Landgang EXTRA
Dem Sachsen-Anhalter ist auch im vergangenen Jahr das Lachen vergangen, Witze fallen ihm keine mehr ein. Der gestandene Bajuware schimpft über den Verlust von echten bajuwarischen Schimpfwörtern im Alltag. Ein Sachse kann, weil er hochdeutsche Aussprache zu lernen versuchte, nicht mehr richtig "Sch …" sagen.
Ein Rheinland-Pfälzer macht seinem Ärger Luft, indem er gewisse Orte als Absturzzonen empfiehlt. Und ein Saarländer klärt den Rest der Republik darüber auf, wie bei ihm Daheim geschimpft wird. Also endlich mal eine Sendung, bei der Sie zuhause endlich mal Dampf ablassen können. Nach dem Jahr steht Ihnen das auch zu.
Willkommen zum Landgang EXTRA: Ärgern. Als Reiseleiter vom Dienst begrüßt Sie Claus Stephan Rehfeld.
Ärgern also. Ärgerlich am Ärgern ist, dass man sich nicht ständig ärgern kann. Dabei gibt es doch der Anlässe viele, um den klaren Gedanken und das Gefühl des Rechthabens zu pflegen. Aber nein, freundlich grinsend legt der ewige Verzeiher seine schweißige Hand auf unsere Schulter. Und wir beobachten allenthalben einen rapiden Verfall der Kunst des Ärgerns, des Fluchens, des Schimpfens. Nun ja …
Die Themen.
- Dummbraddeln. Eine saarländische Sprach-Ansage.
- Boid ausgschimpft. Ein bayerischer Wesenswandel.
- Verdammt noch mal. Klagelied einer sächsischen Zunge.
- Freundlich gezürnt. Der Rheinland-Pfälzer.
- Witzlos. Eine Sachsen-Anhalter Beobachtung.
- Und: Vorbei, vorbei. Schönes Schimpfen in der Politik.
"Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon."
Dummbraddeln – Eine klare Sprach-Ansage
Von Detlef Schönauer
Wir haben dem Saarländer aufs Maul geschaut. Und wir bekamen zu hören, dass "meins" dadorten keine Stadt, sondern eine Form von "Sie" ist. Und uns kam zu Ohren, dass der Saarländer seine bäuerliche Herkunft nicht verleugnen mag und sein hofhalterisches Wissen weiter pflegt, denn so manche Schwiegermaman rief er: "Du dumm Puut". Das klang in seinen Ohren gerechter. Und wir sind passend beim Thema und in Jacques Bistro, wo der geneigte Hörer nun einem Intensivkurs beiwohnen kann.
Oh la la - mer muss sisch ja schäme! "Meins" is heut …, also mein Frau, die is losgezogt, totallement unmöglisch gekleidet. Hier sagt mer ja "gemuschdert. Isch ja gesagt: "bischd jo e rischtisch Muschdergret!" Also Hochdeutsch muß eigentlisch heiße: "Mustergretel". Unn ein "Gret"… naja, so nennt mer hier alle Frau, wo eine bisschen … ,sage mir, wo halt nischt zu die Klügste gehöre.
Aber man kann auch über die Männer lästern: grad in die Dialekte, weil in die Saarland ja eh jeder Dialekt spricht - hochdeutsch kann hier niemand, 0bwohl's viele von sisch behaupte. Jetzt solle sogar die saarlandisch Schulkinner hochdeutsch lerne. Gut unn schön; aber wer bringt's ihne bei? Weil all schwätz Dialekt. Außer die, von außerdihalbe. Aber wenn die dann mit ihr rischtischer Deutsch komme, falle hier directement auf. Wird leischt als arrogant angesehe: "was will'n der ibberkandidelte Pälzer! So'n Dummbraddeler!" "Dummbraddele" - des beudetet dummschwätze! Mer kann auch sage: "Hawebraddeler". Das bedeutet: der schwätzt so dumm wie die Inhalt eines "Hawens". Unn eine "Hawe" is eine Topf. Ursprunglisch war's sogar die Nachttopf. Aber sollt' mer nischt zu jedem sage. Sonst rescht der sisch auf unn wird "grimmelwiedisch". Den rescht schon die klitzekleinster Krümel auf! So wie "meins" als …
Ach, bei uns in die Saarlande, is die Frau "ehs", also neutrum, säschlisch. Ja, weiblische Fraue mir habe nit so. Die Fraue sind "ehs" - außer wenn mer Angst davor hat. Saarlandisch, da is halt nischt leischt!
Boid ausgschimpft – Ein bayerischer Wesenswandel
Von Arthur Dittlmann
Heiligabend war "gschlampertes Christkindl" en vogue, heute ist "Bauernramme" angesagt und für den 31.12. notieren Sie schon mal "oide Schäsn" – jedenfalls laut dem immerwährenden "Bayerischen Schimpf-Kalender". Wir hüten ihn treulich, denn immer häufiger kommen Langschädel daher, die das Granteln verlernt haben. Ja, früher, da verstand sich der Bayer trefflich auf den verbalen Befreiungsschlag. Der reiche Schatz an Flüchen kündet davon, nein, kündete. Denn die wunderbare Kultur des bayerischen Schimpfworts schwächelt.
Was war das für eine Urgewalt, die aus dem Engel Aloisius in Gestalt von Adolf Gondrell förmlich herausgebrochen ist, wie man im Himmel unverschämterweise von ihm verlangt hat, dass er "frohlocken" solle?
Aloisius: "Halleluja! Luja!, sog i! Luja sog i! Zefix Halleluja! Luja!” "
In den Fünfziger Jahren sollen derartige Schimpfkanonaden auch noch auf den Straßen, in den Wirtshäusern, in Amtsstuben und auch am häuslichen Familientisch zu vernehmen gewesen sein. In den 6oer Jahren gab es Aufkleber, die sich besonders witzige Autofahrer in die Hinterscheibe hinein gepappt haben: "Himmerherrgottsakramentpfuideifescheissglumpvarreckts" oder so ähnlich ist dann da gestanden, neben der gehäkelten Toilettenpapierverzierung. Heutzutage muss man schon zu den Kabarettisten gehen, wenn man richtige Schimpfwörter hören will … aber da geht’s dann immerhin richtig zur Sache, etwa bei Gerhard Polt …
Polt: " "Du blädes Krachal, du Matz du varreckte! Hoit dei Fotzn, du Schoasblodan!"
Und so weiter. Ob´s ein richtiger Verlust ist, wenn die Kinder heutzutage nicht mehr wie Fuhrknechte über ihre Mitmenschen herziehen? Eine Stichprobe: Der Schimpfwortschatz von zwei bayerischen Buben, 9 und 12 Jahre alt:
Kinder: "Du Aff, du bläda. / Arschloch. / Nein, das sag i net: Sag einfach nur 1x Depp / Saupreiss, du bläda! / Schweinshaxn! / Blede Henna, du."
Noch ist also das Bairische nicht ganz verloren! Sie können es noch! Aber: Das Bayerische ist bedroht. Daran lassen die sprachwissenschaftlichen Analysen der letzten Jahre überhaupt keinen Zweifel. Der dem Bayern innewohnende, tiefsitzende Minderwertigkeitskomplex, gepaart mit einer aggressiv sich vordrängenden, norddeutsch klingenden Mediensprache, die auch in München Marktl und Teufelsöd als "schick" - oder besser gesagt "cool" - gilt, machen dem Bairischen zumindest in der jüngeren Generation langsam aber sicher den Garaus. "Sprachverarmung – Schimpfwörterverarmung". So lautet die Diagnose des Dialektologen Ludwig Zehetner.
Zehetner: "Wenn irgendwos positiv gseng werd, eina is es cool, geil, tittengeil. "Titten" is unverträgliches Wort, da stellts ma scho wieda wos auf, bei uns "Tutten", hoassn hoid net Tittn oder irgendsowas."
"So was wie du gehört doch mit der Scheißbürstn nausghaut! (Gelächter) / Luja sog i! (Gelächter) / Saupreiss, du bläda."
"Ich hatte Sprechverbot" – Ein sächsisches Zungenschicksal
Von Claus Stephan Rehfeld
Die sächsische Zunge – ist eine liebliche, wenn sie weiblich ist; gemütlich, wenn sie männlich ist; unüberhörbar, wenn sie im Ausland erklingt. Also außerhalb des sächsischen Zuchtareals. Erschallt sie andernorts, so wissen Angehörige anderer Stämme, dass wieder Feiertage ausgebrochen sind. Doch da der Sachse zur Sympathiewerbung neigt, trimmt er, bevor er die Landesgrenze überschreitet, seine Zunge auf Hochdeutsch. Die Zunge wehrt sich, aber unser Sachse lässt nicht locker. Und er muss bitter dafür büßen. Bitte.
HINWEIS: Eine Transkription des folgenden Textes in die sächsische Mundart, wie sie zu hören ist, erschien dem Autor unangemessen. Es handelt sich um ein HÖRSTÜCK.
Mann: "Ich hatte Sprechverbot."
Frau: "Naja, das R ist noch ein bisschen …"
Mann: "Ich hatte Sprechverbot. Ich hatte Sprechverbot."
Frau: "Jetzt übertreibst du."
Mann: "Nee."
Frau: "Nee?"
Mann: "Das war jetzt Plagwitz. Plagwitz. Ich hatte Sprechverbot."
Frau: …
Mann: "Ich muss ihnen sagen: Ich hatte Sprechverbot. Ich hatte Sprechverbot. Nee, das hatte ich schon gesagt. Ich hatte Sprechverbot."
Frau: "Wobei Sie vielleicht die Beobachtung machen können, die Zischlaute, die bereiten dem echten Sachsen auch Schwierigkeiten, ne? Sprech."
Mann: "Spresch."
Frau: " … sch dann. Aber das machen die so."
Mann: "Ja, ich habe immer zuviel SCH, wollten Sie mir damit sagen, ne? Schön, schön. Schön gesagt. Ich hatte Sprechverbot. Ich hatte ne ganze Woche Sprechverbot."
Frau (lacht)
Mann: "Herrlich. Ne ganze Woche Verbot. Und im Sommer fahre ich auch immer mit nem Boot. Ich hatte ne ganze Woche Sprechverbot. Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot."
Frau: "Eine ganze Woche …"
Mann: "Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot."
Frau: "Ne ganze."
Mann: "Jetzt kommt auch noch das z. Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot."
Frau: "Ja."
Mann: " Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot. Im Sommer fahr ich mit nem Boot."
Frau: "Boot."
Mann: "Mit nem Boot. Und manchmal fahr ich auch Fahrrad. (Versuch Hochdeutsch) Und manchmal fahre ich auch Fahrrad. Und jetzt kommt auch das o noch und das u. (stark sächselnd) Am Ufer kann man schön rumliegen."
Berliner: "Ach hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon."
Mann: "Es ist, es ist schon besser geworden."
Frau (lacht)
Mann: "Also anderthalb Jahre Sprechunterricht, nee, zwei."
Frau: "Sprechunterricht."
Mann: "Anderthalb Jahre Sprechunterricht haben doch das A schon sehr weit vorgebracht."
Frau (lacht herzhaft)
Mann: "Verdammt noch mal, Scheiße oder so. Wenn ich hier raus bin aus dem Zimmer, spreche ich sowieso wieder Sächsisch."
Frau: "Das möchte ich nicht gehört haben."
Mann: "Nein, immer mal ein bisschen. Glocke – und die Sprecherziehung schreibt mit: Glocke hat er zur Klocke gemacht."
Frau: "Du Klocke."
Mann: "Wo es dann so mitarbeitet. Wo man denkt: Scheiße jetzt. Weil, man krieg ja jetzt Zensuren auch, ne."
Frau: "Sag nicht immer Scheiße."
Mann: "Scheise. Das kommt, das kommt … das habe ich früher nie gesagt, das habe ich früher nie gesagt. Früher habe ich immer Scheiße … "
Freundlich gezürnt. Der Rheinland-Pfälzer
Von Hans Peter Beetz
Der Rheinland-Pfälzer. Er, dies muss hier endlich mal öffentlich gemacht werden, er ist recht einfallsreich, will er sich bestimmter Ärgernisse entledigen. So braust er nicht gerade auf, muss er sich vor tieffliegenden und hochgerüstete US-Kampfjets abducken. Aber teilt man ihm mit, dass für abstürzende Militärflieger extra Absturzgebiete in seinem schönen Land, in seinem schönen Stammesgebiet eingerichtet worden sind, dann überlegt er doch für sich, wo es ruhig mal krachen könnte, um so bestimmte Ärgernisse kostengünstig loswerden zu können.
Da wären als allererstes diese hässlichen, alten Kasernen der Amerikaner, ihre verödeten Munitionslager in Eifel, Westerwald und Hunsrück, ihre verlassenen unterirdischen Raketenbasen, ihre vergammelten Militärdepots und ölverseuchten Truppenübungsplätze. Was könnte man alles dort drauf fallen lassen.
Auch das stillgelegte Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich wäre eine wunderbare Absturzzone. Zum einen könnte man erproben, ob ein Atomkraftwerk einen Crash mit einem Flieger auch wirklich aushält. Und zum andern käme die RWE nie mehr auf die Idee, diesen Kasten eventuell noch einmal ans Netz gehen zu lassen.
Auch ein bestimmtes Image würden wir gerne loswerden. Die Meinung nämlich, dass wir Rheinland-Pfälzer ein grässliches Hochdeutsch sprechen und uns jeden Tag mit Saumagen voll stopfen. Dieses Image, verursacht von einem übergewichtigen Oggersheimer, ist leider als Absturzzone nur schwer zu lokalisieren.
Das Deutsche Eck in Koblenz wäre allerdings ein zielgenauer Absturzpunkt. Hat man doch dort vor ein paar Jahren diesen unsäglichen Kaiser Wilhelm wieder auf den Denkmalsockel gehoben. Dieses Standbild deutschen Größenwahns. Da eine F-16 drauf! Um diesen preußischen Kommisskopf wäre es wirklich nicht schade.
Nervig sind auch diese Rheintouristen auf den weißen Ausflugsschiffen der Köln-Düsseldorfer, auf denen es von April bis Oktober aus den Lautsprechern plärrt, warum es am Rhein so schön ist. Und wo ständig schnatternde Japaner mit ihren Minikameras irgendwann unsere arme Loreley kaputtfotografiert haben werden. Aus humanitären Gründen würden wir allerdings das Weltkulturerbe "Mittelrheintal" als Absturzzone ausschließen.
Gut vorstellen könnten wir uns aber flexible Absturzzonen. Und zwar überall, wo sich in Rheinland-Pfalz rechtsradikale Gesinnungsgenossen breit machen wollen. Dort, wo Nazi-Kameradschaftstreffen oder NPD-Rockkonzerte stattfinden sollen, dort wird das betreffende Gebiet sofort offiziell zur Absturzzone erklärt.
Sie sehen Ideen und Vorschläge, was wir in unserem Bundesland gerne loswerden wollen, gibt es genug.
Allerdings würde ich die Pfälzer allein nicht darüber entscheiden lassen, wo solche Absturzsektoren eingerichtet werden sollten. Die Pfälzer würden nämlich das gesamte Saarland zur Absturzzone erklären, damit dieses völlig überflüssige Bundesland zumindestens eine minimale Existenzberechtigung hätte.
Das Lachen vergangen?
Von Susanne Arlt
Ach, wie war das damals lustig. Damals, in der DDR, als man sich noch so richtig ärgern konnte. Da jagte ein Witz den anderen. Dann wurde die DDR zum Auslaufmodell, kurz darauf auch der Witz. Erst der DDR-Witz, dann der Wendewitz. Dann machte sich der Alltag breit und der Witz machte sich dünn. Ärger kann es nicht kommen … in Sachsen-Anhalt.
Sexy Anhalt! Schauspielerin und Oscar-Gewinnerin Helen Mirror fand kürzlich diese Worte für ein Bundesland, das sonst eher mit Attributen wie grau und griesgrämig versehen wird. Aber sexy? Viele freuten sich über das Kompliment, selbst Landespolitiker waren angetan. Doch wenige Tage später dann kam die Ernüchterung. Die britische Schauspielerin erklärte, sie habe sich verhört. Saxony-Anhalt klinge auf Englisch irgendwie wie sexy, aber vielleicht sei ja Sachsen-Anhalt auch sexy? Zum Lachen fand das in Sachsen-Anhalt dann keiner mehr.
Politikerin: "Manchmal hat man das Gefühl, dass den Leuten das Lachen im Hals stecken bleibt, aber ich glaube, ein gesunder Witz ist immer noch da."
Ein Überlebenswitz sozusagen, nur eben kein Witz über sich selbst. Hans-Günther Pölitz wundert das nicht. Der Menschenschlag zwischen Arendsee und Zeitz habe eben wenig zu lachen. Die Arbeitslosenquote ist noch immer eine der höchsten in Deutschland, viele ziehen weg, vor allem Frauen. Selbst dem Kabarettisten aus der Magdeburger Zwickmühle fällt kein Witz über die Sachsen-Anhalter ein.
Pölitz: "Äh, eigentlich nein, fällt mir kein direkter Witz zu Sachsen-Anhalt ein, bloß die Leute, die in Sachsen-Anhalt leben, haben sehr viel Humor, sonst würden sie ja nicht hier leben."
Ganz ähnliche Antworten bekommt man von Landespolitikern zu hören.
Politiker: "Also im Moment über Sachsen-Anhalt fallen mir also keine Witze ein…"
Politikerin: "Nee, so spontan nicht."
Der Sachsen-Anhalter aber scheint das mit Fassung zu tragen. Er erträgt sowieso viel. Das Land, in dem er lebt, zum Beispiel. Wo heute Sachsen-Anhalt drauf steht, ist in Wirklichkeit ein Harzer, ein Altmärker, ein Sachse, ein Niedersachse oder ein Brandenburger drin.
Pölitz: "Vielleicht liegt der Witz im Pluralistischen. Jeder betrachtet den anderen als Witz und bezieht so seine Schadenfreude oder seinen Humor daraus."
Ach, so ist das. Mit ein Grund für die Witzarmut aber mag auch der sachsen-anhaltische Dialekt sein, meint die Hallenser Parlamentarierin Birke Bull.
Bull: "Wir sind deshalb nicht Gegenstand von Witzen, weil wir einen vernünftigen Dialekt haben."
Vorbei, vorbei. Die Kunst des Schimpfens in der Politik
Von Peter Zudeick
Ach! Da wurde abgewatscht, aber wie! Kunstvoll. Genusssüchtig lauschten wir dem Dampfradio, verfolgten freudig die kunstfertigen Ein- und Auslassungen … der Politiker. Ja, Debattenkultur galt damals noch was. Heute dagegen sind alle gleich verletzt, fühlen sich wehgetut, wird eine akustische Maulschelle verabreicht. Und wir sinken kraftlos auf der Couch zusammen, dreht die Vorsteherin der Nation einen verlorenen Prozess ob der Kilometerpauschale in eine Konsumspritze für das Volk der Auto-Didakten um. Ja, ja, das Klima hat sich geändert.
Früher war alles anders, und zwar besser. Das gilt selbstredend auch für die Schimpfkultur im deutschen Bundestage, deren permanenten Niedergang wir immer mal wieder beklagen müssen. Wobei man die schönsten Schimpfen in aller Regel nicht hören kann, weil sie als Zwischenruf aus dem Plenum kommen. Und einen der berühmtesten Zwischenrufe hat es gar nicht gegeben. Als Joseph Fischer, genannt Joschka, im Oktober 1984 von Bundestagspräsident Stücklen des Saales verwiesen wurde, sagte er zwar: "Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!" Aber da er zu diesem Zeitpunkt schon von der Sitzung ausgeschlossen war, vermerkt das Protokoll die Schimpfe nicht. Und was nicht im Protokoll steht, ist auch nie gesagt worden.
Wie gesagt: Die Zwischenrufe machen’s, und da ist in beinahe 60 Jahren Parlamentsgeschichte ist so ziemlich alles vorgekommen, was es an Schimpfworten gibt, von Amokläufer bis Zuhälter alles drin: Bandit, Denunziant, Lügner, Lümmel, Heuchler, Idiot, Ratte, Hetzer, Quatschkopf, Dreckschleuder – das darf man natürlich alles nicht sagen. Sowas hier schon.
Penner: "Jahre einer gewissen Zurückhaltung im Auswärtigen Amt haben nicht vergessen machen können, dass dieser seit je an jeder beliebigen Ecke sein zumeist überflüssiges publizistisches Bedürfnis verrichtet hat."
Der Mann heißt Wilfried Penner, war lange Zeit SPD-Abgeordneter und offenbar ein Fan von Jürgen W. Möllemann.
Penner: "Der kann nichts, der weiß nichts, der hat nichts gelernt, und deshalb ist er Minister. So ganz stimmt das freilich nicht, die Qualifikation zum Politschwabbler des Jahres hat er allemal."
Elaborierte Beleidigungen wie diese waren aber auch zu den guten Zeiten eher selten.
Wehner: "Sie feixende Meute. Ja, das sind Sie."
Ja, es lässt sich nicht vermeiden. Man muss einfach an die Altmeister erinnern. Mit solchen Muntermachern sorgte Herbert Wehner auch in langweiligen Debatten immer wieder für Stimmung. Auch im Namenerfinden war er groß: "Übelkrähe" für Jürgen Wohlrabe, den er auch gerne "Sumpfblüte" nannte, oder "Hodentöter" für Todenhöfer, den er auch "Wurmfortsatz" titulierte. Und wenn Wehner keine Lust hatte, erfinderisch zu sein, schimpfte er ganz schlicht und allgemeinverständlich.
Wehner: "Reden sie doch keinen Stuss, reden Sie doch keinen Stuss, Sie weiser Herr, Sie."
"Herr" konnte bei Wehner ein ganz schlimmes Schimpfwort sein, das unschuldige Wörtchen "Sie" sowieso.
Wehner: "Sie, wissen Sie, sind doch so klug, dass sie sich auf die Verkehrsdebatten beschränken sollten, nicht."
Bei Wehner war sowas keine Berechnung, keine lang vorbereitete Schimpfe, um einen Ordnungsruf-Rekord zu brechen. Bei ihm kam das aus dem Augenblick, er spie seine Gehässigkeiten mit inbrünstiger Spontaneität aus.
Strauß: "Sie werden allmählich kindisch, Herr Wehner, aber das kann man nicht verhindern."
Das waren wirklich Sternstunden, wenn Strauß und Wehner sich beharkten.
Wehner: "Ich weiß, was man noch kann und was man nicht kann. Aber mit Ihnen kann ich noch immer. Soweit reicht’s noch, dass ich Ihre Lächerlichkeit durchdringe. Soweit reicht’s noch."
Vorbei, verklungen, verweht. Und keine Aussicht auf Besserung.
Apel: "Dann müssen sie uns Politiker präsentieren, die voll im Saft stehen, dann darf nicht der Ausleseprozess innerhalb der Parteien dazu führen, dass wir zu viel Angepasste bekommen, und ich stelle in diesem Buch die Frage, ob Herbert Wehner heute noch ein Mandat bekäme, und ich bezweifel das."
Das sagte Hans Apel vor siebzehn Jahren. Er hat immer noch Recht.
Willkommen zum Landgang EXTRA: Ärgern. Als Reiseleiter vom Dienst begrüßt Sie Claus Stephan Rehfeld.
Ärgern also. Ärgerlich am Ärgern ist, dass man sich nicht ständig ärgern kann. Dabei gibt es doch der Anlässe viele, um den klaren Gedanken und das Gefühl des Rechthabens zu pflegen. Aber nein, freundlich grinsend legt der ewige Verzeiher seine schweißige Hand auf unsere Schulter. Und wir beobachten allenthalben einen rapiden Verfall der Kunst des Ärgerns, des Fluchens, des Schimpfens. Nun ja …
Die Themen.
- Dummbraddeln. Eine saarländische Sprach-Ansage.
- Boid ausgschimpft. Ein bayerischer Wesenswandel.
- Verdammt noch mal. Klagelied einer sächsischen Zunge.
- Freundlich gezürnt. Der Rheinland-Pfälzer.
- Witzlos. Eine Sachsen-Anhalter Beobachtung.
- Und: Vorbei, vorbei. Schönes Schimpfen in der Politik.
"Hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon."
Dummbraddeln – Eine klare Sprach-Ansage
Von Detlef Schönauer
Wir haben dem Saarländer aufs Maul geschaut. Und wir bekamen zu hören, dass "meins" dadorten keine Stadt, sondern eine Form von "Sie" ist. Und uns kam zu Ohren, dass der Saarländer seine bäuerliche Herkunft nicht verleugnen mag und sein hofhalterisches Wissen weiter pflegt, denn so manche Schwiegermaman rief er: "Du dumm Puut". Das klang in seinen Ohren gerechter. Und wir sind passend beim Thema und in Jacques Bistro, wo der geneigte Hörer nun einem Intensivkurs beiwohnen kann.
Oh la la - mer muss sisch ja schäme! "Meins" is heut …, also mein Frau, die is losgezogt, totallement unmöglisch gekleidet. Hier sagt mer ja "gemuschdert. Isch ja gesagt: "bischd jo e rischtisch Muschdergret!" Also Hochdeutsch muß eigentlisch heiße: "Mustergretel". Unn ein "Gret"… naja, so nennt mer hier alle Frau, wo eine bisschen … ,sage mir, wo halt nischt zu die Klügste gehöre.
Aber man kann auch über die Männer lästern: grad in die Dialekte, weil in die Saarland ja eh jeder Dialekt spricht - hochdeutsch kann hier niemand, 0bwohl's viele von sisch behaupte. Jetzt solle sogar die saarlandisch Schulkinner hochdeutsch lerne. Gut unn schön; aber wer bringt's ihne bei? Weil all schwätz Dialekt. Außer die, von außerdihalbe. Aber wenn die dann mit ihr rischtischer Deutsch komme, falle hier directement auf. Wird leischt als arrogant angesehe: "was will'n der ibberkandidelte Pälzer! So'n Dummbraddeler!" "Dummbraddele" - des beudetet dummschwätze! Mer kann auch sage: "Hawebraddeler". Das bedeutet: der schwätzt so dumm wie die Inhalt eines "Hawens". Unn eine "Hawe" is eine Topf. Ursprunglisch war's sogar die Nachttopf. Aber sollt' mer nischt zu jedem sage. Sonst rescht der sisch auf unn wird "grimmelwiedisch". Den rescht schon die klitzekleinster Krümel auf! So wie "meins" als …
Ach, bei uns in die Saarlande, is die Frau "ehs", also neutrum, säschlisch. Ja, weiblische Fraue mir habe nit so. Die Fraue sind "ehs" - außer wenn mer Angst davor hat. Saarlandisch, da is halt nischt leischt!
Boid ausgschimpft – Ein bayerischer Wesenswandel
Von Arthur Dittlmann
Heiligabend war "gschlampertes Christkindl" en vogue, heute ist "Bauernramme" angesagt und für den 31.12. notieren Sie schon mal "oide Schäsn" – jedenfalls laut dem immerwährenden "Bayerischen Schimpf-Kalender". Wir hüten ihn treulich, denn immer häufiger kommen Langschädel daher, die das Granteln verlernt haben. Ja, früher, da verstand sich der Bayer trefflich auf den verbalen Befreiungsschlag. Der reiche Schatz an Flüchen kündet davon, nein, kündete. Denn die wunderbare Kultur des bayerischen Schimpfworts schwächelt.
Was war das für eine Urgewalt, die aus dem Engel Aloisius in Gestalt von Adolf Gondrell förmlich herausgebrochen ist, wie man im Himmel unverschämterweise von ihm verlangt hat, dass er "frohlocken" solle?
Aloisius: "Halleluja! Luja!, sog i! Luja sog i! Zefix Halleluja! Luja!” "
In den Fünfziger Jahren sollen derartige Schimpfkanonaden auch noch auf den Straßen, in den Wirtshäusern, in Amtsstuben und auch am häuslichen Familientisch zu vernehmen gewesen sein. In den 6oer Jahren gab es Aufkleber, die sich besonders witzige Autofahrer in die Hinterscheibe hinein gepappt haben: "Himmerherrgottsakramentpfuideifescheissglumpvarreckts" oder so ähnlich ist dann da gestanden, neben der gehäkelten Toilettenpapierverzierung. Heutzutage muss man schon zu den Kabarettisten gehen, wenn man richtige Schimpfwörter hören will … aber da geht’s dann immerhin richtig zur Sache, etwa bei Gerhard Polt …
Polt: " "Du blädes Krachal, du Matz du varreckte! Hoit dei Fotzn, du Schoasblodan!"
Und so weiter. Ob´s ein richtiger Verlust ist, wenn die Kinder heutzutage nicht mehr wie Fuhrknechte über ihre Mitmenschen herziehen? Eine Stichprobe: Der Schimpfwortschatz von zwei bayerischen Buben, 9 und 12 Jahre alt:
Kinder: "Du Aff, du bläda. / Arschloch. / Nein, das sag i net: Sag einfach nur 1x Depp / Saupreiss, du bläda! / Schweinshaxn! / Blede Henna, du."
Noch ist also das Bairische nicht ganz verloren! Sie können es noch! Aber: Das Bayerische ist bedroht. Daran lassen die sprachwissenschaftlichen Analysen der letzten Jahre überhaupt keinen Zweifel. Der dem Bayern innewohnende, tiefsitzende Minderwertigkeitskomplex, gepaart mit einer aggressiv sich vordrängenden, norddeutsch klingenden Mediensprache, die auch in München Marktl und Teufelsöd als "schick" - oder besser gesagt "cool" - gilt, machen dem Bairischen zumindest in der jüngeren Generation langsam aber sicher den Garaus. "Sprachverarmung – Schimpfwörterverarmung". So lautet die Diagnose des Dialektologen Ludwig Zehetner.
Zehetner: "Wenn irgendwos positiv gseng werd, eina is es cool, geil, tittengeil. "Titten" is unverträgliches Wort, da stellts ma scho wieda wos auf, bei uns "Tutten", hoassn hoid net Tittn oder irgendsowas."
"So was wie du gehört doch mit der Scheißbürstn nausghaut! (Gelächter) / Luja sog i! (Gelächter) / Saupreiss, du bläda."
"Ich hatte Sprechverbot" – Ein sächsisches Zungenschicksal
Von Claus Stephan Rehfeld
Die sächsische Zunge – ist eine liebliche, wenn sie weiblich ist; gemütlich, wenn sie männlich ist; unüberhörbar, wenn sie im Ausland erklingt. Also außerhalb des sächsischen Zuchtareals. Erschallt sie andernorts, so wissen Angehörige anderer Stämme, dass wieder Feiertage ausgebrochen sind. Doch da der Sachse zur Sympathiewerbung neigt, trimmt er, bevor er die Landesgrenze überschreitet, seine Zunge auf Hochdeutsch. Die Zunge wehrt sich, aber unser Sachse lässt nicht locker. Und er muss bitter dafür büßen. Bitte.
HINWEIS: Eine Transkription des folgenden Textes in die sächsische Mundart, wie sie zu hören ist, erschien dem Autor unangemessen. Es handelt sich um ein HÖRSTÜCK.
Mann: "Ich hatte Sprechverbot."
Frau: "Naja, das R ist noch ein bisschen …"
Mann: "Ich hatte Sprechverbot. Ich hatte Sprechverbot."
Frau: "Jetzt übertreibst du."
Mann: "Nee."
Frau: "Nee?"
Mann: "Das war jetzt Plagwitz. Plagwitz. Ich hatte Sprechverbot."
Frau: …
Mann: "Ich muss ihnen sagen: Ich hatte Sprechverbot. Ich hatte Sprechverbot. Nee, das hatte ich schon gesagt. Ich hatte Sprechverbot."
Frau: "Wobei Sie vielleicht die Beobachtung machen können, die Zischlaute, die bereiten dem echten Sachsen auch Schwierigkeiten, ne? Sprech."
Mann: "Spresch."
Frau: " … sch dann. Aber das machen die so."
Mann: "Ja, ich habe immer zuviel SCH, wollten Sie mir damit sagen, ne? Schön, schön. Schön gesagt. Ich hatte Sprechverbot. Ich hatte ne ganze Woche Sprechverbot."
Frau (lacht)
Mann: "Herrlich. Ne ganze Woche Verbot. Und im Sommer fahre ich auch immer mit nem Boot. Ich hatte ne ganze Woche Sprechverbot. Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot."
Frau: "Eine ganze Woche …"
Mann: "Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot."
Frau: "Ne ganze."
Mann: "Jetzt kommt auch noch das z. Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot."
Frau: "Ja."
Mann: " Ich hatte eine ganze Woche Sprechverbot. Im Sommer fahr ich mit nem Boot."
Frau: "Boot."
Mann: "Mit nem Boot. Und manchmal fahr ich auch Fahrrad. (Versuch Hochdeutsch) Und manchmal fahre ich auch Fahrrad. Und jetzt kommt auch das o noch und das u. (stark sächselnd) Am Ufer kann man schön rumliegen."
Berliner: "Ach hörn se mir bloß uff mit diesem Verein. Ick hab die Schnauze voll davon."
Mann: "Es ist, es ist schon besser geworden."
Frau (lacht)
Mann: "Also anderthalb Jahre Sprechunterricht, nee, zwei."
Frau: "Sprechunterricht."
Mann: "Anderthalb Jahre Sprechunterricht haben doch das A schon sehr weit vorgebracht."
Frau (lacht herzhaft)
Mann: "Verdammt noch mal, Scheiße oder so. Wenn ich hier raus bin aus dem Zimmer, spreche ich sowieso wieder Sächsisch."
Frau: "Das möchte ich nicht gehört haben."
Mann: "Nein, immer mal ein bisschen. Glocke – und die Sprecherziehung schreibt mit: Glocke hat er zur Klocke gemacht."
Frau: "Du Klocke."
Mann: "Wo es dann so mitarbeitet. Wo man denkt: Scheiße jetzt. Weil, man krieg ja jetzt Zensuren auch, ne."
Frau: "Sag nicht immer Scheiße."
Mann: "Scheise. Das kommt, das kommt … das habe ich früher nie gesagt, das habe ich früher nie gesagt. Früher habe ich immer Scheiße … "
Freundlich gezürnt. Der Rheinland-Pfälzer
Von Hans Peter Beetz
Der Rheinland-Pfälzer. Er, dies muss hier endlich mal öffentlich gemacht werden, er ist recht einfallsreich, will er sich bestimmter Ärgernisse entledigen. So braust er nicht gerade auf, muss er sich vor tieffliegenden und hochgerüstete US-Kampfjets abducken. Aber teilt man ihm mit, dass für abstürzende Militärflieger extra Absturzgebiete in seinem schönen Land, in seinem schönen Stammesgebiet eingerichtet worden sind, dann überlegt er doch für sich, wo es ruhig mal krachen könnte, um so bestimmte Ärgernisse kostengünstig loswerden zu können.
Da wären als allererstes diese hässlichen, alten Kasernen der Amerikaner, ihre verödeten Munitionslager in Eifel, Westerwald und Hunsrück, ihre verlassenen unterirdischen Raketenbasen, ihre vergammelten Militärdepots und ölverseuchten Truppenübungsplätze. Was könnte man alles dort drauf fallen lassen.
Auch das stillgelegte Atomkraftwerk Mühlheim-Kärlich wäre eine wunderbare Absturzzone. Zum einen könnte man erproben, ob ein Atomkraftwerk einen Crash mit einem Flieger auch wirklich aushält. Und zum andern käme die RWE nie mehr auf die Idee, diesen Kasten eventuell noch einmal ans Netz gehen zu lassen.
Auch ein bestimmtes Image würden wir gerne loswerden. Die Meinung nämlich, dass wir Rheinland-Pfälzer ein grässliches Hochdeutsch sprechen und uns jeden Tag mit Saumagen voll stopfen. Dieses Image, verursacht von einem übergewichtigen Oggersheimer, ist leider als Absturzzone nur schwer zu lokalisieren.
Das Deutsche Eck in Koblenz wäre allerdings ein zielgenauer Absturzpunkt. Hat man doch dort vor ein paar Jahren diesen unsäglichen Kaiser Wilhelm wieder auf den Denkmalsockel gehoben. Dieses Standbild deutschen Größenwahns. Da eine F-16 drauf! Um diesen preußischen Kommisskopf wäre es wirklich nicht schade.
Nervig sind auch diese Rheintouristen auf den weißen Ausflugsschiffen der Köln-Düsseldorfer, auf denen es von April bis Oktober aus den Lautsprechern plärrt, warum es am Rhein so schön ist. Und wo ständig schnatternde Japaner mit ihren Minikameras irgendwann unsere arme Loreley kaputtfotografiert haben werden. Aus humanitären Gründen würden wir allerdings das Weltkulturerbe "Mittelrheintal" als Absturzzone ausschließen.
Gut vorstellen könnten wir uns aber flexible Absturzzonen. Und zwar überall, wo sich in Rheinland-Pfalz rechtsradikale Gesinnungsgenossen breit machen wollen. Dort, wo Nazi-Kameradschaftstreffen oder NPD-Rockkonzerte stattfinden sollen, dort wird das betreffende Gebiet sofort offiziell zur Absturzzone erklärt.
Sie sehen Ideen und Vorschläge, was wir in unserem Bundesland gerne loswerden wollen, gibt es genug.
Allerdings würde ich die Pfälzer allein nicht darüber entscheiden lassen, wo solche Absturzsektoren eingerichtet werden sollten. Die Pfälzer würden nämlich das gesamte Saarland zur Absturzzone erklären, damit dieses völlig überflüssige Bundesland zumindestens eine minimale Existenzberechtigung hätte.
Das Lachen vergangen?
Von Susanne Arlt
Ach, wie war das damals lustig. Damals, in der DDR, als man sich noch so richtig ärgern konnte. Da jagte ein Witz den anderen. Dann wurde die DDR zum Auslaufmodell, kurz darauf auch der Witz. Erst der DDR-Witz, dann der Wendewitz. Dann machte sich der Alltag breit und der Witz machte sich dünn. Ärger kann es nicht kommen … in Sachsen-Anhalt.
Sexy Anhalt! Schauspielerin und Oscar-Gewinnerin Helen Mirror fand kürzlich diese Worte für ein Bundesland, das sonst eher mit Attributen wie grau und griesgrämig versehen wird. Aber sexy? Viele freuten sich über das Kompliment, selbst Landespolitiker waren angetan. Doch wenige Tage später dann kam die Ernüchterung. Die britische Schauspielerin erklärte, sie habe sich verhört. Saxony-Anhalt klinge auf Englisch irgendwie wie sexy, aber vielleicht sei ja Sachsen-Anhalt auch sexy? Zum Lachen fand das in Sachsen-Anhalt dann keiner mehr.
Politikerin: "Manchmal hat man das Gefühl, dass den Leuten das Lachen im Hals stecken bleibt, aber ich glaube, ein gesunder Witz ist immer noch da."
Ein Überlebenswitz sozusagen, nur eben kein Witz über sich selbst. Hans-Günther Pölitz wundert das nicht. Der Menschenschlag zwischen Arendsee und Zeitz habe eben wenig zu lachen. Die Arbeitslosenquote ist noch immer eine der höchsten in Deutschland, viele ziehen weg, vor allem Frauen. Selbst dem Kabarettisten aus der Magdeburger Zwickmühle fällt kein Witz über die Sachsen-Anhalter ein.
Pölitz: "Äh, eigentlich nein, fällt mir kein direkter Witz zu Sachsen-Anhalt ein, bloß die Leute, die in Sachsen-Anhalt leben, haben sehr viel Humor, sonst würden sie ja nicht hier leben."
Ganz ähnliche Antworten bekommt man von Landespolitikern zu hören.
Politiker: "Also im Moment über Sachsen-Anhalt fallen mir also keine Witze ein…"
Politikerin: "Nee, so spontan nicht."
Der Sachsen-Anhalter aber scheint das mit Fassung zu tragen. Er erträgt sowieso viel. Das Land, in dem er lebt, zum Beispiel. Wo heute Sachsen-Anhalt drauf steht, ist in Wirklichkeit ein Harzer, ein Altmärker, ein Sachse, ein Niedersachse oder ein Brandenburger drin.
Pölitz: "Vielleicht liegt der Witz im Pluralistischen. Jeder betrachtet den anderen als Witz und bezieht so seine Schadenfreude oder seinen Humor daraus."
Ach, so ist das. Mit ein Grund für die Witzarmut aber mag auch der sachsen-anhaltische Dialekt sein, meint die Hallenser Parlamentarierin Birke Bull.
Bull: "Wir sind deshalb nicht Gegenstand von Witzen, weil wir einen vernünftigen Dialekt haben."
Vorbei, vorbei. Die Kunst des Schimpfens in der Politik
Von Peter Zudeick
Ach! Da wurde abgewatscht, aber wie! Kunstvoll. Genusssüchtig lauschten wir dem Dampfradio, verfolgten freudig die kunstfertigen Ein- und Auslassungen … der Politiker. Ja, Debattenkultur galt damals noch was. Heute dagegen sind alle gleich verletzt, fühlen sich wehgetut, wird eine akustische Maulschelle verabreicht. Und wir sinken kraftlos auf der Couch zusammen, dreht die Vorsteherin der Nation einen verlorenen Prozess ob der Kilometerpauschale in eine Konsumspritze für das Volk der Auto-Didakten um. Ja, ja, das Klima hat sich geändert.
Früher war alles anders, und zwar besser. Das gilt selbstredend auch für die Schimpfkultur im deutschen Bundestage, deren permanenten Niedergang wir immer mal wieder beklagen müssen. Wobei man die schönsten Schimpfen in aller Regel nicht hören kann, weil sie als Zwischenruf aus dem Plenum kommen. Und einen der berühmtesten Zwischenrufe hat es gar nicht gegeben. Als Joseph Fischer, genannt Joschka, im Oktober 1984 von Bundestagspräsident Stücklen des Saales verwiesen wurde, sagte er zwar: "Herr Präsident, mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch!" Aber da er zu diesem Zeitpunkt schon von der Sitzung ausgeschlossen war, vermerkt das Protokoll die Schimpfe nicht. Und was nicht im Protokoll steht, ist auch nie gesagt worden.
Wie gesagt: Die Zwischenrufe machen’s, und da ist in beinahe 60 Jahren Parlamentsgeschichte ist so ziemlich alles vorgekommen, was es an Schimpfworten gibt, von Amokläufer bis Zuhälter alles drin: Bandit, Denunziant, Lügner, Lümmel, Heuchler, Idiot, Ratte, Hetzer, Quatschkopf, Dreckschleuder – das darf man natürlich alles nicht sagen. Sowas hier schon.
Penner: "Jahre einer gewissen Zurückhaltung im Auswärtigen Amt haben nicht vergessen machen können, dass dieser seit je an jeder beliebigen Ecke sein zumeist überflüssiges publizistisches Bedürfnis verrichtet hat."
Der Mann heißt Wilfried Penner, war lange Zeit SPD-Abgeordneter und offenbar ein Fan von Jürgen W. Möllemann.
Penner: "Der kann nichts, der weiß nichts, der hat nichts gelernt, und deshalb ist er Minister. So ganz stimmt das freilich nicht, die Qualifikation zum Politschwabbler des Jahres hat er allemal."
Elaborierte Beleidigungen wie diese waren aber auch zu den guten Zeiten eher selten.
Wehner: "Sie feixende Meute. Ja, das sind Sie."
Ja, es lässt sich nicht vermeiden. Man muss einfach an die Altmeister erinnern. Mit solchen Muntermachern sorgte Herbert Wehner auch in langweiligen Debatten immer wieder für Stimmung. Auch im Namenerfinden war er groß: "Übelkrähe" für Jürgen Wohlrabe, den er auch gerne "Sumpfblüte" nannte, oder "Hodentöter" für Todenhöfer, den er auch "Wurmfortsatz" titulierte. Und wenn Wehner keine Lust hatte, erfinderisch zu sein, schimpfte er ganz schlicht und allgemeinverständlich.
Wehner: "Reden sie doch keinen Stuss, reden Sie doch keinen Stuss, Sie weiser Herr, Sie."
"Herr" konnte bei Wehner ein ganz schlimmes Schimpfwort sein, das unschuldige Wörtchen "Sie" sowieso.
Wehner: "Sie, wissen Sie, sind doch so klug, dass sie sich auf die Verkehrsdebatten beschränken sollten, nicht."
Bei Wehner war sowas keine Berechnung, keine lang vorbereitete Schimpfe, um einen Ordnungsruf-Rekord zu brechen. Bei ihm kam das aus dem Augenblick, er spie seine Gehässigkeiten mit inbrünstiger Spontaneität aus.
Strauß: "Sie werden allmählich kindisch, Herr Wehner, aber das kann man nicht verhindern."
Das waren wirklich Sternstunden, wenn Strauß und Wehner sich beharkten.
Wehner: "Ich weiß, was man noch kann und was man nicht kann. Aber mit Ihnen kann ich noch immer. Soweit reicht’s noch, dass ich Ihre Lächerlichkeit durchdringe. Soweit reicht’s noch."
Vorbei, verklungen, verweht. Und keine Aussicht auf Besserung.
Apel: "Dann müssen sie uns Politiker präsentieren, die voll im Saft stehen, dann darf nicht der Ausleseprozess innerhalb der Parteien dazu führen, dass wir zu viel Angepasste bekommen, und ich stelle in diesem Buch die Frage, ob Herbert Wehner heute noch ein Mandat bekäme, und ich bezweifel das."
Das sagte Hans Apel vor siebzehn Jahren. Er hat immer noch Recht.