleben hinter dem Weißwurst-Äquator teilt. Eigenartig, sehr eigenartig.
Mit den fabelhaften „Wolpertingern“ und dem unaussprechlichen „Oachkatzlschwoaf“ teilt der „Weißwurstäquator“ die Rolle eines bayerischen Klischees: Eine identitätsstiftende Größe sozusagen, auch wenn sie eine gewisse begriffliche Unschärfe nicht verleugnen kann. Weil: Diesen Weißwurstäquator gibt’s gleich mehrfach.
Wiggerl Hagn: „Für die Altbayern ist der Weißwurstäquator die Donau. Und für die ganzen Bayern ist der Äquator der Main. Und alles, was übern Main ist, ist außerhalb des Weißwurstäquators.“
Was der Wiesnwirt Wiggerl Hagn in diese knappe Aussage hineingepackt hat, bedarf genauerer Erläuterung: Der altbayerische Weißwurstäquator ist die Donau – sagt er. Einerseits. Aber dann rechnet er zu „ganz Bayern“ die Franken mit dem Main auch noch dazu. Liegt das klassische fränkische Bratwurstgebiet also auch innerhalb des Weißwurstäquators?
Wiggerl Hagn: „Sogma moi: Es is a Hoibäquator… oder der Äquator is so broad.“
Mysteriös, das Ganze. Suchen wir unsere Zuflucht in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unweit der Residenz in München. Hier entsteht seit Jahrzehnten das neue „Bayerische Wörterbuch“. Unter der Leitung eines Herrn, der unzweifelhaft jenseits des Weißwurstäquators entstammt: Der Dialektologe Antony Rowley, aus Yorkshire.
Rowley: „Ja, Weißwurstäquator, Band 1 des Bayerischen Wörterbuchs, Spalte 487, da steht auch nur scherzhaft: Imaginäre Nordgrenze Bayerns. Und dann zitieren wir einen Beleg aus einem bayerisch-englischen Wörterbuch.“
Um also Genaueres über den Weißwurstäquator zu erfahren, zückt der Herr Professor Rowley ein anderes Lexikon. Otto Hietsch: „Bavarian into Englisch“. Ganz schöne Umwege.
Rowley: „Weißwurstäquator … Bavarian defence line.“
Martialisch. Der Weißwurstäquator. Eine Verteidigungslinie. Gegen die Feinde im Norden. Entlang des Mains. Oder der Donau. Oder wie auch immer.
„Im Bild vom Äquator steckt eigentlich drin, dass die Welt in zwei Hälften zu teilen ist. Praktisch hier in unsere Hälfte, wo es die Weißwurst gibt, und dann in die andere Hälfte, wo die unkultivierten Völker, sozusagen eurozentrisch gesehen, leben.“
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Ost-West war gestern- Von Gerd Brendel
Gar viel ist in diesen Tagen zu hören von Einheit und den Klischees, die dem Einheitsglück im Wege stünden. „Die Mauer in den Herzen zwischen Ost und West muss fallen“, so hört man. Ost-West? Ein Gegensatzpaar von gestern. Was heute zählt, sind die Gegensätze von vorgestern. Das beweist der Blick aus der Distanz. Erst der Blick da aus der weiten Ferne macht die Unterschiede klar deutlich.
Wer Deutschland sagt in den Reisebüros der Welt, meint vor allem dreierlei:
„Kuckucksuhr“
Schwarzwald …
„Blasmusik“
… Heidelberg und B A Y E R N!
Die Vorstellungen der Fremden von unserem schönen Land speisen sich aus Bilderwelten aus der Gegend zwischen Neckar und Alpen. Deutsche Trachten: Dirndl und Lederhose, deutsche Musik: alpenländisches Jodeln.
„Jodellied“
Und was ist mit Deutschlands berühmtesten Bauwerk? Schloss Neuschwanstein! Dessen Original steht bekanntlich in Disneyland-Californien als Cinderellas Castle, aber ein cleverer, natürlich bayerischer König ließ es nachbauen.
Auch typisch deutsche Innerlichkeit wird im Süden verortet. Was denkt der Deutschland-Tourist beim Stichwort deutsche Gemütlichkeit?
„Jodeln“
Er denkt an seinen bierseligen Ausflug auf das Oktoberfest. Da kann Hannover noch so angeben mit seinem größten Schützenfest der Welt und selbst der Kölner Karneval kann einpacken. Wer nach deutschen Festen fragt, bekommt die Antwort:
„Jodellied“
Siehe oben.
Für die Welt existiert Deutschland in den Grenzen der bunten Reisekataloge, die Regionen jenseits des Weißwurst-Äquators existieren nicht. Zum Glück haben ein paar pfiffige Touristiker den Missstand erkannt. Der hierzulande belächelte Versuch, das Oktoberfest auch im sibirisch kalten Berlin zu etablieren, weist in die richtige Richtung. Nur wenn es gelingt, den Norden ab Frankfurt-Main mit naturgetreuen Schwarzwald-Kopien und anderen süddeutschen Deko-Elementen aufzuhübschen, wird auch der letzte japanische Tourist erkennen: Deutschland, das ist ein Land …
Mann: „… zum erleben und … verlieben."(Gejodel)
Mann: „Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon!“
Ja, damit haben heute alle Wortmeldungen irgendwie zu tun. Geteilt. Die Mainzer können darob noch immer ein leidiges Lied singen: Mainz geteilt. Die Schurken in Hessen rücken das Mainzer Gebiet partout nicht heraus.
Mann „Nä, dat is nit schön.“
Es muss also sein: Landgang Extra. Geteilt. Es gibt viel zu berichten, bei so viel Einheit. Landauf, landab haben wir gar schöne Beispiele ob so mancher Teilung gefunden.
Das Rheinland und Restsibirien – Von Christoph Gehring
Die Wirtschaftskrise sei eine Herausforderung für den Westen und den Osten des Landes, ließ uns die Bundeskanzlerin wissen. Wir nickten und hielten plötzlich kurz inne: Dann muss ja der Osten den größten Teil der Krise schultern! Schließlich ist er größer, als uns so manche politische Landkarte dieser Tage vorgaukelt. Der Osten beginnt doch schon viel, viel früher. Schauen Sie mal: DA!
Vom Rheinland aus betrachtet, ist alles jenseits von Wuppertal fremd. Genaugenommen beginnt gleich auf der anderen Rheinseite Sibirien. Und da will der katholische Rheinländer nicht hin. Er reist lieber nach Luxemburg (zum Steuern sparen), nach Holland (das sind zwar auch Heiden, aber sie haben ein Meer mit Strand) oder nach Frankreich. Frankreich – der Traum aller Rheinländer. Aus Frankreich kam der Entwicklungshelfer Napoleon, der das Rheinland mit einem Tritt in den Hintern in die Moderne beförderte. Und nach Frankreich reiste der Rheinländer Adenauer gerne, weil man ihn dort verstand.
Konrad Adenauer: „Ich habe also mit dem Herrn de Gaulle die denkbar besten Erfahrungen gemacht.“
In der anderen Richtung lauerte auch nur…
Adenauer: „…Soffjetrussland, das doch bis mitten in Deutschland steht.“
Anders ausgedrückt: Sibirien beginnt auf dem rechten Rheinufer. Letztlich ist das für den Rheinländer noch heute so: Hinter dem Rhein wird es unrheinisch und damit unschön für den Rheinländer. Von Adenauer weiß man, dass er im Compartement seines Kanzlerzuges die Vorhänge zuzog, wenn er die Rheinbrücke überquerte, weil auf der anderen Rheinseite eben Sibirien beginnt. Oder wenigstens…
Adenauer: „…Soffjetrussland …".“
Um das Elend keinesfalls sehen zu müssen, ließ sich der Rheinländer Adenauer im Herbst seines Seins in Rhöndorf am Rhein ein Haus bauen, auf dem sibirischen Ufer, zugegeben, aber mit einem perfekten Blick auf das Bundesdorf Bonn und freier Sicht nach Westen – und nicht einem Fenster Richtung Osten, denn an der Ostgrenze des Adenauer-Anwesens beginnt nun wirklich Sibirien. So tickt des Rheinländers Seele bis heute – sie ist gen Osten verschlossen. Wenn schon, dann wäre das Rheinland doch lieber mit Frankreich wiedervereinigt worden. Die Wacht am Rhein, sie ist unsterblich, doch die Macht sitzt jetzt an der Spree, also im tiefsten Sibirien, wo sie sich – seien wir ehrlich – bis heute nicht erholt haben von…
Adenauer: „"…Soffjetrussland …“
… und wo eine sibirische Frau regiert, der alles abgeht, was für einen Rheinländer schön ist: Rheinische Gemütlichkeit, rheinischer Frohsinn und rheinischer Dialekt. Stattdessen preußische Nüchternheit, ostdeutsche Mundwinkel und eine Sprache, die klingt wie ein Zweitaktmotor im märkischen Sand. Schön ist das nicht für den Rheinländer, dem nur die Erinnerung bleibt, der Karneval – und der Schnellzug nach Paris.
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
SOFORT. Aufbau jetzt. – Von Claus Stephan Rehfeld
Ausgerechnet (oder doch nicht?) vor dem 4. und zum 9. November werden gerade Pläne der Bundesregierung bekannt, die gravierende Veränderungen beim Aufbau D vorsehen. In einer geheimen Beratung kurz vor dem Aufstehen wurde heute der Entwurf eines Referenten i.A. (in Ausbildung) abgesegnet. Das Papier trägt den Titel „Aufbau jetzt“. Mit dem Vorhaben will die Bundesregierung in nur drei Tagen landesweit die gleichen Lebensverhältnisse in West und Ost herstellen. Weitere Einzelheiten dazu nun exklusiv, natürlich von vor Ort.
Bei der unter Ausschluss der Medien abgehaltenen Pressekonferenz betonte die Kanzlerin, das Ungleichgewicht zwischen hier und da müsse abgebaut werden.
Merkel: „Deshalb heißt es Barrieren auch erniedrigen.“
Im Detail sieht der Plan „Aufbau jetzt“ vor: Die gesamte Bundesrepublik gilt als „Sonderzone Ost“. Termin: Sofort. Der Osten des Landes kauft den Westen für eine symbolische D-Mark, also zehn Ost-Mark, also 50 Cent auf. Die West-Länder stehen unter Ostverwaltung. Der Osten habe vieljährige und erfolgreiche Erfahrung mit der Schaffung „blühender Landschaften“.
Westerwelle: „Und ich kann die Krokodilstränen in dem Zusammenhang nicht mehr hören.“
Die Westgehälter werden an das Ostniveau angeglichen. Wessis müssen länger arbeiten. Dies geschieht durch das Anhalten der Uhren während der Arbeitszeit für eine Stunde. Als Ausgleich wird ihnen eine Stunde vom Feierabend abgezogen.
Westerwelle: „Es muss auch noch eine Mehrheit geben derer, die den Karren ziehen wollen.“
Ossis werden alle in die Rente geschickt. Das schaffe viele, viele Arbeitsplätze im Westen. Dadurch wird sich auch die Arbeitslosenrate signifikant gen Null bewegen.
Private Guthaben werden ebenfalls auf Ost-Niveau gehoben.
Reporterin: " … was ein Teilnehmer Mund-zu-Mund-Beatmung nannte.“
Die Bundesregierung beginnt mit den Sparmaßnahmen. Die Farben der deutschen Flagge werden reduziert. Oben wird angefangen. Schwarz gilt nicht mehr länger als Farbe, da Weiß auch keine ist.
Der Volkstrabi löst West-Autos ab. Die „Kraft der zwei Kerzen“ steht für die Gemeinsamkeit Ost und West.
Westerwelle: „Schauen Sie mal, jetzt ist der Wahlkampf ja wirklich vorbei.“
Jeder Westdeutsche muss mindestens Patenschaften über vier Ostdeutsche nachweisen. Als Ausgleich erhält er zwei Ost-Pakete pro Jahr. Termin: 7. Oktober und 9. November.
Deutscher ist, wer mindestens einen ostdeutschen Vorfahren hat, der erzählen kann, wie schlecht es ihm im Osten ging.
Merkel: „Also für jeden ein Angebot.“
Der westdeutsche Schäferhund-Verein tritt dem ostdeutschen Schäferhundverband bei, es gelten wieder die ostdeutschen Züchternormen: Beißen und gehorchen.
Westerwelle: „Das ist ein Kompass mit Freiheit zur Verantwortung.“
Um d e n Kompass zu verstehen, sind die Unterschiede zwischen Ost und West wieder stärker zu betonen. In den Ministerien wird der Kompass durch den Rotstift ersetzt. Angestellte der Regierung haben zwecks rhetorischer Sensibilisierung alle Bundestagssitzungen live zu verfolgen.
Schabowski: „Das tritt nach meiner … Kenntnis … ist das sofort, unverzüglich.“
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Wieder wiederwiedervereinigt – Von Claus Stephan Rehfeld
Ach, drei mal ach, Berlin. Es war der erste Mauerfall, aber schon die dritte Vereinigung in der Stadtgeschichte. 1307 erste Vereinigung – dann Teilung; 1709 zweite Vereinigung – dann wieder Teilung; schließlich 19 … na Sie wissen schon. 3 x vereint, 2 geteilt, 1 x gestaunt. Uns ist es gelungen, die erste Wiedervereinigung tondokumentarisch aufzuarbeiten. Die von 1709. Wir sagen nur: Wie 1989. Freudentaumel allenthalben, damals, vor 200 Jahren.
„Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon! Schön’ Tach noch.“ (Tür zu)
Der Berliner hatte die Nase gestrichen voll. Verständlich, 267 Jahre Trennung von seine Mischpoke.
Mann: „Oh Gott, das muss gegen 21 Uhr gewesen sein.“ (Quietschton)
Genau am 17. Januar 1709 wars. Da fiel der Schlagbaum, nein, anders: da ging er hoch. Freudentaumel bei die Politiker von Berlin und von Cölln.
Und denn hatte die Straße das Sagen, also die Berliner freuten sich wie Bolle, die Cöllner fingen schon mal mit die Aufteilung von Berlin an.
Mann: „Ohne Kontrolle, ohne alles, ich habe nicht mal meinen Ausweis dabei.“ (Gelächter)
Aus dem Volk von die Berliner kam der Vorschlag, die Stadtmauer als neues Wahrzeichen zu erhalten – und zwar Einkaufstüte für Einkaufstüte.
Das sind sie, unsre Berliner! Endlich wieder mit Cölln eins. Aber stinksauer auf den Umtauschkurs, den die Cöllner reglementierten! Zwölf Berliner Knöpfe für eine Cöllner Anstecknadel!
Mann: „Erschreckend, einfach erschreckend.“
Der Wert der Cöllner Währung erfuhr wenig Wertschätzung von die Leute aus dem Ostteil der geeinten Stadt. Die Reaktionen irgendwie … bissig.
Mann: „Na ausgeben, verfressen.“
Freudvolle Mienen bei die, die det Begrüßungsgeld krallen konnten.
Mann: „Ananas, Apfelsinen. Und das Bier muss man mal probieren.“
Andere hatten das schon.
Gesang: „Prost meine Herren! Prost, meine Herren. (spricht) Prost, du Sack.“
SPR Berlin und Cölln – jetzt als Berlin auf immer vereint. Wir wussten 1709 noch gar nicht, was eine richtige Wende ist. Nur einer ahnte es.
Mann: „Ach, davon will ick überhaupt nischt wissen. Davon will ick überhaupt nischt wissen. Nee! Dat ist allet Scheiße! Na, wieso, naa!“
Ein Volk stand auf und fuhr los.
Gespaltene Zungen – Von Claus Stephan Rehfeld
Als die Mauer 1989 fiel, brachen die Zungen auf… zu neuen Ufern, jetzt mal rein sprachlich gesehen. Der Ossi musste schnell sein ostDeutsch vergessen, aber nicht die Frage: Wie sagt man jetzt auf westDeutsch? Ja, ja, so um die 3.000 westDeutsche Vokabeln musste der Ossi nach der Sprachwende bimmsen, wollte er „in“ sein. Ungezählt die Begriffe aus dem DDR-Deutsch, die im Plastiksack der Sprachentsorgung landeten. Obwohl der Ossi bei Plastik immer noch an Bildhauerkunst denkt, der gebildete Wessi übrigens auch. Plaste also war passé, Plastik in. Wir nun machen uns ein plastisches Sprachbild.
Mann: „Ich spreche westDeutsch.“
Seit einem westDeutsch-Sprachkurs sagt er Overhead. Polylux ist out.
Frau: „Okay, ich spreche westDeutsch, ja, also ostDeutsche Wörter im Allgemeinen benutze ich nicht mehr.“
Der Schlächter nennt sich nun „City-Metzger“, er hat das Problem, neuwestDeutsch gesagt, „realisiert“, die Neubausiedlung wandelte sich wundersam in einen „Wohnpark“ – rein sprachlich gesehen.
Kühn: „Kann ich das noch sagen? Wie muss ich jetzt dafür sagen?“
Das Interesse an westDeutscher Zunge war groß, denn mit den Speisekarten wechselte das Sprachangebot. Sogar Todesanzeigen für Ossis, so verriet uns Frau Professor Kühn, wurden nun in neuwestDeutsch abgefasst. Und Herr Doktor Almstädt, er hob tausende mal den Telefonhörer ab, erinnert sich eines – wie wir finden – sehr hübschen Beispiels, auch wieder rein sprachlich gesehen.
Almstädt: „Ich bekam einen Anruf von einer Sekretärin, die hatte geschrieben, die nächste Dienstberatung findet dann und dann statt. Und da hat ihr Chef gesagt, man kann das so nicht schreiben. Das muss Dienstbesprechung heißen, denn weder hat er die Absicht jemanden zu beraten, noch möchte er sich beraten lassen.“
Früher fühlte man sich wohl, jetzt ist man „gut drauf“. Sagt man jedenfalls. Früher ging man kleechen, in der DDR arbeiten, nun geht man „jobben“. So man einen Job hat, ja, ja. Und an den Fakultäten der Uni in Halle gehört das Studium deutsch-deutscher Zungenschläge zur lustvollen Alltäglichkeit.
Kellnerin: „Wir waren wirklich 50 Prozent Wessis oder noch mehr, fast 60 Prozent. Und die haben sich wirklich an die Tafel so Wörter geschrieben, die sie nicht kannten. Na ja, eben wie Broiler, Untertrikotagen. Das waren viele Wörter, die kannten die nicht. Aber die Hits waren Ober- und Untertrikotagen, weil das wussten sie wirklich nicht, was das ist. (lacht)“
Ja, lustig ging's im Café zu. Und an den Schreibtischen und an den Werkbänken. Sagt man das noch so? Werkbank? Egal, Sprache ist dynamisch, Ostdeutschland ist die dynamischste Region. Auch wenn man nichts im Angebot hat. Sagt uns der „Kiecountmanager“, der früher Buchhalter hieß. Momentan, so erfuhren wir, liegen Arbeitsplätze „nicht im Leistungsumfang“.
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Der bayerische Äquator – Von Arthur Dittlmann
Der Horizont des Bayern reicht bis zu seinem Äquator, dem Weißwurst-Äquator, sozusagen der bayerische Limes. Gelegentlich rückt besagter Äquator ein Stück nach Norden vor, momentan arg heftig. Nur eingezeichnet ist er auf keiner offiziellen Landkarte, obwohl er doch die Republik in Bayern und das Stammesleben hinter dem Weißwurst-Äquator teilt. Eigenartig, sehr eigenartig.
Mit den fabelhaften „Wolpertingern“ und dem unaussprechlichen „Oachkatzlschwoaf“ teilt der „Weißwurstäquator“ die Rolle eines bayerischen Klischees: Eine identitätsstiftende Größe sozusagen, auch wenn sie eine gewisse begriffliche Unschärfe nicht verleugnen kann. Weil: Diesen Weißwurstäquator gibt’s gleich mehrfach.
Wiggerl Hagn: „Für die Altbayern ist der Weißwurstäquator die Donau. Und für die ganzen Bayern ist der Äquator der Main. Und alles, was übern Main ist, ist außerhalb des Weißwurstäquators.“
Was der Wiesnwirt Wiggerl Hagn in diese knappe Aussage hineingepackt hat, bedarf genauerer Erläuterung: Der altbayerische Weißwurstäquator ist die Donau – sagt er. Einerseits. Aber dann rechnet er zu „ganz Bayern“ die Franken mit dem Main auch noch dazu. Liegt das klassische fränkische Bratwurstgebiet also auch innerhalb des Weißwurstäquators?
Wiggerl Hagn: „Sogma moi: Es is a Hoibäquator… oder der Äquator is so broad.“
Mysteriös, das Ganze. Suchen wir unsere Zuflucht in der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unweit der Residenz in München. Hier entsteht seit Jahrzehnten das neue „Bayerische Wörterbuch“. Unter der Leitung eines Herrn, der unzweifelhaft jenseits des Weißwurstäquators entstammt: Der Dialektologe Antony Rowley, aus Yorkshire.
Rowley: „Ja, Weißwurstäquator, Band 1 des Bayerischen Wörterbuchs, Spalte 487, da steht auch nur scherzhaft: Imaginäre Nordgrenze Bayerns. Und dann zitieren wir einen Beleg aus einem bayerisch-englischen Wörterbuch.“
Um also Genaueres über den Weißwurstäquator zu erfahren, zückt der Herr Professor Rowley ein anderes Lexikon. Otto Hietsch: „Bavarian into Englisch“. Ganz schöne Umwege.
Rowley: „Weißwurstäquator … Bavarian defence line.“
Martialisch. Der Weißwurstäquator. Eine Verteidigungslinie. Gegen die Feinde im Norden. Entlang des Mains. Oder der Donau. Oder wie auch immer.
„Im Bild vom Äquator steckt eigentlich drin, dass die Welt in zwei Hälften zu teilen ist. Praktisch hier in unsere Hälfte, wo es die Weißwurst gibt, und dann in die andere Hälfte, wo die unkultivierten Völker, sozusagen eurozentrisch gesehen, leben.“
Mann: „Nä, dat is nit schön.“
Ost-West war gestern- Von Gerd Brendel
Gar viel ist in diesen Tagen zu hören von Einheit und den Klischees, die dem Einheitsglück im Wege stünden. „Die Mauer in den Herzen zwischen Ost und West muss fallen“, so hört man. Ost-West? Ein Gegensatzpaar von gestern. Was heute zählt, sind die Gegensätze von vorgestern. Das beweist der Blick aus der Distanz. Erst der Blick da aus der weiten Ferne macht die Unterschiede klar deutlich.
Wer Deutschland sagt in den Reisebüros der Welt, meint vor allem dreierlei:
„Kuckucksuhr“
Schwarzwald …
„Blasmusik“
… Heidelberg und B A Y E R N!
Die Vorstellungen der Fremden von unserem schönen Land speisen sich aus Bilderwelten aus der Gegend zwischen Neckar und Alpen. Deutsche Trachten: Dirndl und Lederhose, deutsche Musik: alpenländisches Jodeln.
„Jodellied“
Und was ist mit Deutschlands berühmtesten Bauwerk? Schloss Neuschwanstein! Dessen Original steht bekanntlich in Disneyland-Californien als Cinderellas Castle, aber ein cleverer, natürlich bayerischer König ließ es nachbauen.
Auch typisch deutsche Innerlichkeit wird im Süden verortet. Was denkt der Deutschland-Tourist beim Stichwort deutsche Gemütlichkeit?
„Jodeln“
Er denkt an seinen bierseligen Ausflug auf das Oktoberfest. Da kann Hannover noch so angeben mit seinem größten Schützenfest der Welt und selbst der Kölner Karneval kann einpacken. Wer nach deutschen Festen fragt, bekommt die Antwort:
„Jodellied“
Siehe oben.
Für die Welt existiert Deutschland in den Grenzen der bunten Reisekataloge, die Regionen jenseits des Weißwurst-Äquators existieren nicht. Zum Glück haben ein paar pfiffige Touristiker den Missstand erkannt. Der hierzulande belächelte Versuch, das Oktoberfest auch im sibirisch kalten Berlin zu etablieren, weist in die richtige Richtung. Nur wenn es gelingt, den Norden ab Frankfurt-Main mit naturgetreuen Schwarzwald-Kopien und anderen süddeutschen Deko-Elementen aufzuhübschen, wird auch der letzte japanische Tourist erkennen: Deutschland, das ist ein Land …
Mann: „… zum erleben und … verlieben."(Gejodel)
Mann: „Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon!“